Sehr geehrter Herr Doktor.
Ich bestätige den Empfang
Ihres Briefesvom 23. l.M. in
Angelegenheit Karl
Kraus – Gegenangriff und
teile höfl. mit, dass ich
dem Referenten bereits seiner
zeit alle juristischen
Argumente gegen die Entscheidung des
Straf-Bezirksgerichtes vorgetragen habe. Heute wurde mir
nun
der Beschluss des Kreisgerichtes
zugestellt, mit welchem die
von mir erhobene Beschwerde abgewiesen und der erstinstanzliche
Beschluss bestätigt worden
ist. Das Kreisgericht hat sich
die Entscheidung sehr leicht
gemacht und folgende Entscheidungs
gründe angeführt:
Nach Prüfung des
angefochtenen Beschlusses
und des Beweisverfahrens hat
das Berufungsgericht die vom An
tragsteller Karl Kraus
überreichte Beschwerde als unbegründet
abgewiesen und zwar sowohl
aus den dem Gesetze entsprechenden
und der Sachlage gemässen
Gründen des Erstgerichtes, als
auch aus folgenden
gewichtigen Erwägungen:
Gemäss § 11 Absatz 1 des Gesetzes vom10.VII.1933 Nr. 126 der
Ges.Smlg. hat derjenige das Recht,
die Pressberichtigung zu
fordern, den eine in einer periodi
schen Druckschrift
enthaltene Nachricht betrifft. In dieser
Gesetzesbestimmung ist zwar
der Begriff „betrifft“ nicht näher
erklärt, es muss jedoch nach
der ständigen Praxis des OberstenGerichtes und in
Anwendung der früheren Vorschrift des § 19des Pressegesetzes
dieser Begriff so ausgelegt werden, dass
es sich um einen Angriff auf
die Ehre, verursacht durch den
Inhalt des inkriminierten
Artikels, handeln müsse, worauf
aus dem zweiten Absatze des
§ 11 des zitierten Gesetzes
geschlossen werden muss,
welcher von dem Rechte auf Privat
anklage wegen strafbarer
Handlungen gegen die Ehre handelt.
Nach Absatz 1 des § 11 des zitierten Gesetzes können in der
Pressberichtigung lediglich
Tatsachen angeführt werden, welche
die in der Nachricht
enthaltenen Tatsachen richtigstellen oder
widerlegen. In diesem
Berichtigungsfalle handelt es sich
jedoch nach Ansicht des Berufungsgerichtes nicht um die Berichti
gung oder
Widerlegung irgendeiner in dem inkriminierten Artikel
enthaltenen Tatsache,
sondern bloss um eine formelle Richtig
stellung eines Fehlers,
nämlich um die Auslassung des Bei
striches zwischen den Worten
„Wort
das“, wie die Gegnerin
richtig angeführt hat.
Dieser formale Fehler hat, wie das
Berufungsgericht feststellt, für die gesamte Sachlage
keine
wesentliche
Bedeutung, insbesondere ist er unwesentlich, wenn
man seinen Einfluss auf den
Inhalt des Gedichtes in Betracht
zieht, zumal der Sinn durch
Auslassung des Beistriches nicht
geändert wird. Man kann also
nicht annehmen, dass der Antragsteller durch
dieses Versehen irgendwie tangiert worden sei,
insbesondere in einem
solchen Masse, dass er gezwungen gewesen
wäre, zu seinem Schutz das
Rechtsmittel der Pressberichtigung
anzurufen.
Deswegen hat das Berufungsgericht konform mit dem
Erstgerichte erkannt, dass die Voraussetzungen für eine
Press
berichtigung gemäss § 11 Absatz 1 der
Pressgesetznovelle
nicht gegeben sind und hat der Beschwerde keine Folge gegeben.
Wie Sie aus diesen
Entscheidungsgründen ersehen,
ist
der Beschluss der zweiten
Instanz noch unsinniger als der
der ersten und man muss tatsächlich daran zweifeln, ob es
möglich ist, bei unseren
Gerichten in Pressangelegenheiten
eine dem Gesetze entsprechende und vernünftige Entscheidung
zu erwirken. Leider ist ein
weiteres Rechtsmittel ausgeschlos
sen, sodass man eine Entscheidung
des Obersten Gerichtes, die
sicherlich anders ausfallen
müsste, nicht herbeiführen kann.
Den Antrag auf Berichtigung des letzten Absatzes
des Artikels „Lanze für Karl Kraus“
habe ich fertigge
stellt, jedoch bisher nicht überreicht, da seit dem 14. l.M.
keine weitere Nummer des Gegenangriff erschienen ist.
Ich nehme an, dass die morgen fällige Nummer herauskommen
wird und werde den Antrag, falls
– wie zu erwarten ist – die
Berichtigung in dieser Nummer nicht enthalten sein sollte,
sofort überreichen.
Die in der
Ehrenbeleidigungssache von HerrnKraus
gestellten Bedingungen habe ich dem Gegenanwalte
bekannt
gegeben und
ihn zur Aeusserung bis zum 26. l.M. aufgefordert.
Sollte er die Bedingungen nicht
akzeptieren, dann werde ich
die
Fortsetzung des Strafverfahrens gegen Dr. Schnierer bean
tragen. Bisher ist es mir nicht
gelungen, den Autor des erstenArtikels zu eruieren, trotzdem ich einige mir bekannte Kommuni
sten, die mit den
Prager Mitarbeitern des GEGENANGRIFF verkeh
ren, gefragt habe.
Ich behalte mir vor, Ihnen
nach Einlangen der
Aeusserung
des Dr. Stein Bericht zu geben und Sie von
der
Anordnung und dem
Verlaufe der Berichtigungstagsatzung zu
verständigen.
Ich bitte Herrn Kraus
meine Empfehlungen zu be
stellen und zeichne in
vorzüglicher Hochachtung
Ihr ergebener:
Dr. Turnovsky