Sehr geehrter Herr Doktor.
Ich bestätige den Empfang
Ihrer gesch.
Zuschrift vom 17. l.M. in Angelegenheit des Herrn KarlKraus ca: ‚Aufruf‘
und bemerke, dass ich in dieser Ange
legenheit von Ihnen bereits
zwei nichtunterfertigte Briefe
vom 11. und 14. l.M. erhalten habe, die ich meritorisch
mit meinem Schreiben vom 15. l.M. beantwortet habe.
Da ich nicht weiss, ob dieser
Brief an
gekommen ist, gestatte
ich mir, Ihnen die Rechtslage nach
dem čsl. Urheberrecht zu erläutern. Das Zitierrecht ist
nach unserem Gesetze im § 23 Zahl. 2 geregelt.
Nach diesem bedeutet
,dass
es
es keinen Eingriff in die Urheber
rechte, wenn einzelne
Stellen oder Teile eines herausge
gebenen Werkes ohne Aenderung
ihres Sinnes wörtlich
zitiert
werden, wobei allerdings der Autor oder die benützte
Quelle angeführt erscheinen
müssen. Auch ich glaube, dass
es
sich im Falle der Verwendung des Gedichtes als
Einleitung zu einem Artikel, der
sich mit dem Autor dieses
Gedichtes befasst, nicht um ein Zitat im Sinne der eben
erwähnten Bestimmung handeln
kann. Das Gedicht wurde
nicht dazu
angeführt, um den Inhalt des betreffenden Artikels
von Verneau
klarzustellen, die Stellungnahme des
Autors zu begründen, Gegenstand
der Kritik oder Polemik
mit dem
Dichter zu
bilden. Gemäss § 24 Zahl 2 unseres
Gesetzes über das Urheberrecht
ist es verboten, ohne Ein
willigung des Autors
Romanfeuilletons, Novellen und Ge
dichte, sowie Abhandlungen,
belletristischen, wissen
schaftlichen, technischen oder
künstlerischen Inhaltes,
welche
in Zeitungen oder in periodischen Zeitschriften
erschienen sind, abzudrucken,
wenn der Autor hiezu nicht
seine
Einwilligung erteilt hat. Dies ist auch dann der Fall,
wenn in der betreffenden Zeitung
oder Zeitschrift die Klausel
„Nachdruck verboten“ nicht beigesetzt war.
Deswegen glaube ich, dass
der Nachdruck des Gedichtes
unstatthaft ist und dass Herr Kraus
berechtigt ist, den
Sühnebetrag zu Gunsten des Flüchtlingskomites zu begehren.
Was nun die Berichtigung
anbelangt, so gilt bei
uns
nunmehr der § 11 der Pressenovelle aus dem Jahre 1933.
Dieser Paragraf ist dem § 19 des alten Pressegesetzes nach
gebildet. Es handelt sich
allerdings um keine berichtigungs
fähige Mitteilung, sondern
um die fehlerhafte Zitierung
eines Gedichtes, sodass es fraglich sein könnte, ob die
Richtigstellung des
fehlerhaft wiedergegebenen Textes nach
§ 11
der Pressgesetz-Novelle verlangt werden kann.
Trotzdem glaube ich, dass
man versuchen kann, die Rich
tigstellung zu begehren und
dass sie vom „AUFRUF“ nicht
verweigert werden wird, zumal sich der verantwortlicheRedakteur, welcher
Jurist und Advokat ist, sicherlich kei
nem Verfahren wird aussetzen
wollen.
Wollen Sie mir daher evtl.
telefonisch mitteilen,
ob ich
jetzt die Briefe versenden soll, damit die Angelegen
heit nicht zu lange liegen
bleibt.
Mit vorzüglicher Hochachtung
ergebener:
Dr. Turnovsky