Der Gegen-Angriff, 7.7.1934Karl Kraus im AusverkaufDie letzten Tage der MenschheitDer Gegen-AngriffDie Fackel


Uebersetzung


C VIII 1411/34–8


Urteil.


Im Namen der Republik.


Das Zivilbezirksgericht für Prag-Ost hat
durch den Gerichtsrat Dr. Bouzek als Richter in der Rechts
angelegenheit der klagenden Partei Karl Kraus, Eigentümer
und Herausgeber der Zeitschrift „Die Fackel“ in Wien, vertre
ten durch Dr. Johann Turnovsky, Advokaten in Prag, gegen die
beklagte Partei, Dr. Marie Schnierer, Herausgeberin
und verantwortliche Redakteurin der Wochenschrift „DerGegen-Angriff“ in Prag XI Biskupcová 1719, vertreten durch
Dr. Sigmund Stein, Advokaten in Prag, wegen des Anspruches
gemäss § 1330 A.B.G.B. / pcto. 5000.– Kč / nach mit beiden Parteien
abgehaltener Streitverhandlung wie folgt zu Recht erkannt:


Die beklagte Partei ist verpflichtet,
folgende in Nummer 27 der Zeitschrift „der Gegen-Angriff“
veröffentlichte Nachricht zu widerrufen: „Karl Kraus imAusverkauf. Nach dem politischen Freitod von Karl Kraus,über den wir vor einiger Zeit berichteten, wird jetzt seinliterarischer Nachlass im Ramsch verkauft“ und auf eigene
Kosten binnen 14 Tagen unter Exekutionsfolgen auf den vierten
Seite der Zeitschrift „Der Gegen-Angriff“ in gleichem Drucke
und in der gleichen Rubrik, in der die widerrufene Nachricht
veröffentlicht war, in deutscher Sprache folgende Erklärung
zu veröffentlichen: „Widerruf: In Nummer 27 dieser Wochenschrift vom 7.VII.1934 war unter dem Titel ‚Karl Kraus imAusverkauf‘ eine Nachricht veröffentlicht, in welcher be
hauptet war, dass der literarische Nachlass Karl Kraus’ jetzt
im Ramsch verkauft wird. Diese Behauptung ist unwahr.
Dr. Marie Schnierer, Herausgeberin und verantwortliche Redakteurin“


Der übrige Teil des Klagebegehrens wird abge
wiesen.


Die beklagte Partei ist verpflichtet, der
Klagspartei die mit Kč 1019.55 bestimmten Verfahrenskosten
binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.


Begründung:


Es ist unbestritten, dass die beklagte Partei Heraus
geberin und verantwortliche Redakteurin des „Gegen-Angriff
ist, welcher in Nummer 27 vom 7.VII.1934 in der Rubrik
„Bemerkungen“ eine Nachricht folgenden Wortlautes brachte:


Karl Kraus im Ausverkauf:


Nach dem politischen Freitod von Karl Kraus, über den
wir vor einiger Zeit berichteten, wird jetzt sein literari
scher Nachlass im Ramsch verkauft. Prager-Zeitungen bringen
folgendes Inserat: es folgt nun das Inserat des VerlagesMELANTRICH, dessen Inhalt besagt, dass sämtliche Werke von
Karl Kraus vom Verlage Melantrich in Generalkommission über
nommen worden sind.[“]


Die Klagspartei führt bestritten an: Das Lager der
Bücher des Klägers beim Leipziger-Kommissionär und ein
grosser Teil des Vorrates dieser Bücher, der beim Wiener Verlage ‚Die Fackel‘ auf Lager war, wurde vom Prager- VerlageMELANTRICH in Generalkommission übernommen, welcher die zum
Verkaufe bestimmten Bücher an die einzelnen Buchhandlungen
abgibt. Ueber die Uebernahme der Werke des Klägers in General
kommission hat der Verlag Melantrich in der Tagespresse Inse
rate veröffentlicht. Eine Aenderung der Verkaufspreise die
ser Bücher ist nicht eingetreten und wurde auch nicht ange
zeigt.


Durch die in der Zeitschrift „Der Gegen-Angriff
veröffentlichte Nachricht, deren Unrichtigkeit die beklagtePartei kannte, resp. kennen musste und deren Absicht auf die
falsche Behauptung gerichtet war, dass die Werke des Klägers
im Ramsch verkauft werden, ist der Kläger in seinem Erwerbe
gefährdet, da der Wortlaut dieser Behauptung geeignet ist,
die kauflustigen Interessenten von der Anschaffung der Bü
cher zu normalen Buchhandlungspreisen abzuhalten und sie
insoferne irrezuführen, als ihnen glaubhaft gemacht wird,
dass sie diese Bücher zu herabgesetzten Preisen beim Verlage Melantrich erwerben können. Ausserdem ist diese Nach
richt geeignet, das Vertrauen der Leser zum Inneren inhalt
lichen Werte der Werke des Klägers herabzusetzen. Das vom
Verlage Melantrich veröffentlichte Inserat hatte vor allem
den Zweck, die Buchhändler darauf aufmerksam zu machen, dass
diese nunmehr die Werke des Klägers vom Prager VerlageMelantrich beziehen können und dass es also nicht mehr not
wendig ist, die Bücher durch Vermittlung des Wiener Verlages „Die Fackel“ zu bestellen.


Deshalb stellt die klagende Partei das
Begehren, es möge ausgesprochen werden, dass die beklagtePartei verpflichtet ist, die anstössige Verlautbarung in
gleicher Form, wie sie veröffentlicht war, zu widerrufen,
wobei die Klagspartei gleichzeitig verlangt, die Beklagte möge
schuldig erkannt werden, zu veröffentlichen, dass die Werke
des Klägers zu den ursprünglichen vollen Verkaufspreisen
verkauft werden.


Die Klagspartei betont, dass infolge des
politischen Umsturzes in Deutschland das Interesse an den
Werken des Klägers nicht gesunken ist, was schon aus dem
Umstande hervorgeht, dass sein Buch „Die letzten Tage derMenschheit“ das im letzten Jahre vom Verlage Družstevnípráce in tschechischer Uebersetzung herausgegeben worden ist,
in kurzer Zeit sozusagen vergriffen war.


Die beklagte Partei beantragt die Abwei
sung der Klage und wendet ein:


Die Bedeutung des Ausdruckes „Im Ramsch“
deckt sich nicht mit der Uebersetzung „Za babku“ / Anmerkung
Dr. T.: Dieser Ausdruck bedeutet soviel wie „Um einen Pappen
stiel, halb umsonst“ /, sie gesteht jedoch zu, dass der Sinn
dieses Ausdruckes soviel besagt, wie „im Ausverkauf“, „in Bausch
und Bogen“, also zu herabgesetzten Preisen. Sie beruft sich
auf den Inhalt des Inserates, aus welchem der Leser begrün
deterweise den Eindruck gewinnen konnte, dass die Werke des
Klägers zu einigermassen reduzierten Preisen verkauft würden.
Die Beklagte hat den Inhalt des Artikels weder gekannt, noch
kennen müssen, es hat sich um eine unbedeutende kleine Notiz
gehandelt. Die Beklagte hat bei der Redaktion und beim Ab
schluss der Nummer, in welcher diese Notiz veröffentlicht war,
nicht mitgewirkt und ist an der Verbreitung der Zeitschrift
in keiner Weise beteiligt. Mit Rücksicht auf die Verschieden
heit der politischen Gesinnung Karl Kraus’ und der Zeitschrift
Der Gegen-Angriff“ ist es unwahrscheinlich, dass die Leser
dieser Zeitschrift überhaupt an den Werken des Klägers interes
siert sind. Nach dem Inhalte der Inserate mussten die Werke
des Klägers ohnehin beim Melantrich-Verlag gekauft werden,
da durch diese Inserate der Leser in der Richtung informiert
wurde, dass die Bücher nur bei diesem Verlage erhältlich sind,
einerlei ob zum Originalpreise oder zu reduzierten Preisen.
Infolge des politischen Umsturzes in Deutschland hat über
haupt das Interesse an den Werken deutscher Autoren, selbst
an denen bedeutenderer, als der Kläger ist, nachgelassen.
Ueberdies verwahrt sich die Beklagte gegen die Formulierung
und den Inhalt des Klagspetites.


Nach der Bestimmung des § 1330 A.B.G.B.
kann der Beleidigte von demjenigen, der über ihn, Tatsa-
chen verbreitet hat, deren Unwahrheit er kannte oder
kennen musste, den Widerruf und dessen Veröffentlichung
verlangen. Für eine nicht öffentlich vorgebrachte Mit
teilung, deren Unwahrheit der Mitteilende nicht kennt,
haftet er nicht, wenn er oder der Empfänger der Mittei
lung an ihr ein berechtigtes Interesse hatte.


Der Text der vom Kläger als anstössig empfun
denen Notiz wurde vom Gerichte auf Grund des einvernehm
lichen Vorbringens beider Parteien, resp. durch den In
halt des vorgelegten Exemplares der Zeitschrift „DerGegen-Angriff“ festgestellt. Durch die Einvernahme des
Dr. B. Fučík, als sachverständigen Zeugen, erachtet das
Gericht als erwiesen, dass der Verlag Melantrich etwa
vor einem Jahre die Werke des Klägers zum ausschliessli
chen Verkaufe in der Tschechoslovakischen Republik in
Generalkommission übernommen hat und zwar einerseits vom
Wiener-Verlag „Die Fackel“, andererseits vom Leipziger
Kommissionär, worauf der Verlag Melantrich nach Verein
barung des Kommissionsübereinkommens hievon die Buchhänd
ler unter Angabe des Ladenpreises der Bücher verständigt
hat. Hierauf wurde durch diesen Verlag der Tagespresse
ein Inserat übergeben, welches dann mit der streitgegen
ständlichen Anmerkung auch in der Zeitschrift „der GegenAngriff“ veröffentlicht war, wobei der Inhalt des In
serates aus der kurzen Mitteilung bestanden hat, dass die
Werke des Klägers vom Verlage Melantrich in Generalkommis
sion übernommen worden sind, durch dessen Vermittlung die
Bücher in den Buchhandlungen erworben werden können.
Diese letzterwähnte Tatsache stellt das Gericht auch
aus dem vorgelegten Inserate fest. Ferner ist durch die
Aussage des Dr. Fučík auch erwiesen, dass die Preise der
Werke des Klägers durch den Vertrag über die General
kommission genau festgestellt worden sind, dass es zu
einer Herabsetzung dieser Preise und ebensowenig zu
einer Verlautbarung, dass die Preise der Bücher des
Klägers herabgesetzt worden sind, gekommen ist. Dadurch
ist die Unwahrheit der veröffentlichten Mitteilung er
wiesen. Das Gericht schliesst sich durchaus der An
sicht des sachverständigen Zeugen an, dass diese Mit
teilung geeignet ist, den Erwerb und das Fortkommen
des Klägers zu gefährden und dass durch die Veröffent
lichung der Mitteilung, dass die Werke zu ermässigten
Preisen auf dem Markte erhältlich sind, der Leser von
der Erwerbung dieser Werke zu vollem Preise abgehalten
und in seinem Vertrauen zu dem inneren literarischen Wert
der Werke schwankend gemacht wird, dass er fühlt, dass
sich der Verleger der Auflage dieser Werke entledigen
will, dass, wenn die Preise reduziert werden, gewöhnlich
ein überstürzter Massenverkauf eintritt, der jedoch
dann plötzlich abbricht. Zur Begründung dieser Ansicht
hat der sachverständige Zeuge auf zwei allgemein bekannte
Fälle eines Massenabverkaufes durch zwei Prager-Verlag
Häuser hingewiesen. Zur Widerlegung dieser Konklusion
genügt nicht die behauptete Tatsache, dass die von der
Leitung der Zeitschrift „Der Gegen-Angriff“ vertretenen
Anschauungen von den Anschauungen des Klägers bedeutend
abweichen, woraus keinesfalls hervorgeht, dass eine periodi
sche, in normaler Welse kolportierte, resp. verbreitete
Zeitschrift nicht gerade von für die
Bücher des Klägers Interessierten gelesen werden könnte.


Es ist zwar im Prozesse nicht nachgewie
sen worden, dass die beklagte Partei die Unwahrheit der
veröffentlichten Mitteilung gekannt hat. Dagegen ist gewiss,
dass die Beklagte die Unwahrheit der Mitteilung hätte
kennen müssen, insoferne sie die durch die Vorschrift
des § 1295 A.B.G.B. und des Artikels 282 A.B.G.B. auferleg
te Aufmerksamkeit angewendet hätte.


Die Beklagte erblickt ihre subjektive Exkulpierung im
Inhalte des Inserates des Verlages Melantrich, der angeblich
Veranlassung zu der Auslegung gegeben hat, mit welcher
dann der Inhalt dieses Inserates in der Zeitschrift „DerGegen-Angriff“ kommentiert worden ist. Berücksichtigt
man jedoch den Inhalt dieses Inserates, wie er festgestellt
worden ist, kann man der Beklagten keinesfalls beipflich
ten. Die Uebernahme einer Bücherauflage in Generalkommis
sion und eine Annonce, dass die Bücher in Buchhandlungen
erhältlich-sind, begründet keinesfalls die Auslegung, dass
die Bücher zu herabgesetzten Preisen oder sogar „im Ramsch“
verkauft werden. Für die Qualifizierung des Verschuldens
genügt auch culpa levis / Vergl. Ehrenzweig § 396 S. 659 u.
Entsch. Nro. 11757 /.


Für die Beurteilung der Sache ist
nicht massgebend, ob die Beklagte bei der Verbreitung, also
Verkauf, Kolportage u.dgl. beteiligt ist, weil gemäss
§ 1330 A.B.G.B. derjenige verantwortlich ist, der die un
wahre Tatsache verbreitet und nicht derjenige, der die
Zeitung verbreitet und zwar in dem Sinne, wie es die Beklagte meint. Nach Ansicht des Gerichtes ist der Herausgeber
und verantwortliche Redakteur einer periodischen Zeit
schrift, in welcher die beleidigende Insinuation abgedruckt
war, der Verbreiter der Nachricht gemäss § 1330 A.B.G.B.
und nicht bloss der Autor. Wenn der Herausgeber und verant
wortliche Redakteur nach den strafrechtlichen Bestimmungen
für den Inhalt der Zeitschrift verantwortlich ist, dann
trifft ihn umsomehr die zivilrechtliche Verantwortlichkeit.
Bestimmt nun das Gesetz im § 1330 A.B.G.B., dass in einem
solchen Fall der Widerruf und dessen Veröffentlichung
verlangt werden kann, so kann dies wirksam am ehesten vom
Herausgeber der Druckschrift verlangt werden, wenn durch
den Inhalt dieser Druckschrift eine Schädigung der Ehre
verursacht wurde, die geeignet ist, den Kredit, den Erwerb
oder das Fortkommen eines anderen zu gefährden.


Es ist nicht massgebend, ob noch andere
Momente eine Herabsetzung des Interesses für die Werke
des Klägers verursacht haben, ebensowenig entscheidet
die Tatsache, ob durch die unwahre, in der Zeitschrift
Der Gegen-Angriff“ veröffentlichte Mitteilung eine
schädliche Folge eingetreten ist, es genügt die obige
Feststellung, dass die unwahre Mitteilung geeignet ist,
die durch die Bestimmung des § 1330 A.B.G.B. geschützten
Interessen zu gefährden.


Nach der zitierten gesetzlichen Be
stimmung steht dem Geschädigten das Recht zu, den Wider
ruf und dessen Veröffentlichung zu begehren. Das Gesetz
enthält keine Detailbestimmung darüber, in welcher Form
der Widerruf und die Veröffentlichung erfolgen soll.
Bei der Lösung dieser Frage geht das Gericht von dem Zweck
dieser Norm aus und gelangt zu dem Schlusse, dass der Wi
derruf und seine Veröffentlichung in der Weise erfolgen
muss, in welcher dem falsch Informierten die unwahre Mit
teilung zur Kenntnis gebracht worden ist. Ist die beleidi
gende Insinuation durch die Presse erfolgt, so muss der
Widerruf und die Veröffentlichung gleichfalls durch die
Presse in analoger Weise erfolgen, in welcher die unwah
re Mitteilung publiziert worden ist. Diesbezüglich ist
dem Klagsantrage entsprochen worden. Abgewiesen wurde nur
der weitere Inhalt des Antrages, welcher nach Analogie
der betreffenden strafrechtlichen Normen auf die Veröffent
lichung der richtigen Detailumstände gerichtet ist, unter
welchen die Werke des Klägers verkauft werden. Hiebei
geht das Gericht von der Bestimmung des § 1330 A.B.G.B. aus,
nach welcher der Schädigende verpflichtet ist, die unwahre
Mitteilung zu widerrufen und den Widerruf zu veröffentlichen
erachtet es jedoch nicht für zulässig, diese Bestimmung des
Zivilrechtes noch ausnahmsweise auszudehnen, resp. zu er
weitern und überdies dem Verbreiter der unwahren Mittei
lung noch die Verpflichtung aufzulegen, die Öffentlich
keit über die wahre Sachlage bei Veröffentlichung des Wi
derrufes zu informieren.


Die Prozesskosten wurden der klagenden Partei zur Gänze zugesprochen, weil sie nur zu einem gering
fügigen Teile ihres Anspruches, dessen Geltendmachung über
dies besondere Kosten nicht veranlasst hat, unterlegen ist.


Zivilbezirksgericht für Prag-Ost
am 27.II.1935
Dr. Georg Bouzek.


1