Karl Kraus’ Abschied? [1.11.1933]


Sehr geehrter Herr Doktor!


Ich komme erst heute zur Beantwortung Ihres Schreibens vom24. v.M., da ich vorerst den Verfasser des Artikels „KarlKraus Abschied“ erreichen wollte. Was die Berichtigung der
fehlenden Beistriche bzw. des grossen „M“ am Beginn eines Ver
ses anlangt, so haben mich diese, wenn auch unbedeutenden Druck
fehler geärgert, viel mehr geärgert als jeder andere Druckfehler.
Aber Sie wissen doch, mit welchen geradezu phantastischen Schwie
rigkeiten man in einer rein tschechischen Druckerei, in der wir
mangels Mittel arbeiten müssen, zu kämpfen hat. Ich bin also gern
bereit, diese Berichtigung aufzunehmen, gebe Ihnen jedoch zu be
!denken, ob es nicht vorteilhafter wäre, das vollendete Gedicht
von Karl Kraus nochmals fehlerfrei abzudrucken.


Was den angeblichen Eingriff in das Autorrecht des Herrn KarlKraus durch Abdruck des Gedichtes anlangt, so war jener von dem
! Autor, der ein glühender Verehrer von Karl Kraus ist, sicherlich
nicht beabsichtigt. Dies ergibt sich übrigens auch aus jeder Zei
le und aus jedem Wort des nachfolgenden Artikels. Es handelt sich
offensichtlich um eine Zitierung dieser wenigen Verszeilen, um an
diese anknüpfen zu können. Nur eine überaus strenge Gesetzesinter
pretation kann eine Verletzung der Autorrechte feststellen.


Bitte wollen Sie, sehr verehrter Herr Doktor, rückfragen, ob
Herr Karl Kraus auf der in Ihrem Schreiben vom 24. v.M. enthal-


tenen Erklärung, die dem Ansehen unseres Blattes schaden müsste,
beharrt, ebenso ob er auf dem uns aufgelegten Sühnebeitrag be
harrt. Wollen Sie Herrn Karl Kraus gleichzeitig zu seiner Infor
mation mitteilen, dass der „Aufruf“ bis heute einer ganzen
Reihe emigrierten Schriftstellern und ihren Familien hilft und
sie oft monatelang erhalten hat und erhält. Die Ungunst der
Zeiten gefährdet jedoch geradezu beängstigend unser Hilfswerk.
Wollen Sie Herrn Karl Kraus unsere Bitte vorbringen, er möchte
in Anbetracht all dieser traurigen Verhältnisse von einer Weiter
verfolgung der Angelegenheit trotz seinem gesetzlichen Rechte
abstehen.


Ich zeichne mit dem Ausdruck meiner vorzüglichen
Hochachtung


[Unterschrift]


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