Sehr geehrter Herr Doktor.
Ich bestätige den Empfang IhresBriefes vom 23. d.M. und gestatte mir mitzuteilen, dass ich
aus dem Artikel „Der Racheakt der Polizei gegen Braunthal“
den ganzen letzten Absatz für
verfolgbar halte. Die Behaup
tung, Herr Kraus habe sich in seiner „FACKEL“ brav gleichge
schaltet und preise im Schweisse
seines Angesichtes die
Kulturtaten des „österreichischen Menschen“, was aller
dings vor Wöllersdorf schütze, ist
unbedingt nach den §§ 1 bis 3des Gesetzes über den Schutz
der Ehre zu verfolgen.
Aus dem Gedichte „Zeitgeister“ halte ich die Widmung:
„dem Karl Kraus und
ähnlichen Helden der Gesinnung und
des Geistes
zugedacht“, dann die zweite Strophe, in
welcher eben durch die Widmung
Herr Kraus als einer von
jenen Dichtern mit Erlösermienen,
Leisetretern, etc.
bezeichnet
wird, und die darauffolgende Strophe für inkri
minierbar.
Ich könnte die Angelegenheit
von
hier aus insoferne
vertreten, als ich die Schriftsätze
/ Strafanzeige, Anklageschrift /
verfassen würde, mit der
Intervention bei der Vergleichs- und Hauptverhandlung jedoch
einen Brünner-Kollegen betrauen müsste.
Da ich in diesem Falle ein
unnützes Zwischen
glied zwischen dem intervenierenden Anwalt und
Herrn Kraus
wäre, ist es wohl zweckmässiger,
den Brünner-Anwalt direkt
zu betrauen. Nun kann man die
Vertretung des Herrn Kraus wohl
nicht jedem beliebigen Kollegen
anvertrauen und von denen,
die
ich kenne, erscheint mir als der geeigneteste Herr Dr.
Robert Herrmann,
Advokat in Brünn, Masarykova
25.
Da ich gerne vermeiden wollte,
dass Sie diesem Kollegen die
Akten einsenden und ihn mit der
Vertretung betrauen, ohne
vorher
ermittelt zu haben, ob er sich für die Sache entspre
chend einsetzen wird und ob keine
gesinnungsmässigen Bindun
gen vorliegen, die dies unmöglich
machen, habe ich heute
an Dr. Herrmann geschrieben und ihn befragt, ob er nicht
durch
irgendwelche Rücksichten
auf die sozial-demokratische Partei
und insbesondere auf die
emigrierten Führer der Wiener-Sozial-
Demokratie, sowie auf deren Parteiorgan gehindert ist, gegen
einen Mitarbeiter der Arbeiterzeitung einzuschreiten.
Ich werde mir gestatten, Ihnen
seine Antwort
bekanntzugeben.
Die von Herrn Kraus gewünschten Nummern der
Arbeiterzeitung und der Zeitschrift „Der Kampf“ habe ich
bestellt und erhalte sie
voraussichtlich morgen. Ich sende
sie Ihnen dann sogleich ein.
Indem ich bitte, mich Herrn Kraus bestens zu
empfehlen, zeichne ich
mit vorzüglicher Hochachtung:
Dr. Turnovsky