Sehr geehrter Herr Kollege!
Ich bestätige Ihnen mit bestem
Dank den
Empfang Ihres
freundlichen Schreibens vom 20. Februar 1935. Die
Möglichkeit, dass der
Strafausschliessungsgrund des § 9 Absatz 2 auch dann zur
Anwendung käme, wenn die Erregung durch
eine Handlung des Gegners
verursacht wurde, die nicht gegen den
Beleidiger sondern gegen andere
Personen gerichtet war, lassen
es
Herrn K.
wünschenswert erscheinen, doch einen Vergleich ab
zuschliessen, weil der Freispruch
respektive das Absehen von der
Bestrafung in den Blättern derartig ausgewertet werden würde, dass
es wieder eine Menge von
Berichtigungen erforderte, um den wirk
lichen Sachverhalt zur Kenntnis
de Leser zu bringen. Allerdings
kann man die von Herrn Dr. Reiner vorgeschlagene
Fassung des Ver
gleiches nicht annehmen, zumal wegen der Gleichstellung der
österreichischen und deutschen
Verhältnisse, was in der vorge
schlagenen Fassung den Eindruck
erwecken würde, dass auch Herr K.
zu diesen Verhältnissen eine
gleiche Stellung eingenommen habe.
Ausserdem hätte im letzten Absatz das Wort „trotzdem“ zu
ent
fallen.
Die zu akzeptierende
Erklärung hätte zu
lauten:
„In der Nummer 22 und 23 der Zeitschrift ‚Aufruf‘
habe ich unter dem Titel
‚Die Fackel schwelt‘ einen
Artikel
veröffentlicht,
welcher als Antwort auf den Inhalt des
Heftes
Nr. 890–905 der Zeitschrift ‚Die Fackel‘ anzusehen ist.
In diesem Artikel habe ich hauptsächlich gegen die
Beurteilung
der
österreichischen Ereignisse durch den Herausgeber derFackel polemisiert, nachdem sich Herr
Karl Kraus
durch einzelne
Behauptungen
meines erwähnten Artikels verletzt
gefühlt hat,
erkläre ich,
dass ich keine Absicht hatte, ihn durch meine Aus
führungen persönlich zu
beleidigen. Wenn er sich beleidigt ge
fühlt hat, bedauere ich es
aufs Lebhafteste.“
Die Unterschiede zu der von
Herrn Dr. Reiner
vorgeschlagenen Fassung sind
zwar nicht gross, aber von Wichtig
keit. Eine weitere Frage
ist, wie die zu veröffentlichte Erklärung
unterfertigt worden soll. Es
wäre Herrn K.
am liebsten, wenn es
Ihnen
gelänge, durchzusetzen, dass sie mit Lucien Verneau (Ingenieur
Egon
Butschowitz) unterfertigt wird. Sollte sich Herr Verneau
je
doch
weigern, seine Pseudonymität zu offenbaren, so könnte man sich
damit begnügen, dass nur das
Pseudonym unterfertigt. Wenn Herr
Dr. Reiner auf die vorgeschlagene Abänderung nicht eingeht,
so müsste
man den Prozess
weiterführen. In diesem Falle würde ich ihnen noch
eine genaue Information zu
einem Schriftsatz einsenden, der die geg
nerischen Aeusserungen
behandelt. Allerdings wäre mir dies bis zum
11. März 1935 schwer
möglich, weshalb ich Sie bitte, gleichzeitig
mit der Vorlage der
Uebersetzung des beleidigenden
Artikels die
Gegenäusserung anzukündigen und dafür eine neuerliche Frist zu
erbitten.
Indem ich Ihnen mit meinen
eigenen Grüssen auch die des
Herrn K.
und seinen besten Dank übermittle, zeichne ich mit vor
züglicher kollegialer
Hochachtung
Ihr ergebener