Konzept
Privatkläger:
Karl Kraus, Schriftsteller und Eigentümer und Herausgeber
der Zeitschrift „Die Fackel“ in Wien,
vertreten durch:
Angeklagter: Dr. Friedrich Kassowitz, Herausgeber
und verantwortlicher
Redakteur der Wochen
schrift „Der
Gegen-Angriff“ in Prag …
Strafanzeige, resp. Klage
gemäss § 1 und 2 desGesetzes über den
Schutzder Ehre.
Zweifach – 1 Rubrik
Vollmacht.
I. Der Privatkläger ist Eigen
tümer und
Herausgeber der in Wien erscheinen
den Zeitschrift
„Die Fackel“, der Angeklagte
Herausgeber und
verantwortlicher Redakteur
der in Prag erscheinenden Wochenschrift
„Der Gegen-Angriff“. In dieser Wochen
schrift sind seit
dem Jahre 1934 wiederholt
Artikel erschienen, in welchen die Ehre
des Privatklägers angegriffen
wurde, sodass
dieser genötigt
war, den Schutz dieses Schöffengerichtes, sowie des Bezirksgerichtes fürStrafsachen und des Zivilbezirksgerichtesfür Prag Ost in folgenden Angelegenheiten
anzurufen: G.Z.T IV 180/34 /
Berichtigung
nach dem
Pressegesetz /, des Bezirksgerichtesfür Strafsachen
Prag, G.Z.Tl VII 96/34 diesesGerichtes, Tk VII
8790/34 dieses Gerichtes,
C VIII 1411/34 des Zivilbezirksgerichtesfür Prag-Süd /
Berichtigungsklage nach § 1330A.B.G.B./.
In allen diesen Fällen ist
der
verantwortliche Redakteur der Wochenschrift
„Der Gegenangriff“ unterlegen. Er wurde
schuldig erkannt, die
verlangte Pressberichti
gung zu veröffentlichen, der Berichtigungs
klage nach § 1330 A.B.G.B. wurde entsprochen
und in den
Presse-Ehrenbeleidigungsprozessen
hat der verantwortliche Redakteur, der allein
geklagt werden musste, weil
der Autor, resp. die
die Autoren der
inkriminierten, anonym
veröffentlichten Artikel nicht eruiert
werden konnten, um der
Bestrafung nach
dem
Ehrenschutzgesetze zu entgehen, die
Verpflichtung auf sich
genommen, Satis
faktionserklärungen zu veröffentlichen
und die Prozesskosten zu
bezahlen. Zur
Erfüllung
dieser Verpflichtung musste
er allerdings immer wieder durch Stellung des An
trages auf
Einstellung des Erscheinens
der Zeitschrift gezwungen werden
und
die Bezahlung der
Kosten konnte erst
nach
Ueberreichung des Exekutionsantra
ges erwirkt
werden.
Beweis: die oben zitierten Akten,
evtl. Zeugenaussage des Dr.
Johann
Turnovsky
Advokaten
in Prag – II, Vodičkova 33.
II. Wiewohl der nunmehrige
verantwortliche
Redakteur der Zeitschrift „DerGegen-Angriff“, der gleichzeitig Heraus
geber dieser
Zeitschrift ist (früher war eine Frau Dr. Schnierer die verantwortliche
Redakteurin), anlässlich
der letzten
Ehrenbeleidigungssache unter
Hinweis auf die prekäre Situation seines
Blattes ein Entgegenkommen in der Kosten
frage und
hinsichtlich der Veröffentli
chung der ihm auferlegten Satisfaktions
erklärung erbeten
hat, ist nun in der am15. Juni 1935
erschienenen Nummer 24 derWochenschrift „Der Gegen-Angriff“ aber
mals ein Artikel erschienen, der sichtlich
die Absicht verfolgt, den
Privatkläger
durch Lächerlichmachung an
der Ehre zu
kränken. In
diesem Artikel werden über den
Privatkläger
unwahre Tatsachen mitgeteilt, durch die
ihn
er einer ehrlosen Gesinnung geziehen
und
in der allgemeinen Meinung
lächerlich
ma
gemacht und herabgesetzt wird.
chen und
herabsetzen müssen
Es
wird
muss
ausdrücklich darauf hingewie
sen werden, dass die bisher in allen zwischen
dem
Privatkläger und dem verantwortlichen
Redakteur des Gegen-Angriff geführten
Presse
prozessen vorgebrachte Verteidigung, der
verantwortliche Redakteur habe den inkrimi
nierten Artikel
weder verfasst, noch vor der
Veröffentlichung gelesen, noch in Druck ge
geben, in diesem
Falle nicht zugelassen wer
den darf, weil gerade der jetzige Heraus
geber und
verantwortliche Redakteur, der
Angeklagte, Herr Dr. Friedrich Kassowitz,
genau
wusste und weiss,
dass die bisher gegen den
Privatkläger
veröffentlichten beleidigenden
Artikel Gegenstand wiederholter Strafver
fahren waren und
die Bestrafung seiner Vorgängerin
nur durch Satisfaktionserklärungen
vermieden werden konnte, zu
deren Veröffent
lichung sich zwar die frühere verantwortli
che Redakteurin,
Frau Dr. Marie
Schnierer,
eine
K
Berufsk
ollegin des nunmehrigen Angeklagten
und seine Vorgängerin auch
als Konzipientin
der Kanzlei
Dr. Sigmund
Stein, verpflichtet
hat, deren Veröffentlichung jedoch bereits
im Zeitpunkte der Tätigkeit
des Angeklagten
als Herausgebers und
verantwortlichen Redak
teurs des „Gegen-Angriff“ durch
Zwangsmit
tel
erwirkt werden musste.
Beweis: Die oben zitierten Akten,
sowie der ad I. angeführte
Zeuge.
III. In dem am 15.6.1935 erschienenen
Artikel, der im Original sowie
in beglaubigter Uebersetzung
in die
Staatssprache
vorgelegt wird und der
abermals anonym veröffentlicht wurde,
wird behauptet, es sei fast
ebenso
schwer, über den
Privatkläger die Wahr
heit zu
schreiben, wie seinerzeit über
Franz Josef. Denn die Polizei und Pa
ragrafen
schützten angeblich nicht die
Wahrheit, sondern vor ihr und Leute,
die ihr eigenes Ende
überleben, gleich
gültig ob Kaiser oder Schriftsteller
/ gemeint ist der Privatkläger /
pfleg
ten von
diesen bewährten Wahrheitsver
hinderungsmitteln erhöhten Gebrauch
zu machen. Der Wunsch des
Privatklägers,
der ironisch als vaterländischer
Dichter bezeichnet wird, sei
zwar ver
ständlich, nämlich der Wunsch, es möge
ihm die Konfrontierung mit
sich selbst
ausserhalb des
Machtbereiches der
Wiener-Polizeidirektion erspart blei
ben, doch könne
ihm dieser Gefallen
trotz
allen Einschüchterungsmethoden
gewisser Leute nicht erfüllt werden,
wiewohl diese Methoden in
ihrer Art
mit denen der
deutschen Gestapo / Ge
heimen
Staatspolizei / erfolgreich kon
kurrieren können.
Der Gegen-Angriff sei durch
Erfahrungen mit
Staats- und
Kraus-Anwälten gewitzigt und
solle daher den Privatkläger über sich selbst
die Wahrheit schreiben
lassen. In der EndeMai
1935 erschienenen „Fackel“ / deren allei
niger Autor der
Privatkläger ist /, sei ein
vor einiger Zeit geäusserter
Vergleich Starhembergs
mit Lassalle ergänzt worden.
Und nun folgt ein Zitat aus
dem Ende
Mai1935 erschienenen
Hefte der vom Privatkläger
herausgegebenen Zeitschrift „Die
Fackel“
und zwar aus
einem Aufsatze des Privatklägers
in welchem dieser die
rednerischen Leistungen
des
österreichischen Obersten Walter Adam einen
sprachktitischen Würdigung
unterzieht. Der inkriminierte
Artikel führt nach diesem Zitat an,
dass hervorgehoben werden
müsse, dass eben dieser
Oberst Adam Propagandachef der Schuschnigg-Re
gierung sei, von
dessen Wohlwollen es abhänge,
ob die FACKEL erscheinen kann. Und
nun wird in
ironisierender
Absicht, die dem Leser natürlich
sofort klar wird, bemerkt:
„Die
Behauptung,
Karl Kraus
lecke dem österreichischen Göbbels
– sagen wir – den Schuh,
würde auf Grund des
Pressegesetzes berichtigt werden. Karl Kraus’
literarisches Urteil ist
auch nicht etwa käuf
lich. Wir sind fest davon überzeugt, dass es
völlig unentgeltlich
abgegeben wird.“
Dieser Passus
ist nicht nur eine ver-
enthält in seiner
1
steckte, sondern eine ganz
offenkundige
Form einer albernen
Verspot
tung und Lächerlichmachung
des Privatklägers,
die folgende
von dem folgendes
behauptet wird
schwer beleidigende
Behauptung:
Er
Der Privatkläger
lobt die rednerische Leistung des Ober
sten Walter Adam. Er lobt sie, nicht weil sie
lobens
wert
ist, sondern weil Oberst Adam, der nach An
sicht des
Schreibers
Beleidigers
österreichischer Propaganda
chef ist, und in
dessen Macht es angeblich lieg
t
e
, darüber
zu
entscheiden, ob die Zeitschrift des Privatklägers erscheinen darf oder nicht, wegen dieses
Lobes die Entscheidung zu
Gunsten des Privatklägers fällen dürfte. Und nun
wird mit erkenn-
folgt die Beleidigung:
barem Hohn hinzugefügt: Wenn der Schreiber des
Artikels behaupten wollte, der Privatkläger
lecke
dem österreichischen Göbbels – euphemistisch
ausge
drückt –
den Schuh, dann würde diese Behauptung
nach dem Pressegesetze
berichtigt werden können. (Eine an sich
erstaunliche juristische Auffassung, da ein solcher Scherz
nicht
nie
berichtigt werden könnte, wohl aber dessen eine schwere Beleidigung
darstellt.)
Um dies (die angeblich vermeintlich drohende Berichtigung) zu ver
hindern
meiden
, wird hinzugefügt, dass man
diese Behauptung eben nicht
vorbringe und über
zeugt sei, dass das literarische Urteil des Privatklägers nicht etwa käuflich sei und völlig
unentgeltlich abgegeben
werde. Der Leser erkennt
auf
den ersten Blick, welche beleidigende
Absicht der Schrei
ber des Artikels verfolgt. Er will
zum Ausdrucke
bringen,
dass er mit Rücksicht auf
die Bestimmun-
irgendwelche
gen des Pressegesetzes, das die
Berichtigung be-
juristische Gefahr
haupteter Tatsachen ermöglicht,
dass er nicht in der
Lage sei zu behaupten, der
Privatkläger lecke
dem österreichischen Göbbels den Schuh, um zu
er
wirken,
dass dieser das Erscheinen der FACKEL ge
stattet. Und deswegen wird diese Behauptung als
nicht vorgebracht angeführt
und
sichtlich ironisch
, die Beleidigung heuchlerisch höhnisch reduzierend und damit
erst recht hervorhebend
hinzugefügt, dass
man überzeugt sei, das Ur
teil des Privatklägers
jedenfalls
unentgeltlich
abgegeben worden
sei
. Diese Art der Darstellung
bedeutet ohne Zweifel eine noch kräftigere
Behauptung der
durch die
Darstellung negierten Tatsache. Da
dem Leser der Sinn dieses
Passus klar ist und
klar sein
muss, kann es keinem Zweifel unterlie
gen, dass der Privatkläger
dadurch lächerlich ge
macht und in den Augen des Lesers herabgesetzt
werden soll, dass von ihm
behauptet wird, er lecke
dem
massgebenden Pressereferenten der österreichi
schen Regierung –
gelinde gesagt – den Schuh, nur zu
dem Zwecke, um zu erwirken,
dass seine Zeitschrift
erscheinen dürfe. Der Privatkläger
wird also nicht
nur einer
opportunistischen (was
als
zur
Beleidigung hinreichte) , sondern geradezu einer verwerf
lichen Gesinnung
bezichtigt und ausserdem durch
die Art der Darstellung lächerlich gemacht. Dabei
spielt es für die Beurteilung des Falles keine
Rolle, dass die Behauptung, OberstAdam habe
irgendeinen Einfluss darauf, ob eine
Zeitschrift erscheinen dürfe
oder nicht, unwahr
und
geradezu unsinnig ist
:
;
dagegen verstärkt es ohne Zweifel die
Beleidigung, dass der Leser
nicht
die Möglichkeit
hat, sich von der Unwahrheit dieser
Behauptung zu überzeugen und
unter dieser sichtlichen,
und absichtlichen Suggestion
annehmen muss, OberstAdam sei
tatsächlich der „österreichische Göbbels“
und als solcher amtlich in
der Lage zu entscheiden, ob
eine Zeitschrift erscheinen dürfe. Der wahre
Sachverhalt ist der: Es hat sich in dem Artikel des Privatklägers um eine stilkritische Anerkennung eines im
Abwehrkampfe gegen Hitler
hochverdienten Redners und Schriftstellers
gehandelt, dessen Leistungen turmhoch über sämtlichen parteipolitischen
Anstrengungen aus dem Lager des Beschuldigten stehen,
und dieser so anerkannte Autor hat nicht das
geringste mit den Angelegenheiten der presspolizeilichen Agenden zu schaffen.
Von der abgründigen Albernheit, dass etwa durch das Lob des Bundeskommissars Adam eine regierungs-
Beweis: Der inkriminierte
Artikel.
IV. Auch der weitere Inhalt
des inkriminierten
Artikels ist beleidigend und geeignet,
den Privatkläger zu verspotten
und in den Augen
des Lesers
herabzusetzen. Es wird auf ein seiner
zeit vom Privatkläger
verfasstes Couplet ange
spielt, dessen
Refrain lautet: „… der wird noch
hundert Jahre
alt“. Dieses Couplet war
auf KaiserFranz Josef
gemünzt. Im inkriminierten Artikel
nun
wird bemerkt, dass
der Unterschied zwischen Franz
Josef und dem Privatkläger der ist, dass
das
Couplet „der wird noch hundert Jahre
alt“ auf
diesen
nicht anzuwenden ist.
Da es wohl nicht in der
Macht des Schreibers
des inkriminierten Artikels gelegen sein
kann, zu
entscheiden, wie alt
jemand werden soll, muss in
diesem Passus nicht nur eine Verspottung des
Privatklägers, sondern eine,
wenn auch versteckte,
gefährliche Drohung erblickt werden
.
, da es wohl einem verhetzten Leser dieser
Sorte Publizistik schon zuzutrauen ist, dass er sich an einem unaufhörlich
als „Verräter“ stigmatisierten (der in Wahrheit nur Enthüller der Dummheit
ist) vergreife. Der Privatkläger behält
sich die Strafanzeige vor, und macht diesen Umstand jedenfalls als
Erschwerungsgrund geltend.
Beweis: der inkriminierte
Artikel.
Zum Schluss wird noch mit
deutlichem Hohne
bemerkt,
dass der Schreiber nicht wisse, ob sich
Karl Kraus selbst verklagen
wird. Denn mit dem Mut
sei es
so eine Sache. Bis zum Selbstmord reiche es –
aber weiter gehe es nicht.
Auch darin liegt eine für
den
Leser erkennbare Verspottung des Privatklägers.
Beweis: der inkriminierte
Artikel.
Der Privatkläger stellt daher
durch seinen
mittels
Vollmacht ausgewiesenen Vertreter den
Antrag, es möge gegen den
Angeklagten das Straf
verfahren gemäss
§ 1 und 2 des Gesetzes über
denSchutz der
Ehre, resp. wegen Vernachlässigung
der pflichtgemässen Obsorge
eingeleitet werden
und der
Angeklagte
nach den oben angeführten Be
stimmungen verurteilt werden.
Der Privatkläger wird bei
den noch so vielen Wiederholungen unter gleichzeitigen Bittgesuchen am
Kostenpunkt diesmal auf keine Erklärung, die sich als so unverlässlich erwiesen
hat, eingehen, und wird im Zwange Bestrafung ersuchen.
Die Stellung der
Strafanträge
ist der
Anklageschrift vorbehalten.
Prag, am …
Karl Kraus.
feindliche Fackel ihr Dasein fristen könnte oder umgekehrt eine
regierungsfreundliche
Fackel extra noch diesen Funktionär loben
müsste, braucht wohl in
diesem Zusammenhang nicht die Rede zu
sein.