Die letzten Tage der MenschheitDie Fackel


Sehr geehrte Herren Kollegen!


Ich bestätige mit bestem Dank den Empfang
Ihres freundlichen Schreibens vom 3. Mai 1935. Es wundert mich, dass
der Richter auf eine so allgemein gehaltene Bereitwilligkeit, den
Wahrheitsbeweis anzutreten, eingegangen ist, und noch mehr, auf das
Verschleppungsmanöver des Herrn Schramek, ihn durch einen Prozess
akt zu führen und durch Beweismaterial, das einen ganz anderen
Inhalt hat, als die beleidigenden Behauptungen der Arbeiter-Zeitung.
Diese gehen nämlich noch weit über das hinaus, wofür sich der
Prager Sozialdemokrat zu verantworten hat, der – um die dortigen
Beleidigungen kurz zusammen zu fassen – behauptet hatte, Kraus
habe sich gleichgeschaltet, seine Invektiven gegen die sozialdemokratische Partei seien dadurch hervorgerufen worden, dass man
ihm den elektrischen Strom abgeschnitten habe, er stelle einen
ausgewachsenen Zuchthäusler über Lassalle; es sei ein Verfall,
der in der Tiefe des Absturzes wohl den Gerhart Hauptmanns über
treffe; Kraus versuche, die cechoslovakischen Behörden gegen die
österreichische Emigration und gegen einzelne Schriftsteller auf
zuputschen und könnte sich noch den Ruhm erwerben, aus dem
Dichter der „Letzten Tage der Menschheit“ der Zutreiber des
österreichischen Henkers geworden zu sein. Sie wissen, sehr
geehrte Herrn Kollegen, dass die in der Arbeiter-Zeitung ver
öffentlichten Beleidigungen Herrn Kraus konkrete Vorwürfe
machen, nämlich, dass er, um dem Konzentrationslager zu ent
gehen, seine Haltung geändert habe, dass er, um Profit zu
machen, ein Zuhälter der Macht geworden sei, ein Leisetreter
und dergleichen mehr. Selbst dann, wenn Herr Kraus das umfang
reiche Beweisverfahren im Prager Prozess für den Brünner Prozess
als präjudiziell ansehen wollte, was er aber gewiss nicht tut,
und dort der Wahrheitsbeweis gelänge, was ich aber für ausge
schlossen halte, könnte dieser Wahrheitsbeweis nicht auch den
Beweis der Wahrheit der Behauptungen der Arbeiter-Zeitung er
bringen. Ich halte das ganze für eine Taktik, den Prozess
hinauszuziehen und glaube, dass man dem Richter in Brünn nahe
legen sollte, sich zwar den Prager Prozessakt anzusehen, aber
dann in der Sache selbst weiter vorzugehen: Im Prager Prozess
ist es nämlich dem Verteidiger gelungen, die Entscheidung da
durch hinauszuschieben, dass er eine Uebersetzung von mehr als
3000 Seiten der Fackel vorzulegen sich erbötig machte und hiezu
eine Frist bis September 1935 erhielt. Von einem solchen Irrweg
möchte ich das Brünner Gericht doch abhalten und insbesondere
vermeiden, dass der Brünner Richter die Ansicht bekäme, dass
es sich um zwei ganz gleiche Prozesse handle. Dies schon deshalb,
weil auch das Strafausmass durch eine solche Ansicht beeinflusst
werden könnte.


Ich zeichne
mit vorzüglicher kollegialer
Hochachtung


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