An den löblichen
Ausschuss
der Advokatenkammer für Böhmen
in Prag.
In Erledigung der mir am
28.XII.1936
zugestellten
Aufforderung G.Z. A 612 / 36 VI 11 / 224K/B retourniere
ich die Eingabe des Herrn
Dr. Egon
Schwelb vom 19.XII.
1936 und erstatte folgende
Aeusserung:
Herr Dr. Egon Schwelb
ist, wie dem löb
lichen Ausschusse der Advokatenkammer
bekannt sein dürfte,
nicht
nur Advokat, sondern auch Politiker, nämlich Funktionär
der deutschen sozialdemokratischen Partei, war oder ist
noch Stadtverordneter und
Vertreter dieser Partei in ver
schiedenen
Korporationen. Er vertritt die deutsche
sozialdemokratische Partei auch als Advokat und hat in verschie
denen Pressprozessen,
insbesondere in dem vor dem Schöffen
gerichte des Kreis-Strafgerichtes in Prag sub G.Z. Tk
VI
8789/34 anhängigen
Pressprozesse seinen Parteigenossen,
Herrn Dr. Emil Strauss,
verteidigt. Dieser war von dem
nunmehr verstorbenen Schriftsteller und Dichter Karl Kraus,
Herausgeber der Zeitschrift
„Die Fackel“ in Wien, als ver
antwortlicher Redakteur der
Tageszeitung „Sozialdemokrat“
wegen eines am 10.8.1934
unter dem Titel: „Die Fackel alsfaszistische
Hetzschrift“ in dieser Zeitung veröffentlich-
ten Artikels nach § 1 bis 3 des
Ehrenschutzgesetzes unter
Anklage gestellt worden. Herr Dr. Egon Schwelb
hat in die
sem
Prozesse die Verteidigung des Angeklagten in einer
Weise geführt, die erkennen
liess, dass er sich mit dem
Angeklagten, resp. mit dem Autor des inkriminierten Artikels,
identifiziert. Er hat behauptet, den Wahrheits
beweis antreten zu wollen
und zu diesem Zwecke eine Un
zahl von Anträgen gestellt,
die zur Folge hatten, dass
über eine bereits am 11.9.1934 überreichte Strafanzeige
bis
heute, also nach mehr als zwei Jahren, noch keine
rechtskräftige meritorische
Entscheidung vorliegt.
Bei der am 15.4.1936
abgehaltenen Haupt
verhandlung hat Herr Dr. Egon Schwelb eingewendet, der
Privatkläger habe sein Verfolgungsrecht eingebüsst, weil
er in einem anderen, später
anhängig gemachten, Press
prozesse die Ehrenerklärung
desselben Angeklagten, Herrn
Dr. Emil
Strauss, akzeptiert habe, ohne sich die Weiter
verfolgung des Angeklagten in
dem ersten Prozesse vor
zubehalten. Das Gericht hat dieser Einwendung stattgege
ben und aus
diesem rein formalen Grunde den Angeklagten,
Herrn Dr. Emil Strauss,
unter Berufung auf den § 18 desEhrenschutzgesetzes
freigesprochen. Während der Verhand
lung und bei der
Urteilsverkündigung war im Verhandlungs
saale ausser dem Privatkläger, den Richtern, dem Verteidi
ger, Herrn Dr. Schwelb, mir und dem Gerichtsdiener, niemand
anwesend. Die Presse konnte
von dem aus rein formalen
Gründen erfolgten Freispruche also lediglich durch Herrn
Dr. Schwelb oder durch jene Personen erfahren haben, deren
Informator Herr Dr. Schwelb gewesen ist. Trotzdem erfolgte
etwas Ungewöhnliches,
nämlich, dass das tschechoslowakische Pressbüro,
also eine offiziöse Institution, über den
Prozess und den Freispruch
berichtete, nämlich an die Ta
gespresse Berichte in einer
Form und mit einem Inhalte
herausgegeben hat, aus welchem geschlossen werden musste,
Herr Dr. Emil Strauss
sei nach durchgeführtem und erbrach
tem Wahrheitsbeweise
freigesprochen worden. Es ist wohl
mehr als wahrscheinlich,
dass Herr Dr. Schwelb seine poli
tische Stellung und seine
politischen Beziehungen dazu
benützt hat, um diese Publikation des offiziösen tschechoslowakischen
Pressbüros, welches sonst keine Gerichtsaal
berichte erstattet, zu
erwirken und es kann insbesondere
keinem Zweifel unterliegen,
dass der Prozessbericht, der
am 16.IV.1936 in der Zeitung
„Sozialdemokrat“ erschienen
ist, von Herrn Dr. Egon Schwelb
herrührt. Dies kann und
muss
daraus geschlossen werden, dass dieser Bericht in
einer
Form abgefasst ist, die, juristisch einwandfrei,
trotz einer den Tatbestand
nicht richtig reproduzierenden
Darstellung dem Privatkläger keine Möglichkeit
zu einer
Pressberichtigung
geboten hat. Wiewohl der Freispruch des
Angeklagten
lediglich aus dem rein formalen Grunde des
§
18 erfolgt ist und das Gericht
über das Meritum des Pro
zesses keinerlei
Entscheidung gefällt hat, wird in dem
Prozessberichte behauptet,
der Angeklagte
habe für die Be
hauptungen des inkriminierten
Artikels in gründlicher Wei
se den Wahrheitsbeweis
angetreten, fast alle Beweise seien
vom Gerichte zugelassen und durchgeführt worden, der Verteidiger habe bei
der Hauptverhandlung insbesondere die
Anträge auf Durchführung des
Wahrheitsbeweises wiederholt.
Dann habe der Verteidiger, Herr Dr. Schwelb,
noch darauf auf-
merksam gemacht, dass sich
der Kläger bei Erledigung eines
anderen zwischen den
Parteien anhängig gewesenen Prozesses
die weitere Verfolgung der
gegenständlichen Rechtssache
überhaupt nicht vorbehalten habe, was nach dem Gesetze
den Verlust des Klagerechtes
zur Folge habe. Das Gericht
habe dann nach längerer
Beratung das Urteil verkündet, mit
welchem Genosse Dr. Strauss
von der gegen ihn erhobenen
Anklage vollinhaltlich freigesprochen, der Privatankläger
Karl Kraus,
der bei der Verhandlung persönlich anwesend
war, zum Ersatze der Kosten
des Strafverfahrens und der
rechtsfreundlichen Vertretung des Beklagten
verurteilt
worden sei. In
der Urteilsbegründung habe sich das Gericht den
Ausführungen des Verteidigers über den Verlust
des Klagerechtes des Privatanklägers vollinhaltlich ange
schlossen.
Diesen Bericht kann nur jemand verfasst
haben, der über den
gegenständlichen Prozess genau infor
miert war und über genügend
juristische Schulung verfügt,
um über den Fall eine Darstellung zu geben, der man mit
einer Berichtigung nach § 11 des Pressgesetzes nicht bei
kommen kann, trotzdem der
Bericht nur formell der Wahr
heit entspricht,
in materieller Beziehung jedoch den Tat
bestand entstellt. Es ist
das Bestreben des Berichterstatters erkennbar, den
Anschein zu erwecken, dass der Frei
spruch des verantwortlichen
Redakteurs und zwar ein
„vollinhaltlicher“
Freispruch nach einem durchgeführten
Wahrheitsbeweis erfolgt sei,
während in Wirklichkeit der
Angeklagte aus dem Wahrheitsbeweis, den er durch zwei
Jahre zu führen versprach
und gross ankündigte, geflohen
ist und es vorzog, die Hilfe des rein formalen § 18 desEhrenschutzgesetzes
in Anspruch zu nehmen.
Dass der Verteidiger allein als Autor dieses
als Prozessbericht aufgemachten Artikels in Betracht
kommt,
musste ferner aus
dem Umstande geschlossen werden, dass es
sich Herr Dr. Schwelb, der sich in seiner Eingabe auf die An
waltsimmunität
beruft, als Verteidiger des Herrn Dr. EmilStrauss in dem
erwähnten Pressprozesse nicht versagt hat,
die Ehre des Privatanklägers, eines Schriftstellers und
Dichters von internationaler
Bedeutung, persönlich anzu
greifen. Dies geschah
anlässlich einer Hauptverhandlung
am 27.XI.1935, bei welcher
sich Herr Dr. Schwelb über den
Privatankläger mir gegenüber
in folgender Weise äusserte:
„Ich spreche jetzt nicht vom Prozesse und Sie
müssen ja
Herrn Kraus von dem, was ich jetzt sage,
keine Mitteilung
machen.
Ich finde, dass das Verhalten des Herrn
Kraus die
grösste Lumperei der Weltgeschichte ist. Diesen Prozess
wird auch die
Weltgeschichte entscheiden.“ Auf die Frage:
„Was wollen Sie damit sagen? Soll dies etwa heissen, dass
die Sozialdemokraten ein
Attentat auf Herrn Kraus vorhaben?“
antwortete Herr Dr. Schwelb: „Das
nicht, das ist er nicht
wert, höchstens ein Paar Ohrfeigen.“ Wegen dieser Beleidi
gung des Privatklägers musste gegen Herrn Dr. Schwelb die
Ehrenbeleidigungsklage überreicht werden und er wurde
auch
mit Urteil des Strafbezirksgerichtes in Prag vom 26.3.1936
G.Z. T X 46/36 wegen
Uebertretung des § 2 des Gesetzes Nr. 108ex 1933 unter
Anwendung der §§ 260 Zahl 5, 389 und 393 St.P.O.
zu einer Arreststrafe von 3
Tagen, verschärft durch einen
Fasttag, bedingt mit einer einjährigen Bewährungsfrist, und
zum Ersatze der Kosten der
Rechtsvertretung per 150 Kč ver
urteilt.
Wenn Herr Dr. Schwelb also in seiner Funktion
als Verteidiger eines
Parteigenossen
und Redaktionskollegen
so weit gegangen ist, die
Ehre des Prozessgegners seines
Kameraden und
Klienten in einer Weise zu verletzten, die
seine Verurteilung zu einer
Freiheitstrafe zur Folge hatte,
so kann er sicherlich nicht
darüber Beschwerde führen, dass
ihn dieser von ihm
beleidigte Privatankläger wegen des In
haltes eines Artikels
belangt, in welchem ein tendenziös
verfärbter Prozessbericht
erstattet wurde und in dem neue
Beleidigungen des
Privatanklägers enthalten sind. Es wird
nämlich neuerlich behauptet,
Karl Kraus
habe in seiner
Zeitschrift
„Die Fackel“ eindeutig und offen
für die Re
gierung
der Herren Dollfuss und Starhemberg und gegen das
österreichische Proletariat
und seine heldenhaften Schutz
bündler Stellung genommen.
Diese Behauptung wurde in dem
als Prozessbericht aufgemachten
Artikel in voller Kenntnis
der Tatsache aufgestellt,
dass Karl
Kraus niemals, also
auch nicht in der im Juli 1934 erschienenen „Fackel“, auf
welche der Bericht hinweist,
gegen das österreichische Pro
letariat und seine
Schutzbündler, sondern immer, insbesondere
auch damals, für das Proletariat und die Schutzbündler als
Opfer ihrer Führer Stellung
genommen hat.
Es war Herrn Dr. Egon Schwelb,
dem Autor oder
Informator des
Autors des
Artikels, als langjährigem
Prozessgegner des
Herrn Karl Kraus,
Kenner und ehemaligem Bewunderer seiner
Schriften,
selbstverständlich bekannt, dass dieser neben
zahlreichen anderen Stellen
gleichen Inhaltes in der imJuli
1934 erschienenen „Fackel“ auf Seite 236 Folgendes
geschrieben hat: „Ehre dem Andenken jedes dieser
ärmsten
Todesmutigen,
die das hohle Wort des Demagogen getrieben
hatte, als sie ‚die
Demokratie verteidigten‘, und deren
Tragik eben darin besteht, die
Phraseninhalte gar nicht
gekannt oder ihnen mehr geglaubt zu haben als die, die sie
ermassen.“
Eben zum Zwecke der Wahrung
der Würde und
des Ansehens
des Anwaltstandes halte ich es für dringend not
wendig, dass ein Anwalt für
seine Handlungen voll einsteht
und sich nicht hinter der Anwaltsimmunität dort deckt, wo
er selbst die Grenze
zwischen Anwaltspflicht und politisch
publizistischer Tätigkeit
verwischt hat und wo er persön
lich in einer Weise
aufgetreten ist, die seine strafrecht
liche Verfolgung und
Verurteilung zur Folge hatte. Es er
schiene mir eines Anwaltes
nicht würdig, seine Autorschaft
zu verleugnen, wenn es sich
um einen Artikel handelt, der
von niemandem anderen herrühren kann, als dem Anwalte, oder
der zumindest auf den
Informationen dieses Anwaltes beruht.
Wenn das Gesetz die
strafrechtliche Verantwortlichkeit des
Autors, ebenso wie des
Informators eines beleidigenden Arti
kels statuiert, dann kann
nicht behauptet werden, dass in
diesem Falle die
Ueberreichung der Privatanklage gegen Herrn
Dr. Egon Schwelb
an die Grundrechte der Advokatur und der
freien Verteidigung rührt.
Viel mehr Grund hätte
sicherlich der Privatkläger und sein
Anwalt gehabt, die Advokatenkammer über das Verhalten des
Herrn Dr. Schwelb zu informieren, der in einer Weise aufge
treten ist, die
nicht nur in strafrechtlicher Hinsicht un
zulässig, sondern auch aus
Standesrücksichten höchst bedenk
lich war. Sie haben es
unterlassen, die Advokatenkammer von
der erfolgten Verurteilung
des Herrn Dr. Schwelb zu einer
Freiheitsstrafe zu
verständigen, da der Privatkläger durch
das Urteil Genugtuung
erhalten hat und weil sie vorausge-
setzt haben, dass Herr Dr. Schwelb in Zukunft die ihm durch die
Berufsobliegenheiten
gesetzten Grenzen nicht überschreiten
wird. Da er jedoch der
Autorschaft eines neuen, die Ehre des
nunmehr verstorbenen grossen
Schriftstellers und Dichters,
Karl
Kraus, verletzenden Artikels nicht nur verdächtig, son
dern überführt erscheint,
musste die Konsequenz gezogen und
die Klage gegen Herrn Dr. Schwelb überreicht werden.
Der Vollständigkeit halber
bemerke ich noch,
dass Herr
Kommerzialrat Josef
Kraus lediglich als Bruder des
verstorbenen
Privatanklägers, Herrn Karl Kraus, um die Ein
stellung des Strafverfahrens
zu verhindern und seinem Bruder
wenigstens nach dem Tode Genugtuung zu verschaffen, in den
Prozess eingetreten, dass
jedoch die Strafanzeige gegen Herrn
Dr. Egon Schwelb
und Herrn Dr. Emil
Strauss von mir auf Grund
der mir vom Verstorbenen
erteilten Weisung noch zu dessen
Lebzeiten, d.i. am
4.VI.1936, überreicht worden ist.
PRAG, am 30. Dezember 1936.