System des österreichischen allgemeinen PrivatrechtsMotivenbericht zu § 1330 Abgb. [Tschechoslowakei]Der Gegen-Angriff


Sehr geehrter Herr Doktor!


Ich bestätige den Empfang Ihres frdl. Schreibensvorn 13. d.M. und teile Ihnen, Ihrem Wunsche entsprechend, den Tenor
der Entscheidungen, auf die ich mich berufen habe, mit. Eine
Entscheidung aus dem Jahre 1925 besagt, dass der verantwortliche Re
dakteur einer Zeitschrift für die Veröffentlichung unwahrer Tat
sachen, durch welche der Kredit, der Erwerb oder das Fortkommen eines
Dritten geschädigt wurde, zu haften hat, wenn er sie ohne entspre
chende Information veröffentlicht hat, wiewohl die Nachricht auf
fallend unglaubwürdig und verdächtig gehässig war. Für einen so
entstandenen Schaden hat auch der Herausgeber der Zeitschrift zu
haften.


Diese Entscheidung habe ich zur Widerlegung der gegnerischen
Behauptung angeführt, dass die Beklagte nicht als Verbreiterin der
Tatsache zu gelten habe, zumal sie bei der Redaktion und Administra
tion, sowie im Expedit der Zeitschrift nicht tätig ist.


Der Gegner polemisiert gegen die Feststellung des Urtei
les, dass die Beklagte die Unwahrheit der Mitteilung hätte kennen
müssen. Dagegen habe ich aus einer weiteren Entscheidung des Obersten Gerichtes Folgenden Passus herangezogen: Die Wendung „kennen
musste“ ist zweifellos gleichbedeutend mit der Wendung „für
wahr halten konnte“. Dies beweist der Motivenbericht zu § 1330Abgb. Seite 47: „Wer Mitteilungen verbreiten will, die einen
anderen schwer schädigen können, soll eine gewisse Gewähr dafür ha
ben, dass sie nicht frei erfunden sind, sonst haftet er“. Vergl.
auch Krainz Ehrenzweig II. Band Seite 601 Lit.d. „… das Ver
schulden kann darin bestehen, dass er … die Wahrheit aus Fahr
lässigkeit nicht kennt / sie kennen muss /, aber auch darin, dass er
wahrscheinlich einen unrichtigen oder zweideutigen Ausspruch ge
braucht.“ Der beklagte Redakteur hat schon nach § 1297 Abgb.
eine solche Aufmerksamkeit aufwenden müssen, welche bei gewöhnlichen
Fähigkeiten angewendet werden kann und muss. Dieser Verpflichtung
kann er sich auch nicht durch die Berufung auf die Hast bei der He
rausgabe der Zeitschrift entziehen. Er hat also die Aufmerksamkeit
und den Fleiss ausser Acht gelassen, welche anzuwenden ihm seine
Stellung als verantwortlicher Redakteur gebietet, der eine Tages
zeitung redigiert, d.i. eine Einrichtung, welche zweifellos einen
gewichtigen Einfluss auf die Leser und deren Handlungen ausübt.
/ § 1299 Abgb. / Er hat jedoch nicht einmal jene Aufmerksamkeit und
jenen Fleiss angewendet, deren auch jede gewöhnliche Person fähig
ist / § 1297 Abgb / und hat daher auffallend fahrlässig ge
handelt, sodass er schadenersatzpflichtig ist. Was vom verantwortli
chen Redakteur gilt, gilt auch vom Herausgeber. Das Gericht steht
auf dem Standpunkte, dass schon aus der Bestellung eines verant
wortlichen Redakteurs hervorgeht, dass dieser kein blosser Angestell
ter, sondern der Vertreter des Herausgebers ist, sodass dieser für den
durch den Redakteur verursachten Schaden in gleicher Weise zu haften
hat, wie wenn er den Schaden selbst verschuldet hätte.


Aus einer weiteren Entscheidung: Der Ausdruck „kennen
musste“ hat nicht nur die Bedeutung des groben Verschuldens, son
dern auch der blossen leichten Fahrlässigkeit, des Versehens. Wer
Nachrichten verbreiten will, die den Kredit, den Erwerb oder das Fort
kommen eines anderen gefährden können, muss die Gewähr dafür haben,
dass diese Nachrichten nicht ganz unwahr sind. Die Verantwortung
dafür schliessen nicht einmal Vorbehalte aus, in denen mitgeteilt
wird, dass es sich um eine unverbindliche Reproduktion erhaltener
Informationen handelt, insofern angenommen werden muss, dass von den
jenigen, die die Tatsache verbreitet haben, die Wahrhaftigkeit der
Mitteilungen überhaupt nicht geprüft wurde. Das Wort „Verschulden“
heisst nicht nur grobe Fahrlässigkeit sondern auch Versehen. Auch
in dieser Entscheidung wird auf Ehrenzweig § 496 S. 659 hingewiesen:
Wer unwahre Tatsachen verbreitet, ist nur dann verantwortlich, wenn
ihn ein Verschulden trifft. Das Verschulden kann darin liegen, dass
er wissentlich die Unwahrheit behauptet, oder die Wahrheit nicht
kennt / sie kennen musste /, aber auch darin, dass er aus Verse
hen einen unrichtigen oder doppelsinnigen Ausdruck angewendet hat.
Das Oberste Gericht hat die Bedeutung der Worte „kennen musste“
im Sinne „bei entsprechender Sorgfalt/Aufmerksamkeit / § 1297 Abgb /
erkennen konnte“ als Unkenntnis erläutert, welche auf der Ausseracht
lassung der pflichtgemässen Sorgfalt gemäss § 1297 Abgb. oder Art. 282H.G.B. beruht. Wer sich also infolge Ausserachtlassung der vom Ge
setze gebotenen Aufmerksamkeit, demnach also auch durch ein Versehen,
nicht davon überzeugt, dass eine den Kredit etc. eines Dritten gefähr
dende Nachricht wahr ist, wiewohl er bei Anwendung dieser Aufmerksam-
keit erkennen konnte, dass sie der Wahrheit nicht entspricht und
wer trotzdem diese Nachricht verbreitet hat, ist für die schädli
chen Folgen, die dadurch entstanden sind oder entstehen konnten,
verantwortlich.


Durch diese Entscheidungen wird die versuchte
Exkulpierung der Beklagten als missglückt erwiesen.


Ich zeichne mit dem Ausdrucke vorzüglicher Hoch
achtung


Ihr ergebener
Dr. Turnovsky


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