Karl Kraus – sechzig Jahre [Der Sozialdemokrat]


Sehr geehrter Herr Kollege!


Da sich in Ihrem ausgezeichneten Entwurf für die Aeusserung, für die ich Ihnen den besten Dank
des Herrn K. übermitteln soll, seine Ergänzungen nicht ein
betten liessen, habe ich zusammen mit ihm unter Benützung
Ihrer Ausführungen einen Schriftsatz verfasst, der hoffent
lich so wie er ist verwendbar sein wird. Ich möchte Sie nur
auf einige Stellen aufmerksam machen, die noch von Ihnen einer
Beurteilung unterzogen werden müssen. Auf Seite 6 des Schrift
satzes Zeile 9ff. von unten habe ich die mutmasslichen Gründe
für den Antrag auf Delegierung des Leitmeritzer Gerichtes
angeführt. Wenn Sie die in Klammer stehende Stelle für be
denklich halten, so bitte ich Sie, sie einfach wegzulassen.
Auf Seite 8 wollen Sie gütigst in der leergelassenen Stelle
die Nummer der Spalte einfügen, da ich nur eine Abschrift des
Artikels vom 28. April 1934 habe, aber kein Original. Wenn der
Artikel dem Gerichte noch nicht vorliegt oder, wenn nicht der
ganze Akt sondern nur das Protokoll mit dem Delegierungsantrag
und unsere Aeusserung an das Obergericht geht, müsste man wohl
auch den Artikel neuerlich vorlegen.


Herr K. bittet Sie auch in Erwägung zu
ziehen, wenn dies noch nicht geschehen sein sollte, die „Stimmen“
vorzulegen, damit sich die Richter speziell aus des tschechischen
Beiträgen ein Urteil über die Person des Privatklägers bilden
können.


Herr K. lässt Sie herzlichst grüssen und
freut sich, Sie eventuell in Wien sehen zu können. Hoffent
lich können Sie auch noch die Vorlesung vom 9. hören, die ich
Ihnen wärmstens empfehlen kann. Herr K. würde sich auch freuen,
wenn Herr Fischer mitkäme.


Indem auch ich Sie herzlichst grüsse und
mich auf das Wiedersehen freue, bin ich


mit vorzüglicher kollegialer Hochachtung
Ihr ergebener


P.S. Herr K. gibt die Anregung, für
den Fall, als Ihnen wegen der Kürze
der Zeit eine stilistisch ausgefeilte
Uebersetzung in die Staatssprache
Schwierigkeiten machen sollte, unter aus
drücklichem Hinweis auf diese Schwierigkeit
auch das Original selbst in deutscher Sprache
dem Gerichte vorzulegen, wenn dies nach der
Prozessordnung möglich ist.


1 Beilage.
Express.


P.S. Ich bedauere sehr, Ihnen eine so grosse
Uebersetzungsarbeit verursacht zu haben, aber
es liess sich an dem Schriftsatz leider nichts
kürzen, weil ich jeden Gedankengang für notwendig
halte. Hoffentlich wird das Gericht dies verstehen
und nicht durch die Länge des Schriftsatzes abge
schreckt sein, ihn gründlich zu studieren.


3