Die Fackel als fascistische Hetzschrift?Die Fackel


Heute fand die Hauptverhandlung in dem
oben bezeichneten Pressprozess statt. Der Angeklagte, Dr.
Emil Strauss, ist nicht erschienen und war durch den hiesigen
Anwalt Dr. Schwelb vertreten. Dieser überreichte bei der Ver
handlung einen Schriftsatz, in welchem er seine Einwendungen
gegen die Anklageschrift, resp. seine Verteidigung festge
legt hat und hat nur einige juristische Momente in mündli
chem Vortrage herausgehoben, sich jedoch im übrigen auf
den Inhalt des Schriftsatzes berufen.


Ich erklärte, dass ich mangels Kenntnis
des Inhaltes des Schriftsatzes zu den Ausführungen des Beklagten heute keine Aeusserung abgeben könne, mir eine
schriftliche Aeusserung vorbehalte und zu deren Ueberrei
chung eine 4-wöchige Frist erbitte. Dr. Schwelb führte an,
der inkriminierte Artikel begründe nicht den Tatbestand
des Vergehens gegen die Ehre und insofern dieser Tatbestand
gegeben sei, trete er den Wahrheitsbeweis an und zwar in der
im Schriftsatze angeführten Form.


Das Gericht verkündete den Beschluss,
nach welchem die vom Verteidiger beantragten Beweise zugelas
sen werden und beauftragte diesen, alle Hefte der FACKEL
und die übrigen schriftlichen Beweisstücke in beglaubigter
Uebersetzung ins Tschechische binnen 4 Wochen vorzulegen.
Mir wurde zur Ueberreichung einer Aeusserung zu dem vom
Verteidiger vorgelegten Schriftsatze eine 4-wöchige Frist er
teilt und die Verhandlung auf unbestimmte Zeit vertagt.


Der Vorsitzende des Pressesenats Oberlandesgerichtsrat Svoboda, der heute als Votant fungierte, während
den Vorsitz O.G.R. Tisek führte / die Richter wechseln im
Vorsitz ab / zeigte für den Prozess grosses Interesse und er
klärte, er kenne zwar den Namen Karl Kraus, müsse jedoch ge
stehen, keines seiner Werke gelesen zu haben. Deswegen werde
es für den Senat sehr schwer sein, in die Materie des Prozes
ses einzudringen, umsomehr als nach dem Sprachengesetze die
Durchführung der Beweise durch in deutscher Sprache abgefasste
Schriften unzulässig sei. Er selbst und die anderen Mitglie
der des Senates beherrschten zwar die deutsche Sprache, könnten
jedoch das Sprachengesetz nicht umgehen und deswegen müsse
der Beklagtenanwalt beglaubigte Übersetzungen der von ihm
zum Beweise angebotenen Schriften vorlegen. Dr. Schwelb er
widerte darauf, dass es ganz unmöglich sei, Übersetzungen
der zum Beweise beantragten FACKEL beizubringen und selbst
wenn es möglich wäre, würden die Uebersetzungskosten wenigstens
25.000.–– Kč betragen. Darauf bemerkte der Vorsitzende, die
Parteien mögen darüber erwägen, ob nicht die Delegierung eines
deutschsprachigen Gerichtes, resp. eines Gerichtes, bei wel
chem die deutsche Sprache als Verhandlungsprache zulässig ist,
beantragt werden soll. Oberlandesgerichtsrat Svoboda bemerkte
ausdrücklich, dass er diese Anregung nicht vielleicht deswegen
gegeben habe, um diesen Prozess, für den er sich interessiere,
loszuwerden; im Gegenteil, die Prozessmaterie sei ihm interes
santer als die der meisten anderen vor seinem Senate geführten
Prozesse, aber er sehe die Unmöglichkeit der Einhaltung der
Sprachenverordnung ein.


Da Dr. Schwelb zu dieser Anregung keine
Stellung nahm, hatte ich keinen Anlass, mich jetzt schon zu
äussern, glaube jedoch, dass man einer Delegierung nicht zu
stimmen sollte, umsomehr als ich annehme, dass die Voraussetzungen
des § 62 Str.P.O. nicht gegeben sind.


Es wurde über die zur Disposition ste
henden geistigen Probleme gesprochen, weil sich das Gericht
dafür interessierte, wobei ich Gelegenheit hatte, ohne den
gegnerischen Schriftsatz studiert zu haben, die vom Verteidiger im mündlichen Vortrag aufgestellten Behauptungen zu wider
legen oder zumindest zu bekämpfen und dem Gerichte einen Be
griff davon zu geben, wie unsinnig es ist, gerade Herrn Kraus
als Arbeiterfeind und Verfasser einer faszistischen Hetzschrift
zu bezeichnen. Diese Ausführungen geschahen ausserhalb der Ver
handlung, wurden auch nicht protokolliert und ich habe auch
ausdrücklich angeführt, nicht in der Lage zu sein, autentische
Interpretationen der in den Schriften des Herrn Kraus enthal
tenen Probleme geben zu können, hiezu auch nicht ermächtigt
zu sein, sondern als Vertreter des Privatklägers nur gegen
die Ausführungen des Verteidigers Stellung nehmen zu müssen.


Ich sende Ihnen eine Uebersetzung des gegnerischen Schriftsatzes mit der Bitte ein, ihn Herrn Kraus
vorzulegen und zu bemerken, dass etwaige Tippfehler und sprach
liche Unrichtigkeiten damit entschuldigt werden mögen, dass
ich aus Zeitmangel gezwungen war, den Schriftsatz bei der
ersten Lektüre direkt in die Schreibmaschine zu diktieren.
Dasselbe gilt von diesem Briefe, den ich deshalb noch heute
expedieren will, damit Herr Kraus meinen Bericht noch früher
erhält, bevor er Prozessberichte den Prager-Zeitungen entneh
men muss.


Da der Gerichtsaalreferent des Prager-Tagblatt
anwesend war und der Prozess den „Sozialdemokrat“ betrifft,
nehme ich an, dass in diesen Zeitschriften Berichte über den
Prozess sein erscheinen werden. Ausserdem bemerkte ich unter den Zuschauern
auch Ing. Butschowitz, der offenbar erschienen ist, um sich
für seinen Prozess vorzubereiten.


Zu den juristischen Ausführungen des Schriftsatzes möchte ich bemerken: Die Anklageschrift ist, was das
Meritum betrifft, in der gleichen Weise verfasst, wie die
Strafanzeige, die ich Ihnen vor deren Überreichung einge
sendet habe und die Sie in Ihren Akten haben. Sie werden also
selbst ersehen können, dass ich die Ueberschrift des inkriminierten Artikels zwar nicht ausdrücklich unter Anklage ge
stellt habe, sondern sie nur zur Bezeichnung des Artikels
und zur Illustrierung des strafbaren Tatbestandes zitiere.
Deshalb ist die Einwendung der mangelnden Klagslegitimation
unrichtig. Ganz abgesehen davon, wird jedoch nicht namens der
FACKEL, sondern im Namen des Herrn Kraus geklagt und die Ueber
schrift des inkriminierten Artikels ist für diesen zweifellos
beleidigend, da Herr Kraus Eigentümer, Herausgeber und einziger
Redakteur der FACKEL ist, die Bezeichnung dieses Blattes als
faszistische Hetzschrift daher die Qualifizierung des Privatklägers als faszistischen Hetzers involviert.


Es ist richtig, dass periodische Druckschriften den Ehrenschutz bloss gegenüber den im
§ 2 u § 3 angeführten strafbaren Handlungen / Nachrede, Verleum
dung / geniessen, dagegen glaube ich, dass der verantwortliche
Redakteur auch für Handlungen gemäss § 1 des Gesetzes überden Schutz der Ehre gemäss § 4 des Pressgesetzes haftet.


Es ist sicherlich ganz überflüssig, dass ich
zu den meritorischen Einwendungen des gegnerischen Schriftsatzes Ihnen gegenüber eine Aeusserung abgebe, da ich selbstverständlich
deren Widerlegung nicht im entferntesten so wirksam verfassen
könnte, als es Herr Kraus tun wird. Ich bitte daher, HerrnKraus zu bitten, er möge mir seine Weisungen zur Beantwortung
der meritorischen Einwendungen erteilen.


Ich bin leider noch nicht dazugekommen, Ihnen
die Anklageschrift in Sachen gegen Dr. BillVerneau im Entwurfe
einzusenden, hoffe es aber bald tun zu können. Die Frist zur
Ueberreichung der Anklageschrift läuft bis zum 8.XII. d.J.,
sodass noch genügend Zeit bleiben wird, auch diesbezüglich
die Genehmigung des Herrn Kraus einzuholen.


Ich bitte also vorläufig diese Mitteilungen zur
Kenntnis zu nehmen und sie Herrn Kraus zur Kenntnis zu bringen
und zeichne


mit den besten Empfehlungen an diesen und
in vorzüglicher Hochachtung ergebener
Dr. Turnovsky


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