Der Gegen-Angriff, 26.1.1934Eine Lanze für Karl KrausDer Gegen-AngriffNachruf auf Karl Kraus


Sehr geehrter Herr Doktor.


Ich bestätige den Empfang Ihres Briefesvom 23. l.M. in Angelegenheit Karl KrausGegenangriff und
teile höfl. mit, dass ich dem Referenten bereits seiner
zeit alle juristischen Argumente gegen die Entscheidung des
Straf-Bezirksgerichtes vorgetragen habe. Heute wurde mir nun
der Beschluss des Kreisgerichtes zugestellt, mit welchem die
von mir erhobene Beschwerde abgewiesen und der erstinstanzliche
Beschluss bestätigt worden ist. Das Kreisgericht hat sich
die Entscheidung sehr leicht gemacht und folgende Entscheidungs
gründe angeführt:


Nach Prüfung des angefochtenen Beschlusses
und des Beweisverfahrens hat das Berufungsgericht die vom An
tragsteller Karl Kraus überreichte Beschwerde als unbegründet
abgewiesen und zwar sowohl aus den dem Gesetze entsprechenden
und der Sachlage gemässen Gründen des Erstgerichtes, als
auch aus folgenden gewichtigen Erwägungen:


Gemäss § 11 Absatz 1 des Gesetzes vom10.VII.1933 Nr. 126 der Ges.Smlg. hat derjenige das Recht,
die Pressberichtigung zu fordern, den eine in einer periodi
schen Druckschrift enthaltene Nachricht betrifft. In dieser
Gesetzesbestimmung ist zwar der Begriff „betrifft“ nicht näher


erklärt, es muss jedoch nach der ständigen Praxis des OberstenGerichtes und in Anwendung der früheren Vorschrift des § 19des Pressegesetzes dieser Begriff so ausgelegt werden, dass
es sich um einen Angriff auf die Ehre, verursacht durch den
Inhalt des inkriminierten Artikels, handeln müsse, worauf
aus dem zweiten Absatze des § 11 des zitierten Gesetzes
geschlossen werden muss, welcher von dem Rechte auf Privat
anklage wegen strafbarer Handlungen gegen die Ehre handelt.
Nach Absatz 1 des § 11 des zitierten Gesetzes können in der
Pressberichtigung lediglich Tatsachen angeführt werden, welche
die in der Nachricht enthaltenen Tatsachen richtigstellen oder
widerlegen. In diesem Berichtigungsfalle handelt es sich
jedoch nach Ansicht des Berufungsgerichtes nicht um die Berichti
gung oder Widerlegung irgendeiner in dem inkriminierten Artikel
enthaltenen Tatsache, sondern bloss um eine formelle Richtig
stellung eines Fehlers, nämlich um die Auslassung des Bei
striches zwischen den Worten „Wort das“, wie die Gegnerin
richtig angeführt hat. Dieser formale Fehler hat, wie das
Berufungsgericht feststellt, für die gesamte Sachlage keine
wesentliche Bedeutung, insbesondere ist er unwesentlich, wenn
man seinen Einfluss auf den Inhalt des Gedichtes in Betracht
zieht, zumal der Sinn durch Auslassung des Beistriches nicht
geändert wird. Man kann also nicht annehmen, dass der Antragsteller durch dieses Versehen irgendwie tangiert worden sei,
insbesondere in einem solchen Masse, dass er gezwungen gewesen
wäre, zu seinem Schutz das Rechtsmittel der Pressberichtigung
anzurufen.


Deswegen hat das Berufungsgericht konform mit dem
Erstgerichte erkannt, dass die Voraussetzungen für eine Press
berichtigung gemäss § 11 Absatz 1 der Pressgesetznovelle
nicht gegeben sind und hat der Beschwerde keine Folge gegeben.


Wie Sie aus diesen Entscheidungsgründen ersehen,
ist der Beschluss der zweiten Instanz noch unsinniger als der
der ersten und man muss tatsächlich daran zweifeln, ob es
möglich ist, bei unseren Gerichten in Pressangelegenheiten
eine dem Gesetze entsprechende und vernünftige Entscheidung
zu erwirken. Leider ist ein weiteres Rechtsmittel ausgeschlos
sen, sodass man eine Entscheidung des Obersten Gerichtes, die
sicherlich anders ausfallen müsste, nicht herbeiführen kann.
Den Antrag auf Berichtigung des letzten Absatzes
des Artikels „Lanze für Karl Kraus“ habe ich fertigge
stellt, jedoch bisher nicht überreicht, da seit dem 14. l.M.
keine weitere Nummer des Gegenangriff erschienen ist.
Ich nehme an, dass die morgen fällige Nummer herauskommen
wird und werde den Antrag, falls – wie zu erwarten ist – die
Berichtigung in dieser Nummer nicht enthalten sein sollte,
sofort überreichen.


Die in der Ehrenbeleidigungssache von HerrnKraus gestellten Bedingungen habe ich dem Gegenanwalte bekannt
gegeben und ihn zur Aeusserung bis zum 26. l.M. aufgefordert.
Sollte er die Bedingungen nicht akzeptieren, dann werde ich
die Fortsetzung des Strafverfahrens gegen Dr. Schnierer bean
tragen. Bisher ist es mir nicht gelungen, den Autor des erstenArtikels zu eruieren, trotzdem ich einige mir bekannte Kommuni
sten, die mit den Prager Mitarbeitern des GEGENANGRIFF verkeh
ren, gefragt habe.


Ich behalte mir vor, Ihnen nach Einlangen der
Aeusserung des Dr. Stein Bericht zu geben und Sie von der
Anordnung und dem Verlaufe der Berichtigungstagsatzung zu
verständigen.


Ich bitte Herrn Kraus meine Empfehlungen zu be
stellen und zeichne in vorzüglicher Hochachtung


Ihr ergebener:
Dr. Turnovsky


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