Weininger, Karl Kraus, Beer-HofmannEine Krone für ZionDer Gegen-Angriff, 26.11.1933Prager Tagblatt, 14.1.1934Prager TagblattNachruf auf Karl KrausDie Juden von Wien


Sehr geehrter Herr Kollege!


Es scheint, dass in der Berichtigungssache
immer neue unvorhersehbare falsche Auffassungen der Richter
zu verzeichnen sind. Nun kommt eine neue Ansicht des
Dr. Cervinka dazu, dass die Zitierung eines Gedichtes, noch
dazu die falsche Zitierung, keine den Autor betreffende
Nachricht darstelle. Ich glaube, dass diese Ansicht sofort
zu widerlegen ist, wenn man sich die im Gegenangriff Nr. 19
erfolgte Art der Zitierung anschaut. Es heisst dort: „Und
auf der letzten Seite besingt er sein Schweigen:“ Es folgt
nun der falsche Abdruck des Gedichtes. Es ist klar und für
jeden, der nur zu lesen versteht, liegt die Behauptung vor,
dass der nun zitierte Wortlaut des Gedichtes richtig ist.
Dass es sich im gegenständlichen Fall nur um einen Beistrich
handelt, ist lediglich ein Quantitätsunterschied, denn der
Richter müsste auch seine Ansicht aufrecht erhalten, wenn
ein ganz anderer Wortlaut als der wirkliche als Gedicht des
Autors zitiert wird. Es wäre wirklich interessant
womit Herr Dr. Cervinka die Ansicht begründet, dass die
Zitierung des Gedichtes keine den Autor betreffende Nach-
richt darstelle, ich glaube, man müsste den Referenten
besonders auf den Doppelpunkt und das Anführungszeichen
bei der Zitierung des Gedichtes stossen, um ihm seine
falsche Meinung zu nehmen.


Eigentlich habe ich diese Einstellung der
Richter niemals befürchtet, sondern mehr, dass sie Bedenken
haben würden, einen Druckfehler berichtigen zu lassen, von
dem man unter Umständen sagen konnte, dass ein aufmerksamer
Leser selbst daraufkommen könne, dass es sich um einen
Druckfehler handle. Auch in dieser Hinsicht glaube ich aber,
dass man eine Ansicht des Richters leicht widerlegen könnte
durch einen vor kurzem im Prager Tagblatt vorgekommenen
Druckfehler, der zeigt, dass es sich auch hier nur um einen
Quantitätsunterschied handelt. Im Prager Tagblatt vom14. Januar 1934 stand auf Seite 3 in einer Besprechung desBuches von Tietze „Die Juden von Wien“ der folgende Satz:


„Die ungeheure Mitschuld des Juden
tums an Geist, Gesinnung und Erfolg der
Presse hat Kraus von dem assimilatorischen
Standpunkt seiner ‚Krone für Zion‘ zu der hef
tigen Verdammung des Jüdischen geführt, die
durch seine Ode ‚Krone für Zion‘ zu der hefti
gen Verdammung des Jüdischen geführt, die
durch seine Ode ‚Gebet an die Sonne von Gibeon
bebt.“


Dass dem Setzer hier irgend etwas passiert
ist, wird jeder Leser sofort herausbekommen. Was ihm
passiert ist, aber nur der kundige Leser und auch dieser,
der vielleicht nicht über alle Werke Kraus’ orientiert ist,
wird als Wahrheit hinnehmen, dass es eine Ode „Krone fürZion“ gibt. Es liegt also tatsächlich eine Behauptung in
dieser Hinsicht vor, wenn sie auch nicht ausdrücklich ist.
Es muss daher dem Autor das Recht zustehen, zu berichtigen,
dass das Werk „Krone für Zion“ keine Ode sondern eine
Prosaschrift ist. Es geht aus diesem Beispiel auch hervor,
dass eine Behauptung nicht nur in Form einer Behauptung
sondern durch eine nebensächliche Beifügung aufgestellt
werden kann. Wenn man nämlich zur Erkenntnis gekommen ist,
dass die tatsächliche Behauptung nicht an eine bestimmte
Form gebunden ist, so wird man leicht einsehen, dass in der
Zitierung des Gedichtes eine tatsächliche Behauptung vor
liegt und dass die Weglassung des Beistriches nur ein
Quantitätsunterschied gegenüber einer Wortverstümmelung be
deutet.


Was nun den von Herrn Dr. Stein gemachten
Vorschlag, in der Ehrenbeleidigungsangelegenheit betrifft,
so ist zwar der prinzipielle Standpunkt, es widerspreche
den Grundsätzen seiner Partei auf eine Busse einzugehen,
lächerlich. Nichtsdestoweniger hat Herr Kraus Gründe, sich
mit der ein wenig abzuändernden Erklärung und Bezahlung
der Kosten zu begnügen, unter der Voraussetzung, dass die
Erklärung unter dem gleichen Titel veröffentlicht werde,
wie seinerzeit der beleidigende Artikel und dass der verantwortliche Redakteur sich verpflichtet, zu der Erklärung,
zu der Berichtigung und auch zu der etwa auf Grund der
Beschwerde zu veröffentlichenden Berichtigung keinen Zusatz
zu machen, und auch nicht in einer folgenden Nummer zur
Materie der Ehrenerklärung einen Artikel zu veröffentlichen.
Die abzuändernde Erklärung hätte zu lauten:


Erklärung.


In Nr. 19 dieser Zeitschrift vom 26.XI.1933
wurde unter dem Titel „Nachruf auf Karl Kraus“ ein Artikel
veröffentlicht, durch dessen Inhalt Herr Karl Kraus be
leidigt wurde und zwar insbesondere durch die Behauptung,
„er habe auch während des Weltkrieges nicht gewünscht, dass
man von ihm ein eigenes Wort erwarte und erst, als der
Zusammenbruch der Mittelmächte entschieden war, habe sie
keiner so beredt verflucht wie er“, er schweige auch „jetzt,
weil er zu tief leide und auch sonst Rücksicht zu nehmen
habe“. Dieser Artikel wurde ohne mein Wissen in Druck gegeben.
Ich erkläre, dass diese Behauptungen, insoferne sie sich
auf die Haltung des Herrn Kraus während des Weltkrieges be
ziehen, auf unrichtigen Informationen beruht haben und, inso
ferne sie auf sein Schweigen im gegenwärtigen Zeitpunkte Be
zug nehmen, dass das angeführte Motiv unrichtig ist. Ich
widerrufe daher die Behauptungen, durch welche sich Herr
Karl Kraus beleidigt gefühlt hat.


Dr. Marie Schnierer
verantwortliche Redakteurin.


Sollte Herr Dr. Stein auf diesen Vergleich nicht eingehen,
so wäre die Angelegenheit weiter zu führen.


Ich habe Ihnen noch die besten Grüsse
und den besonderen Dank des Herrn Kraus für Ihre Mühe zu
übermitteln und bin mit dem Ausdrucke vorzüglichster


Hochachtung
Ihr ergebener


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