Ich berufe mich auf meinen
Brief vom 10. d.M.
und gestatte mir
mitzuteilen, dass ich noch vor Zustellung der
heute eingelangten
schriftlichen Ausfertigung des Gerichtsbeschlusses über die Abweisung des Antrages auf Berichtigung inner
halb der
dreitägigen Frist die Beschwerde schriftlich ausgeführt
und überreicht habe. Ich tat
dies nach genauer Prüfung und Durch
sicht der
einschlägigen Judikatur, insbesondere einer in letzter
Zeit erflossenen
Entscheidung, aus der per analogiam geschlossen
werden kann, dass die
schriftliche Ausführung der angemeldeten
Beschwerde nicht unzulässig
ist.
Der Fall hat, wie zu
erwarten war, sehr viel
Aufmerksamkeit erweckt und es erschienen Berichte über das Ergebnis
der Hauptverhandlung im „Prager Tagblatt“ und im „České Slovo“.
Das „Prager Tagblatt“ brachte einen verhältnismässig
sachlichen und
auch richtigen
Bericht, der allerdings dem
juristisch nicht ge
schulten Leser kaum eine Vorstellung darüber gibt, worum es sich
eigentlich handelt. Diesen
Bericht wird Herr Kraus sicherlich
gele
sen
haben. Das „České Slovo“ brachte
einen sachlich und juristisch
vollkommen falschen Bericht, in
dem behauptet wird, der „Gegenan-
griff“ habe die verlangte
Berichtigung zwar veröffentlicht,
jedoch
nicht, wie von Herrn Kraus
gefordert, mit der Zitierung des ganzen
Wortlautes des Gedichtes, sondern nur der im Artikel des Gegenangriffes fehlerhaft zitierten fünften Verszeile. Dies habe Herrn Kraus
zur
Klage veranlasst, welche abgewiesen worden sei, mit der
Begründung,
die
Auslassung des Beistriches sei ein Versehen des Setzers und
kön
ne der verantwortlichen
Redakteurin aus dem Titel der Vernachlässi
gung der
pflichtgemässen Sorgfalt nicht angelastet werden. Der Be
richterstatter hat, wie Sie sehen, weder die Sachlage, noch die ju
ristische Lage
des Falles, erfasst.
In dem am 14. d.M. herausgegebenen Gegenangriff
ist nun ein ganz unerhörter
Artikel „Der Kampf um ein Komma odertrauriges Ende des Karl
Kraus“ erschienen. Im Nachhange zu diesem Ar
tikel hat offenbar Dr. Schnierer eine Notiz veröffentlicht, deren
Verfassung angeblich nach
der Drucklegung des ebenangeführten Artikels erfolgt ist und die sich mit dem Berichtigungsstritte befasst.
Ich lege diese beiden
Artikel, deren Inhalt mir beweist, wie recht
ich daran tat, meine
Einwilligung zu einer Neuformulierung der ver
langten
Berichtigung nicht zu erteilen, bei. Hätte ich eingewil
ligt, dass das
Gericht die Berichtigung abändere, so
wäre darüber
sicherlich eine
ebenso gemeine Notiz erschienen, wie die in der letzten Nummer des Gegenangriff veröffentlichte.
Die namens des Herrn Kraus
verlangte Berich
tigung
des Artikels „Lanze für Karl Kraus“ wurde
nicht veröffent
licht. Mein Schreiben ist am 8. d.M. expediert worden und
wurde
der verantwortlichen
Redakteurin zu Handen des Herrn Dr.
Stein am
9. d.M. zugestellt. Ich
glaube, dass es zweckmässig ist, mit der
Ueberreichung des Antrages
gemäss § 14 der Pressgesetznovelle bis
nach dem Erscheinen der
nächsten Nummer abzuwarten, weil ich
konstatiert habe, dass Dr. Stein einzuwenden pflegt, die Veröffent
lichung der
verlangten Berichtigung sei deswegen nicht erfolgt,
weil im Zeitpunkte des
Einlangens des Berichtigungsschreibens
die
ganze Nummer bereits
fertiggestellt war, sodass in dieser Nummer
die Berichtigung nicht mehr
erscheinen konnte. Da der Richter
auf diese Einwendung in dem
mir bekannten Falle Rücksicht genommen
hat, glaube ich empfehlen zu
müssen, dass der Antrag erst über
reicht werden
soll, bis feststeht, dass die Berichtigung
auch in der
nächsten Nummer
nicht erschienen ist.
Um Sie und Herrn Kraus über alle
Details zu orientieren
schliesse ich noch eine Uebersetzung meiner Beschwerde und des heu
te zugestellten
Gerichtsbeschlusses bei und bemerke,
dass ich
beim Vorsitzenden des Beschwerdesenates intervenieren werde.
In der zweiten gegen den verantwortlichen
Redakteur
und Verfasser des im Gegenangriffe erschienen Artikels wegen Ver
gehens der üblen
Nachrede resp. Verleumdung anhängigen Rechtsan
gelegenheit wurde
die Vergleichstagsatzung für den 19. d.M.
angesetzt. Ueber das Wesen
der Vergleichsverhandlung nach dem Ge
setze zum Schutze
der Ehre möchte ich Folgendes bemerken:
Die Vergleichsverhandlung
ist nicht öffentlich. Sie
wird vom Vorsitzenden des Schöffengerichtes geleitet. Auf
Verlangen
irgendeiner Partei
entscheidet der die Vergleichsverhandlung
leitende Richter, und zwar
nach Möglichkeit sofort bei der Vergleichs
verhandlung,
spätestens aber binnen 8 Tagen, welche Genugtuung
er als angemessen erachtet
und wie die den Parteien erwachsenen Ko
sten ersetzt
werden sollen. Zugleich spricht er aus, in welcher Frist
die Genugtuung zu leisten
und die Kosten zu setzen sind. Vor Ablauf
dieser Frist kann die
Hauptverhandlung nicht stattfinden. Bei der
Entscheidung über die
Angemessenheit der Genugtuung berücksichtigt
das Gericht die Umstände des
Falles und es kann als Genugtuung
auch einen Beitrag zu einem
bestimmten wohltätigen oder gemeinnützi
gen Zwecke
bestimmen. Gegen die Entscheidung kann binnen 3 Tagen
Beschwerde geführt werden,
über welche endgiltig in nichtöffentlicher
Sitzung das Kreisgericht in
einem Kollegium von 3 Richtern entschei
det. Dann erst
wird die Hauptverhandlung angeordnet.
Diese Bestimmung ist
insofern wichtig, als das Ge
richt von der Bestrafung des Beschuldigten absehen kann, wenn
dieser
in der hiezu
bestimmten Frist die Entscheidung über die Genugtuung
erfüllt hat oder diese
Entscheidung in den Teilen, deren Erfüllung
von dem Willen des Gegners
abhing, wegen dessen grundlosen Wider
standes nicht
erfüllen konnte. Ebenso kann von der Bestrafung abge
sehen werden,
wenn der Schuldige dem Gekränkten spätestens vor Be
ginn der
Hauptverhandlung angemessene Genugtuung geleistet hat.
Bei der Beurteilung der
Angemessenheit der Genugtuung hat das Ge
richt die
Umstände des Falles, namentlich den Inhalt und die Form
der Kränkung, die
Verbreitung der Aeusserung, das verletzte Interes
se, das Verhalten
des Schuldigen nach der Tat, insbesondere aber
den Umstand zu
berücksichtigen, ob die Kränkung in wie immer
gearteter Form wiederholt
worden ist.
Mit Rücksicht auf diese
gesetzlichen Bestimmungen
wird es notwendig sein, dass mir Herr Kraus noch vor dem 19.
d.M.
bekannt gibt, welche
Art der Genugtuung ihm angemessen erscheint.
Es tut mir unendlich leid,
dass es mir trotz meinen
Bemühungen nicht gelungen ist, gleich bei der ersten Verhandlung
einen Erfolg zu erzielen und
so Herrn Kraus
vor weiteren Anrempelungen
des unsauberen Blattes zu
bewahren. Gegen die Dummheit und Bös
willigkeit des
Richters
ist schwer anzukämpfen, was um so bedauer
licher ist, als
gerade dadurch der ganzen Redaktionsgesellschaft
des Gegenangriffes der Mut zu weiteren „Heldentaten“ einge
flösst wird.
Mit dem Ausdrucke
vorzüglicher Hochachtung
ergebener
Dr. Turnovsky
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