Die Fackel als fascistische Hetzschrift?Karl Kraus verliert einen ProzeßDer Sozialdemokrat, 16.4.1936Die Fackel


An den löblichen


Ausschuss
der Advokatenkammer für Böhmen


in Prag.


In Erledigung der mir am 28.XII.1936
zugestellten Aufforderung G.Z. A 612 / 36 VI 11 / 224K/B retourniere
ich die Eingabe des Herrn Dr. Egon Schwelb vom 19.XII.
1936 und erstatte folgende


Aeusserung:


Herr Dr. Egon Schwelb ist, wie dem löb
lichen Ausschusse der Advokatenkammer bekannt sein dürfte,
nicht nur Advokat, sondern auch Politiker, nämlich Funktionär
der deutschen sozialdemokratischen Partei, war oder ist
noch Stadtverordneter und Vertreter dieser Partei in ver
schiedenen Korporationen. Er vertritt die deutsche sozialdemokratische Partei auch als Advokat und hat in verschie
denen Pressprozessen, insbesondere in dem vor dem Schöffen
gerichte des Kreis-Strafgerichtes in Prag sub G.Z. Tk VI
8789/34 anhängigen Pressprozesse seinen Parteigenossen,
Herrn Dr. Emil Strauss, verteidigt. Dieser war von dem
nunmehr verstorbenen Schriftsteller und Dichter Karl Kraus,
Herausgeber der Zeitschrift „Die Fackel“ in Wien, als ver
antwortlicher Redakteur der Tageszeitung „Sozialdemokrat
wegen eines am 10.8.1934 unter dem Titel: „Die Fackel alsfaszistische Hetzschrift“ in dieser Zeitung veröffentlich-
ten Artikels nach § 1 bis 3 des Ehrenschutzgesetzes unter
Anklage gestellt worden. Herr Dr. Egon Schwelb hat in die
sem Prozesse die Verteidigung des Angeklagten in einer
Weise geführt, die erkennen liess, dass er sich mit dem
Angeklagten, resp. mit dem Autor des inkriminierten Artikels, identifiziert. Er hat behauptet, den Wahrheits
beweis antreten zu wollen und zu diesem Zwecke eine Un
zahl von Anträgen gestellt, die zur Folge hatten, dass
über eine bereits am 11.9.1934 überreichte Strafanzeige
bis heute, also nach mehr als zwei Jahren, noch keine
rechtskräftige meritorische Entscheidung vorliegt.


Bei der am 15.4.1936 abgehaltenen Haupt
verhandlung hat Herr Dr. Egon Schwelb eingewendet, der
Privatkläger habe sein Verfolgungsrecht eingebüsst, weil
er in einem anderen, später anhängig gemachten, Press
prozesse die Ehrenerklärung desselben Angeklagten, Herrn
Dr. Emil Strauss, akzeptiert habe, ohne sich die Weiter
verfolgung des Angeklagten in dem ersten Prozesse vor
zubehalten. Das Gericht hat dieser Einwendung stattgege
ben und aus diesem rein formalen Grunde den Angeklagten,
Herrn Dr. Emil Strauss, unter Berufung auf den § 18 desEhrenschutzgesetzes freigesprochen. Während der Verhand
lung und bei der Urteilsverkündigung war im Verhandlungs
saale ausser dem Privatkläger, den Richtern, dem Verteidi
ger, Herrn Dr. Schwelb, mir und dem Gerichtsdiener, niemand
anwesend. Die Presse konnte von dem aus rein formalen
Gründen erfolgten Freispruche also lediglich durch Herrn
Dr. Schwelb oder durch jene Personen erfahren haben, deren
Informator Herr Dr. Schwelb gewesen ist. Trotzdem erfolgte
etwas Ungewöhnliches, nämlich, dass das tschechoslowakische Pressbüro, also eine offiziöse Institution, über den
Prozess und den Freispruch berichtete, nämlich an die Ta
gespresse Berichte in einer Form und mit einem Inhalte
herausgegeben hat, aus welchem geschlossen werden musste,
Herr Dr. Emil Strauss sei nach durchgeführtem und erbrach
tem Wahrheitsbeweise freigesprochen worden. Es ist wohl
mehr als wahrscheinlich, dass Herr Dr. Schwelb seine poli
tische Stellung und seine politischen Beziehungen dazu
benützt hat, um diese Publikation des offiziösen tschechoslowakischen Pressbüros, welches sonst keine Gerichtsaal
berichte erstattet, zu erwirken und es kann insbesondere
keinem Zweifel unterliegen, dass der Prozessbericht, der
am 16.IV.1936 in der Zeitung „Sozialdemokrat“ erschienen
ist, von Herrn Dr. Egon Schwelb herrührt. Dies kann und
muss daraus geschlossen werden, dass dieser Bericht in
einer Form abgefasst ist, die, juristisch einwandfrei,
trotz einer den Tatbestand nicht richtig reproduzierenden
Darstellung dem Privatkläger keine Möglichkeit zu einer
Pressberichtigung geboten hat. Wiewohl der Freispruch des
Angeklagten lediglich aus dem rein formalen Grunde des
§ 18 erfolgt ist und das Gericht über das Meritum des Pro
zesses keinerlei Entscheidung gefällt hat, wird in dem
Prozessberichte behauptet, der Angeklagte habe für die Be
hauptungen des inkriminierten Artikels in gründlicher Wei
se den Wahrheitsbeweis angetreten, fast alle Beweise seien
vom Gerichte zugelassen und durchgeführt worden, der Verteidiger habe bei der Hauptverhandlung insbesondere die
Anträge auf Durchführung des Wahrheitsbeweises wiederholt.
Dann habe der Verteidiger, Herr Dr. Schwelb, noch darauf auf-
merksam gemacht, dass sich der Kläger bei Erledigung eines
anderen zwischen den Parteien anhängig gewesenen Prozesses
die weitere Verfolgung der gegenständlichen Rechtssache
überhaupt nicht vorbehalten habe, was nach dem Gesetze
den Verlust des Klagerechtes zur Folge habe. Das Gericht
habe dann nach längerer Beratung das Urteil verkündet, mit
welchem Genosse Dr. Strauss von der gegen ihn erhobenen
Anklage vollinhaltlich freigesprochen, der Privatankläger
Karl Kraus, der bei der Verhandlung persönlich anwesend
war, zum Ersatze der Kosten des Strafverfahrens und der
rechtsfreundlichen Vertretung des Beklagten verurteilt
worden sei. In der Urteilsbegründung habe sich das Gericht den Ausführungen des Verteidigers über den Verlust
des Klagerechtes des Privatanklägers vollinhaltlich ange
schlossen.


Diesen Bericht kann nur jemand verfasst
haben, der über den gegenständlichen Prozess genau infor
miert war und über genügend juristische Schulung verfügt,
um über den Fall eine Darstellung zu geben, der man mit
einer Berichtigung nach § 11 des Pressgesetzes nicht bei
kommen kann, trotzdem der Bericht nur formell der Wahr
heit entspricht, in materieller Beziehung jedoch den Tat
bestand entstellt. Es ist das Bestreben des Berichterstatters erkennbar, den Anschein zu erwecken, dass der Frei
spruch des verantwortlichen Redakteurs und zwar ein
„vollinhaltlicher“ Freispruch nach einem durchgeführten
Wahrheitsbeweis erfolgt sei, während in Wirklichkeit der
Angeklagte aus dem Wahrheitsbeweis, den er durch zwei
Jahre zu führen versprach und gross ankündigte, geflohen
ist und es vorzog, die Hilfe des rein formalen § 18 desEhrenschutzgesetzes in Anspruch zu nehmen.


Dass der Verteidiger allein als Autor dieses
als Prozessbericht aufgemachten Artikels in Betracht kommt,
musste ferner aus dem Umstande geschlossen werden, dass es
sich Herr Dr. Schwelb, der sich in seiner Eingabe auf die An
waltsimmunität beruft, als Verteidiger des Herrn Dr. EmilStrauss in dem erwähnten Pressprozesse nicht versagt hat,
die Ehre des Privatanklägers, eines Schriftstellers und
Dichters von internationaler Bedeutung, persönlich anzu
greifen. Dies geschah anlässlich einer Hauptverhandlung
am 27.XI.1935, bei welcher sich Herr Dr. Schwelb über den
Privatankläger mir gegenüber in folgender Weise äusserte:
„Ich spreche jetzt nicht vom Prozesse und Sie müssen ja
Herrn Kraus von dem, was ich jetzt sage, keine Mitteilung
machen. Ich finde, dass das Verhalten des Herrn Kraus die
grösste Lumperei der Weltgeschichte ist. Diesen Prozess
wird auch die Weltgeschichte entscheiden.“ Auf die Frage:
„Was wollen Sie damit sagen? Soll dies etwa heissen, dass
die Sozialdemokraten ein Attentat auf Herrn Kraus vorhaben?“
antwortete Herr Dr. Schwelb: „Das nicht, das ist er nicht
wert, höchstens ein Paar Ohrfeigen.“ Wegen dieser Beleidi
gung des Privatklägers musste gegen Herrn Dr. Schwelb die
Ehrenbeleidigungsklage überreicht werden und er wurde auch
mit Urteil des Strafbezirksgerichtes in Prag vom 26.3.1936
G.Z. T X 46/36 wegen Uebertretung des § 2 des Gesetzes Nr. 108ex 1933 unter Anwendung der §§ 260 Zahl 5, 389 und 393 St.P.O.
zu einer Arreststrafe von 3 Tagen, verschärft durch einen
Fasttag, bedingt mit einer einjährigen Bewährungsfrist, und
zum Ersatze der Kosten der Rechtsvertretung per 150 Kč ver
urteilt.


Wenn Herr Dr. Schwelb also in seiner Funktion
als Verteidiger eines Parteigenossen und Redaktionskollegen
so weit gegangen ist, die Ehre des Prozessgegners seines
Kameraden und Klienten in einer Weise zu verletzten, die
seine Verurteilung zu einer Freiheitstrafe zur Folge hatte,
so kann er sicherlich nicht darüber Beschwerde führen, dass
ihn dieser von ihm beleidigte Privatankläger wegen des In
haltes eines Artikels belangt, in welchem ein tendenziös
verfärbter Prozessbericht erstattet wurde und in dem neue
Beleidigungen des Privatanklägers enthalten sind. Es wird
nämlich neuerlich behauptet, Karl Kraus habe in seiner
Zeitschrift „Die Fackel“ eindeutig und offen für die Re
gierung der Herren Dollfuss und Starhemberg und gegen das
österreichische Proletariat und seine heldenhaften Schutz
bündler Stellung genommen. Diese Behauptung wurde in dem
als Prozessbericht aufgemachten Artikel in voller Kenntnis
der Tatsache aufgestellt, dass Karl Kraus niemals, also
auch nicht in der im Juli 1934 erschienenen „Fackel“, auf
welche der Bericht hinweist, gegen das österreichische Pro
letariat und seine Schutzbündler, sondern immer, insbesondere
auch damals, für das Proletariat und die Schutzbündler als
Opfer ihrer Führer Stellung genommen hat.


Es war Herrn Dr. Egon Schwelb, dem Autor oder
Informator des Autors des Artikels, als langjährigem Prozessgegner des
Herrn Karl Kraus, Kenner und ehemaligem Bewunderer seiner
Schriften, selbstverständlich bekannt, dass dieser neben
zahlreichen anderen Stellen gleichen Inhaltes in der imJuli 1934 erschienenen „Fackel“ auf Seite 236 Folgendes
geschrieben hat: „Ehre dem Andenken jedes dieser ärmsten
Todesmutigen, die das hohle Wort des Demagogen getrieben
hatte, als sie ‚die Demokratie verteidigten‘, und deren
Tragik eben darin besteht, die Phraseninhalte gar nicht
gekannt oder ihnen mehr geglaubt zu haben als die, die sie
ermassen.“


Eben zum Zwecke der Wahrung der Würde und
des Ansehens des Anwaltstandes halte ich es für dringend not
wendig, dass ein Anwalt für seine Handlungen voll einsteht
und sich nicht hinter der Anwaltsimmunität dort deckt, wo
er selbst die Grenze zwischen Anwaltspflicht und politisch
publizistischer Tätigkeit verwischt hat und wo er persön
lich in einer Weise aufgetreten ist, die seine strafrecht
liche Verfolgung und Verurteilung zur Folge hatte. Es er
schiene mir eines Anwaltes nicht würdig, seine Autorschaft
zu verleugnen, wenn es sich um einen Artikel handelt, der
von niemandem anderen herrühren kann, als dem Anwalte, oder
der zumindest auf den Informationen dieses Anwaltes beruht.
Wenn das Gesetz die strafrechtliche Verantwortlichkeit des
Autors, ebenso wie des Informators eines beleidigenden Arti
kels statuiert, dann kann nicht behauptet werden, dass in
diesem Falle die Ueberreichung der Privatanklage gegen Herrn
Dr. Egon Schwelb an die Grundrechte der Advokatur und der
freien Verteidigung rührt.


Viel mehr Grund hätte sicherlich der Privatkläger und sein
Anwalt gehabt, die Advokatenkammer über das Verhalten des
Herrn Dr. Schwelb zu informieren, der in einer Weise aufge
treten ist, die nicht nur in strafrechtlicher Hinsicht un
zulässig, sondern auch aus Standesrücksichten höchst bedenk
lich war. Sie haben es unterlassen, die Advokatenkammer von
der erfolgten Verurteilung des Herrn Dr. Schwelb zu einer
Freiheitsstrafe zu verständigen, da der Privatkläger durch
das Urteil Genugtuung erhalten hat und weil sie vorausge-
setzt haben, dass Herr Dr. Schwelb in Zukunft die ihm durch die
Berufsobliegenheiten gesetzten Grenzen nicht überschreiten
wird. Da er jedoch der Autorschaft eines neuen, die Ehre des
nunmehr verstorbenen grossen Schriftstellers und Dichters,
Karl Kraus, verletzenden Artikels nicht nur verdächtig, son
dern überführt erscheint, musste die Konsequenz gezogen und
die Klage gegen Herrn Dr. Schwelb überreicht werden.


Der Vollständigkeit halber bemerke ich noch,
dass Herr Kommerzialrat Josef Kraus lediglich als Bruder des
verstorbenen Privatanklägers, Herrn Karl Kraus, um die Ein
stellung des Strafverfahrens zu verhindern und seinem Bruder
wenigstens nach dem Tode Genugtuung zu verschaffen, in den
Prozess eingetreten, dass jedoch die Strafanzeige gegen Herrn
Dr. Egon Schwelb und Herrn Dr. Emil Strauss von mir auf Grund
der mir vom Verstorbenen erteilten Weisung noch zu dessen
Lebzeiten, d.i. am 4.VI.1936, überreicht worden ist.


PRAG, am 30. Dezember 1936.