Berliner Börsen-CourierDer BrennerDie Unüberwindlichen. Nachkriegsdrama in vier AktenRundfrage über Karl KrausDie FackelDie Juden von Wien


1


Wien, den 25. Jänner 1934. W/D
G.Z.


An das
Strafbezirksgericht I
Wien!


Bezeichnung der Rechtssache:


Privatankläger: Karl Kraus,
Herausgeber der „Fackel“,
Wien, III., Hintere Zollamtsstrasse 3.


vertreten durch: Dr. Siegfried Wolf,
Rechtsanwalt,
Wien, I., Graben 27.


Beschuldigter: Dr. Richard Smetana,
Rechtsanwaltsanwärter, Wien, I.,Kärntnerring 12.


Privatanklage wegen Uebertretung gegen die
Sicherheit der Ehre


einfach, 1 Vollmacht


I.
Am 28. Dezember 1933 hat vor dem Landesgerichte fürZ.R.S. in Wien eine fortgesetzte Verhandlung in der Prozess
sache der klagenden Partei: Verlag „Die Fackel“, Herausgeber
Karl Kraus, prot. Firma in Wien, III., Hintere Zollamtsstrasse 3,
wider die geklagte Partei: Die Stadt Frankfurt a/Main als
Konzessionärin der Frankfurter Städtischen Bühnen, stattgefunden.
Dieser Akt trägt die G.Z. 7 Cg 322/32.


Ich beantrage die Herbeischaffung des Aktes
7 Cg 322/32 des Landsgerichtes für Z.R.S. in Wien.


Die Kenntnis des dem bezeichneten zivilgerichtlichen
Akte zugrundeliegenden und in demselben behandelten Prozessma
teriales ist zum Verständnis des im Nachfolgenden behandelten
Ehrenbeleidigungsfalles erforderlich. Der Privatankläger wird
genötigt sein, sich auch auf diesen Prozessakt als Beweismittel
zu berufen.


Bei der im Absatze 1) bezeichneten Zivilverhandlung
intervenierte als Vertreter der geklagten Partei der Rechtsan
waltsanwärter Dr. Richard Smetana. Für die klagende Partei war
Herr Rechtsanwalt Dr. Oskar Samek in Begleitung seines Klienten,
des Herrn Karl Kraus, erschienen.


II.
Nach dem seitens des Verhandlungsrichters Hofrat
Dr. Chamrath gemäss § 193 Z.P.O. vollzogenen Schluss des Ver
fahrens, also ausserhalb des eigentlichen Prozessverfahrens, rich-
tete der Zivilrichter an Herrn Karl Kraus eine Frage, die von
diesem sachlich beantwortet wurde. Der Beschuldigte, welcher
es schon vorher darauf angelegt hatte, Herrn Karl Kraus in durch un
sachlicher Weise Vorkehrungen persönlich zu reizen und die dem Anwalte obliegende Auf
gabe, seine Pflicht in redlicher anständiger Weise zu erfüllen, verletzt hat
te, hat ungefragt und in einer dem bei Gericht herrschenden An
stande
und übrigens auch dem allgemeinen gesellschaftlichen An
stande widersprechenden Art in diese Diskussion, nachdem der
Richter sich entfernt hatte, eingegriffen und hiebei den Privatankläger mit den Worten apostrophiert: „Sie haben’s nötig.“


Ich beantrage zum Beweise die Ladung
des Herrn Dr. Oskar Samek, Rechtsanwalt, Wien, XIV., Reindorfgasse 18, als Zeuge und die zeugenschaftliche Vernehmung des
Privatanklägers.


Diese Aeusserung des Beschuldigten wird unter Anklage
gestellt. Sie wird als Schmähung im Sinne des § 491 St.G. quali
fiziert. Sie erfolgte im Gerichtssaale, in welchem ausser Herrn
Rechtsanwalt Dr. Oskar Samek auch noch der Schriftführer der Zivil
verhandlung zugegen war.


III.
Zur Beurteilung des Verhaltens des Beschuldigten ist,
wie schon eingangs gesagt wurde, auch die Kenntnis des Zivilak
tes erforderlich. In demselben ist die Frage strittig, ob die
Frankfurter Städtischen Bühnen einen mit Herrn Karl Kraus ab
geschlossenen Vertrag, welcher die Aufführung des Stückes „Die Unüberwindlichen“ im Frankfurter Schauspielhaus zum Gegenstan
de hat, eingehalten haben. Der Zivilkläger Herr Karl Kraus hatte
den Frankfurter Städtischen Bühnen Vertragsbruch zum Vorwurf
gemacht. Es war das Recht des Anwaltes der Frankfurter Städtischen Bühnen, den Versuch einer Abwehr dieses Vorwurfes zu un
ternehmen. Der Versuch musste sich aber innerhalb der der geklagten Partei durch die Zivilprozessordnung und dem Anwalte
durch die Anwaltsordnung gezogenen Grenzen halten. Gegen diese
primitivste Verpflichtung hat der Beschuldigte mehrfach verstos
sen.


1.) Prozessmaterie bildete unter anderem die Frage, ob Herrn
Karl Kraus infolge der vertragswidrigen, hinterhaltigen ja dolosen Haltung der Frankfurter Städtischen Bühnen ein Schaden auch dergestalt ent
standen ist, dass er an der projektierten Abhaltung von
längst geplanten Vorlesungen in Frankfurt gehindert war. Herr Dr. Smetana,
dem die gesamte Korrespondenz bekannt war und bei pflicht
gemässer Ausübung seines anwaltlichen Berufes bekannt sein
musste, hat bloss einen einzelnen, aus der Summe des zur
Verfügung stehenden Prozessmateriales tendenziös herausge
griffenen Brief und zwar den Brief des Herrn Dr. Oskar Samek,
Rechtsanwaltes des Herrn Karl Kraus, gerichtet an die Frankfurter Städtischen Bühnen, ddto. Wien, 3. März 1931, vorgelegt,
durch welchen er beweisen zu können erklärte, dass Herr KarlKraus auf die Veranstaltung von Vorlesungen in Frankfurta/Main verzichtet ha t be . Hiebei hat aber Herr Dr. Smetana die
in diesem Schreiben vom 3. März 1931 enthaltenen Worte, dass
auf die Veranstaltung von der Vorlesungen lediglich im durch das Frankfurter
Schauspielhaus (das sich hiezu freiwillig und enthusiastisch angeboten hatte,) kein Wert gelegt wird, einfach wegescamotiert. Die klare
Absicht des Verfassers des Briefes vom 3. März 1931 wurde hie
durch in ihr Gegenteil verkehrt. Der Wahrheit entsprach es, dass
Herr Karl Kraus das ihm von der Direktion der FrankfurterStädtischen Bühnen vorgetragene Projekt, seine Vorlesungen eben im
Frankfurter Schauspielhaus selbst (in welchem das Stück „Die Unüberwindlichen“ zur Aufführung gelangen sollte) abzuhalten, abge
lehnt hat. Aus der klar ersichtlichen Ablehnung der individuellen Vermittlung und eines bestimmten
Vortragslokales konstruierte der Beschuldigte die allgemeine
Ablehnung von Vorträgen seitens des Herrn Karl Kraus . , wodurch die also ein Schaden ausgeschlossen und das Begehren eines Ersatzes eine gewinnsüchtige Ungebühr gewesen wäre.


2.) Noch e E ine weitere dem Herrn Beschuldigten zur Last fallende
Unredlichkeit. Wahrheitswidrigkeit, die mit der gleichen Materie zusammenhängt.


In einer dem ihm bekannten Prozessmaterial widerstrei
tenden Art behauptete der Beschuldigte, dass Herr Karl Kraus
sich den Frankfurter Städtischen Bühnen angeboten habe, im
Frankfurter Schauspielhaus Vorlesungen halten zu dürfen. Die
Frankfurter Städtischen Bühnen hätten aber dieses Anbot abge
wiesen . Das Gegenteil von dem, was Herr Dr. Smetana da sagte, entsprach
der Wahrheit: die Frankfurter Städtischen Bühnen hatten Herrn
Karl Kraus um Abhaltung von Vorlesungen enthusiastisch gebeten und dieser als sie von seiner Absicht, die Gelegenheit der Aufführung mit der längst geplanten Vorlesung, zu verbinden gehört hatte, mit Begeisterung um die Erlaubnis gebeten, diese selbst veranstalten zu dürfen,
aber hatte, da dann die gestellten Bedingungen aus Etat- und Spielplangründen
nicht angenommen werden konnten, auf die Abhaltung am Schauspielhaus angebotene Vermittlung
von Vorlesungen seitens der Direktion des Städtischen Schau
spielhauses
verzichtet. Auch hier kann der Beschuldigte nicht etwa
den Versuch machen, sich auf eine ihm von seiner Partei erteilte
Information zu berufen. Selbst wenn anzunehmen wäre, dass die
Frankfurter Städtischen Bühnen den Beschuldigten in einer be
wusst wahrheitswidrigen Weise inzwischen „informiert“ hätten,
2so musste ihm auf Grund der vorgelegten und als echt anerkann
ten Korrespondenz die vollständige Unwahrheit seiner Behauptung
zum Bewusstsein kommen. Als nun Herr Kraus dem Beschuldigten sag
te: „Das Gegenteil ist wahr“, entgegnete der Beschuldigte in
einer für seine Denkweise Prozessmethode charakteristischen Art: „Also, ich
will nicht gerade auf dem Worte ‚Angebot‘ bestehen, aber Unter
handlungen waren.“ – Der typische Fall des Versuches, durch
3Tonfall zu bluffen! Der Beschuldigte unternahm hier in geradezu
4aufreizender Weise den Versuch, sein Forum entweder für dumm zu
halten oder dumm zu machen. Die apodiktische und selbstverständ
lich unbestreitbare Behauptung „Unterhandlungen waren“ – Unter
handlungen, die ja gerade von der Frankfurter Seite initiiert
wurden –, sollte über die von dem Beschuldigten dem Gerichte vor
getragene Unwahrheit Wahrheitswidrigkeit hinwegtäuschen.


3.) Bei der seitens der beklagten Partei aus prozessualen Gründen
erfolgten Vorlage von zwei Nummern der Zeitschrift „Die Fackel“,
von denen die eine die Kritiken anlässlich der Dresdner Urauf
führung der „Unüberwindlichen“ und die andere die Kritiken an
lässlich der Aufführung an der Berliner Volksbühne enthält, brach
te der Beschuldigte wieder eine seiner besonders krasse Ungehörigkeiten vor. Zur
Vorlage dieser Nummern der „Fackel“ war es deshalb gekommen,
weil der Richter erklärt hatte, er vermisse den einen Nachweis über
den Erfolg des Stückes „Die Unüberwindlichen“ bei den früheren
Aufführungen reklamiert hatte. Die Zusammenstellung in der „Fackel“ enthält nun selbst
verständlich eine lückenlose Wiedergabe des Echos der gesamten
Presse Kritiker mit der klaren Tendenz, gerade aus dem Umstande, dass die
dem notorischen Bekämpfer der Presse des Journalismus Karl Kraus gegenüberstehende
Kritik Presse den ungeheuren Erfolg verzeichnen musste, eben diesen darzutun;
beweisen; selbstverständlich waren aus diesem Grunde gerade auch
jene Stimmen verzeichnet, deren grundsätzliche Gehässigkeit gegen
über dem Autor notorisch war und auch hier klar in Erscheinung trat. Es konnte keinem Zweifel
unterliegen, dass gerade just die Berufung des Pressefeindes auf die
Presse, die den überwältigenden Erfolg schwersten Herzens zugeben
musste, nicht etwa eine Anerkennung der Presse als Urteilsinstanz
ausdrücken sollte – was gewiss überraschend und natürlich im Widerspruch zu der ganzen
Haltung der „Fackel“ gewesen wäre –, sondern vielmehr zu der Anschauung bringen veranschaulichen
sollte, dass sozusagen „selbst der Todfeind“ den un außer gewöhn
lichen Erfolg in Berlin und Dresden nicht aus der Welt schaffen
konnte. Selbstverständlich unterhielt und unterhält Herr KarlKraus auch zu keinem der Kritiker, die ihm gehuldigt hatten, auch nur
die geringsten Beziehungen persönliche n r oder literarische n r Art.
Der Beschuldigte sprach nun Herrn Karl Kraus mit den hämischen
Worten an: „Sind in dem Abdruck auch die ungünstigen Kritiken
enthalten?“ Herr Dr. Smetana Er wollte also Herrn Karl Kraus ohne
jede Ursache und mit einer bewussten Negierung de s r moralischen
Ansehens Geltung des Autors, d as ie er offenbar mit einer schnöden Geste
beim Richter untergraben wollte, geradezu einer Unehrlichkeit ver
dächtigen. Wie auch diese Wendung, erfolgt inkriminierbar, wird aber nur zur Illustrierung des aufreizenden Verhaltens des Beschuldigten herangezogen, dessen Art vor Gericht zu stellen, bz um nicht bei Lessing, eine anzuklagen vielleicht auf Beweisschwierigkeiten stoßen bei Lessing: „O, dass ich ihn vor Gericht stellen könnte, diesen Ton!“ Als Dr. Samek besonders auf die Kritik des damals ton-
angebenden
Berliner Börsencouriers“ (Kritiker: Herbert Ihering)
verwies, der 100 Aufführungen im Abendspielplan prognostizierte,
sagte der Dr. Smetana Besch. , ohne einen Beweisantrag bezüglich der Qualität Autorität
des Blattes zu stellen (welches damals eine maßgebende und führende Rolle in
Berliner Theaterdingen spielte): „Berliner Börsencourier – was ist das
schon für ein Blatt.“ Auch hier war die Tendenz des Beschuldigten, durch unsachliche boshafte und hämische Bemerkungen über
den wahren Sachverhalt hinwegzukommen, klar ersichtlich. Für den
Kenner der Tendenzen der „Fackel“ und ihres Herausgebers muss
nicht erst bemerkt werden, dass Herr Karl Kraus auch die Berufung sich
auf den Berliner Börsencourier nur infolge der prozessualen
Notwendigkeit, auf die Frage das Richters nach dem Berliner Er
folg, und zur Abwehr der gegnerischen Einwendung über die Unauf
führbarkeit des Stückes, vorgebracht berufen hat.


4.) Ein weiteres Beispiel für das Vorgehen des Beschuldigten:


Es hatte sich in dem Prozesse darum gehandelt, dass die
Frankfurter Bühnen sich durch ein einmaliges Gastspiel eines
zwar gutwilligen, aber unzulänglichen Leipziger Ensembles um
die Vertragserfüllung herumgedrückt hat. Es war tatsächlich
davon die Rede, dass Herr Karl Kraus, der den armen Leuten in
Leipzig ohne jede Aussicht auf einen Gewinn, die Aufführung er
laubte und ihnen dabei auch – in Verbindung mit Leipziger Vor
lesungen – an Ort und Stelle geholfen hatte, eben dort das Stück „inszeniert“ ha
be, was aber tatsächlich nicht der Fall war, da die Regisseurin
eine Frau Frank-Witt gewesen ist.
Der Richter fragte nun während des Prozesses Herrn
Karl Kraus: „Sie haben doch an der Leipziger Aufführung selbst
mitgewirkt? “ Darauf Herr Kraus: „ Das Es war, mit Ausnahme eines
Gastspielers, eine Dilettantensache, die sicherlich ehrlich ge
meint war. Für mich war die Leipziger Aufführung eine Wohltä
tigkeitsaktion, durch die ich arme Teufel unterstützen wollte.
Es war ist aber eine horrende Zumutung, eben dieses Ensemble einer
winzigen Leipziger Vorstadtbühne nach Frankfurt in ein so
wichtiges Theater wie das Frankfurter Schauspielhaus zu über
tragen.“ Der Beschuldigte fuhr mit der Bemerkung dazwischen:
„Und was ist mit Herrn Verhoeven, der die Leipziger Aufführung
inszeniert hat? “ Darauf Herr Kraus: „Herr Verhoeven hat
doch die Dresdner Uraufführung inszeniert und nicht die Leip
ziger.“ Herr Dr. Smetana replicierte: „Also bitte - Dresden oder
Leipzig, das ist doch egal, es kommt doch nur auf Frankfurt an.“
Auch hier entpuppt sich das Verhalten des Beschuldigten klarerweise als
eines unehrliches, welches durch den Tonfall der Selbstverständ
lichkeit eine Wirkung zu erzielen strebt: Wird der Beschuldigte auf einer Un redlichkeit wahrheit ertappt, so zieht er sich auf die Un
wichtigkeit seiner Behauptung zurück. Selbstverständlich „ kam kommt es
nur auf Frankfurt an“ und das Verschulden Frankfurts bestand aber
eben darin, dass es Leipzig, nämlich das kleine, in den Episoden völlig unzuläng
liche Leipziger Ensemble heranbugsierte. Hätte sich die Frankfurter Bühne vertragstreu erwiesen, so wäre gerade Herr Verhoeven,
der die Dresdner Uraufführung inszeniert hatte und als in Frankfurt engagierter Regisseur sich auf die Frankfurter Aufführung
gefreut hatte, berufen gewesen, diese entsprechend zu inszenieren.
Auch in anderen Stadien der Debatte hat der Beschuldigte durch
den Tonfall einer Auskennerschaft – wie etwa in Bezug auf den
Fassungsraum der Frankfurter Vortragssäle – den typischen Ver
such gemacht, auf einen Richter, der sich selbstverständlich von
Natur und aus Berufsehrlichkeit nicht vorstellen kann, dass ein
Anwalt ohne Spur einer s f achlichen Informiertheit einschlägige
Behauptungen wagt, Eindruck hervorzurufen und gleichsam
durch Besserwissen, das in Wahrheit ein völliges Nichtwissen
ist, zu verblüffen.


Nachdem der Beschuldigte auf die im Vorstehenden
geschilderte Art und Weise unablässig Proben eines Betragens
gegeben hatte, welches das bei demjenigen einem , der es sein lebenlang Leben lang ge
wohnt war, die Wahrheit über persönliche Interessen zu stellen,
wohl geeignet war ist , Erbitterung hervorzurufen, hat er seinem
consequent aufreizendes Verhalten durch den nach Schluss der
Verhandlung spielenden Vorfall die Krone aufgesetzt zu einem Höhepunkt gebracht . Der Richter
fragte nach Schluss der Verhandlung, bevor er den Saal verliess,
noch im Abgehen Herrn Kraus den P.A. : „Halten Sie denn die Aufführung des
Stückes unter den jetzigen Umständen noch für möglich? “ Herr
Kraus erwiderte: „Jawohl, gerade jetzt; denn es richtet sich
insbesondere gegen die Welt der politischen ‚Mitte‘, gegen die
falsche Demokratie, die jüdische Presskorruption , – womit ich na
türlich nicht sagen will, dass ich die andere Presse nicht ebenso
verabscheue.“


Gemeint war damit selbstverständlich nicht, dass Herr
Karl Kraus etwa den sonderbaren Ehrgeiz habe, als dramatischer
Autor im Dritten Reiche akzeptabel zu erscheinen, sondern dass
den kulturpolitischen Tendenzen desselben, falls diese unge
trübt von den vielfältigen Verzerrungen, Veräusserlichungen
und Brutalitäten, und insbesondere – freilich dem Autor –
unbeeinflusst von einer rein äusserlichen Rasseneinstel
lung als wirkliche Bekämpfung der Pressemacht in Erscheinung träten, gerade ein Werk wie „Die Unüberwindlichen“,
noch weit mehr als jedes sogenannte National-Drama, dem Kampfe
gegen die Mittelwelt entsprechen würde. Dies absolut gemäss
der Auffassung, die etwa in der enthusiastischen Würdigung
durch den sozusagen philosophischen Bahnbereiter der heute
dort herrschenden, wenngleich völlig verzerrten Ideen Dr. Lanzvon Liebenfels bereits 1913 in der Rundfrage des Innsbrucker
Brenner“ über Karl Kraus zum Ausdrucke kam, worin er diesen um
seines Kampfes gegen die Presse willen geradezu als den Retter des Ario-Germa
nium pries, – eine Auffassung, die gewiss nicht den Tendenzen
der „Fackel“ entspricht, aber jedenfalls die Meinung der be
treffenden Kreise zum Ausdrucke br ingt achte . Es handelt sich auch
keineswegs um die Aspiration einer Aufführung auf der Grund
5lage solcher Würdigung, sondern ausschliesslich in dem Kampfe
um das Recht, um dessen juristische Anerkennung. Herr Kraus
hatte auch schon während der Verhandlung diesem Gedanken Aus
druck gegeben, indem er gegenüber der ironischen Bemerkung des
Beschuldigten: die Aussicht auf die Aufführung sei eine „Utopie“,
entgegnete: er werde keinesfalls dulden, dass sich Theaterschieber
auf die Revolution ausreden, wenn sie sich um einen Vertrag drücken
6


wollen. – Der Richter, der die se Anschaaung Antwort des P.A. offensichtlich als
Ausdruck einer sachlichen Ueberzeugung zur Kenntnis nahm, hat sich
dann entfernt. Der Beschuldigte apostrophierte nun Herrn Kraus mit
den Worten: „Jüdische Presse! – Sie haben’s nötig!“ Darauf sagte
Herr Karl Kraus: „Wie meinen Sie das?“ Denn: normal verstanden konn
te diese Aeusserung ja doch nur den Sinn haben, dass Herr Karl Kraus er ent
weder selber zu der Sorte gehörte, die er hier zu dem Zwecke und
zwar zu dem gewinnsüchtigen Zwecke des Prozesserfolges preis
gibt gebe, oder dass er Verrat an einer Gemeinschaft üb t e, der er selbst
angehör t e und von der er sein Lebtag nur Vorteile bezogen habe!
Die Groteske dieser Vorstellung braucht wohl vor keinem Forum
Oesterreichs dargestellt zu werden. Hier wäre zum Beispiel auf
die kürzlich erschienene Kulturgeschichte von Prof. Hans Tietze
hinzuweisen, die wenn auch mit manchem Missverständnis, und mit höchster Anerkennung auf die Frage, „Wie meinen Sie das“ den Kampf der „Fackel“ gegen die Presse eingehend
würdigt. – Erwiderte der Beschuldigte: „Sie haben mich schon ganz
gut verstanden.“ Nach wiederholten dringlichen Aufforderungen
des Herrn Karl Kraus zur Aufklärung, welche ergebnislos blieben,
noch ergänzt durch die Frage: „Ist es Ihnen denn neu, dass ich
als Bekämpfer der Presse schon einen gewissen Ruf geniesse? “ – und weiters
nach einer Bemerkung des Herrn Dr. Samek, welcher Herrn Dr. Smetana den Beschuldigten
darauf aufmerksam machte, dass er sein wiederholt herausforderndes
Verhalten vor der Standesbehörde werde zu verantworten haben, und
nach einem Versuche des Herrn Dr. Smetana Beschuldigten , die ihm von Herrn Kraus
vorbehaltenen Wahrheitswidrigkeiten und Aktenwidrigkeiten mit dem Worte der
Bemerkung abzutun: „Sie werden mich nicht lehren, wie ich meinen Beruf
auszuüben habe“, gab Herr Kraus Herrn Dr. Smetana dem Beschuldigten die Antwort:
„Aendern Sie Ihren Beruf; dann werden Sie anständig sein.“


Mit diesen Worten wollte der Privatankläger zum Ausdrucke
bringen, dass Herr Dr. Smetana von den Rechten und Pflichten eines
Anwaltes eine vollkommen unzutreffende Vorstellung ha t be und offen
bar die moralischen Gefahren des Berufes unterschätze. Denn dazu,
ist ja der folgende Sachverhalt zu bedenken: Herr Kraus hatte als der Autor der Fackel
förmlich die Vision, dass vor ihm ein typischer Vertreter jener
Auffassung des Anwaltsberufes stehe, der er schon vor 30 Jahren,
– also ungefähr zu jener Zeit, als der Beschuldigte das Licht der
Welt erblickte –, und zwar in ständiger Verbindung und unter Mitar
beit von Franz Klein und Lammasch geführt hat entgegengetreten war . Der Antrieb dieses
Kampfes war seit jeher kein anderer als der des noch weit grösse
ren Kampfes gegen die Entartungserscheinungen des Journalismus:
Menschen, die in jedem zivilen Berufe, ihrer harmlosen und anstän
digen Natur gemäss, ihrer Tätigkeit nachgehen würden, ohne öffent
liche Interessen zu gefährden, übernehmen sich, ihrer der geistigen
Aufgaben nicht gewachsen, innerhalb der Möglichkeit, die ihnen die
publizistische Wirksamkeit, die journalistische oder forensische,
gewährt. Herr Kraus als eröffnet. Der Herausgeber der „Fackel“ geht von der An
schauung aus, dass kaum ein Journalist es wagen würde, die Wahr
heits- und Geistwidrigkeit, die er durch vermöge einer unbegreiflichen Er
laubnis vor einer Oeffentlichkeit und Vielheit vor setzen bringen darf, im engen
Umkreis seines soliden Privatlebens, zu Hause oder in Gesell
schaft, darzubieten, weil er in dieser engeren Sphäre der schärfsten
Ablehnung sicher sein müsste wäre . Die Erlaubnis der Vervielfältigung
einer subalternen oder und ungebührlichen Privatmeinung, schafft gera
dezu phantastische Möglichkeiten des Missbrauches und der Willkür. Aehnlich wie
beim journalistischen Berufe verhält es sich nach der Anschauung
des Privatanklägers beim advokatorischen Berufe, der – vermöge bei einer
missverständlichen Auffassung der durch die Rechtsanwaltsordnung
eingeräumten Befugnisse – Möglichkeiten schafft, die den harmlo
sen und ziviliter durchaus anständigen Berufsträger in bedenk
lichen Gegensatz zu den Anforderungen der Wahrhaftigkeit bring t en .
Herr Karl Kraus, der seit Jahrzehnten die Problematik der Pressfreiheit
erlebt und geistig behandelt, ist, da er nur sehr selten persön
lich im Gerichtssaale erscheint, immer von neuem, vielleicht naiver
weise, von den Möglichkeiten Fällen der Abirrung innerhalb der forensi
schen Tätigkeit überrascht und empört erschüttert und er konnte es im gegen
ständlichen Falle gar nicht glauben, dass es eine rechtliche Er
laubnis geben soll, die offenbaren und aktenmässig nachzuweisenden
Wahrheitswidrigkeiten, die schon zur Zeitersparnis im Nu abzustel
len wären, sich breitspurig ausleben zu lassen. Es wurde ihm frei
lich im gegebenen Falle klar, dass der Richter diesen Notstand
durchaus mit ihm empfinde, indem der Richter auf die Aeusserungen der
Ungeduld und des Unmutes, mit denen der Privatankläger seiner Ver
blüffung in Unkenntnis zivilprozessualer Möglichkeiten gereizten
Ausdruck gab, die bezeichnenden Worte sprach: „So lassen Sie ihn
doch reden, er kann sagen: die Sonne ist schwarz, ist blau, ist
grün.“ Vollständige Klage zum Rat das inzwischen erfolgte Urteil in der Zivilsache, dass der Richter darin mehr Erfahrung hatte falls der bei der Agnoszierung solcher Ungebührlichkeit mehr Erfahrung hatte, als der gelegentliche Teilnehmer einer Verhandlung der die Übergriffe förmlich erleidet und dessen tatsächlich überflüssige Aufwallung vom Richter zurückgewiesen wurde. Es kann gar keinem Zweifel unterliegen, dass der Privatankläger lediglich die Absicht hatte, den Kontrast zwischen den tat
sächlichen und beweisbaren Ausschreitungen und dem Habitus der
Harmlosigkeit und zivilen Anständigkeit, den ihm der Beschuldigte
zwischendurchaus machte, zum Ausdruck zu bringen und mit der gleichen
Ueberzeugtheit die Abwehr der Uebergriffe bekunden wollte, wie
deren Inkongruenz mit der offenbaren Anständigkeit des Täters.,
die anzuzweifeln sonst nicht der geringste Grund vorlag.
Es sollte dem Beschuldigten geradezu ein damit eher das Zeugnis ausgestellt gegeben
werden, dass dieses Vorgehen seiner nicht würdig sei. Hätte der
Privatankläger bei diesen Worten den animus iniuriandi gehabt,
dem Beschuldigten absolute Unanständigkeit des Charakters vorzu
werfen, so hätte er doch im Gegenteil zu der Formulierung
greifen müssen, sein anwaltliches Betragen entspreche so durch
aus seinem Charakter, dass ihm gerade die Missbräuche, der foren
sischen Wirksamkeit wohl anstehen. Es wurde also bei voller bewusster Fest
haltung der von Entgleisungen dem Charakter des Beschuldigten geradezu eine Wohlmeinung ausgedrückt. Fall Herr Kraus eine Absetzung seines Ch. ausgedrückt.


IV.
Ich werde mich zum Beweise der Richtigkeit und Vollständigkeit des
von mir Vorgebrachten berufen:
a) bezüglich der Beleidigung auf die Zeugenschaft des Dr. OskarSamek, Rechtsanwalt in Wien, XIV., Reindorfgasse 18, des Schriftführers im Zivilprozesse und des Privatanklägers;
b) bezüglich des weiteren Vorbringens und die Vorgänge während
der Verhandlung: ausserdem auf den zitierten Zivilakt
G.Z. 7 Cg 322/32 des Landesgerichtes Wien für Z.R.S., auf
diverse Korrespondenzstücke und auf die Zeugenschaft des
Richters Hofrat Dr. Chamrath.


Als mit Vollmacht hier sub ./. ausgewiesener Vertreter
des Herrn Karl Kraus erhebe ich in seinem Namen wider den
Beschuldigten die
Privatanklage
wegen Uebertretung gegen die Sicherheit der Ehre. Ich stelle
den
Antrag,
eine Hauptverhandlung anzuberaumen und den Beschuldigten
gemäss dem Gesetze zu bestrafen.


Karl Kraus


7


Wien, den 29. Jänner 1934. W/D
G.Z.


An das
Strafbezirksgericht I
Wien!


Bezeichnung der Rechtssache:


Privatankläger: Karl Kraus,
Herausgeber der „Fackel“,
Wien, III., Hintere Zollamtsstrasse 3.


vertreten durch: Dr. Siegfried Wolf,
Rechtsanwalt,
Wien, I., Graben 27.


Beschuldigter: Dr. Richard Smetana,
Rechtsanwaltsanwärter, Wien, I.,Kärntnerring 12.


Privatanklage wegen Uebertretung gegen die
Sicherheit der Ehre


einfach, 1 Vollmacht


I.
Am 28. Dezember 1933 hat vor dem Landesgerichte fürZ.R.S. in Wien eine fortgesetzte Verhandlung in der Prozess
sache der klagenden Partei: Verlag „Die Fackel“, Herausgeber
Karl Kraus, prot. Firma in Wien, III., Hintere Zollamtsstrasse 3,
wider die geklagte Partei: Die Stadt Frankfurt a/Main als Kon
zessionärin der Frankfurter Städtischen Bühnen, stattgefunden.
Dieser Akt trägt die G.Z. 7 Cg 322/32.


Ich beantrage die Herbeischaffung des Ak
tes 7 Cg 322/32 des Landsgerichtes für Z.R.S. in Wien.


Die Kenntnis des dem bezeichneten zivilgerichtlichen
Akte zugrundeliegenden und in demselben behandelten Prozessma
teriales ist zum Verständnis des im Nachfolgenden behandelten
Ehrenbeleidigungsfalles erforderlich. Der Privatankläger wird
genötigt sein, sich auch auf diesen Prozessakt als Beweismittel
zu berufen.


Bei der im Absatze 1) bezeichneten Zivilverhandlung
intervenierte als Vertreter der geklagten Partei der Rechtsan
waltsanwärter Dr. Richard Smetana. Für die klagende Partei war
Herr Rechtsanwalt Dr. Oskar Samek in Begleitung seines Klienten,
des Herrn Karl Kraus, erschienen.


II.
Nach dem seitens des Verhandlungsrichters Hofrat
Dr. Chamrath gemäss § 193 Z.P.O. vollzogenen Schluss des Ver
fahrens, also ausserhalb des eigentlichen Prozessverfahrens,
richtete der Zivilrichter an Herrn Karl Kraus eine Frage, die von
diesem sachlich beantwortet wurde. Der Beschuldigte,
welcher es schon vorher darauf angelegt hatte, Herrn KarlKraus durch unsachliche Vorbringungen persönlich zu reizen,
und die dem Anwalte obliegende Aufgabe, seine Pflicht in
anständiger Weise zu erfüllen, verletzt hatte, hat ungefragt
und in einer dem bei Gericht herrschenden und auch dem
allgemeinen gesellschaftlichen Anstande widersprechenden
Art in diese Diskussion, nachdem der Richter sich entfernt
hatte, eingegriffen und hiebei den Privatankläger mit den
Worten apostrophiert: „Sie haben’s nötig.“


Diese Aeusserung des Beschuldigten wird unter An
klage gestellt. Sie wird als Schmähung im Sinne des § 491St.G. qualifiziert. Sie erfolgte im Gerichtssaale, in welchem
ausser Herrn Rechtsanwalt Dr. Oskar Samek auch noch der Schriftführer der Zivilverhandlung zugegen war.


III.
Zur Beurteilung des Verhaltens des Beschuldigten
ist, wie schon eingangs gesagt wurde, auch die Kenntnis des
Zivilaktes erforderlich. In demselben ist die Frage strittig,
ob die Frankfurter Städtischen Bühnen einen mit Herrn KarlKraus abgeschlossenen Vertrag, welcher die Aufführung des
Stückes „Die Unüberwindlichen“ im Frankfurter Schauspielhaus zum Gegenstande hat, eingehalten haben. Der Zivilkläger
Herr Karl Kraus hatte den Frankfurter Städtischen Bühnen
Vertragsbruch zum Vorwurf gemacht. Es war das Recht des Anwaltes der Frankfurter Städtischen Bühnen, den Versuch einer
Abwehr dieses Vorwurfes zu unternehmen. Der Versuch musste
sich aber innerhalb der der geklagten Partei durch die Zivil
prozessordnung und dem Anwalte durch die Anwaltsordnung ge
zogenen Grenzen halten. Gegen diese primitivste Verpflichtung
hat der Beschuldigte mehrfach verstossen.


1.) Prozessmaterie bildete unter anderem die Frage, ob Herrn
Karl Kraus infolge der vertragswidrigen, ja dolosen Haltung
der Frankfurter Städtischen Bühnen ein Schaden auch der
gestalt entstanden ist, dass er an der Abhaltung von längst
geplanten Vorlesungen in Frankfurt gehindert war. Herr Dr.Smetana, dem die gesamte Korrespondenz bekannt war und bei
pflichtgemässer Ausübung seines anwaltlichen Berufes be
kannt sein musste, hat bloss einen einzelnen, aus der Summe
des zur Verfügung stehenden Prozessmateriales tendenziös
herausgegriffenen Brief und zwar den Brief des Herrn Dr.Oskar Samek, Rechtsanwaltes des Herrn Karl Kraus, gerichtet
an die Frankfurter Städtischen Bühnen, ddto. Wien, 3. März
1931, vorgelegt, durch welchen er beweisen zu können er
klärte, dass Herr Karl Kraus auf die Veranstaltung von Vor
lesungen in Frankfurt a/Main verzichtet habe. Hiebei hat
aber Herr Dr. Smetana die in diesem Schreiben vom 3. März
1931 enthaltenen Worte, dass auf die Veranstaltung der
Vorlesungen durch das Frankfurter Schauspielhaus (welches
sich hiezu freiwillig und enthusiastisch angeboten hatte,)
kein Wert gelegt wird, einfach wegescamotiert. Die klare Ab-
sicht des Verfassers des Briefes vom 3. März 1931 wurde hie
durch in ihr Gegenteil verkehrt. Der Wahrheit entsprach es, dass
Herr Karl Kraus das ihm von der Direktion der FrankfurterStädtischen Bühnen vorgetragene Projekt, seine Vorlesungen eben
im Frankfurter Schauspielhaus selbst (in welchem das Stück
Die Unüberwindlichen“ zur Aufführung gelangen sollte) abzuhal
ten, abgelehnt hat. Aus der klar ersichtlichen Ablehnung der in
dividuellen Vermittlung und eines bestimmten Vortragslokales
konstruierte der Beschuldigte die allgemeine Ablehnung von
Vorträgen seitens des Herrn Karl Kraus, wodurch die also ein Scha
den ausgeschlossen und das Begehren eines Ersatzes eine gewinn
süchtige Ungebühr gewesen wäre.


2.) Eine weitere dem Herrn Beschuldigten zur Last fallende Wahr
heitswidrigkeit, die mit der gleichen Materie zusammenhängt.


In einer dem ihm bekannten Prozessmaterial wider
streitenden Art behauptete er, dass Herr Karl Kraus sich den
Frankfurter Städtischen Bühnen angeboten habe, im FrankfurterSchauspielhaus Vorlesungen halten zu dürfen. Die FrankfurterStädtischen Bühnen hätten aber dieses Anbot abgewiesen. Das Ge
genteil von dem, was Herr Dr. Smetana da sagte, entsprach der
Wahrheit: die Frankfurter Städtischen Bühnen hatten Herrn KarlKraus, als sie von seiner Absicht, die Gelegenheit der Aufführung
mit den längst geplanten Vorlesungen zu verbinden, gehört hat
ten, mit Begeisterung um die Erlaubnis gebeten, diese selbst ver
anstalten zu dürfen. Er aber hatte, da dann die gestellten Be
dingungen aus Etat- und Spielplangründen nicht angenommen werden
konnten, auf die Abhaltung im Schauspielhause angebotene
Vermittlung seitens der Direktion verzichtet. Auch hier kann
der Beschuldigte nicht etwa den Versuch machen, sich auf eine
ihm von seiner Partei erteilte Information zu berufen. Selbst
wenn die Frankfurter Städtischen Bühnen den Beschuldigten in
einer bewusst wahrheitswidrigen Weise inzwischen „informiert“
hätten – was völlig ausgeschlossen erscheint –, so musste ihm
auf Grund der vorgelegten und als echt anerkannten Korrespon
denz die vollständige Unwahrheit seiner Behauptung zum Bewusst
sein kommen. Als nun Herr Kraus dem Beschuldigten sagte: „Das
Gegenteil ist wahr“, entgegnete der Beschuldigte in einer für
seine Prozessmethode charakteristischen Art: „Also, ich will
nicht gerade auf dem Worte ‚Angebot‘ bestehen, aber Unter
handlungen waren.“ – Der typische Fall des Versuches, durch Tonfall
zu bluffen! Selbstverständlich waren „Unterhandlungen“, – wesent
lich ist nur, von wem sie ausgegangen waren. Der Beschuldigte
unternahm hier in geradezu aufreizender Weise den Versuch,
sein Forum entweder für dumm zu halten oder dumm zu machen. Die
apodiktische und selbstverständlich unbestreitbare Behauptung
„Unterhandlungen waren“ – Unterhandlungen, die ja gerade von
der Frankfurter Seite initiiert wurden –, sollte über die von
dem Beschuldigten dem Gerichte vorgetragene Wahrheitswidrigkeit
hinwegtäuschen.


3.) Bei der seitens der beklagten Partei aus prozessualen Gründen
erfolgten Vorlage von zwei Nummern der Zeitschrift „Die Fackel“,
von denen die eine die Kritiken anlässlich der Dresdner Urauf
führung der „Unüberwindlichen“ und die andere die Kritiken an-
lässlich der Aufführung an der Berliner Volksbühne enthält,
brachte der Beschuldigte eine besonders krasse Ungehörigkeit
vor. Zur Vorlage dieser Nummern der „Fackel“ war es deshalb
gekommen, weil der Richter einen Nachweis über den Erfolg des
Stückes „Die Unüberwindlichen“ bei den früheren Aufführungen
reklamiert hatte. Die Zusammenstellung in der „Fackel“ enthält
nun selbstverständlich eine lückenlose Wiedergabe der gesamten
Kritik mit der klaren Tendenz, gerade aus dem Umstande, dass die
dem notorischen Bekämpfer des Journalismus, Karl Kraus, gegen
überstehende Presse den ungeheuren Erfolg verzeichnen musste,
eben diesen darzutun; selbstverständlich waren aus diesem
Grunde gerade auch jene Stimmen verzeichnet, deren grundsätz
liche Gehässigkeit gegenüber dem Autor notorisch war und auch
hier klar in Erscheinung trat. Es konnte keinem Zweifel unter
liegen, dass just die Berufung des Pressefeindes auf die Presse,
die den überwältigenden Erfolg schwersten Herzens zugeben muss
te, nicht etwa eine Anerkennung der Presse als Urteilsinstanz
ausdrücken sollte – was gewiss überraschend und natürlich im
Widerspruch zu der ganzen Haltung der „Fackel“ gewesen wäre –,
sondern vielmehr veranschaulichen sollte, dass sozusagen „selbst
der Todfeind“ den außergewöhnlichen Erfolg in Berlin und
Dresden nicht aus der Welt schaffen konnte. Selbstverständlich
unterhielt und unterhält Herr Karl Kraus auch zu keinem der
Kritiker, die ihm gehuldigt hatten, die geringsten Beziehungen
persönlicher oder literarischer Art. Der Beschuldigte sprach
nun Herrn Karl Kraus mit den hämischen Worten an: „Sind in dem
Abdruck auch die ungünstigen Kritiken enthalten?“ Er wollte
also Herrn Karl Kraus ohne jede Ursache und mit einer bewussten
Negierung der moralischen Geltung des Autors, die er offenbar
mit einer schnöden Geste beim Richter untergraben wollte, gera
dezu einer Unehrlichkeit verdächtigen. Auch diese Wendung wäre
vielleicht inkriminierbar, wird aber nur zur Illustrierung des
aufreizenden Verhaltens des Beschuldigten herangezogen, d e a ssen
Art als solches anzuklagen vielleicht ja leider auf Beweisschwierigkeiten stossen
würde (Lessing: „O, dass ich ihn vor Gericht stellen könnte,
diesen Ton!“). Als Dr. Samek besonders auf die Kritik des „Berliner Börsencourier“ (Kritiker: Herbert Ihering) verwies, der
100 Aufführungen im Abendspielplan prognostizierte, sagte der
Beschuldigte, ohne einen Beweisantrag bezüglich der Autorität
des Blattes zu stellen (welches damals eine massgebende und
führende Rolle in Berliner Theaterdingen spielte): „Börsencourier – was ist das schon für ein Blatt.“ Auch hier war die
Tendenz des Beschuldigten, durch unsachliche und hämische Bemer
kungen über den wahren Sachverhalt hinwegzukommen, klar ersicht
lich. Für den Kenner der Tendenzen der „Fackel“ und ihres Herausgebers muss nicht erst bemerkt werden, dass Herr Karl Kraus
sich auf den Berliner Börsencourier nur infolge der prozessua
len Notwendigkeit, auf die Frage das Richters nach dem Berliner
Erfolg, und zur Abwehr der gegnerischen Einwendung über die Un
aufführbarkeit des Stückes, berufen hat.


4.) Ein weiteres Beispiel für das Vorgehen des Beschuldigten:


Es hatte sich in dem Prozesse darum gehandelt, dass die
Frankfurter Bühnen sich durch ein einmaliges Gastspiel eines
zwar gutwilligen, aber unzulänglichen Leipziger Ensembles um
die Vertragserfüllung herumgedrückt hat. Es war davon die Rede,
dass Herr Karl Kraus, der den armen Leuten in Leipzig ohne jede
Aussicht auf einen Gewinn, die Aufführung erlaubte und ihnen da
bei auch – in Verbindung mit Leipziger Vorlesungen – an Ort und
Stelle geholfen hatte, eben dort das Stück „inszeniert“ habe, was
aber tatsächlich nicht der Fall war, da die Regisseurin eine Frau
Frank-Witt gewesen ist.


Der Richter fragte nun Herrn Karl Kraus: „Sie haben
doch an der Leipziger Aufführung selbst mitgewirkt?“ Darauf
Herr Kraus: „Es war, mit Ausnahme eines Gastspielers, eine Di
lettantensache, die sicherlich ehrlich gemeint war. Für mich war
die Leipziger Aufführung eine Wohltätigkeitsaktion, durch die ich
arme Teufel unterstützen wollte. Es ist aber eine horrende Zumu
tung, eben dieses Ensemble einer winzigen Leipziger Vorstadtbühne nach Frankfurt in ein so wichtiges Theater wie das Frankfurter Schauspielhaus zu übertragen.“ Der Beschuldigte fuhr
mit der Bemerkung dazwischen: „Und was ist mit Herrn Verhoeven,
der die Leipziger Aufführung inszeniert hat?“ Darauf Herr
Kraus: „Herr Verhoeven hat doch die Dresdner Aufführung insze
niert und nicht die Leipziger.“ Herr Dr. Smetana replicierte:
„Also bitte - Dresden oder Leipzig, das ist doch egal, es kommt
doch nur auf Frankfurt an.“ Auch hier entpuppt sich das Verhal
ten des Beschuldigten klarer Weise als eines, welches durch den
Tonfall der Selbstverständlichkeit Wirkung zu erzielen strebt:
Wird der Beschuldigte auf einer Unwahrheit ertappt, so zieht er
sich auf die Unwichtigkeit seiner Behauptung zurück. Selbstver-
ständlich „kommt es nur auf Frankfurt an“ und das Verschulden
Frankfurts bestand aber eben darin, dass es Leipzig, nämlich das
kleine, in den Episoden völlig unzulängliche Leipziger Ensemble
heranbugsierte. Hätte sich die Frankfurter Bühne vertragstreu
erwiesen, so wäre gerade Herr Verhoeven, der die Dresdner Urauf
führung inszeniert hatte und als in Frankfurt engagierter Re
gisseur sich auf die Frankfurter Aufführung gefreut hatte, be
rufen gewesen, diese entsprechend zu inszenieren. Auch in anderen
Stadien der Debatte hat der Beschuldigte durch den Tonfall einer
Auskennerschaft – wie etwa in Bezug auf den Fassungsraum der
Frankfurter Vortragssäle – den typischen Versuch gemacht, auf einen
Richter, der sich selbstverständlich von Natur und aus Berufsehr
lichkeit nicht vorstellen kann, dass ein Anwalt ohne Spur einer
fachlichen Informiertheit einschlägige Behauptungen wagt, Eindruck
hervorzurufen und gleichsam durch Besserwissen, das in Wahrheit
ein völliges Nichtwissen ist, zu verblüffen.


Nachdem der Beschuldigte auf die im Vorstehenden ge
schilderte Art und Weise unablässig Proben eines Betragens ge
geben hatte, das bei einem, der sein Leben lang gewohnt war,
die Wahrheit über persönliche Interessen zu stellen, wohl geeig
net ist, Erbitterung hervorzurufen, hat er sein consequent auf
reizendes Verhalten durch den nach Schluss der Verhandlung spie
lenden Vorfall zu einem Höhepunkt gebracht. Der Richter fragte
nach Schluss der Verhandlung, bevor er den Saal verliess, noch im
Abgehen den Privatankläger: „Halten Sie denn die Aufführung des
Stückes unter den jetzigen Umständen noch für möglich?“ Herr
Kraus erwiderte: „Jawohl, gerade jetzt; denn es richtet sich
insbesondere gegen die Welt der politischen ‚Mitte‘, gegen die
falsche Demokratie, die jüdische Presskorruption, – womit ich na
türlich nicht sagen will, dass ich die andere Presse nicht eben
so verabscheue.“


Gemeint war damit selbstverständlich nicht, dass Herr
Karl Kraus etwa den sonderbaren Ehrgeiz habe, als dramatischer
Autor im Dritten Reiche akzeptabel zu erscheinen, sondern dass
den kulturpolitischen Tendenzen desselben, falls diese unge
trübt von den vielfältigen Verzerrungen, Veräusserlichungen
und Brutalitäten, – freilich unbeeinflusst von einer rein äus
serlichen Rasseneinstellung gegenüber dem Autor – als wirk
liche Bekämpfung der Pressemacht in Erscheinung träten, gerade
ein Werk wie „Die Unüberwindlichen“, noch weit mehr als jedes
sogenannte nationale Drama, dem Kampfe gegen die Mittelwelt ent
sprechen würde. Dies absolut gemäss der Auffassung, die etwa in
der enthusiastischen Würdigung durch den sozusagen philosophi
schen Bahnbereiter der heute dort herrschenden, wenngleich völlig
verzerrten Ideen, Dr. Lanz von Liebenfels, bereits 1913 in der
Rundfrage des Innsbrucker „Brenner“ über Karl Kraus zum Aus
drucke kam, worin er diesen um seines Kampfes gegen die Presse
willen geradezu als den Retter des Ario-German ium entums pries, – eine
Auffassung, die gewiss nicht den Tendenzen der „Fackel“ entspricht,
aber jedenfalls die Meinung der betreffenden Kreise zum Ausdrucke
brachte. Es handelt sich auch keineswegs um die Aspiration einer
Aufführung auf der Grundlage solcher Würdigung, sondern ausschliess
lich in dem Kampfe um das Recht um dessen juristische Anerkennung.
Wäre diese durchgesetzt, so wäre der Autor gewiss nicht nur
nicht verlegen um eine Möglichkeit, seine Gesinnung zu bekunden,
sondern es wäre ihn geradezu die willkommene Gelegenheit gebo
ten, dieser Bekundung durch einen Verzicht Ausruck zu verlei
hen – eine Gelegenheit, die er ohnedies schmerzlich genug ver
misst. Herr Kraus hatte auch schon während der Verhandlung dies
em Gedanken Ausdruck gegeben, indem er gegenüber der ironischen
Bemerkung des Beschuldigten: die Aussicht auf die Aufführung
sei eine „Utopie“, entgegnete: er werde keinesfalls dulden, dass
sich Theaterschieber auf die Revolution ausreden, wenn sie sich
um einen Vertrag drücken wollen. – Er ist im Gegensatze zu dem
inzwischen gefällten Zivilurteil – des im übrigen die unsauberen
Methoden der Frankfurter Bühne hinreichend stigmatisiert – der
Ueberzeugung, dass der Misserfolg der Frankfurter Aufführung
(im Gegensatz zu den grossen Erfolgen in Berlin, Dresden etc.)
eine klare Sache der Direktion war, die ihre planvolle Schein
handlung einer einmaligen Wiedergabe durch Pressmanöver vor
juristischer Anfechtung schützen wollte. Der Richter, der diese
Antwort des Privatanklägers offensichtlich als Ausdruck einer
sachlichen Ueberzeugung zur Kenntnis nahm, hat sich dann ent
fernt. Der Beschuldigte apostrophierte nun Herrn Kraus mit
den Worten: „Jüdische Presse! – Sie haben’s nötig!“ und
darauf sagte Herr Karl Kraus: „Wie meinen Sie das?“ Denn:
normal verstanden konnte diese Aeusserung ja doch nur den Sinn
haben, dass er entweder selber zu der Sorte gehöre, die er hier
zu dem Zwecke und zwar zu dem gewinnsüchtigen Zwecke des Pro-
zesserfolges preisgebe, oder dass er Verrat an einer Gemein
schaft übe, der er selbst angehöre und von der er sein Lebtag
nur Vorteile bezogen habe! Die Groteske dieser Vorstellung
braucht wohl vor keinem Forum Oesterreichs dargestellt zu
werden. Hier wäre zum Beispiel auf die kürzlich erschienene
Kulturgeschichte von Prof. Hans Tietze hinzuweisen, die, wenn
auch mit manchem Missverständnis, und mit höchster Anerkennung den Kampf der „Fackel“ gegen
die Presse eingehend und mit höchster Anerkennung würdigt. –
Auf die Frage, „Wie meinen Sie das“ erwiderte der Beschuldigte : „Sie haben mich schon ganz gut verstanden.“ Nach wie
derholten dringlichen Aufforderungen des Herrn Karl Kraus
zur Aufklärung, welche ergebnislos blieben, noch ergänzt durch
die Frage: „Ist es Ihnen denn neu, dass ich als Bekämpfer der
Presse schon einen gewissen Ruf geniesse?“ – weiters nach
einer Bemerkung des Herrn Dr. Samek, welcher den Beschuldigten
darauf aufmerksam machte, dass er sein wiederholt herausfor
derndes Verhalten vor der Standesbehörde werde zu verantworten
haben, und nach einem Versuche des Beschuldigten, die ihm von
Herrn Karl Kraus vorgehaltenen Wahrheitswidrigkeiten und Akten
widrigkeiten mit der Bemerkung abzutun: „Sie werden mich nicht
lehren, wie ich meinen Beruf auszuüben habe“, gab Herr KarlKraus dem Beschuldigten die Antwort: „Aendern Sie Ihren Beruf;
dann werden Sie anständig sein.“


Mit diesen Worten wollte der Privatankläger zum Aus
drucke bringen, dass Herr Dr. Smetana von den Rechten und Pflich
ten eines Anwaltes eine vollkommen unzutreffende Vorstellung
habe und offenbar die moralischen Gefahren des Berufes unter
schätze. Denn dazu, ist ja der folgende Sachverhalt zu bedenken:
Herr Karl Kraus als der Autor der „Fackel“, hatte förmlich die
Vision, dass vor ihm ein typischer Vertreter jener Auffassung
des Anwaltsberufes stehe, der er schon vor 30 Jahren, – also
ungefähr zu jener Zeit, als der Beschuldigte das Licht der Welt
erblickte – und zwar in ständiger Verbindung und unter Mitar
beit von Franz Klein und Lammasch entgegengetreten war. Der An
trieb dieses Kampfes war seit jeher kein anderer als der des
noch weit grösseren Kampfes gegen die Entartungserscheinungen
des Journalismus: Menschen, die in jedem zivilen Berufe, ihrer
harmlosen und anständigen Natur gemäss, ihrer Tätigkeit nachge
hen würden, ohne öffentliche Interessen zu gefährden, übernehmen
sich, der geistigen Aufgabe nicht gewachsen, innerhalb der Mög
lichkeit, die ihnen die publizistische Wirksamkeit, die journa
listische oder forensische, eröffnet. Der Herausgeber der „Fackel
geht von der Anschauung aus, dass kaum ein Journalist es wagen
würde, die Wahrheits- und Geistwidrigkeit, die er vermöge einer
unbegreiflichen Erlaubnis vor einer Oeffentlichkeit und Viel
heit vorbringen darf, im Umkreis seines soliden Privatlebens, zu
Hause oder in Gesellschaft, darzubieten, weil er in dieser enge
ren Sphäre der schärfsten Ablehnung sicher wäre. Die Erlaubnis
der Vervielfältigung einer subalternen und ungebührlichen Pri
vatmeinung, schafft geradezu phantastische Möglichkeiten des
Missbrauches und der Willkür. Aehnlich wie beim journalistischen
Berufe verhält es sich nach der Anschauung des Privatanklägers
beim advokatorischen, der – bei einer missverständlichen Auffas
sung der durch die Rechtsanwaltsordnung eingeräumten Befugnisse –
Möglichkeiten schafft, die den harmlosen und ziviliter durchaus
anständigen Berufsträger in bedenklichen Gegensatz zu den An
forderungen der Wahrhaftigkeit bringen. Herr Karl Kraus, der seit
Jahrzehnten die Problematik der Pressfreiheit erlebt und geistig
behandelt, ist, da er nur sehr selten persönlich im Gerichtssaale
erscheint, immer von neuem, vielleicht naiverweise, von Fällen der
Abirrung innerhalb der forensischen Tätigkeit überrascht und er
schüttert, und er konnte es im gegenständlichen Falle gar nicht
glauben, dass es eine rechtliche Erlaubnis geben soll, die offen
baren und aktenmässig nachzuweisenden Wahrheitswidrigkeiten, die
schon zur Zeitersparnis im Nu abzustellen wären, sich breitspurig
ausleben zu lassen. Vollends klar zeigt das inzwischen erfolgte
Urteil in der Zivilsache, dass der Richter bei der Agnoszierung
solcher Ungebührlichkeit mehr Erfahrung hatte, als der gelegent
liche Teilnehmer einer Verhandlung, der die Uebergriffe förmlich
erleidet und dessen tatsächlich überflüssige Aufwallung vom
Richter zurückgewisen wurde. Es wurde ihm freilich im gegebenen
Falle klar, dass der Richter diesen Notstand durchaus mit ihm
empfinde, indem er auf die Aeusserungen der Ungeduld und des Un
mutes, mit denen der Privatankläger seiner Verblüffung in Unkennt
nis zivilprozessualer Möglichkeiten gereizten Ausdruck gab, die
bezeichnenden Worte sprach: „So lassen Sie ihn doch reden, er
kann sagen: die Sonne ist schwarz, ist blau, ist grün.“ Es kann
gar keinem Zweifel unterliegen, dass der Privatankläger lediglich
die Absicht hatte, den Kontrast zwischen den tatsächlichen und be
weisbaren Ausschreitungen und dem Habitus der Harmlosigkeit und
zivilen Anständigkeit, des ihm der Beschuldigte durchaus
machte, zum Ausdruck zu bringen und mit der gleichen Ueberzeugt
heit die Abwehr der Uebergriffe bekunden wollte, wie deren In
kongruenz mit der offenbaren bürgerlichen Rechtschaffenheit des
Täters. Es sollte dem Beschuldigten damit eher das Zeugnis gege
ben werden, dass dieses Vorgehen seiner nicht würdig sei. Hätte
der Privatankläger bei diesen Worten den animus iniuriandi ge
habt, dem Beschuldigten Unanständigkeit des Charakters vorzu
werfen, so hätte er doch im Gegenteil zu der Formulierung
greifen müssen, sein anwaltliches Betragen entspreche so durch
aus seinem Charakter, dass ihm gerade die Missbräuche, der foren
sischen Wirksamkeit wohl anstehen. Es wurde bei bewusster Fest
haltung von Entgleisungen dem Beschuldigten gegenüber alles
eher als eine Herabsetzung seines Charakters ausgedrückt.


IV.
Ich werde mich zum Beweise der Richtigkeit
und Vollständigkeit des von mir Vorgebrachten berufen:
a) bezüglich der Beleidigung auf die Zeugenschaft des Herrn
Dr. Oskar Samek, Rechtsanwalt in Wien, XIV., Reindorfgasse 18,
des Schriftführers im Zivilprozesse, Herrn Dr. Karl Hirnschall,
Wien, III., Hiessgasse 8/16, und des Privatanklägers;
b) bezüglich des weiteren Vorbringens und die Vorgänge während
der Verhandlung: ausserdem auf den zitierten Zivilakt G.Z.
7 Cg 322/32 des Landesgerichtes für Z.R.S. in Wien, auf diverse
Korrespondenzstücke und auf die Zeugenschaft des Richters
Hofrat Dr. Chamrath.


Als mit Vollmacht hier sub ./. ausgewiesener Vertreter
des Herrn Karl Kraus erhebe ich in seinem Namen wider den
Beschuldigten die
Privatanklage
wegen Uebertretung gegen die Sicherheit der Ehre. Ich stelle
den
Antrag,
eine Hauptverhandlung anzuberaumen und den Beschuldigten
gemäss dem Gesetze zu bestrafen.


Die inzwischen eingebrachte Privatanklage des Beschuldigten bringt Tatsachen vor, die die Wahrheit entstel
len, obwohl betreffs des Tatbestandes, wie des Zusammen
hanges selbst.


Karl Kraus