Sehr geehrter Herr Doktor.
Mein im Briefe vom 8. d.M. geäusserter
Optimismus hat heute eine
starke Abkühlung erfahren. Wie mir
soeben Herr Dr. Sommer mitteilt, hat das Oberste Gericht bei
der gestrigen Verhandlung
nach dreistündiger Beratung die Ent
scheidung gefällt, dass der
Vorbehalt des § 18 des Ehrenschutzgesetzes auch dann
gemacht werden muss, wenn es sich nicht um
gegenseitige Beleidigungen,
resp. Klagen handelt und wenn in
einem früher anhängig
gemachten Verfahren die Strafverfolgung
fortgesetzt worden ist. Wie
mir Herr Dr. Sommer mitteilt, war die
mündliche Urteilsbegründung
nur bezüglich der Frage akzeptabel,
ob der Gesetzgeber wirklich
die Vorschrift des § 18 ausschliess
lich auf gegenseitige Klagen
angewendet wissen wollte. Völlig
unzutreffend und mangelhaft
soll jedoch die Urteilsbegründung
bezüglich der anderen Fragen
gewesen sein, insbesondere, ob und
inwiefern die Anwendbarkeit
des § 18 gegeben ist, wenn es sich
um die Strafverfolgung wegen
Uebertretung der pflichtgemässen
Sorgfalt des
verantwortlichen Redakteurs handelt, ferner dass
es des Vorbehaltes auch
bedarf, wenn man ein bereits anhängiges
Strafverfahren fortsetzen
will.
Damit ist wohl das Schicksal
auch unseres
Prozesses
besiegelt. Die Hoffnung, dass die Sache vor einen
Plenissimarsenat kommt, ist
minimal. Es bleibt also nur noch
die Entscheidung über den
Kostenrekurs, die hoffentlich zu
unseren Gunsten ausfallen
wird. Ich bin auf die schriftliche
Urteilsausfertigung sehr
neugierig und über diesen Ausgang
sehr betrübt.
Mit besten Grüssen und in
vorzüglicher
Hochachtung
Ihr ergebener:
Dr. Turnovsky