Sehr geehrter Herr Kollege!
In der Anlage sende ich
Ihnen den von
Herrn Kraus diesmal gründlich ausgeflickten Entwurf des Schriftsatzes
zurück. Die vielen Einfügungen und Ergänzungen sollen
nicht so sehr eine
Verbesserung Ihres ausgezeichneten Schrift
satzes
darstellen, sondern die Information in wesentlichen
Punkten ergänzen und Herr K. überlässt es Ihnen, den Schriftsatz noch zu beschneiden und einzelne Punkte der mündlichen
Hauptverhandlung
vorzubehalten, wenn Sie glauben, dass er in
der jetzigen Form eine zu
grosse Belastung für das Gericht bil
det oder dem Richter die Durcharbeit eines so umfangreichen
Schriftsatzes lästig fallen
könnte.
Zu dem auf dem Bogen zwei
als 4) bezeich
neten Punkt möchte ich das Folgende mitteilen:
Herr K. meint, dass er einer vollständigen Umarbeitung
bedarf, weil man denn doch
nicht sagen könne, dass der Autor in
der Zeit zwischen Ende Juli
und 10. August 1934 genügend Zeit
hatte, sich zu beruhigen und
sich die Folgen seines angeblich
in Aufregung geschriebenen
Artikels zu vergegenwärtigen,
da
immerhin das Studium
des 315
Seiten starken Heftes einen beträchtlichen
Teil der zehn Tage zwischen
dem Erscheinen des Heftes und dem
Erscheinen des Artikels in Anspruch genommen haben
muss. Man
kann auch nicht als
vollkommen unwahr bestreiten, dass der In
halt dieses Fackel-Heftes den Schreiber des inkriminiertenArtikels
in Aufregung versetzen konnte oder versetzt hat und
dass er durch diese
Publikation in Uebereilung zur Verfassung
und Veröffentlichung des inkriminierten Artikels
veranlasst
worden sei.
Wir glauben vielmehr, dass es überhaupt zu bestrei
ten ist, dass der
Entschuldigungsgrund der Uebereilung wegen
eines unmittelbar
vorangegangenen herausfordernden oder ärger
niserregenden
Benehmens des Privatklägers auf die
publizisti
sche Tätigkeit Anwendung finden kann. Öffentliche Meinung kann
nicht im Wege der Aufregung
und Uebereilung zustande kommen,
selbst wenn man die Frist
von 10 Tagen, die immerhin verstrichen
war, nicht als ein die
Aufregung ausschliessendes Moment gelten
lassen wollte, so wäre erst
recht zu sagen, dass man eben nicht
in der Aufregung zu
antworten hat und dass sich der Schreiber
eben etwas mehr Zeit lassen
hätte müssen und erst später als
am zehnten Tage seine
Erwiderung verlassen hätte sollen. Der
Sinn der Gesetzesstelle kann
nur der sein, dass eine Beleidi
gung entschuldbar
ist, bei der eine unmittelbare Reaktion auf
ein Benehmen des Beleidigten
erforderlich und verständlich ist,
wie etwa bei einer
Versammlung oder bei einer sonstigen Beleidi
gung, die Aug im
Aug erfolgt. Es ist diese Bestimmung offenbar
eine Erweiterung des schon
im deutschen Strafgesetzbuch § 199
auftretenden Gedankens, dass
der Richter einen Beleidiger, der
eine Beleidigung auf der
Stelle erwidert, straffrei erklären
kann. Die Unmittelbarkeit
kann wohl im publizistischen Kampf nie
mals eintreten,
es wäre denn, dass etwas eine sofortige Reaktion
auf ein Vorgehen
erforderlich macht. Hier war es aber gewiss
nicht notwendig, dass der
beleidigende Aufsatz des ‚Sozialdemo-
krat‘
schon am 10. August erscheint und es wäre auch genügend
gewesen, wenn er einige Tage
später erschienen wäre. Der Ein
wand der
Aufregung ist infolgedessen ganz falsch angebracht.
Aus der Tatsache, dass Sie
den Strafantrag bezüglich
des
Punktes „läppische und wilde Angriffe“ zurückgezogen haben,
schliesst Herr K., dass Sie heute der Ueberzeugung sind, dass
das „läppisch“ einem Wahrheitsbeweis zugänglich ist, worüber
Sie noch Erkundigungen
einziehen wollten. Herr K. lässt Sie
bitten, mir mitzuteilen, ob
Sie sich erkundigt haben, ob
„läppisch“ mit oder ohne Wahrheitsbeweis bestraft wird und wie
sich der befragte Richter geäussert hat.
Zu dem auf Bogen vier Seite
zwei eingeschalteten Zu
satz, dass der „Sozialdemokrat“ in einer durch Zeugen nachweis
baren Kenntnis
der Haltung des Privatklägers gewesen sei,
über
lässt es
Herr K. Ihnen, ob Sie diese Zeugen, als
welche Herr
Dr. Emil Franzel
und Herr Heinrich
Fischer in Betracht kommen,
von welch Letzterem Herr Dr. Franzel
genau über den Standpunkt
des
Herrn K. orientiert wurde, schon in dem
Schriftsatz bean
tragen wollen. Die Adressen dürften Ihnen bekannt sein. Je
denfalls sind sie
leicht zu erheben, da Herr Heinrich Fischer
die Adresse des Herrn Dr.
Emil
Franzel kennt.
Zur etwaigen Verwendung im
Prozess übersende ich
Ihnen
die Seite 3 der am 24. Januar 1935
erschienenen ‚Reichspost‘ und verweise auf die in der Spalte 3 erschienenen
Notiz
„Rote Brüderlichkeit“. Die Entscheidung, ob Sie
es für zweck
mässig halten, die Notiz zu
verwenden, überlässt Herr K. voll
ständig Ihnen.
Bei dieser Gelegenheit lässt
Sie Herr K. ersuchen,
wenn Sie Herrn Heinrich
Fischer sehen, ihm mitzuteilen, warum
er denn gar nichts von sich
hören lasse.
Indem ich Ihnen nochmals den
besten Dank des HerrnK. für den
ausgezeichneten Schriftsatz und seine herzlichsten
Grüsse übermittle, denen ich
mich anschliesse, bin ich
mit vorzüglicher
kollegialer
Hochachtung
Ihr
ergebener
Rekommandiert.