Die Fackel


Sehr geehrter Herr Kollege.


Ueber das Ergebnis der gestrigen Hauptverhand
lung gegen Hugo Sonnenschein und Redakteur Schramek werden
Sie vielleicht schon aus den Berichten der hiesigen Presse
informiert sein. Ich berichte Ihnen vorläufig kurz folgen
des:


Die Angeklagten haben unmittelbar vor der ge
strigen Verhandlung einen umfangreichen Beweisantrag über
reicht. Da er in čechischer Sprache verfasst ist, werde ich
ihn übersetzen und Ihnen die Übersetzung in den nächsten Tagen schon zukommen
lassen. Der Beweisantrag der Gegner stellt wohl schon das
Maximum an bewusst unwahren und niederträchtigen Unterstel
lungen dar, die sich überhaupt vorstellen lassen. So wird
z.B. unserm Klienten vorgeworfen, dass er vor dem Weltkrieg
und in diesem Kriege ein ostentativer Vergötterer des österr.
Militarismus mit allem seinem Zubehör gewesen sei. Ausserdem
wird versucht, durch Hinweise auf die Fackelnummern 909–911 sowie 912–915 das Gericht aus nationalen bezw. angeb
lich patriotischen Gründen gegen unsern Mandanten aufzu
putschen. Allerdings hat der Senatsvorsitzende diese offen-
kundige Tendenz der gegnerischen Behauptungen, die ich selbst
verständlich entsprechend gebrandmarkt habe, sofort erkannt
und schon bei der gestrigen Verhandlung richtig gewürdigt.


Zugelassen wurden von den von der Gegenseite angebotenen
3Beweisen die Zeugen Paul Kornfeld und Johann Urzidil in Prag,
ferner der Legationsrat Šrom der čsl. Gesandtschaft in Wien.


Die Angeklagten bieten auch, ebenso wie dies in Prag ge
schehen ist, den Wahrheitsbeweis durch eine ganze Reihe von Nummern
der Fackel an. Das Gericht denkt jedoch gar nicht daran, alle
diese Fackeln zur Verlesung bringen zu lassen, sondern wird den
Angeklagten zweifellos auftragen, genau seitenmässig die Stel
len zu bezeichnen, die vorgelesen werden sollen, sodass wir nur
mit einer relativ kurzen Dauer der Verlesungen aus den einzelnen
Fackelheften rechnen müssen.


Der Vorsitzende hat ganz decidiert erklärt, dass er sich
der Art und Weise, in welcher der Prager Prozess geführt wird,
absolut nicht anzuschliessen gedenkt, sondern dazu schauen wird,
die hiesige Sache rasch zu erledigen.


Wir werden natürlich zu dem gegnerischen Schriftsatz eine
entsprechende Aeusserung zu verfassen haben, zu der vom Gericht
eine 14 tägige Frist gewährt wurde.


Selbstverständlich habe ich mich sehr energisch bemüht, zu ver
hindern, dass über das gegnerische Vorbringen überhaupt Beweise
zugelassen werden, doch gelang es mir nicht, dies durchzu
setzen.


Ich behalte mir einen weitern ausführlichen Bericht
vor und zeichne


mit kollegialer Hochachtung
ergebener
Dr. Gallia


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