Entwurf
zu der Aeusserung zu dem Beweisantrage in der Strafange
legenheit Karl Kraus ca:
Gegen-Angriff.
In der rubrizierten
Strafangelegenheit
hat
die Angeklagte
Beweisanträge gestellt, in welchen sie
darzulegen bemüht ist, dass
der inkriminierte Artikel
keinerlei Beleidigungen des
Privatklägers enthält.
Zu diesen Ausführungen wird
zunächst bemerkt: 1
1./ Nicht in der Ueberschrift des Artikels ist der Satz
„Wofür doch so
ein Karl
Kraus alles Kraft, Nerven und
Zeit hat“
enthalten, sondern im Texte dieses Artikels.
Die Ueberschrift lautet „Mut, Verrat oder Feigheit?“.
Der ganze Inhalt dieses Artikels ist herauf angelegt, den
Privatkläger zu
verspotten, herabzusetzen und lächerlich
zu machen. Da bei der
Beurteilung des strafbaren Tatbestandes
durch Auslegung des Artikels zu prüfen ist, ob eine
Belei
digung
vorliegt und dieser Umstand nicht nach einzelnen
aus dem Zusammenhange
gerissenen Sätzen oder Wendungen,
sondern aus dem
Gesamtinhalte des Artikels fest
gestellt zu
werden hat, ist es klar, dass auch der Ausdruck
„wofür so ein
Karl
Kraus alles Kraft, Nerven und Zeit hat“
sowohl als Beleidigung
empfunden werden muss, und zwar (ebenso
vom Leser ,wie
und vom Beleidigten), als auch in beleidigen
der Absicht
niedergeschrieben wurde.
Wenn sich ein Blatt
veranlasst sieht, seinen Lesern einen
Artikel vorzulegen, in dem
die Haltung eines Zeitgenossen
besprochen wird, so muss es wohl überzeugt sein, dass dieser
Zeitgenosse den Lesern
bekannt ist und dass über ihn ver
öffentlichte
Artikel bei ihnen Interesse finden.
Somit ist es sicher, dass
der Autor des Artikels in der
Ueberzeugung – und diese
Ueberzeugung ist wohl auch richtig –,
dass seine Leser wissen, um
wen es sich handelt, durch die
Bezeichnung des Privatklägers, d.i. eines den Lesern bekann
ten Autors, als
„so
ein Karl
Kraus“ die Absicht verfolgt,
hat, den Privatkläger in der
öffentlichen Meinung herabzu
setzen und lächerlich zu machen.
Die Wirkung des in der
Presse gedruckten
Wortes auf
primitive, aber auch auf sogenannte intellektuelle
Leser ist hinlänglich
bekannt und jedermann weiss, wie leicht
der Leser dazu gebracht
werden kann, das zu glauben, was er
in seiner Zeitung zu lesen
bekommt. Wenn also in der Zeitschrift so
„Der Gegenangriff“ der Leser, 2
3 den ihm wenigstens dem Namen
4
nach und durch die wiederholten Angriffe samt
Ehrenerklärungen bekannten Privatkläger als „so ein
Karl
Kraus“ be
zeichnet
findet,versteht
spürt
er sehr
gut
wohl
den herabsetzenden
Ton, in welchem vo
m Kläger
n ihm
gesprochen, resp. geschrieben wird,
und es ist nicht nur
wahrscheinlich, sondern auch begreiflich gewiss, dass
sich ihm der Privatkläger als Begriff einer
minderwertigen oder unwürdigen Person im
und
Zusammenhang mit der
herabwürdigenden Absicht und Ausdrucks
weise des
gelesenen Artikels einprägen wird.
Die Angeklagte versucht daher
vergeblich
vorzutäuschen,
dass in dem Ausdrucke „so ein Karl Kraus“
keine Beleidigung enthalten
sei.
Beweis: der inkriminierte
Artikel.
5 2./ 6 Es ist kein Zitat des Privatklägers
unter Anklage gestellt,
sondern die Mitteilung beleidigender,
weil ehrenrühriger
Tatsachen. In dem ganzen Artikel
handelt
es sich um nichts
anderes, als darum, dem Leser glaubhaft
zu machen, der Privatkläger
habe die Polemik gegen Deutsch
lands Machthaber, eine Aeusserung zu der Ermordung ErichMühsam’s und zum Schicksale Karls von
Ossietzky aus Feigheit
unterlassen und so an seiner
eigenen Gesinnung und an der
Sache der Menschlichkeit Verrat geübt.
Zur Widerlegung dieser
unleugbaren Tendenz
des inkriminierten Artikels führt die
Beklagte
an, man habe
vom Privatkläger
mit Recht voraussetzen können, er werde sich
in irgendeiner weise zur
Ermordung des
Erich Mühsams und zum
Schicksale Ossietzkys’ äüssern. Was „man“ vom Privat
kläger erwartet
hat oder erwarten konnte, geht diesen nichts
an. Es ist zwar wohl der
einzige Fall in der Geschichte der
Literatur, dass ein Autor zu
irgendwelchen Aeusserungen ge
zwungen werden soll und, wenn er diesem Zwange nicht nachgibt,
in von Beleidigungen
strotzenden Artikeln angegriffen werden
d
a
ü
rfte. Ueber diese
geistige
Tatsache
Materie
wi
ll
rd
sich jedoch der Privatkläger
mit dem Schreiber des Artikels
ebensowenig
nicht
auseinandersetzen,
wie
und er lehnt es natürlich ab,
sich diesem gegenüber zu
verantworten, aus welchen Gründen er
die von ihm erwartete
Aeusserung unterlassen hat. Er kann je
doch verlangen
und muss darauf bestehen, dass er gegen Angriffe
auf seine Ehre geschützt
werde, die von den Beleidigern mit
der Unterlassung
irgendwelcher erhoffter oder erwarteter Aeus
serungen
begründet werden.
Darüber, was „man“ erwartet
hat, können keine
Zeugen
aussagen und der Privatkläger verwahrt sich ausdrück
lich gegen den
Versuch, über diesen Umstand den Beweis durch die
Zeugenaussage irgendwelcher
Schriftsteller oder Journalisten
durchführen zu lassen, 7
Was der Schreiber dieses Artikels und vielleicht
seine Leser erwartet haben,
kommt hier nicht in Frage. Es kann
keinem Zweifel unterliegen,
dass niemand und insbesondere nicht der anonyme Schreiber oder pseudo-
berechtigt ist, wegen
der
Nichterfüllung seiner Erwartung gerade
den Privatkläger der
Feigheit und des Verrates zu bezichtigen und ihn mit einer
grande Cocotte oder einer
Klosettfrau zu vergleichen, wobei vom Schreiber
noch mit Nachdruck darauf
hingewiesen wird, dass man
dadurch
der
Klosettfrau und
einer früherennunmehrigen grande Cocotte
durch einen Vergleich mit dem PK
nicht zu
nahe treten
möchte.
Der gegnerische Beweisantrag hat mit dem Wahrheits
beweis über die
vom
gegen den
Privatkläger
ausgesagten Tatsachen nichts
zu tun, weswegen der Antrag gestellt wird, die angebotenen
Beweise nicht zuzulassen.
3./ Auch hier versucht die
Angeklagte, durch
Bestreitung des strafbaren Tatbestandes glaubhaft zu machen,
der inkriminierte Artikel habe über den Privatkläger
nichts
Beleidigendes ausgesagt. Es
hiesse jedoch beim Leser, beim
Privatkläger, aber auch beim Gerichte allzuviel Naivität
vorauszusetzen, wollte man
ihnen einreden, der inkriminierte
Artikel enthalte nicht den Vorwurf der Feigheit und des
Verrates. Wenn in dem Artikel ausgeführt und tadelnd
darauf hingewiesen wird, der
Privatkläger habe sich zu der
Ermordung Erich Mühsams und zum Schicksal Karls von Ossietzky
nicht geäussert und es
unterlassen, gegen das Hitlerregime
zu schreiben und wenn hiezu
gesagt
der an und für sich unlogische Satz
gefügt
wird „denn Polemik er
fordert
entweder Mut oder ist Feigheit oder Verrat und keine
Polemik ist auch eine
Polemik“, so kann diese Darstellung
keinen anderen Sinn haben,
als den, beim Leser den Eindruck
zu erwecken, der Privatkläger
habe die Polemik aus Feigheit
unterlassen und Verrat geübt. Wenn also auch die Angeklagte
leugnet, dass dies in dem
inkriminierten Artikel
behauptet
worden sei, so
ist sie nicht nur durch den Artikel
selbst
überführt, sondern
8
auch durch die weiteren in diesem
Punkte
schon durch den Satz der ihrer Ausflucht
auf dem Fuße folgt.
9
ihres Beweisantrages enthaltenen
Es folgen nämlich
Ausführungen, in denen
darauf hingewiesen wird,
dass der Privatkläger
„allerdings“
früher, in und nach dem
Kriege, mit den Repräsentanten des
damaligen Regimes heftig
polemisiert habe, insbesondere
auch mit Schober, dass er Anhänger des
demokratischen Regimes
und
der sozialdemokratischen Partei gewesen sei und erst
von der Zeit an, in welcher
ein Wechsel im Regime Deutsch
lands und Oesterreichs eingetreten ist, die Polemik mit diesen
faszistischen Regimen,
insbesondere mit dem Dollfuss’, Feys
und Schuschniggs eingestellt, daher seine früher demokratische
Gesinnung geändert habe.
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Auch über diesen
Umstand
geistigen Sachverhalt
, der mit dem Prozesse gar nichts zu tun
hat, beantragt die Angeklagte die
Einvernahme von Schrift
stellern und Journalisten
als Zeugen wiederum in der Absicht, das Verfahren
zu verschleppen und von dem
eigentlichen Prozessgegenstand
abzulenken. Es kann nicht Gegenstand dieses Prozesses sein,
festzustellen, ob und in
welcher Weise der Privatkläger in
früheren Zeiten
mit den
gegen die
Repräsentanten des damaligen Regimes
polemisiert hat, nicht
einmal, ob er es unterlassen hat, gegen
das gegenwärtige Regime zu
schreiben. In diesem Prozesse kann
und muss allein festgestellt
werden, ob der Autor des inkriminierten Artikels berechtigt war, zu behaupten,
der Privatkläger
habe die Polemik aus Feigheit unterlassen und dadurch
an der Menschheit Verrat
geübt. Selbst wenn es wahr wäre,
dass ein Wandel in seiner
Gesinnung eingetreten ist, dürfte
niemand die Behauptung
aussprechen, dass dieser Wandel aus
Feigheit und Verrat
eingetreten ist.
Deswegen wird auch bezüglich
dieses Punktes gegen die Zu
lassung irgendwelcher Zeugen über die Aeusserungen des Privatklägers in früherer Zeit als nicht zum Prozesse gehörend
Verwahrung eingelegt. 11
4./ In dem inkriminierten Artikel wird der Privatkläger
deswegen angegriffen, weil es nach Ansicht des Autors
seine Pflicht gewesen wäre,
gegen den Hitlerfaszismus, das
österreichische Regime zu polemisieren und zum Tode ErichMühsam’s
und zum Schicksale Karls von Ossietzky eine
Aeusse
rung
abzugeben. Anschliessend daran wird das, was die An
hänger des Privatklägers
angeblich zu dessen Verteidigung
anführen, glossiert. Die
Rechtfertigung durch diese Anhänger
durch den Hinweis auf die
früheren Verdienste des Privatklägers
wird vom Schreiber des inkr.
Artikels abgelehnt. Hiezu wird bemerkt er: „Es gibt
Leute,
welche trotz
aller Verdienste heute Hitlerbarden sind – laute
und schweigende. Was
beweist das für die Gegenwart, was einer
früher war? Ein Herr mit
besserer Vergangenheit. Ich kenne
eine Klosettfrau, die
früher einmal eine grande Cocotte war.
/ womit aber nichts
gegen Klosettfrauen gesagt sein soll /.“E
Ja
wohl, Ganz gewiss, es ist zwar richtig, dass es sich hier um eine Polemik mit den
Anhängern des Privatklägers
handelt, jedoch unzweifelhaft,
dass in dieser Polemik die Person des Privatklägers,
einer Klosettfrau und
früheren Cocotte in der Absicht gegen
übergestellt
wird, um ihn in der allgemeinen
Meinung herabzusetzen und
verächtlich zu machen. Es ist gerade
zu
lächerlich
phantastisch
, in welcher
dürftiger Weise die Angeklagte diesen
klaren Tatbestand zu
verschleiern sucht und wie sie dem Gerichte
vorzutäuschen bemüht ist, dass die in dem inkriminierten Artikel verwendeten Ausdrücke keine Beleidigung des Privatklägers enthalten. In ihrer zur Verteidigung vorgebrach
ten Darstellung
ist die Angeklagte bemüht, glaubhaft zu machen,
dass der Gegenangriff als kommunistisches Blatt eine
grande
Cocotte oder eine
Klosettfrau als ehrlich arbeitende Frau
nicht in einer für den Privatkläger
beleidigenden Absicht zum
Vergleiche mit diesem herangezogen haben kann und bemerkt
noch
glaubt besonders schlau zu sein, wenn
sie
naiv
mit Unschuldsmiene
, dass dies umsoweniger der Fall sein könne, weil ja aus
drücklich
bemerkt
beigefügt
worden sei, dass damit gegen Klosettfrauen
nichts gesagt sein soll.
Mit dem gleichen Mass von Logik wird
Und noch schlauer und unschuldiger glaubt
sie zu sein, wenn sie
behauptet, dieser Passus
betreffe ja überhaupt nicht den Privatkläger, sondern die Hitlerbarden, welche trotz ihren frühe
ren Verdiensten
heute begeisterte Verehrer des Faszismus sind.
Und für diese Auslegung
beruft sich die Angeklagte auf die
Zeugenaussagen
von Schriftstellern! Es ist wohl überflüssig,
darzulegen, warum und in
welchem Masse diese Verteidigung
der Angeklagten
unhaltbar
unmöglich
ist und dass die Zumutung eine
Beweisführung über
diesen
Punkt
nicht nur überflüssig, sondern unstatthaft
ist.
wohl nur als Missbrauch der Geduld des Gerichtes aufgefasst werden kann.
Deswegen wird der Antrag
wiederholt, es möge
den Beweisanträgen der Angeklagten nicht
stattgegeben und diese
der
Anklage gemäss verurteilt werden.