Der Verrat der GeistigenReichspost[Artikel über Schuschnigg und Dollfuß]Der Sozialdemokrat, 10.8.1934Die FackelKarl Kraus – sechzig Jahre [Der Sozialdemokrat]


Sehr geehrter Herr Kollege!


Ich bestätige Ihnen mit bestem Dank den
Empfang Ihrer freundlichen Schreiben vom 4. und 7. Februar 1936
und benütze die Gelegenheit, auch, wie ich in meinem Brief vom25. Januar 1936 in Aussicht gestellt habe, auf den Inhalt Ihres
Briefes vom 23. Januar 1936 zu antworten. Vor allem möchte ich
Sie fragen, ob Ihr Protest dagegen, dass zum Wahrheitsbeweis
Tatsachen vorgebracht werden, die erst nach der beleidigenden
Handlung liegen, nicht bei Gericht die Meinung entstehen lassen
könnte, dass hier etwas vorliegt, was Herr K. zu scheuen hat.
Wenn dies der Fall sein sollte, so wird hoffentlich das, was
jetzt von unserer Seite unternommen werden muss, vollauf ge
eignet sein, eine ungünstige Meinung zu verwischen. Uebrigens
glaube ich, dass die Ansicht des cechoslovakischen OberstenGerichtshofes der gegenteiligen Ansicht der österreichischen
Gerichte vorzuziehen ist, denn nach meiner Meinung kann man
mit Recht nur gegen Beweisanträge Widerspruch erheben, die mit
der vorgebrachten Beleidigung nicht kongruent sind, die be
haupteten Tatsachen mögen wann immer vorgefallen sein, woferne
diese Tatsachen geeignet sind, den behaupteten Vorwurf zu be
weisen. Daraufhin allein wäre das Vorbringen des Beschuldigten
zu untersuchen. Ich halte es nun für unerlässlich, da die
Gegenseite die Uebersetzungen nicht vorgelegt hat, wenigstens
von den Stellen, die in ihren Schriftsätzen zum Wahrheitsbeweis
herangezogen wurden, Uebersetzungen anfertigen zu lassen, um
die Fälschung darzutun. In Betracht kämen: die Seiten 174 und
175 der Nr. 890–905 (die die Behauptung der Gegenseite recht
fertigen sollten, der Privatkläger könne es den Arbeitern nicht
verzeihen, dass sie ihm den elektrischen Strom abgeschnitten
haben); die Seite 218 desselben Heftes, (aus der hervorgehen
soll, dass der Privatkläger versuche, die tschechischen Be
hörden gegen die österreichische Emigration aufzuhetzen); die
Seite 291 desselben Heftes, (die eine weitere Denunziation der
österreichischen Emigration enthalten soll), ferner die Seite
275 desselben Heftes (mit gleichem Inhalt). Besonders wäre da
rauf hinzuweisen, dass der Privatkläger ausdrücklich betont
habe, er gönne jedem Emigranten sein Asyl, halte es aber für
unerträglich, dass das Asyl dazu ausgenützt werde, um Oester
reich in dem schweren Kampf, den es gegen den Nationalsozialismus
zu führen hat, von seiten der Emigranten geschädigt werde. Ferner
wäre zu übersetzen: der Satz auf Seite 59 des Heftes vom EndeMai 1935, der angeblich eine grundlose Beleidigung des jetzigen
Präsidenten der Cechoslovakischen Republik und damaligen Aussen
ministers wegen seiner staatsmännischen Tätigkeit enthält, der
jedoch lautet: „ Hat doch sogar die vorbildliche Dummheit der
englischen Arbeiterpartei – heute nur noch von jener Demokratie
übertroffen, von deren werktätiger Neigung der ‚Tag‘ sein Dasein
fristet – erkannt, dass, ‚verglichen mit dem nationalsozialisti
schen Regime‘, das österreichische ‚unendlich vorzuziehen‘ sei;“.
Aus diesem Satz geht hervor, dass der Angriff sich keineswegs
gegen den Präsidenten der cechoslovakischen Republik oder den
damaligen Aussenminister als Vertreter dieser Stellung bezieht,
sondern dass er sich gegen die Demokratie in der Cechoslovakei
im allgemeinen richtet, die nicht erkennen kann oder wenigstens
so tut, als ob sie nicht erkennte, was für ein Unterschied
zwischen dem österreichischen Regime und dem nationalsoziali
stischen bestehe. Wenn Herr Dr. Brügel als Zeuge aussagte, dass
damit das chechoslovakische Aussenministerium angegriffen ist,
so hat er einen krassen Meineid geleistet und ich werde auf
diesen Meineid, der in dem zweiten Fall noch viel krasser ist,
unten zurückkommen. Ich glaube ferner, dass es auch gut wäre,
darauf hinzuweisen, dass sich diese Haltung der cechoslovakischen
Demokratie in der letzten Zeit vollständig in dem Sinne des
Privatklägers geändert hat, dass man auch dort zur Einsicht ge
kommen ist, welche Gefahren gerade für die Cechoslovakei in dem
nationalsozialistischen Regime in Deutschland bestehen. Zu
dieser Meinungsänderung der demokratischen Partei möchte ich
Sie auch auf deren Haltung aus dem Anlass der Prager Reise des
österreichischen Bundeskanzlers Dr. Schuschnigg aufmerksam machen,
und besonders auf einen Artikel im ‚Ceske Slovo‘, aus dem ich
einen wichtigen Satz zitiere. Der Artikel im ‚Ceske Slovo‘ er
schien, wie aus dem Zitat in der ‚Reichspost‘ hervorgeht, am
16. Januar 1936. Dort hiess es:


„Wir haben anerkannt und anerkennen auch heute, dass
sowohl der brutal ermordete Kanzler Dr. Dollfuss
als auch Dr. Schuschnigg ein ver
dienstvolles Werk von bleibender
Bedeutung geschaffen haben, wenn sie unter
den schwierigsten Bedingungen ebenso tapfer wie geschickt den
Anstoss auf die österreichische Selbständigkeit abgewehrt
haben. Wir haben deshalb mit Sympathie alle Taten Oesterreichs
verfolgt, die zur Festigung seiner Selbständigkeit geführt haben.
Aus diesem Grunde haben wir auch die italienisch
österreichische Mitarbeit be
grüsst . Wir glauben, dass zwischen Oesterreich und der
Tschechoslowakei und den anderen mitteleuropäischen Staaten
früher oder später eine Mitarbeit zustande kommen wird, die
im Interesse aller ist. Den Privatbesuch des österreichischenKanzlers betrachten wir als ein Zeichen einer vielversprechen
den Entwicklung.“


Sie finden das Zitat übrigens auch auf
Seite 73f. der Nr. 917–922 der Fackel vom Februar 1936.


Was nun die Frage der Rückgabe des Vermö
gens an die Habsburger betrifft, so liegt hier die unerhörteste
Fälschung der krassesten aller Meineide vor. Ich habe die Stelle,
die Herr Dr. Brügel meint, zuerst gar nicht gefunden, da ich doch
von der Meinung ausging, es sei irgend etwas in der Fackel ge
standen, was so ausgeschaut haben könnte, als ob Herr K. für die
Rückgabe des Vermögens an die Habsburger eingetreten sei. Es
kann sich aber, da Herr Brügel angibt, es sei dies im Augustheft 1935 geschehen, nur um den auf Seite 61f. befindlichen
Satz in dem Artikel „Die Handschrift des Magiers“ handeln, der
mit den Worten „ Wien hat den Träumer …“ beginnt. Sie ersehen
aus diesem Absatz, dass Herr K. nicht dafür eintritt, dass das
Vermögen an die Habsburger zurückgegeben wird – besonders von
einem Vermögen, welches nach dem Umsturz konfisziert war und den
Kriegsbeschädigten und Kindern übergeben worden ist, ist keine
Rede –, sondern dass Herr K. es als unerträglich findet, dass
Literaten und derartige Leute sich anmassen, Wohnrechte in der
Hofburg auszuüben, und dass er vorziehen würde, wenn dies die
Habsburger täten, dass er aber keinesfalls mit Herrn Reinhardt
als Bewohner der Hofburg einverstanden ist. Es ist also klar und
und aus diesen beiden Stellen erweislich, dass Herr Dr. Brügel
einen Meineid geleistet hat, indem er in vollem Bewusstsein eine
Fälschung des Inhaltes vornahm. Herr K. zieht in Erwägung, selbst
für den Fall eines Ausgleiches, gegen Herrn Dr. Brügel eine
Meineidsanzeige zu erstatten, glaubt aber, dass es sogar vorteil
haft wäre, diese Anzeige sofort zu machen, und ersuche Sie, mir
Ihre Meinung dazu bekanntzugeben. Wenn Sie der Meinung sind, dass
eine sofortige Anzeige nicht am Platz ist, so stelle ich mir vor,
dass Sie bei Gericht Herrn Dr. Brügel fragen, welche Stellen er
bei seiner Aussage im Auge hatte. Wenn er die Stellen angibt, die
ich Ihnen bezeichnet habe, so würde ich ihn auffordern, diese
Stellen zu übersetzen. Wenn die Uebersetzung mit der von Ihnen
vorher angefertigten und durch einen amtlichen Dolmetsch be
glaubigten nicht übereinstimmt, würde ich mit Rücksicht auf die
offenbare falsche Zeugenaussage die Verhaftung des Zeugen be
antragen.


Zu den Aussagen der Zeugen, die im Vor
verfahren erfolgte, habe ich noch das Folgende zu bemerken. Die
Aussage des Herrn Dr. Franzel halte ich eigentlich nicht einmal
für so infam, wohl aber die des Herrn Dr. Brügel. Herr Dr. Franzel
bestätigt ja im allgemeinen seine Kenntnis der Haltung des HerrnK., bestreitet nur, dass ihm bekannt gewesen sei, Herr K. sei ein
positiver Anhänger des österreichischen Regimes. Diese Anhänger
schaft, wenn man hier von positiver Anhängerschaft sprechen will,
so müsste Herrn Dr. Franzel gewiss bekannt sein, dass Herr K. die
Februar-Katastrophe als eine verbrecherische Störung der Abwehr
der für Oesterreich und die Tschechoslovakei tödlichsten Gefahr
durch das gewissenlose Vorgehen der sozialdemokratischen Führer
(vor allem auch die Hinopferung der unschuldigen Arbeiter)
aufgefasst hat. Es wäre leicht, nachzuweisen, dass diese be
hauptete Anhängerschaft nur soweit besteht, als sie mit den
Grundsätzen des Herrn K. übereinstimmt, insbesondere soweit
das Regime sich als Gegner gegen den Nationalsozialismus be
tätigt. Herr K. hat nie ein Hehl daraus gemacht, dass er diese
Gegnerschaft für die wichtigste und aktuellste Tätigkeit der
Gegenwart hält. Was es bedeuten soll, dass der Angeklagte, ein
verantwortlicher Redakteur, von diesen privat geäusserten An
sichten des Herrn K. nichts wusste, ist mir unverständlich. Der
Angeklagte verantwortet ja die Tat eines Anderen und wenn dies
überhaupt relevant wäre, müsste bewiesen werden, dass der Autor
des beleidigenden Artikels von der Ansicht des Privatklägers
nichts wusste. Ueber die Autorschaft wird, wie Sie so gut ange
regt haben, sowohl Herr Dr. Brügel als auch Herr Dr. Franzel be
fragt werden müssen, da der grösste Verdacht besteht, dass Einer
von ihnen, wahrscheinlich Herr Dr. Franzel, der Autor ist. Was
nun die Aussage des Herrn Heinrich Fischer betrifft, so ist
es ja gewiss wertvoll, wenn er mitteilte, dass im Juli 1934
die Sozialdemokraten die Ansichten des Privatklägers bereits
gekannt hatten und daher nicht provoziert worden sein konnten.
Das Wichtigste aber kommt leider nicht vor, offenbar wurde er
nicht befragt und hat daher nichts ausgesagt darüber, dass be
reits im April 1934 Dr. Emil Franzel in Kenntnis der Ansichten
des Privatklägers war, als er den huldigenden Geburtstagsartikel
schrieb. Was nun die Aussage des Herrn Dr. Brügel betrifft, so
habe ich sie schon im allgemeinen behandelt und teile im übrigen
Ihre Meinung vollständig, dass es ungeheuerlich ist, einen
Zeugen als Sachverständigen über Gesinnungsänderungen zu ver-
nehmen und eine Meinung äussern zu lassen, umso ungeheuerlicher,
da dieser Zeuge im Juliheft 1935 angegriffen wurde.


Um nun zur Vergleichsanregung des Herrn
Direktor Frankl zu kommen: Herr K. billigt vollständig Ihre Ant
wort, dass Sie Privatanregungen nicht zur Kenntnis nehmen und an
Ihren Mandanten weiterleiten können. Sollte sich aber die Gegen
seite direkt, sei es vor der Verhandlung oder in dieser, wegen
eines Ausgleiches an Sie wenden, so wäre er unter den folgenden
Bedingungen anzunehmen. Die Gegenseite hätte eine Erklärung zu
veröffentlichen, dass sie die in der Nummer 185 der Zeitung‚Sozialdemokrat‘ vom 10. August 1934 aufgestellten, Herrn KarlKraus beleidigenden Behauptungen zurückzieht, dass sie sich
verpflichtet, eine Busse von 500 bis 1.000.–– Kc. für Arbeiter
fürsorgezwecke zu bezahlen und ausserdem die gesamten Prozess
kosten, in die auch womöglich meine Kosten einzubeziehen wären.
Um die Absendung des Briefes nicht zu verzögern, werde ich
Ihnen ein Kostenverzeichnis separat zukommen lassen.


Herr K. möchte gerne zu der nächsten Ver
handlung persönlich nach Prag kommen, wenn diese zwischen den
2. und 9.März 1936 stattfinden kann. Vielleicht ist es Ihnen
möglich, das durchzusetzen.


Indem ich Sie herzlichst grüsse, zeichne
ich


mit vorzüglicher kollegialer
Hochachtung
Ihr ergebener