Prozeß Karl Kraus – „Sozialdemokrat“ [16.4.1936]


Sehr geehrter Herr Doktor.


Ich erhielt Ihr frdl. Schreiben vom23. d.M. samt Entwurf der Ehrenbeleidigungsklage gegen Dr. Schwelb
und Dr. Strauss nebst den von Herrn K. gewünschten Abänderungen.
Ich retourniere Ihnen den Entwurf und werde die Klage nunmehr über
reichen. Die Beweisanträge möchte ich jedoch insoferne abändern,
als ich zu Punkt II nicht die FACKEL vom Juli 1934, sondern nur
die einschlägigen Stellen beantragen möchte. Ich befürchte, dass
das Gericht verlangen könnte, man möge die ganze Juli-Fackel in
beglaubigter Uebersetzung vorlegen, was ja natürlich ausge
schlossen ist.


Die Beschwerde an das Oberste Gericht
ist bereits abgegangen und dürfte heute in Brünn eingelangt sein.
Herr Dr. Gallia ist hievon bereits verständigt worden und wird in
tervenieren. Die Begründung der Aeusserung gegen die Beschwerde
in der Angelegenheit Dr. Meissner Dr. Sommer ist ganz ausgezeichnet
und wir haben unsere Schriftsätze verglichen, Dr. Meissner hat sei
nen Schriftsatz noch ergänzt, sodass selbst wenn seine Angelegen
heit früher zur Entscheidung gelangen sollte als unsere, diesbezüg
lich nichts zu befürchten ist.


Die Möglichkeit der Anklage wegen des durch das
Pressbüro veröffentlichten Prozessberichtes und zwar der Anklage
gegen das Pressbüro oder gegen Dr. Schwelb als Informator habe ich
nach allen Richtungen erwogen. Wenn man sich überlegt, wie schwer
es war, auch nur die Berichtigung dieses Berichtes zu verfassen,
dann wird man ermessen, um wieviel schwerer es ist, wegen dieses
Berichtes die Ehrenbeleidigungsklage mit Aussicht auf Erfolg zu
konzipieren. Ich möchte noch nicht dazu raten, in dieser Ange
legenheit die Presseklage zu überreichen, da es mir sehr unwahr
scheinlich erscheint, dass wir mit dieser Klage durchdringen, ob
wir nun Dr. Schwelb als Informator oder das Pressbüro als Verbrei
ter der Nachricht belangen. Die formelle Wahrheit der Nachricht
kann kaum bestritten werden und es würde den Angeklagten nicht
schwer fallen, den formellen Wahrheitsbeweis zu erbringen, trotzdem
es materiell unrichtig ist, dass der Freispruch wegen des erbrach
ten Wahrheitsbeweises erfolgt ist. Dies wird jedoch, wenn auch
dieser Anschein erweckt werden soll, in dem vom Pressbüro weiter
gegebenen Prozessberichte expressis verbis nicht behauptet.


Das Risiko erscheint mir zu gross, weswegen ich abermals empfehle,
diesen Bericht nicht zum Gegenstand einer Strafverfolgung zu machen.


In der Berichtigungsangelegenheit SOZIALDEMOKRAT
/ zweite Berichtigung mit Widerruf der ersten / werde ich wohl die
Weisung des Herrn K. betreffend die Ueberreichung des Antrages nach
§ 14 des Pressgesetzes bald erhalten.


Mit dem Ausdrucke der vorzüglichsten Hochachtung
und mit besten Grüssen an Herrn K. und Sie,


ergebener:
Dr. Turnovsky


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