Über Karl Kraus


Sehr geehrter Herr Doktor!


Ich bestätige dankend den Empfang Ihres gesch.
Schreibens vom 2. d.M., sowie des retournierten Klagskonzeptes mit den
von Ihnen beigefügten Ergänzungen.


Was nun Ihre Anfrage wegen Ueberreichung der Klage in meinem
und Ihrem Namen gegen Dr. Kassowitz anbelangt, möchte ich bemerken:
Es ist wohl wahr, dass wir beide „Krausanwälte sind“ und durch den
betreffenden Passus des inkrim. Artikels in beleidigender Weise apostro
phiert werden sollten. Allein weder Sie, noch ich wurden jemals in den
Artikeln des Gegenangriffs namentlich angeführt, sodass der Leser nicht
wissen kann, wer gemeint ist. Ich habe daher Bedenken, die Klage zu über
reichen, da ich befürchte, das Gericht könnte der zu erwartenden Vertei
digung des Angeklagten Recht geben und erkennen, dass die allgemeine
Bezeichnung „Krausanwälte“ ohne näheren Hinweis auf die Person der
mit dieser Bezeichung Gemeinten, den strafbaren Tatbestand nicht er
füllt, zumal der Leser nicht wissen kann, wer gemeint ist.


Auch von der Ueberreichung der Strafanzeige wegen gefähr
licher Drohung glaube ich abraten zu müssen und zwar aus folgendem Grunde:


Der betreffende Absatz des Artikels kann wohl nicht anders,
denn als Drohung gedeutet werden. Man müsste aber behaupten, HerrKraus sei durch diese Drohung in Furcht versetzt worden und ausser
dem müsste behauptet werden können, dass der Autor des inkrim. Artikels in der Lage ist, das angedrohte Uebel tatsächlich gegen
Herrn K. anzuwenden. Ich glaube, es hiesse, dem Gegenangriff zu
viel Ehre antun, wenn man dies behaupten wollte und befürchte,
dass im Falle eines Freispruches, resp. der Einstellung des Ver
fahrens, in neuen Artikeln auf dieses Verfahren hingewiesen werden
würde, weswegen es voraussichtlich zu einer Erörterung des Mutpro
blems kommen würde, die uns zu abermaligem Einschreiten gegen die
se Zeitschrift veranlassen müsste.


Wenn Sie Gelegenheit haben, mit Herrn Kraus noch vor seinem
Urlaubsantritt zu sprechen, dann bitte ich, ihm meine besten Grüs
se zu bestellen und ihm mitzuteilen, dass ich in Innsbruck den
Schreiber jenes schönen Briefes, Herrn Doz. Dr. Schmuttermayer, auf
gesucht habe. Er ist, merkwürdigerweise, nicht identisch mit mei
nem gleichnamigen Kriegskameraden. Leider konnte ich mit ihm nur
ganz flüchtig sprechen, da er zu einem Patienten abberufen wurde,
ich aber wieder wegfahren musste. Wir haben aber besprochen, dass
wir, wenn irgend möglich, einander besuchen werden.


Ich bin mit den besten Grüssen an Sie in vorzüglicher
Hochachtung


Ihr ergebener
Dr. Turnovsky


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