Sehr geehrter Herr Doktor.
Zu meinem gestrigen Berichte über die
Hauptverhandlung in Sachen
„AUFRUF“ Butschowitz – Bill hätte
ich noch mitzuteilen, dass
diesmal 2 Gerichtssaalberichterstat
ter anwesend waren, die sich
Notizen machten und deren einem
Dr. Bill seine Schriftsätze zeigte. Ich habe mich
erkundigt,
für welche
Blätter die betreffenden Berichterstatter arbeiten,
und erfuhr, dass einer für
das „ČESKÉ SLOVO“, der andere für
die Sudetendeutsche Zeitung
„DIE ZEIT“ schreibt. Beide Herren
sahen mir weniger nach
Germanen und Slaven, als nach Israeliten
aus. Ich habe mit ihnen
natürlich nicht gesprochen.
Heute fand ich in der Morgenausgabe des„České slovo“ einen
Bericht, dessen Uebersetzung ich
Ihnen ein
sende.
In der ZEIT habe ich bisher keinen
Bericht gefunden.
Wie Sie aus dem Artikel des České Slovo
ersehen, ist der Autor nicht viel gescheiter als Dr. Bill, aber
offenbar nicht weniger
lumpig als dieser. Es scheint eine Ver
einbarung aller Blätter zu
bestehen, nach welcher Herr K. zur
Ueberreichung von
Presseklagen provoziert werden soll, gegen
welche dann gleichartige
Einwendungen erhoben werden sollen.
Nämlich, dass Herr K.
demokratische Schriftsteller vor das Gericht
eines demokratischen Staates
bringt und unser Pressegesetz miss-
braucht, selbst aber vor
Klagen seitens der von ihm Angegriffenen
durch den Schutz, den ihm im
Prozessfalle die österreichischen
Gerichte angedeihen liessen,
gefeit ist. Dass er unsere Demo
kratie und unseren Präsidenten angegriffen und die tschechische
Nation geschmäht hat.
Alle diese Behauptungen
können natürlich
glatt
widerlegt werden, ich kann mich jedoch des Eindruckes
nicht erwehren, dass
derartige Behauptungen, selbst wenn sie
von einem so
gerichtsnotorischen Trottel vorgebracht werden,
wie es Dr. Bill ist, auf das Gericht irgendwie Eindruck machen.
Leider muss ich auch
zugeben, dass unsere Pressesenate der an
sie gestellten Aufgabe nicht
gewachsen sind und dass sich auch
in Fällen, in denen keine
persönliche Abneigung oder Animosität
der Richter gegen eine der
Parteien vorliegt, immer wieder zeigt,
dass das Ende eines
Pressprozesses überhaupt nicht abzusehen ist.
Ich musste gestern 2 Stunden
auf die Verhandlung gegen Dr. Bill
warten und war während
dieser Zeit als Zuhörer im Verhandlungs
saal anwesend. Es wurden
zwei politische Pressprozesse abgehan
delt, denen ein ganz
einfacher Tatbestand zugrundegelegt war.
Ich habe mich bei den
Anwälten erkundigt, seit wann diese Prozes
se anhängig sind und
erfahren, dass beide schon mehr als zwei
Jahre geführt werden. Darin
scheint mir die unverkennbare Ten
denz des Gerichtes festzustehen, die Parteien durch
wiederholte
Vertagungen
und durch ein Hinausziehen des Prozesses ins Unend
liche mürbe zu machen und
sie zu einem Vergleiche zu zwingen.
Sie werden sich, wie das Gericht gewiss nicht mit Unrecht
annimmt,
zu einem
Vergleiche eher entschliessen, wenn die verhandelte An
gelegenheit ihre Aktualität
verliert und das Interesse an einem
Urteile nicht mehr so
brennend ist, wie unmittelbar nach der
Veröffentlichung des
betreffenden beleidigenden Artikels.
Diese Tendenz scheint, wie
gesagt, allgemein vorzu
liegen und nicht nur gegen
die Person des Herrn K. gerichtet
zu sein. Dieser stehen allerdings die Richter, wie ich heute
auf Grund der gemachten
Erfahrung feststellen muss, vollkommen
verständnislos gegenüber.
Ich habe mir gewiss alle Mühe gege
ben, den Richtern einen
Begriff davon zu machen, um wen es
sich handelt und wie
niederträchtig die Angriffe der Journa
listen sind. Trotz diesen
Bemühungen habe ich bisher nicht
konstatieren können, dass
die Richter auch nur eine Ahnung
von der Prozessmaterie haben
und ich glaube, dass sie in ihrer
Vorstellung mit der Person
des Herrn K.
der Begriff des Anti
demokraten und reaktionären
Pamphletisten verknüpft ist, der
in seiner Zeitschrift Andere schmäht und sich deshalb
gegen
Schmähungen dieser
von ihm Angegriffenen nicht zu empfindlich
zeigen dürfte. Durch den
Umstand, dass „Die Fackel“
deutsch
geschrieben ist
und ihrem Inhalte nach, selbst wenn sie tsche
chisch geschrieben wäre oder
ins Tschechische übersetzt werden
könnte, Leuten von dem
geistigen Niveau unserer Richter nicht
zugänglich ist, wird es mir
ausserordentlich schwer gemacht,
diesen bei den Richtern
offenbar vorherrschenden Eindruck zu
beseitigen. Ich bin der
Ansicht, dass es doch dringend geboten
wäre, einmal einen Tschechen
mit klangvollem Namen als Zeugen
auftreten zu lassen, etwa
Otakar Fischer, Karel Čapek, Hora,
oder
sonst einen
bedeutenden Schriftsteller, der zwar von den Rich-
tern höchstwahrscheinlich
auch nicht gelesen und verstanden
wird, vor dessen Berühmtheit
sie jedoch Respekt hätten. Wenn
ein derartiger Mann einmal
für Herrn
Kraus Zeugenschaft ab
legen würde, dann wäre, wie
ich glaube, das Vorurteil ein
für allemal behoben und die Richter würden endlich daran ge
hen, sich mit der
Prozessmaterie sachlich zu befassen und
über Behauptungen, die mit
der Prozessmaterie nichts zu tun
haben, hinweg zu gehen. Ich
bin überzeugt, dass jeder der
genannten drei Schriftsteller, mag er nun dermalen zu HerrnK. wie immer
stehen, die Haltlosigkeit der betreffenden Be
hauptungen bestätigen würde.
Die Vorlage der betreffenden Ar
tikel aus der Festschrift, aus dem „Panorama“, etc. scheint mir
hiezu deshalb nicht
auszureichen, weil die Richter diese Ar
tikel nicht lesen und wenn
sie sie lesen, nicht verstehen
werden.
Es wird Ihnen, sehr geehrter
Herr
Doktor,
als Anwalt,
vielleicht merkwürdig erscheinen, dass ein Advokat
über die Gerichte seines
Staates ein derartiges Urteil abgibt.
Aber es ist nun einmal so,
eine Gruppe von unserer Richter
ist unfähig, der Nachwuchs
ist zwar ganz gut, gewissenhaft
und auch hinreichend
geschult, aber die älteren Referenten, zu
denen leider auch die
Mitglieder der Pressesenate mit ganz
geringen Ausnahmen gehören,
taugen nichts.
Und deswegen habe ich bei
jeder neuen An
gelegenheit, welche ich für Herrn K. zu behandeln habe, ein
einigermassen banges Gefühl.
Ich selbst bin überzeugt, dass
man gegen das Pressegesindel vorgehen muss, trotzdem ich voraus
sehe, dass jeder Fall einen
neuen nach sich zieht und dass man
zu keinem Ende gelangt. Wenn
dies auch wohl im Wesen der Sache
liegt – eine Persönlichkeit
wie Herr K.
wird immer wieder von
der
Journaille angekläfft werden – so verhindern die oben ge
schilderten Umstände den
angestrebten Erfolg oder sie verzögern
ihn wenigstens in einem
Masse, durch welches er vielleicht über
haupt problematisch wird.
Und das ist es, was mir bei der Ver
tretung des Herrn K., die
ich als vornehmsten Zweig meiner Be
rufstätigkeit ansehe und der
ich mich gerne mit allen meinen
Kräften widme, Kummer und
Aufregungen bereitet, weil ich be
fürchte, dass der Verlauf
der mir übertragenen Angelegenheiten
auch Herrn K. um
seine Ruhe bringt und stört.
Von diesem Gesichtspunkte
aus steigen bei mir
Zweifel
darüber auf, ob man das Pressegesindel immer weiter ver
folgen soll oder ob es nicht
geboten wäre, es zu ignorieren.
Ich bitte, mir mitzuteilen,
ob der Autor des
im „České Slovo“ erschienenen Berichtes,
sowie der verantwort
liche Redakteur
geklagt werden sollen. Der Bericht
bietet auch,
wie Sie sehen
werden, die Möglichkeit für eine Presseberichti
gung.
Ich möchte nur noch
bemerken, dass das ČESKÉSLOVO, nämlich die
Ausgabe, in welcher dieser Artikel erschienen
ist, administrativ mit der
Abendausgabe des ČESKÉ SLOVO, deren
Redakteur Jan Münzer ist, nichts zu tun hat. Trotzdem zweifle ich
nicht daran, dass Münzer von dem Artikel noch vor der Veröffent
lichung wusste und ich finde
es trotz allem, was ich im Laufe
des Prozesses Melantrich über diesen Herrn und seinen Charak
ter erfahren musste,
unbegreiflich, dass er das Erscheinen
des Berichtes nicht inhibiert hat. Vielleicht wollten
die
Herren vom ČESKÉ SLOVO für die Berufungsverhandlung im
Melantrichprozesse auf
diese Art Stimmung machen. Ich hoffe, dass
ihnen dies nicht gelingen
wird.
Ich wäre Ihnen, sehr
geehrter Herr
Doktor,
sehr
verbunden wenn Sie mir bald mitteilen wollten, ob es
Herrn K.
wieder gut geht und ihm meine herzlichsten Grüsse
bestellen wollten.
Ich zeichne mit dem
Ausdrucke der vorzüglich
sten Hochachtung und mit
besten Grüssen
Ihr ergebener:
Dr. Turnovsky