Uebersetzung
des Schriftsatzes der
Beklagten im Prozesse Karl Kraus
ca: „AUFRUF“ / Ing. Egon Butschowitz, Dr. Friedrich Bill
/
Bei der Hauptverhandlung
haben wir uns dafür
zu
verantworten, dass in dem inkriminierten
Artikel Tat
sachen behauptet worden sind, welche nach Ansicht des
Klägers geeignet sind,
diesen in der allgemeinen Meinung
herabzusetzen und lächerlich
zu machen, wobei klar ist,
dass die über der Privatkläger mitgeteilten Tatsachen un
wahr sind, was
beiden Angeklagten bekannt war und bekannt
sein musste.
Zu Beweise für diese
Behauptung hat der Privatkläger aus dem Artikel „Die
Fackel schwelt“ sieben
Stellen herausgegriffen,
welche, aus dem Zusammenhange
gerissen, unverständlich sind. Hinzu kommt noch, dass auch
die Uebersetzung dieser
Stellen mangelhaft ist, was das
Gericht auf den ersten Blick erkennen wird. Es ist Pflicht
des Privatklägers, dem Gerichte eine einwandfreie Ueber
setzung des
ganzen Artikels, von dem er
behauptet, er sei
seinem
ganzen Inhalte nach beleidigend, vorzulegen, da
sonst eine richtige
Beurteilung der Angelegenheit unmög
lich ist. Wir
stellen daher den Antrag und werden ihn bei
der Hauptverhandlung
wiederholen:
Dem Privatkläger möge
aufgetragen werden, dem
Gerichte eine sprachlich einwandfreie
Uebersetzung des
ganzen
Artikels „Die Fackel schwelt“
vorzulegen. / Bemerkung
Dr. T.: die inkriminierten Stellen waren
einwandfrei über
setzt. Die Richtigkeit der Uebersetzung vom Gerichtsdoll
metsch
beglaubigt. Es ist allerdings nicht möglich, einen
philologisch nicht
einwandfreien Text so zu übersetzen,
dass die Uebersetzung
philologisch einwandfrei erscheint. /
Erst nach Vorlage dieser vom
philologischen
Standpunkte einwandfreien und vollständigen Uebersetzung
wird das Gericht die Möglichkeit haben, zu erkennen,
dass
der Artikel eine literarisch wertvolle Antwort auf
die
Abhandlung Karl Kraus’
darstellt, in welcher Abhandlung
dieser in höchst
beleidigender Weise demokratische und
sozialistische
Schriftsteller – also auch den Erstbeklagten –
angreift, ohne eine Menge
von Ausfällen zu vermeiden.
Welcher Art der Angriff des Privatklägers war,
beweisen
schon einige in
der Zeitschrift „Die Fackel“ 890 bis 905 vomJuli 1934
enthaltenen Schimpfworte. Karl Kraus, welcher
noch unlängst für Demokratie
und Freiheit kämpfte und
welcher sich jetzt den heutigen faszistischen Machthabern
Oesterreichs zugesellte,
schilt sozialistische und demo
kratische Schriftsteller – also auch den Erstbeklagten –
mit folgenden Worten: Chance der Frechheit: Wanzen,
die
vermuten
Seite 4, Der Hohlkopf, der sich überhaupt
nichts
vorstellt S. 7. Das Geistgesindel S. 8.
Ein Bemühen, dessen
Riesenmass kein Tölpel
ermisst S. 10. Schadenfreude der
Lumperei S. 10.
Weiss ein Lump, dass man auch einer
sein
kann S.
11. Nichtsnutziger Aesthet S.
12. Der Zudrang erregter
und mitteilsamer
Dummköpfe S. 14. Schäbigkeiten der Links
presse S. 15. Dass am Prager-Schreibtischen
Schwachköpfe
sitzen,
die nicht einmal wissen, dass sie Lumpen sind. S. 17.
Polemiker, die heute frech
werden S. 18. Starkmutige, aber
schwachsinnige
Anhänger. S. 21. Der radikale Lump ahnt
nicht
S. 21. Die ermüdende Dummheit eines
Postulats S. 23. Deren
Mut in der
Unverantwortlichkeit besteht, S. 23. Die Gegen
tröpfe S. 24. Der Plunder der Freiheit S.
24. Das sich mit
unreiner Intelligenz
eingelassen hat, S. 25. Eine Generation
von Dieben, S.
28. Inquisitoren der Freiheit
S. 28. Spiessruten
der Dummheit S.
31. Schmecks, Kusch S. 34.
Abgewiesene Hausierer
der Literatur,
S. 36. Deren höhere Kategorie, nämlich
der
Huren S.
36. Rabiate Kleinbürger S. 38.
Tinterlhirne S. 42.
Unbesiegbare Dummheit und
unüberwindliche Frechheit S. 44.
Dessen intellektuelles Rotwelsch
üblen Geruch verbreitet S. 47
Mischepochaler Dreck. S.
47. Ein kahler Intellekt im Leben
kaum
zur Advokatur
tauglich S. 48. Miese Augurenschaft S.
48.
Prager Schmock S. 49.
Meint der Dummkopf S. 52.
Dummheit der
Sozialdemokratie S. 61. Radikale Schwachköpfe Nr.
87. Die
Blind- und Blödheit der
Wortführer. S. 115. Wenn die Dumm
köpfe nur
eine Ahnung hätten S. 137. Die Verschweinung der
Menschheit durch
Journalismus S. 140. Wenn das Gelichter es
wagt S. 140.
Prinzipielle Dummheit S.
171. Vision einer Einigung
S.: dass der
Würdenträger, der diese Woche nicht empfängt,
auf der Barrikade
abgehalten wäre / Minister Czech /
S. 173.
Nur die Bestialität des
parteijournalistischen Hinterlandes
wagt es, zwischen rechts
und links zu unterscheiden, S. 175.
Der Löwe / Karl Kraus / versetzt
dem toten Esel einen Tritt
S. 179. Ausbund von Rückgratlosigkeit und
Halsstarre, S. 178.
Dummheitsunterschiede zwischen den
Linksgruppen, die Bretter
vor dem Kopf haben S. 201. Hysterische Wut der verkrachten
Pfuscher S. 221.
Ich weiss nicht, wozu man mich
braucht,
wenn man Czech und Deutsch hat. 258. Die Intellektuellen,
die sich erfrechen, sind
undankbar oder grausam-dumm, 263.
Zu Gunsten der Opfer des
sozialdemokratischen Verbrecher
tum S. 277. Das Freigesindel
1 S. 278. Dass derlei seelischer
Unflat die Form von
Propaganda annimmt und zum Geschäft
ramponierter Demagogen wird, S. 293. Rot wäre nur die Farbe
politischer
Scham, S. 294.
Wir sind unter Umständen
bereit, alle diese Schimpfworte
und geschmacklosen
Wortspiele über Aufforderung bei der
Hauptverhandlung in die
Staatsprache zu übersetzen.
Wie aus allen diesen
Beschimpfungen, in
welchen
Karl Kraus
sogar grundlos auch einen amtierenden
tschechoslovakischen Minister angreift, hervorgeht, ist
die Abhandlung Karl Kraus so
beschaffen, dass sie zu
schärfster Entgegnung direkt herausgefordert hat.
Eine gründliche und richtige
Beurteilung des inkriminiertenArtikels ist nur
dann möglich, wenn das Gericht den
Inhalt
und die Art jenes
Artikels erkennt, der den Impuls
zu
literarischen
Angriffen auf Karl
Kraus gegeben hat, unter
anderem auch zum Angriffe
des Erstbeklagten. Hiezu kommt
noch, dass die Mehrzahl der
inkriminierten Stellen / in
der Klage sub 2, 3, 4 / nur Zitate der Aussprüche des Privatklägers
sind. Aus diesem Grunde, d.h. zur Erläuterung der
ganzen Angelegenheit
beantragen wir, der Privatkläger
möge
dem Gerichte das Heft Nr. 890 bis 905
seiner Zeitschrift „Die Fackel“ vom Juli 1934 in einwandfreier und
vollständiger Uebersetzung
in die Staatssprache vorlegen.
/ Anmerkung Dr. T.: unzulässiger Antrag, die
Vorlage muss
durch die
Angeklagten erfolgen /. Zur weiteren Beurteilung
des Angriffes Karl Kraus
gegen den Erstbeklagten und der
Berechtigung seiner
Entgegnung, die Gegenstand dieses Pro
zesses geworden
ist, beantragen wir die Verlesung der Akten
Tk VI 8789/34 dieses Gerichtes. Auch in diesem Falle han
delt es sich um
eine berechtigte Kritik eines gleichen
Angriffes des Privatklägers.
/ Prozess Karl
Kraus ca: Dr. Strauss /
Wir machen, ebenso wie in
dem erwähnten Falle,
auch für
diesen Fall die Bestimmung des § 9 Abs. 1 des Gesetzes über
den Ehrenschutz geltend, nämlich, dass der Pri-
vatkläger durch das unmittelbar vorangegangene
herausfordern
de und ärgerniserregende Benehmen den Anlass zu der ent
schuldbaren und
nicht strafbaren Handlung gegeben hat.
Bevor eine einwandfreie
Uebersetzung des
Artikels des Erstbeklagten nicht
vorgelegt wird, ist es
– wie
bereits erwähnt – unmöglich, sich sachlich mit den
inkriminierten Stellen und
mit der Interpretation, die der
Privatkläger für diese
Stellen gibt, zu befassen. Nach Vor
lage dieses
beantragten Artikels des Erstbeklagten behal
ten wir uns vor,
zu beweisen, dass die vom Privatkläger
den inkriminierten
Aussprüchen gegebene Interpretation bei
nahe in ihrem
ganzen Umfange fehlerhaft und unrichtig ist.
Zum Beispiel der Ausdruck
„paranoische
Züge“ / Verunglimpfung /
wurde vom Privatkläger zweifellos
absichtlich falsch über
setzt. Er verwendete für das Wort Paranoia die Uebersetzung
„Verblödung“, wiewohl
Paranoia „Irrsinn“ bedeutet.
In dem Zusammenhange, in
welchem dieser wissen
schaftliche Ausdruck verwendet war, verliert er die belei
digende
Bedeutung, die auch vom Erstbeklagten nicht
beansich
tigt
war.
Dagegen als Beispiel Kraus’
Ausdruck „Paralyse“
auf Seite 177 ,
Tollhäusler S. 212, Idiot S. 270 , Tölpel S. 297 .
des zitierten Fackelheftes, also persönliche Ausdrücke des
Herrn Kraus, die an der
beleidigenden Absicht des Angriffes,
welche eine entsprechende
Antwort der angegriffenen
Schrift
steller veranlasst hat, keinen Zweifel lassen.
Dass die Verunglimpfung in
dem zitierten Fackelhefte tatsächlich paranoische Züge aufweist, so wie
andere
Stellen dieser
Schrift, kann erst nach Vorlage einer einwand
freien
Uebersetzung des Artikels beurteilt
werden. Eventuell
stellen wir
jetzt schon den Antrag, die literarische Beurtei-
lung durch Sachverständige
durchführen zu lassen. / dieser
Antrag ist umsomehr
begründet, wenn man erwägt, dass derselbe
Karl Kraus aus Wien bei diesem Gerichte in Prag – allerdings
erfolglos – sogar wegen
einer blossen Interpunktion geklagt
hat, die der Setzer des „Gegen-Angriff“ aus Versehen
bei einem Zitat irgendwelcher Verse des
Herrn
Kraus vergessen
hatte.
Wir stehen auf dem
Standpunkte, dass
die
Bezeichnung eines Teiles des literarischen Werkes
eines Schriftstellers, resp.
durch die Qualifizierung
eines unverantwortlichen
Angriffes als irrsinnig / das hier
verwendete tschechische Wort
„pomatený“ hat sowohl die
Bedeutung irrsinnig, als auch verwirrt, das davon abgelei
tete Substantivum
„pomatenost“, das weiter oben verwendet
wurde, wird mit Verwirrung
und mit Geistesgestörtheit über
setzt /
Gegenstand des Wahrheitsbeweises sein kann.
Der ganze inkriminierte Artikel stellt nur
eine literarische Kritik der
in der Zeitschrift „Die Fackel“
erschienen Abhandlung des Privatklägers dar und überschrei
tet nirgends die
zulässigen Grenzen einer ernsten litera
rischen Arbeit
indem er nur in journalistisch und lite
rarisch
einwandfreier Weise auf die groben und stilistisch
unmöglichen Angriffe des erwähnten Artikels gegen die li
terarischen
politischen Gegner des Privatklägers reagiert.
Darüber bieten wir den
Beweis durch litera
rische und kritische Sachverständigen an, denen die Abhand
lung des Privatklägers
in Nr.
890 bis 905 der FACKEL, sowie
der inkriminierte Artikel
im Original vorgelegt werden möge.
Eine solche künstlerisch
wertvolle Kritik der Arbeit des
Privatklägers kann wegen
Ehrenbeleidigung nicht verfolgt
werden.
Ing. Egon Butschowitz
Dr. Friedrich Bill.
Prag, am 6. Februar 1935.