Sehr geehrter Herr Doktor.
Ich erhielt Ihren Brief vom 7. d.M., sowie
den beigeschlossenen Artikel aus der Reichspost, Wien. Den Artikel habe ich gelesen und den gelungenen „Grubenhund“ be
wundert, glaube jedoch
nicht, dass es sich empfehlen wird,
im Prozesse gegen den „Sozialdemokrat“ auf diesen Artikel
hinzuweisen. Wie ich bereits
einmal bemerkt habe, sind die
Richter beider Prager Pressesenate durchaus sozialdemokratisch
orientiert. Das
Justizministerium ist nämlich bei uns seit
langem in
sozialdemokratischen Händen und so ist es gekommen,
dass zu Richtern der
Pressesenate ausschliesslich Sozialdemo
kraten bestellt werden.
Zwischen den deutschen und den tsche
chischen Sozialdemokraten
herrscht ein gutes Einvernehmen
und ich befürchte, dass die
Richter peinlich berührt wären,
wenn der Artikel eines ausländischen antimarxistischen
Blattes
produziert würde,
in welchem nicht nur das Parteiorgan der
Prager deutschen
Sozialdemokratie – wenn auch mit Recht – lächer
lich gemacht, sondern auch
gegen die Partei als solche
geschrieben und insbesondere die Hoffnung ausgesprochen wird,
dass die deutschen
Sozialdemokraten bei den nächsten Wahlen
schlecht abschneiden werden.
Ich behalte jedenfalls den
Zeitungsaus
schnitt bei mir, um ihn, wenn es die Prozessituation erfordern
sollte, zu
produzieren, glaube jedoch, dass es nicht dazu
kommen wird.
Ich bitte Sie, sehr geehrter
Herr
Doktor, HerrnKraus’ die hier
geäusserten Bedenken bekanntzugeben und meine
ergebenen Grüsse zu
bestellen.
Mit vorzüglicher
Hochachtung
ergebener:
Dr. Turnovsky