Sehr geehrter Herr Doktor.
In der obigen Angelegenheit
wurde, wie
Sie wissen, die
Presseklage überreicht und da zur
Vergleichs
tagfahrt niemand erschienen ist, habe ich die Anklageschrift
vorgelegt.
Heute erhielt ich von der
Advokatenkammer eine Disziplinaranzeige des Herrn Dr. Egon Schwelb,
zu der
ich mich innerhalb
einer 8 tägigen Frist zu äussern habe.
Dr. Schwelb beklagt sich darüber, dass die allgemeinen
Interes
sen
des Advokatenstandes durch das Vorgehen des Herrn Kommer
zialrates Josef Kraus
und durch mein Vorgehen verletzt worden
sind und ersucht die Advokatenkammer, ihn in seiner Abwehr
gegen dieses Vorgehen,
welches an die Grundrechte der Advoka
tur und der freien
Verteidigung rührt, zu unterstützen. Er
führt aus, dass er Herrn Dr.
Emil
Strauss im Pressprozesse gegen
Herrn Karl Kraus
verteidigt hat und dass am 15.4.1936 bei der
Hauptverhandlung sein Mandant
freigesprochen und der Privatankläger zum
Kostenersatze verurteilt wurde. Dieser hat gegen
das Urteil die
Nichtigkeitsbeschwerde angemeldet und ausgeführt.
Eine Entscheidung ist bisher
nicht herabgelangt. Ueber die
Hauptverhandlung und über das bei ihr gefällte freisprechende
Urteil erschien in der
Zeitung SOZIALDEMOKRAT vom 16.4.1936
ein Bericht, der vom Beschwerdeführer vorgelegt wird.
Wegen des Inhaltes dieses
Berichtes überreichte Herr KarlKraus, vertreten
durch mich, eine neue Presseklage und zwar
nicht nur gegen den verantwortlichen
Redakteur der Zeitung,
sondern auch gegen dessen Anwalt als angeblichen Autor des
Gerichtssaalberichtes. Herr Josef Kraus
ist als Bruder des
verstorbenen Privatanklägers in den Prozess eingetreten.
In der Anklageschrift heisst es wörtlich:
„Der Angeklagte ad 1. ist nicht nur der
Informator der Zei
tung SOZIALDEMOKRAT, sondern auch der Autor des inkriminiertenArtikels, was zweifellos aus der Tatsache hervorgeht, dass
bei der am 15.4.1936
abgehaltenen Hauptverhandlung, über wel
che in dem inkriminierten Zeitungsberichte
referiert wird,
ausser
den Richtern, dem Privatkläger, dem Angeklagten und dem
Vertreter des
Privatklägers niemand im Verhandlungsaal an
wesend war, sodass der
Artikel nur vom Angeklagten ad 1/ her
rühren kann. Der Angeklagte
ad 2/ ist nicht nur verantwort
licher Redakteur der
Zeitung SOZIALDEMOKRAT, sondern auch
ein
führender
Funktionär der Partei, deren Hauptorgan diese Zei
tung ist, sowie ein
massgebender Mitarbeiter und Mitglied
der Redaktion dieses
Hauptorganes der deutschen sozialdemo
kratischen Partei. Der
diesbezügliche, von seinem Genossen
und Verteidiger, d.i.
vom Angeklagten ad 1./ verfasste Bericht
hat die Sache des Angeklagten ad 2/ betroffen, sodass es keinem
Zweifel unterliegen
kann, dass der inkriminierte
Artikel mit
Wissen und mit Einwilligung des Angeklagten ad 2/ veröffent
licht wurde und dass
diesem, ebenso wie den anderen Angeklag
ten die Unwahrheit der
im inkriminierten Artikel
angeführten
Tatsachen
bekannt sein musste.“
Der Privatkläger
glaubt also berechtigt zu
sein, einen Anwalt deswegen wegen des
Vergehens der Ehrende
leidigung, Nachrede und
Verleumdung in Anklagezustand zu ver
setzen, weil dieser dem Zeitungsunternehmen, welches er ver
tritt,
pflichtgemäss den Bericht über das Ergebnis einer
Hauptverhandlung erstattet
hat und weil in der Zeitung dann
ein Gerichtsaalbericht erschien, in welchem das
Resultat der
Verhandlung
dargestellt war, von welchem die Redaktion des
„Sozialdemokrat“ nur durch den Verteidiger erfahren haben
kann. Oder mit anderen
Worten: „Nach
Auffassung des Privatanklä
gers Josef
Kraus und seines Anwaltes ist der Advokat straf
rechtlich dafür
verantwortlich, wenn er seinem Klienten oder
dem Unternehmen seines
Klienten einen Bericht über einen Pro
zess erstattet und eine
dritte Person u.a. diesen Bericht zu
einer Nachricht in einer
Zeitung verarbeitet.“
Ich gebe Ihnen den Inhalt
dieser Eingabe des
wegen bekannt, weil Sie mir ein Kuriosum zu sein scheint und
weil in ihr von Herrn Kommerzialrat
Kraus die Rede ist, gegen
welchen die Advokatenkammer allerdings nichts unternehmen kann
und der mit der Sache
eigentlich garnichts zu tun hat. Die Ein
gabe, auf welche ich in
einer Aeusserung reagieren werde, deren
Durchschlag ich Ihnen einsenden werde, ist nicht als Diszipli-
naranzeige bezeichnet,
sondern als eine Bitte um Unterstützung
der Advokatenkammer als Standesvertretung in
Angelegenheit
eines gegen
einen Anwalt in seiner Eigenschaft als
Advokat
anhängig
gemachten Strafverfahrens.
Nebenbei bemerkt, soll Dr. Schwelb gegen die
Anklageschrift den Einspruch an das Obergericht überreicht
haben.
Ich freue mich, Gelegenheit
zu haben, die
Advokatenkammer darauf aufmerksam machen zu
können, in welchem
Masse Dr. Schwelb seine Befugnisse als Anwalt des Dr. Strauss
überschritten hat, indem er
die Ehre des Herrn Karl Kraus an
gegriffen hat und deswegen
zu einer Freiheitstrafe verurteilt
werden musste.
Indem ich Ihnen, sehr
geehrter Herr Doktor,
die besten Neujahrswünsche
und Grüsse sende, zeichne ich
mit dem Ausdrucke
vorzüglicher Hochachtung
Ihr
ergebener:
Dr. Turnovsky