Sehr geehrter Herr Kollege!
Es scheint, dass in der
Berichtigungssache
immer neue
unvorhersehbare falsche Auffassungen der Richter
zu verzeichnen sind. Nun kommt
eine neue Ansicht des
Dr. Cervinka dazu, dass die Zitierung eines
Gedichtes, noch
dazu die falsche
Zitierung, keine den Autor betreffende
Nachricht darstelle. Ich glaube,
dass diese Ansicht sofort
zu
widerlegen ist, wenn man sich die im Gegenangriff Nr. 19
erfolgte Art der Zitierung
anschaut. Es heisst dort: „Und
auf der letzten Seite besingt
er sein Schweigen:“ Es folgt
nun der falsche Abdruck des Gedichtes. Es ist klar und für
jeden, der nur zu lesen versteht,
liegt die Behauptung vor,
dass
der nun zitierte Wortlaut des Gedichtes richtig ist.
Dass es sich im gegenständlichen
Fall nur um einen Beistrich
handelt, ist lediglich ein Quantitätsunterschied, denn der
Richter
müsste auch seine Ansicht aufrecht erhalten, wenn
ein ganz anderer Wortlaut als der
wirkliche als Gedicht des
Autors zitiert
wird. Es wäre wirklich interessant
womit Herr Dr. Cervinka die Ansicht begründet,
dass die
Zitierung des Gedichtes
keine den Autor betreffende Nach-
richt darstelle, ich glaube, man
müsste den Referenten
besonders auf den Doppelpunkt
und das Anführungszeichen
bei der
Zitierung des Gedichtes stossen, um ihm seine
falsche Meinung zu nehmen.
Eigentlich habe ich diese
Einstellung der
Richter niemals
befürchtet, sondern mehr, dass sie Bedenken
haben würden, einen Druckfehler
berichtigen zu lassen, von
dem
man unter Umständen sagen konnte, dass ein aufmerksamer
Leser selbst daraufkommen könne,
dass es sich um einen
Druckfehler
handle. Auch in dieser Hinsicht glaube ich aber,
dass man eine Ansicht des Richters leicht widerlegen könnte
durch einen vor kurzem im Prager Tagblatt vorgekommenen
Druckfehler, der zeigt, dass es
sich auch hier nur um einen
Quantitätsunterschied handelt. Im Prager
Tagblatt vom14. Januar
1934 stand auf Seite 3 in einer Besprechung desBuches von
Tietze „Die Juden von Wien“ der folgende Satz:
„Die ungeheure Mitschuld des
Juden
tums
an Geist, Gesinnung und Erfolg der
Presse hat Kraus von
dem assimilatorischen
Standpunkt seiner ‚Krone für
Zion‘ zu der hef
tigen Verdammung des
Jüdischen geführt, die
durch seine Ode ‚Krone für
Zion‘ zu der hefti
gen Verdammung des
Jüdischen geführt, die
durch seine Ode ‚Gebet an die Sonne von Gibeon‘
bebt.“
Dass dem Setzer hier irgend etwas passiert
ist, wird jeder Leser sofort
herausbekommen. Was ihm
passiert
ist, aber nur der kundige Leser und auch dieser,
der vielleicht nicht über alle
Werke Kraus’
orientiert ist,
wird als Wahrheit
hinnehmen, dass es eine Ode „Krone fürZion“ gibt. Es liegt also
tatsächlich eine Behauptung in
dieser Hinsicht vor, wenn sie auch nicht ausdrücklich ist.
Es muss daher dem Autor das Recht
zustehen, zu berichtigen,
dass das Werk „Krone für Zion“ keine Ode sondern eine
Prosaschrift ist. Es geht aus
diesem Beispiel auch hervor,
dass
eine Behauptung nicht nur in Form einer Behauptung
sondern durch eine nebensächliche
Beifügung aufgestellt
werden
kann. Wenn man nämlich zur Erkenntnis gekommen ist,
dass die tatsächliche Behauptung
nicht an eine bestimmte
Form
gebunden ist, so wird man leicht einsehen, dass in der
Zitierung des Gedichtes
eine tatsächliche Behauptung vor
liegt und dass die Weglassung des
Beistriches nur ein
Quantitätsunterschied gegenüber einer Wortverstümmelung be
deutet.
Was nun den von Herrn Dr. Stein gemachten
Vorschlag, in der
Ehrenbeleidigungsangelegenheit betrifft,
so ist zwar der prinzipielle
Standpunkt, es widerspreche
den
Grundsätzen seiner Partei auf eine Busse einzugehen,
lächerlich. Nichtsdestoweniger
hat Herr Kraus
Gründe, sich
mit der ein wenig
abzuändernden Erklärung und Bezahlung
der Kosten zu begnügen, unter der
Voraussetzung, dass die
Erklärung
unter dem gleichen Titel veröffentlicht werde,
wie seinerzeit der beleidigende Artikel und dass der verantwortliche Redakteur
sich verpflichtet, zu der Erklärung,
zu der Berichtigung und auch zu
der etwa auf Grund der
Beschwerde
zu veröffentlichenden Berichtigung keinen
Zusatz
zu machen, und auch
nicht in einer folgenden Nummer zur
Materie der Ehrenerklärung einen
Artikel zu veröffentlichen.
Die
abzuändernde Erklärung hätte zu lauten:
Erklärung.
In Nr. 19 dieser Zeitschrift vom 26.XI.1933
wurde unter dem Titel „Nachruf auf Karl Kraus“
ein Artikel
veröffentlicht, durch dessen
Inhalt Herr Karl
Kraus be
leidigt wurde und zwar insbesondere durch die Behauptung,
„er habe auch während des
Weltkrieges nicht gewünscht, dass
man von ihm ein eigenes Wort
erwarte und erst, als der
Zusammenbruch der Mittelmächte entschieden war, habe sie
keiner so beredt verflucht wie
er“, er schweige auch „jetzt,
weil er zu tief leide und auch
sonst Rücksicht zu nehmen
habe“. Dieser Artikel wurde
ohne mein Wissen in Druck gegeben.
Ich erkläre, dass diese Behauptungen, insoferne sie sich
auf die Haltung des Herrn Kraus während
des Weltkrieges be
ziehen, auf unrichtigen Informationen beruht haben und, inso
ferne sie auf sein Schweigen im
gegenwärtigen Zeitpunkte Be
zug nehmen, dass das angeführte
Motiv unrichtig ist. Ich
widerrufe daher die Behauptungen, durch welche sich Herr
Karl Kraus
beleidigt gefühlt hat.
Dr. Marie
Schnierer
verantwortliche Redakteurin.
Sollte Herr Dr. Stein auf diesen Vergleich nicht eingehen,
so wäre die Angelegenheit
weiter zu führen.
Ich habe Ihnen noch die
besten Grüsse
und den
besonderen Dank des Herrn Kraus für Ihre Mühe zu
übermitteln und bin mit dem
Ausdrucke vorzüglichster
Hochachtung
Ihr ergebener