Die Fackel schweltDer Aufruf, 1.9.1934Die Fackel


Sehr geehrter Herr Kollege!


Ich bestätige Ihnen mit bestem Dank den
Empfang Ihres freundlichen Schreibens vom 20. Februar 1935. Die
Möglichkeit, dass der Strafausschliessungsgrund des § 9 Absatz 2 auch dann zur Anwendung käme, wenn die Erregung durch
eine Handlung des Gegners verursacht wurde, die nicht gegen den
Beleidiger sondern gegen andere Personen gerichtet war, lassen
es Herrn K. wünschenswert erscheinen, doch einen Vergleich ab
zuschliessen, weil der Freispruch respektive das Absehen von der
Bestrafung in den Blättern derartig ausgewertet werden würde, dass
es wieder eine Menge von Berichtigungen erforderte, um den wirk
lichen Sachverhalt zur Kenntnis de Leser zu bringen. Allerdings
kann man die von Herrn Dr. Reiner vorgeschlagene Fassung des Ver
gleiches nicht annehmen, zumal wegen der Gleichstellung der
österreichischen und deutschen Verhältnisse, was in der vorge
schlagenen Fassung den Eindruck erwecken würde, dass auch Herr K.
zu diesen Verhältnissen eine gleiche Stellung eingenommen habe.
Ausserdem hätte im letzten Absatz das Wort „trotzdem“ zu ent
fallen.


Die zu akzeptierende Erklärung hätte zu
lauten:


„In der Nummer 22 und 23 der Zeitschrift ‚Aufruf‘
habe ich unter dem Titel ‚Die Fackel schwelt‘ einen Artikel
veröffentlicht, welcher als Antwort auf den Inhalt des
Heftes Nr. 890–905 der Zeitschrift ‚Die Fackel‘ anzusehen ist.
In diesem Artikel habe ich hauptsächlich gegen die Beurteilung
der österreichischen Ereignisse durch den Herausgeber derFackel polemisiert, nachdem sich Herr Karl Kraus durch einzelne
Behauptungen meines erwähnten Artikels verletzt gefühlt hat,
erkläre ich, dass ich keine Absicht hatte, ihn durch meine Aus
führungen persönlich zu beleidigen. Wenn er sich beleidigt ge
fühlt hat, bedauere ich es aufs Lebhafteste.“


Die Unterschiede zu der von Herrn Dr. Reiner
vorgeschlagenen Fassung sind zwar nicht gross, aber von Wichtig
keit. Eine weitere Frage ist, wie die zu veröffentlichte Erklärung
unterfertigt worden soll. Es wäre Herrn K. am liebsten, wenn es
Ihnen gelänge, durchzusetzen, dass sie mit Lucien Verneau (Ingenieur
Egon Butschowitz) unterfertigt wird. Sollte sich Herr Verneau je
doch weigern, seine Pseudonymität zu offenbaren, so könnte man sich
damit begnügen, dass nur das Pseudonym unterfertigt. Wenn Herr
Dr. Reiner auf die vorgeschlagene Abänderung nicht eingeht, so müsste
man den Prozess weiterführen. In diesem Falle würde ich ihnen noch
eine genaue Information zu einem Schriftsatz einsenden, der die geg
nerischen Aeusserungen behandelt. Allerdings wäre mir dies bis zum
11. März 1935 schwer möglich, weshalb ich Sie bitte, gleichzeitig
mit der Vorlage der Uebersetzung des beleidigenden Artikels die
Gegenäusserung anzukündigen und dafür eine neuerliche Frist zu
erbitten.


Indem ich Ihnen mit meinen eigenen Grüssen auch die des
Herrn K. und seinen besten Dank übermittle, zeichne ich mit vor
züglicher kollegialer Hochachtung


Ihr ergebener