Der Gegen-Angriff, Nr. 37[Notiz über Ausbleiben eines angekündigten Artikels „Karl Kraus gleichgeschaltet “]Mut, Verrat oder Feigheit?Der Gegen-AngriffDie FackelNachts


a)


Der Privatkläger empfindet es als äusserst deprimierend, ja
geradezu demütigend, sich auf das juristische, logische wie
ethische Niveau solcher Argumentation begeben zu sollen, und
kann es gar nicht begreifen, dass ein Angeklagter, der doch
juristisch beraten wird, einem Gericht zumutet, sich mit einem
solchen Wust aus Unwahrhaftigkeit und Ausflucht ernsthaft zu be
fassen. Vielleicht findet diese Zumutung darin ihre Erklärung,
dass der Angeklagten nichts anderes möglich war, als zu solchem
Mittel zu greifen, das sicherlich von ihrer grössten Verlegen
heit eingegeben ist. Nachdem sie nämlich für Beleidigungen ana
loger Art eine Ehrenerklärung mit gänzlicher Zurückziehung der
Anwürfe hatte veröffentlichen müssen und zwar wegen ungenauer
Wiedergabe nicht weniger als dreimal, (Anmerkung für Dr. Turnovsky:
eventuell Angabe der Nummern und deren Vorlage) war – sicherem
Vernehmen nach infolge Weigerung des derzeit in Paris ansässigen
Berliner Geldgebers namens Münzenberg – ein Stillstand in der ver
unglückten Offensive gebenden Privatkläger eingetreten, ja es
musste sogar ein auf der Titelseite einer Nummer angekündigter
Schmähartikel mit dem lügnerischen Titel „Karl Kraus gleichge
schaltet“ (Anmerkung für Dr. Turnovsky: eventuell Nummernangabe
und Vorlage) im letzten Augenblick ausgemerzt werden, was in
Prager eingeweihten Kreisen grosse Heiterkeit erregte. Privatim
wurde belustigten Neugierigen ein „technisches Hindernis“ als
Grund des Nichterscheinens angegeben und späteres Erscheinen in
Aussicht gestellt. Statt dessen erschien aber eine drollige Briefkastennotiz, in der es hiess, der angekündigte Artikel sei nicht
erschienen, weil ohnehin alles gegen den Privatkläger zu Sagende
schon ausgesprochen sei. Dann aber erfolgte offenbar ein Wechsel
der Direktive und es erschien der nunmehr inkriminierte Schmähartikel, der alles wiederholt, wofür die Angeklagte bereits Ab
bitte geleistet hat.


Zu den Ausflüchten, durch die dieser Artikel als nicht
beleidigend dargestellt wird, sei, da man sich nun einmal mit
ihnen befassen muss, bemerkt:


b)


Wenn also in der Zeitschrift „Der Gegenangriff“ der Leser
– selbst der dem der Privatkläger auch nur dem Namen nach und
jedenfalls durch die wiederholten Angriffe samt Ehrenerklärungen
bekannt – den Privatkläger als „so ein Karl Kraus“ bezeichnet
findet …


c)


Die Behauptung, der Privatkläger stelle
sein eigenes Zitat, durch das er sich doch nicht selbst beleidigt
fehlen könne, unter Anklage, wäre auch dann absurd, wenn dieses
Zitat im Schriftsatz richtig wiedergegeben wäre. Das Zitat lautet:
„Polemik ist Mut, Verrat oder Feigheit.“ Dieser Satz ist an und
für sich unverständlich, weil aus dem Zusammenhang gerissen.
(Anmerkung für Dr. Turnovsky: Es ist Ihnen überlassen, das ganze
Zitat zu bringen. Im Zusammenhang lautet das Zitat: „Polemik ist
Mut, Verrat oder Feigheit. Entweder es geht einer gegen die vielen
los oder einer von den vielen gegen die vielen oder einer von den
vielen gegen den einen. So mutig der Starke ist, der den Schwachen,
so feig ist der Schwache, der den Starken angreift. Denn der Schwa
che hat hinter sich eine Armee von Schwachen. Kehrt er sich, auf
gehetzt von einem missverstandenen Vorbild, gegen seinesgleichen,
so wird er zum Verräter. Alle Freibeuter der modernen Meinung han
deln so schimpflich. Es sind Spiessbürger, die aus der Reihe tre
ten.“ „Nachts, Seite 37.“) In der Anwendung des Satzes
auf seinen Autor liegt die Beleidigung, weil der Satz für den
Leser, der die Fortsetzung im Original nicht kennt, selbstver
ständlich keine andere Deutung zulässt, als dass der Autor, sei es
als Verräter oder als Feigling oder als beides hingestellt werden
soll, keineswegs als mutiger. Es wirkt einfach als Scherz, die
beleidigende Absicht der Anwendung eines Satzes, den ein Autor
geschrieben hat, grundsätzlich auszuschliessen. Wenn jemand die
Stelle bei Shakespeare: „… dass einer lächeln kann und immer
c) Fortsetzung
lächeln, und doch ein Bube sein“ auf den Autor anwenden wollte,
so wäre Shakespeare zweifellos beleidigt. Es ist jedoch grotesk,
sich darauf auszureden, dass Zitat des Privatklägers „als solches“
sei in keiner Weise anstössig. Gewiss war der Aphorismus, den der
Privatkläger einst schrieb, nicht „anstössig“, da er sich ja
gegen keine bestimmte Person kehrte, aber anstössig ist seine An
wendung auf eine bestimmte Person und natürlich auf den Autor
umsomehr, der nicht nur beleidigt, sondern mit seinen eigenen
Worten verspottet werden sollte.


d)


Selbst wenn die Zeugenschaft mancher von ihnen nicht wegen ihrer
analogen Gehässigkeit bedenklich wäre, so liegen analoge publizi
stische Handlungen vor, deren Verfolgung sich der Privatkläger
vorbehält. Allesamt jedoch sind sie nicht berufen, sich darüber
zu äussern, was „man“ erwartet hat. Die Nichterfüllung dieser
Erwartung eines Ausspruchs, auf den kein Recht besteht, könnte
der Ehre des Privatklägers nicht Eintrag tun. Dass diese Nicht
erfüllung in zwei so tragischen Fällen tatsächlich erfolgte,
wird ja keineswegs in Abrede gestellt. Dafür ist die Tatsache
festzuhalten, dass das „erwartete“ dreihundertfünfzehn Seitenstarke Heft der Fackel mit der umfassendsten Darstellung der
Schmach und Schande, die das Regime des dritten Reiches bedeutet,
fast gleichzeitig mit dem Schmähartikel des „Gegenangriff“
erschienen ist. Aber in eben diesem Hefte ist auch der ungeheure
Zwang dargestellt, der es unmöglich macht, sich der einzelnen
Opfer mit Nennung ihres Namens anzunehmen. Es ist aber ferner
die empörende Verantwortungslosigkeit emigrierter Journalisten
dargestellt, die von mitleidigen Besuchern eines Konzentrations
lagers beschworen wurden, den Fall Ossietzky nur ja nicht zu
berühren, weil nachweislich jede Erwähnung zugunsten eines Opfers
durch die ausländische Presse die Wut der Peiniger vermehre.
Es ist charakteristisch, dass gerade jenes Emigrantenblatt, das
einer der von der Angeklagten geführten Zeugen redigiert, (Anmer
kung für Dr. Turnovsky: Es ist dies Herrmann Budislavský, Zeugen
hiefür sind: Erich Heller und Willi Schlamm in Prag, ratsam, erst
dann zu nennen, wenn die Zeugen zugelassen würden,) im Besitz
einer solchen schriftlichen Bitte war, und es ist eine Schmach,
dass dieser Bitte nicht entsprochen wurde. Die Furchtbarkeit des
deutschen Ereignisses besteht ja gerade in jenem erpresserischen
Geisselsystem, und vielleicht wäre der arme Erich Mühsam noch am
Leben, ja vielleicht überhaupt nie misshandelt worden, wenn sich
nicht die glücklich geretteten Kameraden, denen ja die körperliche
Rettung gewiss zu gönnen ist, im Auslande zu einer publizistischen
Tätigkeit entschlossen hätten, die, im allgemeinen wirkungslos,
im einzelnen Fall schädlich gewirkt hat. In jenem Heft der Fackel,
d) Fortsetzung
dessen Erscheinen die gleiche Sorte urgiert hat, ist die Unsitt
lichkeit, ja Erbärmlichkeit der „Erwartung“ einer Polemik, die
Grausamkeit solches falschen Samaritertums und insbesondere die
Feigheit, solches, zumal wie im „Gegenangriff„“ anonymen Heldentums
gebrandmarkt.


e)


schon durch den Satz, der ihrer Ausflucht auf dem Fusse folgt.
In diesem ihrem eigenen nächsten Satz schon, der mit einem völlig
unlogischen und unwahrhaftigen „Allerdings“ anschliesst, wird der
Vorwurf des Verrates wiederholt.


f)


Es gehört viel Mühe dazu, diesen logischen Unsinn zu entwirren,
die Angeklagte behauptet, mit Anerkennung, dass der Privatkläger
gegen ein Regime, das also offenbar von ihrem Standpunkt aus
ein reaktionäres war, heftig polemisiert hat, aber von der Zeit
an, in welcher ein „Wechsel“ im Regime – man musste also glauben,
ein Wechsel nach der Freiheit hin – eingetreten ist, habe er
seine Gesinnung gewechselt. Also könnte man fragen, ob eigentlich
mehr ein Regime – oder ein Gesinnungswechsel vorliegt.


Es ist ganz richtig, dass der Privatkläger in und nach
dem Krieg gegen die Repräsentaten des damaligen Regimes heftig
polemisiert hat, insbesondere gegen Schober, und er hat kein Jota
von dieser Polemik zurückgenommen. Nicht wahr ist dagegen, dass er
Anhänger der sozialdemokratischen Partei gewesen ist, vielmehr
waren die Sozialdemokraten seine Anhänger und vielfach noch lange,
nachdem er ihre Führer ganz so wie jetzt in ihrer Halbschlächtig
keit (Halbheit) entlarvt und ihre Sünden am armen Proletariat
gegeisselt hat, (dessen sich der Privatkläger stets in Wort und
f) Fortsetzung
Schrift annahm, für das er Vorlesungen hielt, für dessen menschliche
und soziale Rechte er eintrat, und dessen Wohlfahrtszwecken er zahl
lose Male den vollen materiellen Ertrag seiner Vorlesungen widmete.)
Der Satz „Erst von der Zeit an u.s.w. bis hat er eingestellt“ ist
in sich ein Unsinn und widerspricht, soweit ihm ein Sinn entnommen
werden kann, dem wahren Sachverhalt. Der Privatkläger hat in
völliger Konsequenz seiner früheren Haltung die Untauglichkeit der
österreichischen Parteiführer zur Abwehr Hitlers und die Zärtlich
keit des Märtyrers Dollfuss besprochen. Diese Haltung konnte
dem Autor des beleidigenden Artikels, der eine Woche
früher erschienen war, als das Heft der Fackel, nicht bekannt sein.
Ein Regime Schuschnigg hat es weder im Zeitpunkte des beleidigenden
Artikels, noch des Erscheinens der Fackel, die dem lebenden Dollfuss
gerecht wird, gegeben. Der Privatkläger hat lediglich fast gleich
zeitig mit der Schmähung im „Gegenangriff“ ein grosses Heft gegen
das Dritte Reich und für dessen mutigsten Bekämpfer erscheinen
lassen.


g)


Dagegen wäre der Privatkläger in der Lage, dokumentarische Beweise
und Zeugen zu führen, dass er seit sieben Jahren und ganz umfassend
im Jahre 1932 in der Abhandlung „Hüben und Drüben“ die vehementeste
Kritik an den untauglichen Führern der österreichischen und deutschen
Arbeiterschaft geübt hat, was den kommunistischen Kreisen, denen
der „Gegenangriff“ zugehört, sehr wohl bekannt ist, welche sogar
wissen, dass der Aufsatz „Hüben und Drüben“ in russischen Schulen
als instruktivste Klarstellung der Unzulänglichkeit der österrei
chischen Führerschaft vorgetragen wird. Die Aeusserungen aus frü
herer Zeit liegen vor, können nicht in Abrede gestellt werden, und
nichts liegt dem Autor ferner, als sie zurückzunehmen. Ob irgend
welche Literaten diese offenbar nicht erfasst haben, einen „Wider
spruch“ zwischen diesen Aeusserungen, einem „Schweigen“, welches
durch ein Gedicht klar ausgedrückt und motiviert war, so wie heutigen
g) Fortsetzung
Aeusserungen des Autors bemerken wollen und für ehrenrührig halten,
ist ihre Privatangelegenheit und nicht Sache einer gerichtlichen
Tatsachenerhebung.


h)


4./ Den äussersten Versuch, durch Gerede über einen
klaren Sachverhalt von Beleidigung hinwegzukommen, stellt dieser
vierte Punkt dar. Zu sagen, der Privatkläger sei „nicht mit einer
grande Kokotte oder mit einer Klosettfrau verglichen worden“,
es handle „sich vielmehr um eine Polemik mit den Anhängern des
Privatklägers und gegen deren irrige Ansichten“, stellt wohl ein
starkes Beispiel von unredlicher Verantwortung vor. Diese wird aber
noch übertroffen durch das Ansinnen, der Zusatz, der Autor desArtikels „wolle gegen Klosettfrauen nichts gesagt haben, die ja
gewiss eben so ehrlich arbeitende Frauen sind, wie irgendwelche
andere Arbeiterinnen“, (was „sogleich beigefügt worden sei“!),
wäre keine Beleidigung, sondern geradezu eine Ehrenrettung des
Privatklägers. Und der Gipfel ist wohl erreicht durch die Beteuerung
„keinesfalls jedoch“ sei etwas Herabsetzendes gesagt, weil ja doch
gar nicht „vom Privatkläger die Rede ist, sondern nur von ‚Hitler
barden‘, die heute begeisterte Verehrer des fascistischen Regimes
sind, wie zum Beispiel ein Herr Benn“, von dem doch ganz gewiss
nicht „die Rede“ ist. Noch gewisser aber ist die Wahrheit und
ganz ausdrücklich die Rede nicht von Herrn Benn sondern von KarlKraus. Es liegt also der dreisteste Versuch vor, den eigenen Text
hinwegzulügen und durch einen nichtvorhandenen zu ersetzen.


Es ist gegen alle derartigen Versuche mit untauglichen
und absurden Mitteln einfach festzustellen: