Der Aufruf, 1.11.1933Karl Kraus’ Abschied? [1.11.1933]Der Aufruf


Sehr geehrter Herr Kollege!


In Prag erscheint eine Zeitschrift „Der Aufruf“.
In deren Nummer vom 1. November 1933 ist ein Artikel erschie
nen, welcher sich mit der Person des Herrn Karl Kraus be
schäftigt. Als Einleitung zu dem Artikel ist das in der letztenNummer der Fackel erschienene Gedicht vollständig abgedruckt;
der Abdruck weist einige Druckfehler auf.


Im Auftrage des Herrn Karl Kraus bitte ich Sie
nun, sich diesen Artikel anzusehen und mir bekanntzugeben, ob
nach Ihrer Rechtsansicht auch nach tschechischem Recht der
Abdruck widerrechtlich ist. Nach österreichischem Recht wäre
im vorliegenden Fall ein Zitierrecht in so weitem Umfange
nicht gegeben, weil gemäss § 25 des österr. Urh.Rechtes lediglich
die wörtliche Anführung einzelner Stellen oder kleinerer Teile
eines veröffentlichten Werkes erlaubt ist, hier aber das ganze
Gedicht veröffentlicht wurde. Aber auch die Aufnahme in ein
ganzes Werk, welches sich nach seinem Hauptinhalte als ein
selbständiges wissenschaftliches darstellt, liegt nicht vor,
wodurch der Nachdruck ein erlaubter würde, da ja hier bei
diesem Artikel von einem wissenschaftlichen Werk überhaupt
nicht gesprochen werden kann.


Wenn nach Ihrer Ansicht eine Urheberrechtsver
letzung klar vorliegt, so ersuche ich Sie zunächst einen
Sühnebetrag von Kc 200.– zu Gunsten des Flüchtlingskomitées
zu begehren, an dessen Spitze Prof. Ottokar Fischer
steht, sowie eine entsprechende Erklärung in dem Blatte,
dass das Gedicht widerrechtlich abgedruckt und dafür der
obgenannte Sühnebetrag zu Gunsten etc. bezahlt wurde.


Um die Möglichkeit auszuschliessen, dass beim
Abschreiben Fehler entstehen, was bei der Art dieser Berich
tigung leicht der Fall sein könnte, bitte ich Sie, das
beiliegende Berichtigungsschreiben im Original mit Ihrer
Unterschrift und Stempel zu versehen und in rechtsfreund
licher Vertretung des Herrn Karl Kraus an den verantwortlichenRedakteur des „Aufruf“ einzusenden. Falls dieses Berichtigungsschreiben dem tschechischen Recht nicht entspricht, bitte ich
Sie, mir einen verbesserten Entwurf einzusenden.


Ich zeichne
mit vorzüglicher kollegialer Hochachtung


1 Beilage samt Abschrift.