Die Fackel als fascistische Hetzschrift?Karl Kraus verliert einen ProzeßDer Sozialdemokrat


Ich erhielt Ihren freundlichen Brief vom17. d.M., der sich wiederum mit meinem letzten Schreiben ge
kreuzt hat. Ich habe daher das zweite Berichtigungsschreiben
mit Widerruf des ersten heute an den verantwortlichen Redakteur des Sozialdemokrat zustellen lassen.


Was nun die Ehrenbeleidigungsklage gegen
Dr. Schwelb betrifft, wurde darüber auch in meinem letztenSchreiben berichtet. Ich glaube nicht, dass Dr. Schwelb an
den „SOZIALDEMOKRAT“ nur den Bericht erstattet hat, der auch
dem Pressbüro übergeben und von diesem an die anderen Blät
ter weitergeleitet wurde. Ich bin vielmehr überzeugt davon,
dass der im SOZIALDEMOKRAT erschienene Prozessbericht „KarlKraus verliert einen Prozess“ von Herrn Dr. Schwelb stammt
und dass er die Autorschaft nicht wird leugnen können.
Ich glaube also, dass die Ehrenbeleidigungsklage wegen dieses
Berichtes überreicht werden soll. Dass auch der offizielle
Bericht des Pressebüros anklagbar wäre, glaube ich nicht, zu
mindest wäre die Ueberreichung der Klage gegen die Redakteure
jener Blätter, die den Bericht abgedruckt haben, einigermassen
riskant. Ich befürchte, dass das Gericht in diesem Falle den
Strafausschliessungsgrund des § 6 Absatz 1 als gegeben anerken-
nen könnte und wüsste auch nicht, welcher Passus des Berichtes inkriminiert werden könnte. Die Behauptung, dass der
Sozialdemokrat“ in seinem Artikel vom 10.8.1934 den Stand
punkt kritisiert hat, welchen Herr K. zu den Februarereignissen
eingenommen hat und sein positives Verhältnis zum autoritativen
Regime in Oesterreich überhaupt, ferner dass sich Herr K. ins
besondere durch den Vorwurf beleidigt gefühlt hat, er habe sich
dem österreichischen Regime gleichgeschaltet, kann man wohl
schwerlich unter Anklage stellen. Denn der Bericht identifi
ziert sich ja nicht mit den Behauptungen des seinerzeit inkriminierten Artikels, sondern teilt nur mit, wegen welcher Behauptun
gen damals geklagt wurde. Deswegen muss ich doch wohl anneh
men, dass es geboten ist, nur den Prozessbericht im SOZIALDEMOKRAT
zu klagen, die Klage aber sowohl gegen Dr. Schwelb, als auch
gegen den verantwortlichen Redakteur zu überreichen. In die
sem Berichte handelt es sich wohl nicht um eine Reproduktion
des Inhaltes der Prozessakten, sondern um ein neues Urteil über
die Haltung des Herrn K. Auch hier werden sich sicherlich ge
nügend Schwierigkeiten ergeben, da der Senat des Dr. Tisek wenig
stens, wie wir wissen, eher geneigt ist, gegen, als für uns zu
entscheiden. Doch glaube ich, dass diese Schwierigkeiten leich
ter werden überwunden werden können, als wenn wir die Klage
wegen des vom Pressebüro mitgeteilten Berichtes überreichen
würden.


In der Angelegenheit der Nichtigkeitsbeschwerde
habe ich den Herren Kollegen Dr. Herrmann und Dr. Gallia bereits
vor einer Woche eine Abschrift des Urteiles und der Nichtig
keitsbeschwerde eingesendet. Da Sie, sehr geehrter Herr Doktor,
annehmen, dass der Artikel erst in der nächsten Nummer er
scheinen wird, werde ich die Kollegen ersuchen, das Erschei
nen dieses Artikels nicht abzuwarten, sondern jetzt schon
in der vorgesehenen Weise zu intervenieren.


Für die Einsendung der Abschrift des an Otto Bauergerichteten, köstlichen Briefes danke ich vielmals. Ich bitte,
an Herrn Kraus meine besten Grüsse zu bestellen und zeichne
in vorzüglichster Hochachtung und mit besten Grüssen an Sie


Ihr ergebener:
Dr. Turnovsky


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