Sehr geehrter Herr Doktor.
Ich bestätige den Empfang
Ihres Briefesvom 16. d.M., zu
dessen Inhalte ich Folgendes bemerke:
1./ Das Gericht wird sich bei der Verhandlung sicher
lich ausschliesslich mit den
unter Anklage gestellten beleidi
genden Aeusserungen und nicht mit
dem übrigen Texte der Ehren
beleidigungsklage befassen, der
nur deswegen in die Klage auf
genommen wurde, um den Richtern
den inkriminierten Artikel ver
ständlich zu machen.
Deswegen glaube ich, dass es genügen würde,
bei der
Streit
Haupt
verhandlung den Satz „… bezeichnet die Zurück
weisung seiner
Erwartung auf einen ‚Aufruf‘ als eine Verun
glimpfung“, in dem von
Herrn Kraus
gewünschten Sinne zu inter
pretieren. Ich möchte nämlich,
wenn möglich, vermeiden, dass
die
für das Gericht ohnehin einigermaßen
komplizierte Prozess
materie noch komplizierter wird.
2./ Dass wir, vielmehr ich, den
Satz „Der, der nur
‚um den Graben geht‘
…“ missverstanden haben, ist mir sehr
unangenehm. Herr Kraus dürfte
mir wohl bei der abendlichen Un
terredung, in welcher wir über
die Klagen gesprochen haben,
seine Interpretation dieses Satzes gegeben haben. Ich war an
diesem Abend, da ich tagsüber
sehr viel gearbeitet hatte, recht
müde und habe deshalb vielleicht die Interpretation nicht behalten.
Als ich dann den Klagsentwurf verfasste,
habe ich die Erklärung dieses
Satzes in dem von Herrn
Kraus
als unrichtig bezeichnten Sinne
stilisiert, weil ich annahm,
dass
dieser Sinn in dem Satze zwar sprachlich falsch ausgedrückt
ist, jedoch ausgedrückt werden
sollte. Man wird also diese
falsche Interpretation richtigstellen müssen, doch glaube ich
nicht, dass dies durch einen
vorbereitenden Schriftsatz ge
schehen soll.
In der Angelegenheit gegen
Verneau
und Bill
hat die
Vergleichsverhandlung am 11. d.M. stattgefunden. Anwe
send war Dr. Bill, die Zustellung der Klage an Lucien
Verneau
konnte – wie
erwartet – nicht vorgenommen werden. Da nach dem
neuen Pressegesetz der
verantwortliche Redakteur nicht ver
pflichtet ist, den Autor des
den Inhalt der Klage bildenden
Artikels zu nominieren, wurde mir der Auftrag erteilt, den richti
gen Namen des Beklagten und
seine Adresse binnen 14 Tagen dem
Gerichte bekanntzugeben. Ich habe bereits früher und
auch jetzt
vergebliche
Anstrengungen gemacht, den richtigen Namen des Autors
zu ermitteln und habe alle
möglichen Leute, von denen ich an
nahm, dass sie zu den
Mitarbeitern des „AUFRUF“ Beziehungen
haben, befragt. Zwei Herren
haben mir auch versprochen, den
Autor in den nächsten Tagen
zu eruieren. Auch Herr HeinrichFischer, den ich
darum ersuchte, hofft, dass es ihm in einigen
Tagen gelingen wird,
festzustellen, wer dieser Herr Verneau
eigentlich ist.
Ich wollte ursprünglich
diese Feststellung
abwarten
und Ihnen dann in dieser Angelegenheit berichten und
dabei anfragen, ob Herr Kraus
wünscht, dass das Verfahren
gegen Verneau geführt wird.
Ich stelle mir vor, dass der
von Herrn
Kraus beabsichtigte
Zweck auch dann erreicht wird, wenn nur Dr.
Bill als ver
antwortlicher Redakteur
wegen des Deliktes der Vernachlässi
gung der pflichtgemässen
Sorgfalt verurteilt wird.
Dr. Bill ist, wie ich gerade in letzter Zeit
wiederholt
bemerken
konnte, ein nicht sehr gewandter Verhandlungs
gegner. Er beherrscht auch
die tschechische Sprache sehr
mangelhaft und ist beim Pressesenat wenig
beliebt.
Herr Verneau scheint
schon einigermassen schlauer zu sein
als Bill. Wenn er als Angeklagter in einem Prozesse auf
tritt, wird er voraussichtlich
den Wahrheitsbeweis an
treten und eine ganze Menge von Behauptungen aufstellen
und für sie Beweise anbieten,
sodass der Prozess ins Uner
messliche verschleppt werden
kann. Der Pressesenat ver
tagt die Hauptverhandlungen auf
sehr lange Zeit und ich be
fürchte, dass das Urteil in einem
Zeitpunkte erfliessen
wird, in
welchem die Polemik der „antifaszistischen“
Journalisten nicht mehr aktuell
sein wird.
Wenn ich auch annehme, dass
der Autor des Artikels die
Schriftsätze verfassen wird,
so glaube ich trotzdem, dass
Dr. Bill weder energisch, noch hinreichend
gewandt sein
wird, um alle
Anträge durchzusetzen und so die anscheinend
bestehende
Verschleppungsabsicht zu realisieren.
Wollen Sie bitte Herrn Kraus
von diesen Er
wägungen Mitteilung machen und seine Weisung darüber ein
holen, ob ich, bis ich den
Namen und die Adresse des
Herrn Verneau ermittele, dem Gerichte
hievon Mitteilung
machen oder nicht lieber
bekanntgeben soll, dass es nicht
gelungen ist, den pseudonymen Autor
des Artikels zu
eruieren. Die
Richtigstellung des falsch interpretierten
Satzes kann ich in der
Anklageschrift vornehmen, deren
Ueberreichung mir nach der
Einvernahme des oder der Ange
klagten aufgetragen wird.
Da es trotz dem Scheitern
der Vergleichs
verhandlung zu Vergleichsangeboten kommen könnte, zumal
das Gericht bei der Hauptverhandlung die Parteien immer
zum Vergleiche anregt, bitte
ich doch, von Herrn
Kraus
Weisungen über
den Inhalt der im Vergleichsfalle zu fordern
den Erklärung einzuholen.
Ich zeichne mit
vorzüglicher
Hochachtung:
Dr. Turnovsky
Vielen Dank für die Einsendung der anläßlich des 60. Geburtstageserschienenen
Publikation, die ich, falls es notwendig sein
sollte, vorlegen werde.