Sehr geehrter Herr Doktor.
In Angelegenheit Karl Kraus
ca:
Gegenangriff bestätige ich den Empfang Ihrer beiden Briefevom 28. und 29.XII.1933.
Das Verfahren zur Erzwingung
der
Aufnahme einer
Pressberichtigung ist im § 14 der Pressegesetznovelle
geregelt. Das in Pressachen zuständige Bezirksgericht hat auf Verlangen des um die Pressberichtigung er
suchenden nach mündlicher,
nach den Grundsätzen über die
Hauptverhandlung durchgeführter Verhandlung durch Beschluss
zu entscheiden. Das
Verfahren ist also auch nach tschechoslo
wakischem Rechte öffentlich,
nur wird nicht durch Urteil,
sondern durch einen Beschluss über den Antrag entschieden.
Was nun Ihre Anfrage über
den Modus
procedendi
betrifft, muss ich folgendes bemerken:
Der Richter, der über die Berichtigung zu entscheiden hat,
beherrscht die deutsche
Sprache sehr mangelhaft. Ich habe
den Eindruck, dass es auch
sehr schwer wäre, ihm die Bedeutung
des Falles klarzustellen,
wenn es sich um die fehlerhafte
Wiedergabe eines in
tschechischer Sprache abgefassten Ge
dichtes handeln würde. Es
gibt eben hier viele Richter,
die, von Gesetzbüchern und juristischen Publikationen abgesehen,
kaum je ein Buch
gelesen haben. Einem solchen Referenten
das Verständnis dafür
beizubringen, dass der Autor eines
Gedichtes Interesse daran
und ein Recht darauf hat, dass
sein Gedicht richtig wiedergegeben werde und dass sich die
ser Autor gegen die falsche
Wiedergabe, mag diese auch nur
in der Auslassung eines Beistriches bestehen, wehren muss,
ist natürlich
ausserordentlich schwer.
Ich hoffe, dass es mir
gelingen wird, durch Zitierung des
Motivenberichtes zu § 11 der Pressegesetznovelle den Richter
davon zu überzeugen, dass der Anspruch auf Berichtigung von
veröffentlichten Tatsachen
auch dann gegeben ist, wenn durch
diese gemeldeten Tatsachen
die Ehre des Berichtigenden nicht
berührt worden ist, sondern dass es genügt, wenn auf erkennt
liche Weise das berechtigte
Interesse des Antragstellers
daran berührt wurde, dass das Urteil des Lesers, welches auf
Grund der über den Antragsteller
veröffentlichten Tatsachen
gebildet wurde, nicht auf unwahren Tatsachen basiere.
Sollte ich den Eindruck
gewinnen, dass der Richter trotzdem die
fehlerhafte Interpunktion für zu gering
fügig hält, um darauf eine
Berichtigungspflicht aufzubauen,
dann werde ich die Zuziehung
des Herrn Professor Fischer als
Sachverständigen beantragen.
Ich behalte mir vor, Ihnen
über die morgige
Tagsatzung
zu berichten und zeichne
mit vorzüglicher Hochachtung
ergebener:
Dr. Turnovsky
P.S.
Da ich nicht weiss, ob Herr Kraus in
Wien den Gegenangriff
liest, sende ich den in der
Nummer 23 vom 24.XII.1933 er
schienenen Artikel ein, der als Erwiderung des
Artikels
von Botho
Laserstein veröffentlicht wurde.