Die Fackel als fascistische Hetzschrift?Reichspost, 24.1.1935Rote Brüderlichkeit


Sehr geehrter Herr Kollege!


In der Anlage sende ich Ihnen den von
Herrn Kraus diesmal gründlich ausgeflickten Entwurf des Schriftsatzes zurück. Die vielen Einfügungen und Ergänzungen sollen
nicht so sehr eine Verbesserung Ihres ausgezeichneten Schrift
satzes darstellen, sondern die Information in wesentlichen
Punkten ergänzen und Herr K. überlässt es Ihnen, den Schriftsatz noch zu beschneiden und einzelne Punkte der mündlichen
Hauptverhandlung vorzubehalten, wenn Sie glauben, dass er in
der jetzigen Form eine zu grosse Belastung für das Gericht bil
det oder dem Richter die Durcharbeit eines so umfangreichen
Schriftsatzes lästig fallen könnte.


Zu dem auf dem Bogen zwei als 4) bezeich
neten Punkt möchte ich das Folgende mitteilen:


Herr K. meint, dass er einer vollständigen Umarbeitung
bedarf, weil man denn doch nicht sagen könne, dass der Autor in
der Zeit zwischen Ende Juli und 10. August 1934 genügend Zeit
hatte, sich zu beruhigen und sich die Folgen seines angeblich
in Aufregung geschriebenen Artikels zu vergegenwärtigen, da
immerhin das Studium des 315 Seiten starken Heftes einen beträchtlichen
Teil der zehn Tage zwischen dem Erscheinen des Heftes und dem
Erscheinen des Artikels in Anspruch genommen haben muss. Man
kann auch nicht als vollkommen unwahr bestreiten, dass der In
halt dieses Fackel-Heftes den Schreiber des inkriminiertenArtikels in Aufregung versetzen konnte oder versetzt hat und
dass er durch diese Publikation in Uebereilung zur Verfassung
und Veröffentlichung des inkriminierten Artikels veranlasst
worden sei. Wir glauben vielmehr, dass es überhaupt zu bestrei
ten ist, dass der Entschuldigungsgrund der Uebereilung wegen
eines unmittelbar vorangegangenen herausfordernden oder ärger
niserregenden Benehmens des Privatklägers auf die publizisti
sche Tätigkeit Anwendung finden kann. Öffentliche Meinung kann
nicht im Wege der Aufregung und Uebereilung zustande kommen,
selbst wenn man die Frist von 10 Tagen, die immerhin verstrichen
war, nicht als ein die Aufregung ausschliessendes Moment gelten
lassen wollte, so wäre erst recht zu sagen, dass man eben nicht
in der Aufregung zu antworten hat und dass sich der Schreiber
eben etwas mehr Zeit lassen hätte müssen und erst später als
am zehnten Tage seine Erwiderung verlassen hätte sollen. Der
Sinn der Gesetzesstelle kann nur der sein, dass eine Beleidi
gung entschuldbar ist, bei der eine unmittelbare Reaktion auf
ein Benehmen des Beleidigten erforderlich und verständlich ist,
wie etwa bei einer Versammlung oder bei einer sonstigen Beleidi
gung, die Aug im Aug erfolgt. Es ist diese Bestimmung offenbar
eine Erweiterung des schon im deutschen Strafgesetzbuch § 199
auftretenden Gedankens, dass der Richter einen Beleidiger, der
eine Beleidigung auf der Stelle erwidert, straffrei erklären
kann. Die Unmittelbarkeit kann wohl im publizistischen Kampf nie
mals eintreten, es wäre denn, dass etwas eine sofortige Reaktion
auf ein Vorgehen erforderlich macht. Hier war es aber gewiss
nicht notwendig, dass der beleidigende Aufsatz des ‚Sozialdemo- krat‘ schon am 10. August erscheint und es wäre auch genügend
gewesen, wenn er einige Tage später erschienen wäre. Der Ein
wand der Aufregung ist infolgedessen ganz falsch angebracht.


Aus der Tatsache, dass Sie den Strafantrag bezüglich
des Punktes „läppische und wilde Angriffe“ zurückgezogen haben,
schliesst Herr K., dass Sie heute der Ueberzeugung sind, dass
das „läppisch“ einem Wahrheitsbeweis zugänglich ist, worüber
Sie noch Erkundigungen einziehen wollten. Herr K. lässt Sie
bitten, mir mitzuteilen, ob Sie sich erkundigt haben, ob
„läppisch“ mit oder ohne Wahrheitsbeweis bestraft wird und wie
sich der befragte Richter geäussert hat.


Zu dem auf Bogen vier Seite zwei eingeschalteten Zu
satz, dass der „Sozialdemokrat“ in einer durch Zeugen nachweis
baren Kenntnis der Haltung des Privatklägers gewesen sei, über
lässt es Herr K. Ihnen, ob Sie diese Zeugen, als welche Herr
Dr. Emil Franzel und Herr Heinrich Fischer in Betracht kommen,
von welch Letzterem Herr Dr. Franzel genau über den Standpunkt
des Herrn K. orientiert wurde, schon in dem Schriftsatz bean
tragen wollen. Die Adressen dürften Ihnen bekannt sein. Je
denfalls sind sie leicht zu erheben, da Herr Heinrich Fischer
die Adresse des Herrn Dr. Emil Franzel kennt.


Zur etwaigen Verwendung im Prozess übersende ich
Ihnen die Seite 3 der am 24. Januar 1935 erschienenen ‚Reichspost‘ und verweise auf die in der Spalte 3 erschienenen Notiz
Rote Brüderlichkeit“. Die Entscheidung, ob Sie es für zweck
mässig halten, die Notiz zu verwenden, überlässt Herr K. voll
ständig Ihnen.


Bei dieser Gelegenheit lässt Sie Herr K. ersuchen,
wenn Sie Herrn Heinrich Fischer sehen, ihm mitzuteilen, warum
er denn gar nichts von sich hören lasse.


Indem ich Ihnen nochmals den besten Dank des HerrnK. für den ausgezeichneten Schriftsatz und seine herzlichsten
Grüsse übermittle, denen ich mich anschliesse, bin ich


mit vorzüglicher kollegialer
Hochachtung
Ihr ergebener


1 Entwurf
1 Zeitungsausschnitt


Rekommandiert.


3