Eine Lanze für Karl Kraus


Sehr geehrter Herr Doktor!


Ich bestätige den Empfang Ihres Briefes vom30. d.Vm. sowie des beigeschlossenen Entwurfes einer an den verantwortlichen Redakteur des Gegenangriff zu sendenden Berichtigung.


Bei der heutigen Verhandlung wurde konstatiert,
dass die Ladung der verantwortlichen Redakteurin wiederum nicht zu
gestellt worden ist, trotzdem der Gerichtsbote die Zustellung in
der Wohnung sowie in der Kanzlei des Advokaten, bei dem Dr. Schnierer angestellt ist, versucht hat. In der Wohnung wurde ihm gesagt,
dass Dr. Schnierer verreist ist und nach den Weihnachtsfeiertagen
ihre Wohnung ändern wird. Gleichzeitig wurde konstatiert, dass der
Empfang meiner eingeschriebenen Briefes, in welchem ich um Aufnahme
der Pressberichtigung ersucht habe, nicht von Dr. Marie Schnierer,
sondern offenbar vom Dienstmädchen ihrer Wohnungsvermieterin bestä
tigt worden ist.


Der Richter, der in diesem Verfahren absolut kein
Verständnis für die Sache bekundete, erklärte, dass er das Verfahren
unterbrechen müsse und war davon nicht abzubringen, trotzdem ich
mich bereit erklärte, die Zustellung selbst überwachen zu wollen.
Da der Beschluss über die Unterbrechung des Verfahrens erflossen ist,
habe ich mich telefonisch an die Kanzlei des Anwaltes, bei welchem
Dr. Schnierer angestellt ist, gewendet, Frau Dr. Schnierer kam selbst
zum Telefon und erwiderte auf meine Frage, ob sie meinen Brief
vom 11.XII.1933 erhalten habe, dass sie diesen Brief zwar bekommen
habe, es jedoch ablehne, die Berichtigung zu veröffentlichen.
Als ich bemerkte, dass ich der Polizei zur Kenntnis bringen müsse,
dass der verantwortliche Redakteur einer in Prag erscheinenden Zeit
schrift unter der in dieser Zeitschrift angeführten Adresse nicht
auffindbar sei, sodass ihm gerichtliche Ladungen nicht zugestellt
werden konnten, behauptete Frau Dr. Schnierer, sie habe ihre Woh
nung nicht geändert und Zustellungen an ihre Adresse seien möglich.
Darauf habe ich bei Gericht sofort den Antrag gestellt, das Verfah
ren fortzusetzen und die Ladung zu der für den kürzesten Termin
anzuordnenden Tagsatzung entweder in frühen Morgenstunden in der
Wohnung, oder Nachmittag in der Kanzlei des Dienstgebers der Beschuldigten zustellen zu lassen. Gleichzeitig habe ich den Antrag ge
stellt, zu der anzuberaumenden Tagsatzung Herrn Prof. Dr. Otakar Fischer als Sachverständigen zu laden.


Ich habe mir gestattet, den Entwurf der neuen Berichtigung abzuändern. Gemäss § 11 der Pressgesetznovelle kann der Be
richtigende in der Berichtigung lediglich Tatsachen anführen, welche
die in der Nachricht enthaltenen Tatsachen richtig stellen oder wider
legen. Der mir eingesendete Entwurf der Berichtigung entspricht
wohl dieser Vorschrift, doch wird durch Wiederholung der zu berich
tigenden Behauptungen resp. durch deren Zitierung die Berichtigung
selbst in ihrem Ausmasse verlängert. Berichtigt wird nur der letzte
Absatz des Artikels „Lanze für Karl Kraus“. Da nach § 11 Absatz 6 der Pressgesetznovelle die Berichtigung nur dann unentgeltlich zu veröffent
lichen ist, wenn sie das doppelte Ausmass der ursprünglichen Nach
richtig nicht überschreitet, so schlage ich vor, die Berichtigung
nur auf die Widerlegung der beanständeten Nachrichten zu beschrän
ken, womit, wie ich glaube, der Berichtigungszweck erfüllt wird.
Das Verhalten der Dr. Schnierer bestärkt mich in der Annahme, dass
sie auch in diesem Falle ohne gerichtlichen Zwang die Berichtigung
nicht veröffentlichen wird und ich möchte ihr die Ausrede, sie
habe die Berichtigung wegen ihres grossen Umfanges abgelehnt, neh
men.


Ich sende Ihnen daher den Entwurf der abgeänderten
Berichtigung mit der Bitte ein, ihn Herrn Kraus vorzulegen und
mir sodann bekanntzugeben, ob er mit dieser Fassung einverstanden
ist. Sollte ihm daran gelegen sein, die Berichtigung in der von
ihm vorgeschriebenen Form zu erzwingen, dann bin ich natürlich
bereit, mein Schreiben dem Entwurfe anzupassen, wobei ich anneh
me, dass mit Rücksicht auf den Inhalt des Motivenberichtes zu § 11
die Berichtigung auch in der von Herrn Kraus gewünschten Form
veröffentlicht werden muss.


Ich sehe daher Ihren Weisungen entgegen und
zeichne


in vorzüglicher Hochachtung
Dr. Turnovsky


1 Beilage.


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