Die Ballade vom Papagei. Couplet macabreDer Gegen-AngriffÜber Karl KrausDie FackelDer Gegen-Angriff, 15.6.1935


Konzept


Kreis-Strafgericht in Prag.


Privatkläger: Karl Kraus, Schriftsteller und Eigentümer und Herausgeber
der Zeitschrift „Die Fackel“ in Wien,
vertreten durch:


Angeklagter: Dr. Friedrich Kassowitz, Herausgeber
und verantwortlicher Redakteur der Wochen
schrift „Der Gegen-Angriff“ in Prag


Strafanzeige, resp. Klage


gemäss § 1 und 2 desGesetzes über den Schutzder Ehre.


Zweifach – 1 Rubrik
Vollmacht.


I. Der Privatkläger ist Eigen
tümer und Herausgeber der in Wien erscheinen
den Zeitschrift „Die Fackel“, der Angeklagte
Herausgeber und verantwortlicher Redakteur
der in Prag erscheinenden Wochenschrift
Der Gegen-Angriff“. In dieser Wochen
schrift sind seit dem Jahre 1934 wiederholt
Artikel erschienen, in welchen die Ehre
des Privatklägers angegriffen wurde, sodass
dieser genötigt war, den Schutz dieses Schöffengerichtes, sowie des Bezirksgerichtes fürStrafsachen und des Zivilbezirksgerichtesfür Prag Ost in folgenden Angelegenheiten
anzurufen: G.Z.T IV 180/34 / Berichtigung
nach dem Pressegesetz /, des Bezirksgerichtesfür Strafsachen Prag, G.Z.Tl VII 96/34 diesesGerichtes, Tk VII 8790/34 dieses Gerichtes,
C VIII 1411/34 des Zivilbezirksgerichtesfür Prag-Süd / Berichtigungsklage nach § 1330A.B.G.B./.


In allen diesen Fällen ist der
verantwortliche Redakteur der Wochenschrift
Der Gegenangriff“ unterlegen. Er wurde
schuldig erkannt, die verlangte Pressberichti
gung zu veröffentlichen, der Berichtigungs
klage nach § 1330 A.B.G.B. wurde entsprochen
und in den Presse-Ehrenbeleidigungsprozessen
hat der verantwortliche Redakteur, der allein
geklagt werden musste, weil der Autor, resp. die
die Autoren der inkriminierten, anonym
veröffentlichten Artikel nicht eruiert
werden konnten, um der Bestrafung nach
dem Ehrenschutzgesetze zu entgehen, die
Verpflichtung auf sich genommen, Satis
faktionserklärungen zu veröffentlichen
und die Prozesskosten zu bezahlen. Zur
Erfüllung dieser Verpflichtung musste
er allerdings immer wieder durch Stellung des An
trages auf Einstellung des Erscheinens
der Zeitschrift gezwungen werden und
die Bezahlung der Kosten konnte erst
nach Ueberreichung des Exekutionsantra
ges erwirkt werden.


Beweis: die oben zitierten Akten,
evtl. Zeugenaussage des Dr. Johann Turnovsky
Advokaten in Prag – II, Vodičkova 33.


II. Wiewohl der nunmehrige verantwortliche Redakteur der Zeitschrift „DerGegen-Angriff“, der gleichzeitig Heraus
geber dieser Zeitschrift ist (früher war eine Frau Dr. Schnierer die verantwortliche Redakteurin), anlässlich
der letzten Ehrenbeleidigungssache unter
Hinweis auf die prekäre Situation seines
Blattes ein Entgegenkommen in der Kosten
frage und hinsichtlich der Veröffentli
chung der ihm auferlegten Satisfaktions
erklärung erbeten hat, ist nun in der am15. Juni 1935 erschienenen Nummer 24 derWochenschrift „Der Gegen-Angriff“ aber
mals ein Artikel erschienen, der sichtlich
die Absicht verfolgt, den Privatkläger
durch Lächerlichmachung an der Ehre zu
kränken. In diesem Artikel werden über den
Privatkläger unwahre Tatsachen mitgeteilt, durch die ihn er einer ehrlosen Gesinnung geziehen und
in der allgemeinen Meinung lächerlich ma
chen und herabsetzen müssen
gemacht und herabgesetzt wird.
Es wird muss ausdrücklich darauf hingewie
sen werden, dass die bisher in allen zwischen dem
Privatkläger und dem verantwortlichen Redakteur des Gegen-Angriff geführten Presse
prozessen vorgebrachte Verteidigung, der
verantwortliche Redakteur habe den inkrimi
nierten Artikel weder verfasst, noch vor der
Veröffentlichung gelesen, noch in Druck ge
geben, in diesem Falle nicht zugelassen wer
den darf, weil gerade der jetzige Heraus
geber und verantwortliche Redakteur, der
Angeklagte, Herr Dr. Friedrich Kassowitz, genau
wusste und weiss, dass die bisher gegen den
Privatkläger veröffentlichten beleidigenden
Artikel Gegenstand wiederholter Strafver
fahren waren und die Bestrafung seiner Vorgängerin nur durch Satisfaktionserklärungen
vermieden werden konnte, zu deren Veröffent
lichung sich zwar die frühere verantwortli
che Redakteurin, Frau Dr. Marie Schnierer,
eine K Berufsk ollegin des nunmehrigen Angeklagten
und seine Vorgängerin auch als Konzipientin
der Kanzlei Dr. Sigmund Stein, verpflichtet
hat, deren Veröffentlichung jedoch bereits
im Zeitpunkte der Tätigkeit des Angeklagten
als Herausgebers und verantwortlichen Redak
teurs des „Gegen-Angriff“ durch Zwangsmit
tel erwirkt werden musste.


Beweis: Die oben zitierten Akten,
sowie der ad I. angeführte Zeuge.


III. In dem am 15.6.1935 erschienenen Artikel, der im Original sowie
in beglaubigter Uebersetzung in die
Staatssprache vorgelegt wird und der
abermals anonym veröffentlicht wurde,
wird behauptet, es sei fast ebenso
schwer, über den Privatkläger die Wahr
heit zu schreiben, wie seinerzeit über
Franz Josef. Denn die Polizei und Pa
ragrafen schützten angeblich nicht die
Wahrheit, sondern vor ihr und Leute,
die ihr eigenes Ende überleben, gleich
gültig ob Kaiser oder Schriftsteller
/ gemeint ist der Privatkläger / pfleg
ten von diesen bewährten Wahrheitsver
hinderungsmitteln erhöhten Gebrauch
zu machen. Der Wunsch des Privatklägers, der ironisch als vaterländischer
Dichter bezeichnet wird, sei zwar ver
ständlich, nämlich der Wunsch, es möge
ihm die Konfrontierung mit sich selbst
ausserhalb des Machtbereiches der
Wiener-Polizeidirektion erspart blei
ben, doch könne ihm dieser Gefallen
trotz allen Einschüchterungsmethoden
gewisser Leute nicht erfüllt werden,
wiewohl diese Methoden in ihrer Art
mit denen der deutschen Gestapo / Ge
heimen Staatspolizei / erfolgreich kon
kurrieren können.


Der Gegen-Angriff sei durch Erfahrungen mit
Staats- und Kraus-Anwälten gewitzigt und
solle daher den Privatkläger über sich selbst
die Wahrheit schreiben lassen. In der EndeMai 1935 erschienenen „Fackel“ / deren allei
niger Autor der Privatkläger ist /, sei ein
vor einiger Zeit geäusserter Vergleich Starhembergs mit Lassalle ergänzt worden.


Und nun folgt ein Zitat aus dem Ende Mai1935 erschienenen Hefte der vom Privatkläger herausgegebenen Zeitschrift „Die Fackel
und zwar aus einem Aufsatze des Privatklägers
in welchem dieser die rednerischen Leistungen
des österreichischen Obersten Walter Adam einen
sprachktitischen Würdigung unterzieht. Der inkriminierte Artikel führt nach diesem Zitat an,
dass hervorgehoben werden müsse, dass eben dieser
Oberst Adam Propagandachef der Schuschnigg-Re
gierung sei, von dessen Wohlwollen es abhänge,
ob die FACKEL erscheinen kann. Und nun wird in
ironisierender Absicht, die dem Leser natürlich
sofort klar wird, bemerkt: „Die Behauptung,
Karl Kraus lecke dem österreichischen Göbbels
– sagen wir – den Schuh, würde auf Grund des
Pressegesetzes berichtigt werden. Karl Kraus
literarisches Urteil ist auch nicht etwa käuf
lich. Wir sind fest davon überzeugt, dass es
völlig unentgeltlich abgegeben wird.“


Dieser Passus ist nicht nur eine ver- enthält in seiner
1 steckte, sondern eine ganz offenkundige Form einer albernen Verspot
tung und Lächerlichmachung des Privatklägers,
von dem folgendes behauptet wird
die folgende
schwer beleidigende Behauptung:


Er Der Privatkläger lobt die rednerische Leistung des Ober
sten Walter Adam. Er lobt sie, nicht weil sie lobens
wert ist, sondern weil Oberst Adam, der nach An
sicht des Schreibers Beleidigers österreichischer Propaganda
chef ist, und in dessen Macht es angeblich lieg t e , darüber
zu entscheiden, ob die Zeitschrift des Privatklägers erscheinen darf oder nicht, wegen dieses
Lobes die Entscheidung zu Gunsten des Privatklägers fällen dürfte. Und nun wird mit erkenn- folgt die Beleidigung:
barem Hohn hinzugefügt: Wenn der Schreiber des
Artikels behaupten wollte, der Privatkläger lecke
dem österreichischen Göbbels – euphemistisch ausge
drückt – den Schuh, dann würde diese Behauptung
nach dem Pressegesetze berichtigt werden können. (Eine an sich erstaunliche juristische Auffassung, da ein solcher Scherz nicht nie berichtigt werden könnte, wohl aber dessen eine schwere Beleidigung darstellt.)
Um dies (die angeblich vermeintlich drohende Berichtigung) zu ver hindern meiden , wird hinzugefügt, dass man
diese Behauptung eben nicht vorbringe und über
zeugt sei, dass das literarische Urteil des Privatklägers nicht etwa käuflich sei und völlig
unentgeltlich abgegeben werde. Der Leser erkennt
auf den ersten Blick, welche beleidigende Absicht der Schrei
ber des Artikels verfolgt. Er will zum Ausdrucke
bringen, dass er mit Rücksicht auf die Bestimmun- irgendwelche
gen des Pressegesetzes, das die Berichtigung be- juristische Gefahr
haupteter Tatsachen ermöglicht, dass er nicht in der
Lage sei zu behaupten, der Privatkläger lecke
dem österreichischen Göbbels den Schuh, um zu er
wirken, dass dieser das Erscheinen der FACKEL ge
stattet. Und deswegen wird diese Behauptung als
nicht vorgebracht angeführt und sichtlich ironisch , die Beleidigung heuchlerisch höhnisch reduzierend und damit erst recht hervorhebend
hinzugefügt, dass man überzeugt sei, das Ur
teil des Privatklägers jedenfalls unentgeltlich
abgegeben worden sei . Diese Art der Darstellung
bedeutet ohne Zweifel eine noch kräftigere Behauptung der
durch die Darstellung negierten Tatsache. Da
dem Leser der Sinn dieses Passus klar ist und
klar sein muss, kann es keinem Zweifel unterlie
gen, dass der Privatkläger dadurch lächerlich ge
macht und in den Augen des Lesers herabgesetzt
werden soll, dass von ihm behauptet wird, er lecke
dem massgebenden Pressereferenten der österreichi
schen Regierung – gelinde gesagt – den Schuh, nur zu
dem Zwecke, um zu erwirken, dass seine Zeitschrift
erscheinen dürfe. Der Privatkläger wird also nicht
nur einer opportunistischen (was als zur Beleidigung hinreichte) , sondern geradezu einer verwerf
lichen Gesinnung bezichtigt und ausserdem durch
die Art der Darstellung lächerlich gemacht. Dabei
spielt es für die Beurteilung des Falles keine Rolle, dass die Behauptung, OberstAdam habe irgendeinen Einfluss darauf, ob eine
Zeitschrift erscheinen dürfe oder nicht, unwahr
und geradezu unsinnig ist : ; dagegen verstärkt es ohne Zweifel die Beleidigung, dass der Leser nicht
die Möglichkeit hat, sich von der Unwahrheit dieser
Behauptung zu überzeugen und unter dieser sichtlichen, und absichtlichen Suggestion annehmen muss, OberstAdam sei tatsächlich der „österreichische Göbbels
und als solcher amtlich in der Lage zu entscheiden, ob
eine Zeitschrift erscheinen dürfe. Der wahre Sachverhalt ist der: Es hat sich in dem Artikel des Privatklägers um eine stilkritische Anerkennung eines im Abwehrkampfe gegen Hitler hochverdienten Redners und Schriftstellers gehandelt, dessen Leistungen turmhoch über sämtlichen parteipolitischen Anstrengungen aus dem Lager des Beschuldigten stehen, und dieser so anerkannte Autor hat nicht das geringste mit den Angelegenheiten der presspolizeilichen Agenden zu schaffen. Von der abgründigen Albernheit, dass etwa durch das Lob des Bundeskommissars Adam eine regierungs-


Beweis: Der inkriminierte Artikel.


IV. Auch der weitere Inhalt des inkriminierten Artikels ist beleidigend und geeignet,
den Privatkläger zu verspotten und in den Augen
des Lesers herabzusetzen. Es wird auf ein seiner
zeit vom Privatkläger verfasstes Couplet ange
spielt, dessen Refrain lautet: „… der wird noch
hundert Jahre alt“. Dieses Couplet war auf KaiserFranz Josef gemünzt. Im inkriminierten Artikel nun
wird bemerkt, dass der Unterschied zwischen Franz
Josef und dem Privatkläger der ist, dass das
Couplet „der wird noch hundert Jahre alt“ auf
diesen nicht anzuwenden ist.


Da es wohl nicht in der Macht des Schreibers
des inkriminierten Artikels gelegen sein kann, zu
entscheiden, wie alt jemand werden soll, muss in
diesem Passus nicht nur eine Verspottung des
Privatklägers, sondern eine, wenn auch versteckte,
gefährliche Drohung erblickt werden . , da es wohl einem verhetzten Leser dieser Sorte Publizistik schon zuzutrauen ist, dass er sich an einem unaufhörlich als „Verräter“ stigmatisierten (der in Wahrheit nur Enthüller der Dummheit ist) vergreife. Der Privatkläger behält sich die Strafanzeige vor, und macht diesen Umstand jedenfalls als Erschwerungsgrund geltend.


Beweis: der inkriminierte Artikel.


Zum Schluss wird noch mit deutlichem Hohne
bemerkt, dass der Schreiber nicht wisse, ob sich
Karl Kraus selbst verklagen wird. Denn mit dem Mut
sei es so eine Sache. Bis zum Selbstmord reiche es –
aber weiter gehe es nicht. Auch darin liegt eine für
den Leser erkennbare Verspottung des Privatklägers.


Beweis: der inkriminierte Artikel.


Der Privatkläger stellt daher durch seinen
mittels Vollmacht ausgewiesenen Vertreter den
Antrag, es möge gegen den Angeklagten das Straf
verfahren gemäss § 1 und 2 des Gesetzes über denSchutz der Ehre, resp. wegen Vernachlässigung
der pflichtgemässen Obsorge eingeleitet werden
und der Angeklagte nach den oben angeführten Be
stimmungen verurteilt werden.


Der Privatkläger wird bei den noch so vielen Wiederholungen unter gleichzeitigen Bittgesuchen am Kostenpunkt diesmal auf keine Erklärung, die sich als so unverlässlich erwiesen hat, eingehen, und wird im Zwange Bestrafung ersuchen.


Die Stellung der Strafanträge
ist der Anklageschrift vorbehalten.


Prag, am …
Karl Kraus.


feindliche Fackel ihr Dasein fristen könnte oder umgekehrt eine
regierungsfreundliche Fackel extra noch diesen Funktionär loben
müsste, braucht wohl in diesem Zusammenhang nicht die Rede zu
sein.