a)
Der Privatkläger
empfindet es als äusserst deprimierend, ja
geradezu demütigend, sich
auf das juristische, logische wie
ethische Niveau solcher
Argumentation begeben zu sollen, und
kann es gar nicht begreifen,
dass ein Angeklagter, der doch
juristisch beraten wird,
einem Gericht zumutet, sich mit einem
solchen Wust aus
Unwahrhaftigkeit und Ausflucht ernsthaft zu be
fassen. Vielleicht findet
diese Zumutung darin ihre Erklärung,
dass der Angeklagten
nichts anderes möglich war, als zu solchem
Mittel zu greifen, das
sicherlich von ihrer grössten Verlegen
heit eingegeben ist. Nachdem
sie nämlich für Beleidigungen ana
loger Art eine
Ehrenerklärung mit gänzlicher Zurückziehung der
Anwürfe hatte
veröffentlichen müssen und zwar wegen ungenauer
Wiedergabe nicht weniger als
dreimal, (Anmerkung für Dr. Turnovsky:
eventuell Angabe der Nummern
und deren Vorlage) war – sicherem
Vernehmen nach infolge
Weigerung des derzeit in Paris ansässigen
Berliner Geldgebers namens
Münzenberg – ein Stillstand in der ver
unglückten
Offensive gebenden Privatkläger eingetreten, ja es
musste sogar ein auf der
Titelseite einer Nummer
angekündigter
Schmähartikel mit dem lügnerischen Titel „Karl Kraus
gleichge
schaltet“ (Anmerkung für Dr.
Turnovsky: eventuell Nummernangabe
und Vorlage) im letzten
Augenblick ausgemerzt werden, was in
Prager eingeweihten Kreisen
grosse Heiterkeit erregte. Privatim
wurde belustigten
Neugierigen ein „technisches Hindernis“ als
Grund des Nichterscheinens
angegeben und späteres Erscheinen in
Aussicht gestellt. Statt
dessen erschien aber eine drollige Briefkastennotiz, in der es hiess, der angekündigte Artikel sei nicht
erschienen, weil ohnehin
alles gegen den Privatkläger zu Sagende
schon ausgesprochen sei.
Dann aber erfolgte offenbar ein Wechsel
der Direktive und es
erschien der nunmehr inkriminierte Schmähartikel, der alles wiederholt, wofür die Angeklagte
bereits Ab
bitte
geleistet hat.
Zu den Ausflüchten, durch
die dieser Artikel als nicht
beleidigend dargestellt
wird, sei, da man sich nun einmal mit
ihnen befassen muss,
bemerkt:
b)
Wenn also in der Zeitschrift
„Der Gegenangriff“ der Leser
– selbst der dem der Privatkläger
auch nur dem Namen nach und
jedenfalls durch die wiederholten Angriffe samt Ehrenerklärungen
bekannt – den Privatkläger
als „so
ein Karl
Kraus“ bezeichnet
findet …
c)
Die Behauptung, der Privatkläger
stelle
sein eigenes
Zitat, durch das er sich doch nicht selbst beleidigt
fehlen könne, unter Anklage,
wäre auch dann absurd, wenn dieses
Zitat im Schriftsatz richtig
wiedergegeben wäre. Das Zitat lautet:
„Polemik ist Mut, Verrat oder
Feigheit.“ Dieser Satz ist an und
für sich unverständlich,
weil aus dem Zusammenhang gerissen.
(Anmerkung für Dr. Turnovsky: Es ist Ihnen überlassen, das
ganze
Zitat zu bringen.
Im Zusammenhang lautet das Zitat: „Polemik ist
Mut, Verrat oder
Feigheit. Entweder es geht einer gegen die vielen
los oder einer von den
vielen gegen die vielen oder einer von den
vielen gegen den einen.
So mutig der Starke ist, der den Schwachen,
so feig ist der
Schwache, der den Starken angreift. Denn der Schwa
che hat hinter sich eine
Armee von Schwachen. Kehrt er sich, auf
gehetzt von einem
missverstandenen Vorbild, gegen seinesgleichen,
so wird er zum Verräter.
Alle Freibeuter der modernen Meinung han
deln so schimpflich. Es
sind Spiessbürger, die aus der Reihe tre
ten.“ „Nachts, Seite 37.“) In der Anwendung
des Satzes
auf seinen Autor liegt
die Beleidigung, weil der Satz für den
Leser, der die Fortsetzung
im Original nicht kennt, selbstver
ständlich keine andere
Deutung zulässt, als dass der Autor, sei es
als Verräter oder als
Feigling oder als beides hingestellt werden
soll, keineswegs als
mutiger. Es wirkt einfach als Scherz, die
beleidigende Absicht der
Anwendung eines Satzes, den ein Autor
geschrieben hat,
grundsätzlich auszuschliessen. Wenn jemand die
Stelle bei Shakespeare: „… dass einer
lächeln kann und immer
c) Fortsetzung
lächeln, und
doch ein Bube sein“ auf den Autor
anwenden wollte,
so wäre Shakespeare zweifellos beleidigt. Es ist jedoch
grotesk,
sich darauf
auszureden, dass Zitat des Privatklägers „als solches“
sei in keiner Weise
anstössig. Gewiss war der Aphorismus, den der
Privatkläger
einst schrieb, nicht „anstössig“, da er sich ja
gegen keine bestimmte Person
kehrte, aber anstössig ist seine An
wendung auf eine bestimmte
Person und natürlich auf den Autor
umsomehr, der nicht nur
beleidigt, sondern mit seinen eigenen
Worten verspottet werden
sollte.
d)
Selbst wenn die Zeugenschaft
mancher von ihnen nicht wegen ihrer
analogen Gehässigkeit
bedenklich wäre, so liegen analoge publizi
stische Handlungen vor,
deren Verfolgung sich der Privatkläger
vorbehält. Allesamt jedoch
sind sie nicht berufen, sich darüber
zu äussern, was „man“
erwartet hat. Die Nichterfüllung dieser
Erwartung eines Ausspruchs,
auf den kein Recht besteht, könnte
der Ehre des Privatklägers
nicht Eintrag tun. Dass diese Nicht
erfüllung in zwei so
tragischen Fällen tatsächlich erfolgte,
wird ja keineswegs in Abrede
gestellt. Dafür ist die Tatsache
festzuhalten, dass das
„erwartete“ dreihundertfünfzehn Seitenstarke Heft der Fackel mit der
umfassendsten Darstellung der
Schmach und Schande, die das Regime des dritten Reiches bedeutet,
fast gleichzeitig mit dem
Schmähartikel des „Gegenangriff“
erschienen ist. Aber in eben
diesem Hefte ist auch der ungeheure
Zwang dargestellt, der es
unmöglich macht, sich der einzelnen
Opfer mit Nennung ihres
Namens anzunehmen. Es ist aber ferner
die empörende
Verantwortungslosigkeit emigrierter Journalisten
dargestellt, die von
mitleidigen Besuchern eines Konzentrations
lagers beschworen wurden,
den Fall Ossietzky nur ja nicht zu
berühren, weil nachweislich
jede Erwähnung zugunsten eines Opfers
durch die ausländische
Presse die Wut der Peiniger vermehre.
Es ist charakteristisch,
dass gerade jenes Emigrantenblatt, das
einer der von der Angeklagten
geführten Zeugen redigiert, (Anmer
kung für Dr. Turnovsky: Es
ist dies Herrmann Budislavský, Zeugen
hiefür sind: Erich Heller
und Willi Schlamm in Prag, ratsam, erst
dann zu nennen, wenn die Zeugen zugelassen würden,) im Besitz
einer solchen schriftlichen
Bitte war, und es ist eine Schmach,
dass dieser Bitte nicht
entsprochen wurde. Die Furchtbarkeit des
deutschen Ereignisses
besteht ja gerade in jenem erpresserischen
Geisselsystem, und
vielleicht wäre der arme Erich Mühsam noch am
Leben, ja vielleicht
überhaupt nie misshandelt worden, wenn sich
nicht die glücklich
geretteten Kameraden, denen ja die körperliche
Rettung gewiss zu gönnen
ist, im Auslande zu einer publizistischen
Tätigkeit entschlossen
hätten, die, im allgemeinen wirkungslos,
im einzelnen Fall schädlich
gewirkt hat. In jenem Heft der Fackel,
d) Fortsetzung
dessen Erscheinen die
gleiche Sorte urgiert hat, ist die Unsitt
lichkeit, ja Erbärmlichkeit
der „Erwartung“ einer Polemik, die
Grausamkeit solches falschen
Samaritertums und insbesondere die
Feigheit, solches, zumal wie
im „Gegenangriff„“ anonymen
Heldentums
gebrandmarkt.
e)
schon durch den Satz, der
ihrer Ausflucht auf dem Fusse folgt.
In diesem ihrem eigenen
nächsten Satz schon, der mit einem völlig
unlogischen und
unwahrhaftigen „Allerdings“
anschliesst, wird der
Vorwurf
des Verrates wiederholt.
f)
Es gehört viel Mühe dazu,
diesen logischen Unsinn zu entwirren,
die Angeklagte
behauptet, mit Anerkennung, dass der Privatkläger
gegen
ein Regime, das also offenbar von ihrem Standpunkt aus
ein reaktionäres war, heftig
polemisiert hat, aber von der Zeit
an, in welcher ein „Wechsel“
im Regime – man musste also glauben,
ein Wechsel nach der
Freiheit hin – eingetreten ist, habe er
seine Gesinnung gewechselt.
Also könnte man fragen, ob eigentlich
mehr ein Regime – oder ein
Gesinnungswechsel vorliegt.
Es ist ganz richtig, dass
der Privatkläger in und nach
dem Krieg gegen die
Repräsentaten des damaligen Regimes heftig
polemisiert hat,
insbesondere gegen Schober, und er hat kein
Jota
von dieser Polemik
zurückgenommen. Nicht wahr ist dagegen, dass er
Anhänger der
sozialdemokratischen Partei gewesen ist, vielmehr
waren die Sozialdemokraten
seine Anhänger und vielfach noch lange,
nachdem er ihre Führer ganz
so wie jetzt in ihrer Halbschlächtig
keit (Halbheit) entlarvt und
ihre Sünden am armen Proletariat
gegeisselt hat, (dessen sich
der Privatkläger stets in Wort und
f) Fortsetzung
Schrift annahm, für das er
Vorlesungen hielt, für dessen menschliche
und soziale Rechte er
eintrat, und dessen Wohlfahrtszwecken er zahl
lose Male den vollen
materiellen Ertrag seiner Vorlesungen widmete.)
Der Satz „Erst von der
Zeit an u.s.w. bis hat er eingestellt“ ist
in sich ein Unsinn und
widerspricht, soweit ihm ein Sinn entnommen
werden kann, dem wahren
Sachverhalt. Der Privatkläger hat in
völliger Konsequenz seiner früheren Haltung die Untauglichkeit der
österreichischen
Parteiführer zur Abwehr Hitlers und die
Zärtlich
keit
des Märtyrers Dollfuss besprochen. Diese Haltung
konnte
dem Autor des beleidigenden Artikels, der eine Woche
früher erschienen war, als
das Heft
der Fackel, nicht bekannt sein.
Ein Regime Schuschnigg hat es weder im Zeitpunkte des beleidigenden
Artikels, noch des Erscheinens der Fackel, die dem lebenden Dollfuss
gerecht wird, gegeben. Der
Privatkläger hat lediglich fast gleich
zeitig mit der Schmähung im
„Gegenangriff“ ein grosses
Heft gegen
das
Dritte Reich und für dessen mutigsten Bekämpfer erscheinen
lassen.
g)
Dagegen wäre der Privatkläger
in der Lage, dokumentarische Beweise
und Zeugen zu führen, dass
er seit sieben Jahren und ganz umfassend
im Jahre 1932 in der
Abhandlung „Hüben und Drüben“ die vehementeste
Kritik an den untauglichen
Führern der österreichischen und deutschen
Arbeiterschaft geübt hat,
was den kommunistischen Kreisen, denen
der „Gegenangriff“ zugehört, sehr wohl bekannt ist, welche
sogar
wissen, dass der
Aufsatz „Hüben und Drüben“ in russischen Schulen
als instruktivste
Klarstellung der Unzulänglichkeit der österrei
chischen Führerschaft
vorgetragen wird. Die Aeusserungen aus frü
herer Zeit liegen vor,
können nicht in Abrede gestellt werden, und
nichts liegt dem Autor ferner,
als sie zurückzunehmen. Ob irgend
welche Literaten diese
offenbar nicht erfasst haben, einen „Wider
spruch“ zwischen diesen
Aeusserungen, einem „Schweigen“, welches
durch ein Gedicht klar ausgedrückt und motiviert war, so wie heutigen
g) Fortsetzung
Aeusserungen des Autors
bemerken wollen und für ehrenrührig halten,
ist ihre Privatangelegenheit
und nicht Sache einer gerichtlichen
Tatsachenerhebung.
h)
4./ Den äussersten Versuch,
durch Gerede über einen
klaren Sachverhalt von Beleidigung hinwegzukommen, stellt dieser
vierte Punkt dar. Zu sagen,
der Privatkläger sei „nicht mit einer
grande Kokotte oder mit einer Klosettfrau verglichen worden“,
es handle „sich vielmehr um eine Polemik mit den Anhängern des
Privatklägers und gegen deren irrige Ansichten“, stellt wohl
ein
starkes Beispiel von
unredlicher Verantwortung vor. Diese wird aber
noch übertroffen durch das
Ansinnen, der Zusatz, der Autor desArtikels „wolle gegen Klosettfrauen nichts gesagt haben, die ja
gewiss eben so ehrlich
arbeitende Frauen sind, wie irgendwelche
andere
Arbeiterinnen“, (was „sogleich beigefügt worden
sei“!),
wäre
keine Beleidigung, sondern geradezu eine Ehrenrettung des
Privatklägers.
Und der Gipfel ist wohl erreicht durch die Beteuerung
„keinesfalls jedoch“ sei etwas Herabsetzendes gesagt, weil ja doch
gar nicht „vom Privatkläger die Rede ist, sondern nur von ‚Hitler
barden‘, die heute
begeisterte Verehrer des fascistischen Regimes
sind, wie zum Beispiel
ein Herr Benn“, von dem doch ganz
gewiss
nicht „die Rede“ ist. Noch gewisser aber ist die Wahrheit und
ganz ausdrücklich die Rede
nicht von Herrn Benn sondern von KarlKraus. Es liegt
also der dreisteste Versuch vor, den eigenen Text
hinwegzulügen und durch
einen nichtvorhandenen zu ersetzen.
Es ist gegen alle derartigen
Versuche mit untauglichen
und
absurden Mitteln einfach festzustellen: