Karl Kraus’ Abschied? [1.11.1933]


Sehr geehrter Herr Doktor.


Ich bestätige den Empfang Ihres gesch.
Schreibens vom 11. l.M. betreffend die Angelegenheit KarlKraus ca: „Aufruf“ und gestatte mir Ihnen mitzuteilen, dass
der Abdruck des in der letzten Fackel erschienenen Gedichtes
ohne Einwilligung des Herrn Kraus meiner Ansicht nach einen
widerrechtlichen Eingriff in die Autorrechte des Herrn Kraus
darstellt. Gemäss § 24. Zahl 2 des Gesetzes über das Autorrecht dürfen Romane, Feuilletons, Novellen und Gedichte
sowie Abhandlungen belletristischen, wissenschaftlichen,
technischen, oder künstlerischen Inhaltes, welche in Zeitungen,
oder in periodischen Zeitschriften veröffentlicht worden sind,
auch dann nicht anderwärts ohne Einwilligung des Autors ab
gedruckt werden, wenn der Abdruck nicht ausdrücklich unter
sagt war. In der Voranstellung des Gedichtes des Herrn Kraus
als Motto des Artikels von Lucien Verneau kann meiner An
sicht nach nicht die durch das Gesetz zugelassene Zitierung
eines fremden Werkes erblickt werden. Es handelt sich hier
nicht um ein Zitat, dessen Anführung bei gleichzeitiger
Nennung des Autors nach unserem Gesetze zulässig ist, wenn
es zur Klarstellung des Inhaltes des betreffenden Artikels,
in welchem es zitiert wurde, zur Begründung einer Stellungnahme,
zum Zwecke der Kritik oder Polemik mit einer fremden Anschau-
ung zitiert wurde.


Mit Rücksicht darauf habe ich dem Wunsche
des Herrn Kraus entsprechend, den Herausgeber und verantwortlichen Redakteur des „AUFRUF“ zur Berichtigung der Druck
fehler und Bezahlung des Sühnebetrages aufgefordert.


Indem ich bitte, dies zur Kenntnis zu
nehmen, zeichne ich


Ihr ergebener:
Dr. Turnovsky


P.S.


Vor Absendung dieses Briefes und des an den Herausgeber undverantwortlichen Redakteur des „AUFRUF“ gerichteten Schreibens
erhielt ich Ihren gesch. Brief vom 14. l.M., der ebenso wie der
Brief vom 11. l.M. nicht unterfertigt war und dem der Entwurfdes Berichtigungsschreibens nicht beilag.
Ich halte daher den Brief an den „AUFRUF“ zurück und bitte
mir den Entwurf des Berichtigungsschreibens einzusenden und
mitzuteilen, ob Sie nach den obigen Ausführungen das Einschrei
ten gegen den „AUFRUF“ wünschen.


3