Materielles StrafrechtBerichtigung des Protokolles über die Hauptverhandlung, Archiv der Rechts- und Staatswissenschaften


Uebersetzung


Aus Entscheidungen des Kreis-Strafgerichtesin Prag, als Berufungsgerichtes.


1 a/ Eine gegenseitige Klage im Sinne des § 18Abs. 1 Ges.Nr. 108/33 über den Schutz der Ehre ist auch eine
weitere Anklage einer Partei gegen eine andere Partei, welche
einige nach diesem Gesetze strafbare Handlungen begangen hat.


b/ Der ausdrückliche Vorbehalt des Rechtes,
eine andere strafbare Handlung zu verfolgen, kann gemäss § 18Absatz 1 Ges.Nr. 108/33 über den Ehrenschutz auch mündlich
erfolgen.


Der Angeklagte einer nach dem Gesetze über
den Schutz der Ehre strafbaren Handlung hat sich am 6.I.1935
gegen denselben
Der Angeklagte hat sich am 6.I.1935 eine
weitere nach dem Gesetze über den Schutz der Ehre strafbare
Handlung gegen denselben Privatankläger begangen. Am 8.I.1935
wurde zwischen denselben Parteien über die nach dem Ehren
schutzgesetze vom Angeklagten bereits früher begangene straf
bare Handlung ein Vergleich vereinbart, allein das über die
sen Vergleich abgefasste Protokoll enthielt keinen Hinweis
über den ausdrücklichen Vorbehalt im Sinne des § 18 Absatz 1.
Das Erstgericht hat daher gemäss § 259 Zahl 2 St.P.O. den
Angeklagten von der Anklage freigesprochen, wobei es von
der Ansicht ausging, dass diese Bestimmung einen schriftli
chen Vorbehalt erforderlich macht und dass daher die Verfol
gung ausgeschlossen ist, da dies nicht geschehen ist; es hat
den Beweis über die Behauptung des Privatanklägers, dass der
Vorbehalt vor dem Vergleichsabschlusse mündlich erfolgt ist,
nicht zugelassen.


Der Privatankläger machte einerseits die
Berufung aus dem Grunde der Nichtigkeit gemäss §§ 468 Z. 3,
281 Z. 9b St.P.O. andererseits die Berufung aus dem Nichtig
keitsgrunde gemäss §§ 468 Z. 2, 281 Z. 4 St.P.O. geltend.


a./ Die Ueberschrift des § 18 „Gegenseitige Klagen“
könnte zu dem Schlusse führen, dass auch der Absatz 1 diesesParagrafen sich auf den Fall bezieht, in welchem eine Partei
das Anklagerecht geltendgemacht hat und die andere Partei
auch gegen diese Partei, welche den Antrag auf Verfolgung
bereits überreicht hat, ein Anklagerecht wegen eines vor
der Vereinbarung des Vergleiches begangenen Deliktes hat,
dass somit diese Bestimmung auf den Fall nicht angewendet
werden kann, wenn sich dieselbe Partei gegen dieselbe
Gegenpartei mehrerer nach dem Ehrenschutzgesetze strafbarer
Handlungen schuldig gemacht hat.


Wenn wir jedoch berücksichtigen, dass der § 18Absatz 1 der Gegensatz zu dem § 17 Abs. vorangehenden § 17Abs. 3 ist, der sich auf den Fall der objektiven Konnexität
bezieht, wenn mehrere Personen an einer strafbaren Handlung
beteiligt waren und berücksichtigen wir ferner, dass der
Absatz 3 § 18 eine eigene Bestimmung über „die von der Ge
genseite begangenen Handlungen“ welche in tatsächlichem
Zusammenhange stehen, enthält, bei welchen sich eben die Parteien
rolle ändert, muss zugestimmt werden, dass sich die Bestim
mung des 1. Abs. § 18 auch auf den Fall der subjektiven Kon
nexität bezieht, wenn sich eine Person mehrerer nach dem
Ehrenschutzgesetze strafbarer Handlungen gegen eine zweite
Person schuldig macht und dass also unter „gegenseitiger
Klage“ nach dieser Bestimmung auch eine weitere Anklage
einer Partei gegen die andere Partei zu verstehen ist.
/ so auch Kallab: Materielles Strafrecht 1935 S. 221 /


Dafür spricht auch die Begründung des Regierungs
antrages / Bogen 830 / 1930 /. Nach dieser verfolgt die Bestim
mung des Absatzes 1 im Gegensatze zur Bestimmung des Absatzes3 § 18 den Zweck, dass „beide“ Parteien, welche sich das
Klagerecht wegen einer zwischen ihnen bis zum Abschlusse
des Vergleiches begangenen und dem Berechtigten bereits
bekannten strafbaren Handlung wahren wollen, gezwungen wer
den, sich bis zu dem erwähnten Zeitpunkte das Recht auf
Verfolgung ausdrücklich vorzubehalten.


b./ In welcher Form dieser Vorbehalt erfolgen
soll, führt das Gesetz nicht an, es verlangt bloss, dass er
ausdrücklich zu erfolgen hat. Dies muss so aufgefasst wer
den, dass er in einer Weise erfolgen soll, aus welcher die
Absicht der berechtigten Partei, die andere Partei zu verfol
gen / 1/ klar hervorgehen muss und dass diese Aeusserung
der Gegenpartei zur Kenntnis gebracht wird, sodass sie vor dem Vergleiche / oder vor der Beendigung
des Beweisverfahrens von dem Vorbehalte unterrichtet war / 2/
Dieses Erfordernis geht aus der Begründung des Regierungs
entwurfes / b 830 / 1930 / hervor, welche anführt, dass die
Tatsache, dass sich die Vorlage im Falle des Abs. 1 § 18 mit
dem Vorbehalte des Rechtes auf Verfolgung begnügt „dadurch
begründet ist, dass so die andere Partei und das Gericht
verlässlicher von einer beabsichtigten gegenseitigen Klage
rechtzeitig Kenntnis erlangen“.


Da der Absatz 1 § 18 von dem Rechte, die an
dere Partei wegen „einer anderen solchen Handlung“ zu ver
folgen, spricht, kann aus dem Gesetze das zweite formale
Erfordernis abgeleitet werden, dass durch den Vorbehalt des
Verfolgungsrechtes eine andere solche strafbare Handlung
genügend individualisiert werde / 3/ durch ihre angemessene
Bezeichnung, durch konkrete Tatsachen, Anführung des Ortes,
der Zeit, etc., insoferne dies dazu notwendig ist, dass die
Tatsache von anderen Tatsachen unterschieden werden kann.
/ Vgl. § 207, Abs. 2 Z. 2. St.P.O. /


Es besteht kein Zweifel, dass die zweck
mässige Art der Erhaltung des Verfolgungsrechtes wegen eines
anderen Deliktes die Feststellung dieses Vorbehaltes im Ge
richtsprotokolle sein wird, in welcher Beziehung die Parteien
Ihr Recht gemäss § 271 Abs. 1, letzter Satz St.P.O. geltend
machen können. Aber wenn dies auch nicht geschieht und wenn
es nicht zur schriftlichen Feststellung dieses Vorbehaltes
kommt, kann man aus dem Gesetze nicht ableiten, dass der Vor
behalt wirkungslos wäre, wenn er mündlich erfolgt ist. Nicht
nur, dass die Parteien verlangen können, dass das betreffende
Protokoll ergänzt werde / Miřička: Berichtigung des Protokolles über die Hauptverhandlung, Archiv der Rechts- und Staatswissenschaften 1903 S. 7 /, man kann ihnen auch nicht das Recht
absprechen, den Beweis darüber zu führen, dass ein solcher
Vorbehalt vor dem schriftlichen Vergleichsabschlusse münd
lich erfolgt ist. Die Berufung des Privatanklägers war da-
aus den Nichtigkeitsgründen des §§ 468 Z. 3, 281 Z. 9b St.P.O.,
war daher begründet und damit auch die Berufung aus den
Nichtigkeitsgründen gemäss §§ 468 Z. 2, 281 Z. 4. St.P.O.


Da bereits bei der nichtöffentlichen Vorberatung
die Notwendigkeit festgestellt wurde, die Hauptverhandlung
in erster Instanz zu wiederholen, wurde das angefochtene
Urteil gemäss § 470 Abs. 3 St.P.O. aufgehoben.


Entscheidung des Kreis-Strafgerichtes in Prag
als Berufungsgerichtes für Übertretungen vom 27. April 1935
G.Z. To IV 373/35.


Die Bestimmung des § 18 Abs. 1 des Gesetzes überden Schutz der Ehre betreffend das Erfordernis des Vorbehal
tes des Verfolgungsrechtes vor Vergleichsabschluss macht kei
nen Unterschied zwischen bereits anhängigen und solchen Fällen,
in welchen es bisher zur gerichtlichen Verfolgung nicht ge
kommen ist.


Der Privatkläger macht gegen das freisprechende
Urteil den im § 281 Z. 9 lit b St.P.O. angeführten Nichtigkeits
grund geltend, da das Prozessgericht das Gesetz durch den Aus-
spruch, dass Umstände vorliegen, derentwegen die Tat nicht
verfolgt werden kann, angeblich verletzt hat. So hat das
Gericht angeblich zu Unrecht den Angeklagten mit Berufung
auf die Bestimmung des § 18 Ges. 108/33 deswegen freigespro
chen, weil der Privatkläger mit ihm bereits in der Strafan
gelegenheit G.Z. Tk VI 311/35 des Kreis-Strafgerichtes inPrag einen Vergleich abgeschlossen hat, ohne sich das Recht
vorbehalten zu haben, den Angeklagten wegen des in dieser
Strafangelegenheit unter Anklage gestellten Artikels weiter
zu verfolgen. Der Privatkläger ist der Ansicht, dass es, wenn
jener Vergleich in der Sache G.Z. Tk VI 311/35 am 10. Mai 1935
abgeschlossen wurde und die Anklageschrift in dieser Sache
G.Z. Tk VI 1103/35 bereits am 28. März 1935 überreicht worden
war, dieses Vorbehaltes nicht bedurfte und dass ein solcher
Vorbehalt nur dort notwendig ist, wo bisher der Antrag auf
Strafverfolgung nicht überreicht wurde.


Das Berufungsgericht stimmt mit einer sol
chen Auslegung des § 18 Ges. über den Schutz der Ehre nicht
überein. Nach Ansicht des Berufungsgerichtes steht die zi
tierte Gesetzesstelle auf dem Standpunkte, dass alle Delikte
gegen die Ehre zwischen den Streitparteien durch den Ver
gleich gleichzeitig liquidiert sein sollen. Einzig diese
Auslegung entspricht auch dem Begriffe des Vergleiches,
welcher ein gegenseitiges Nachgeben eine Erneuerung des
gegenseitigen ruhigen Zusammenlebens bedeutet. Dieses ange
deutete Ziel könnte nicht erreicht werden, wenn der Vergleich
zwischen den Parteien nicht absolut wäre. Nur auf Grund des
ausdrücklichen Willens der Parteien könnte die Ausnahme ein
treten, dass irgendein den Parteien bereits bekannter Fall
separat liquidiert werden wird ohne Unterschied, ob es zur
Strafverfolgung bereits gekommen ist oder nicht. Denn es
hätte keinen Zweck und würde dem Gesetze widersprechen, wenn
ein Unterschied gemacht werden sollte zwischen bei Gericht
bereits anhängigen Fällen und solchen, in denen es zur Straf-
Verfolgung noch nicht gekommen ist und wollte man für die
ersteren den Vorbehalt nicht fordern, dagegen für die zweiten
den Vorbehalt verlangen. Die einzige Ausnahme, welche das
Gesetz für die Fälle statuiert, in welchen einer der Parteien
die strafbare Handlung oder die Person des Täters noch nicht
bekannt ist, kann auf andere Fälle nicht ausgedehnt werden,
insbesondere nicht zu Gunsten der Partei, welcher, da sie
selbst die Anregung zur Strafverfolgung gegeben hat, die Um
stände des gestörten Rechtszustandes bereits bekannt sind.
Eben von einer solchen Partei darf man umsomehr fordern,
dass sie sich das Verfolgungsrecht vorbehält, weil sie,
wenn sie sich schon zur Strafverfolgung entschlossen hat,
zu beurteilen vermag, ob es mit ihren Interessen vereinbar
ist, dass auch dieser Fall bei anderer Gelegenheit auf ein
mal liquidiert werde. Im Uebrigen hat auch die erwähnte Aus
nahme keinen anderen Sinn und Zweck, als durch die präventive
Einschränkung eines möglichen Entweichens bessere Voraus
setzungen für den Abschluss eines redlichen Vergleiches
zwischen den Gegnern zu schaffen. Daraus geht hervor, dass
die vom Berufungswerber angewendete Auslegung des Gesetzes
auch mi weder mit Rücksicht auf den Wortlaut des § 18 Ges.Nr. 103/33, noch mit Rücksicht auf dessen Tendenz richtig ist.
Die Erkenntnis über den Freispruch ist daher richtig und
die Berufung war abzuweisen.


Urteil des Obergerichtes in Prag, als Berufungs
gerichtes in Presseangelegenheiten vom 18. September 1935 G.Z.
Tko IVm 4/35.