Der Racheakt der Polizei gegen BraunthalArbeiter-ZeitungArbeiter-Zeitung, 15.9.1934Die FackelZeitgeister


Sehr geehrter Herr Kollege!


Ich verdanke Ihre Adresse der Liebenswürdig
keit des Herrn Dr. Johann Turnovsky, der Sie ja schon darüber un
terrichtet hat, dass Herr Karl Kraus in Brünn einen Prozess
gegen die dort erscheinende „Arbeiter Zeitung“ zu führen ge
denkt. Gegenstand des Prozesses sind zwei in der Nummer 30 des1. Jahrganges dieser Zeitung vom 15. September 1934 erschienenen
Beiträge, deren Abschrift ich anschliesse. Das Original der
Nummer werden Sie sich wohl beschaffen können. Wir besitzen ein
einziges Exemplar, das wir Ihnen, falls Sie die Möglichkeit der
Beschaffung nicht mehr hätten, übersenden werden. Aus dem Ar
tikel „Der Racheakt der Polizei gegen Braunthal“ ist wohl der
ganze letzte Absatz inkriminierbar, insbesondere die Behauptung,
dass sich Herr Karl Kraus in seiner „Fackel“ brav gleichgeschal
tet habe und im Schweisse seines Angesichtes die Kulturtaten des
„österreichischen Menschen“ preise, was ihn allerdings vor
Wöllersdorf schützte. Darin liegt die allerdings sofort als
absurd erkennbare Behauptung, dass das im Juli 1934 erschienene
Heft den Zweck verfolge, Herrn Kraus die Zwangsanhaltung in
Wöllersdorf im Februar zu ersparen. Denn da Herr Braunthal an
geblich wegen seiner im Jahre 1927 gegen die Behörden einge
nommenen Stellung im Februar 1934 verhaftet und dann ins Anhalts- lager gebracht worden ist, so hätte, wenn das Verhalten im
Jahre 1927 tatsächlich der Grund für das Vorgehen gegen Herrn
Braunthal gewesen wäre, Herr K. im Februar 1934 das gleiche
Schicksal erleiden müssen, weil man ja damals seine Haltung,
die doch erst durch das Heft im Juli offenbar wurde, nicht
kannte. Selbstverständlich wurde Herr Braunthal nicht wegen
seines Verhaltens im Jahre 1927, sondern wegen des Verdachtes
der Beteiligung an den Februar-Ereignissen verhaftet. Jede
Zeile der Notiz ist erlogen.


Aus dem Gedicht „Zeitgeister von Sonka“ wären nur die
Stellen zu inkriminieren:


a) „Dem Karl Kraus und ähnlichen Helden der Gesinnung und des
Geistes zugedacht“;


b) „Nicht Dichter: Konjunkturästheten“;


und c) „Die Wissenschaft zum Takt der ‚Führer‘ …“ bis
„Profit zu machen“.


Alle diese Stellen enthalten den Vorwurf der Ge
sinnungslumperei einer Konjunktur wegen, und um Profit zu ma
chen. Es sind zwar in dem Gedicht auch noch andere Stellen,
die leicht das Substrat einer Ehrenbeleidigungsklage bilden
könnten. Herr K. möchte aber nur die oben erwähnten Stellen
zum Gegenstand der Anklage machen, weil sie juristisch einem
Wahrheitsbeweis zugänglich wären. Die übrigen Stellen bieten
diese Gelegenheit nicht, weshalb sie nur eine überflüssige
Erweiterung des Prozesses mit sich brächten, wenn man sie un
ter Anklage stellte.


Ich bitte Sie, mir eine Vollmacht zur Unterfertigung
durch Herrn Kraus einzusenden. Die zu inkriminierende Nummer
ist, wie erwähnt, vom 15. September 1934 datiert und Herrn
Kraus vor zirka zwei Wochen bekannt geworden. Nichtsdesto-
weniger, wenn auch die subjektive Verjährungsfrist noch nicht
abgelaufen ist, bitte ich Sie, die Klage unter Berücksichtigung
meiner obigen Ausführungen nach Einsendung, der Vollmacht sofort
einzubringen.


Bei dieser Gelegenheit danke ich Ihnen viel
mals für die mir mit Schreiben vom 30. Oktober 1934 eingesendeten
beiden Nummern der „Arbeiter Zeitung“.


Ich zeichne
mit vorzüglicher kollegialer
Hochachtung


2 Beilagen.