Sehr geehrter Herr Kollege.
Ich erhielt Ihr gesch. Schreiben vom 21.d.M. Dass Herr Kraus die Brünner Presse liest, habe ich
nicht
vermutet, jedoch
geglaubt, dass er das Prager
Tagblatt durch
zusehen pflegt, in welchem
auch ein ausführlicher Bericht über
die Verhandlung
veröffentlicht wurde, den ich beilege, da ich
annehme, dass er sowohl Sie,
wie Herrn Kraus interessiert.
Ferner übermittle ich Ihnen
die Uebersetzungdes von der Gegenseite
überreichten Antrages mit der Bitte, mir
sobald als möglich das
Material zur Beantwortung des Schrift
satzes der Angeklagten zur
Verfügung stellen zu wollen.
Wenn ich mir einige
Bemerkungen zu den Behaup
tungen der Angeklagten
gestatten darf, wären es folgende:
Das Zitat aus der Fackelnummer vom 17. November 1913 ist in der
Wiedergabe richtig, doch
wird ihm zweifellos von den Angeklagten
eine Tendenz unterschoben,
die mit den unzähligen antimilitari
stischen Aeusserungen
unseres Mandanten in keiner Weise ver
einbar ist und
durch diese Aeusserungen hundertmal widerlegt
wurde. Ich habe den
Eindruck, dass die von den Gegnern aus der
Fackel
Nr. 387/8 zitierte Stelle eine rein aesthetische Wertung
darstellen sollte,
keineswegs jedoch eine politische Stellung-
nahme unseres Klienten.
3Das Zitat aus der Fackel
Nr. 400–403 finde ich auf Seite90 dieser Fackel
nicht. Das weitere Zitat aus der gleichen Fackelnummer
haben die Gegner offenbar nicht verstanden.
Von dem Zitat aus der Fackel
vom 5. Dezember 1914 zu behaup
ten, es sei eine Art
Verherrlichung des Manifests Kaiser FranzJosefs gewesen, die
ein Gutheissen des Krieges in sich schlösse,
ist eine offenkundige
Missdeutung der Ansichten des Klienten,
die z.B. aus den „letzten Tagen der Menschheit“, einem
Werk
des Mandanten, das ja bekanntlich schon im Kriege verfasst
wurde,
klar hervorgehen.
Auf welche Umstände es
zurückzuführen ist, dass Herr Kraus
im Krieg einen Pass bekam,
weiss ich nicht.
Die Stellung des Herrn Kraus zum Sozialismus ist, soweit
ich einen Ueberblick über
sein Werk habe, unverändert geblieben.
Die Angeklagten werden in
dieser Beziehung zweifellos noch wieder
holt versuchen – den ersten
derartigen Versuch stellt ihr Schrift
satz dar – das Gericht in dieser Frage zu verwirren, in
dem sie
konsequent die
Stellung des Mandanten zum Sozialismus mit
seiner
Stellung zu
einzelnen sozialdemokratischen Führern vermengen wer
den. Es wird unbedingt
erforderlich sein, hier, wie auch in an
dern Fragen, die im Prozess
zur Diskussion stehen, vollständige
Klarheit zu schaffen.
Die Zitate aus der Fackel
vom Oktober 1927 hätten die Gegner
wohl besser weggelassen.
Zeigt doch gerade dieses Heft der Fackel
„Der Hort
der Republik“, wie ungeheuer energisch, unabhängig
und mutig Herr Kraus damals den Kampf gegen Schober geführt hat,
einen Kampf, in welchem Herr
Kraus sich nicht fürchtete, das
berühmte Plakat vom 17.
September 1927 in Wien überall öffentlich
anschlagen zu lassen. Wenn
Beweise über die Unerschrockenheit un
seres Klienten notwendig sind, dann ist gewiss der Kampf des
Herrn
Kraus gegen den Polizeigewaltigen von Wien einer der schlagendsten
und besten.
Die einzelnen Ausdrücke,
welche die Gegner aus der Julifackel 1934
hervorheben, besagen gar nichts darüber, wie sich
Herr Kraus zur Demokratie stellt. Aus keiner einzigen der
zahlrei
chen
von den Gegnern herangezogenen Stellen dieser Fackel kann
eine
Verurteilung der Demokratie herausgelesen werden. Mit dem
selben Recht, mit dem die
Angeklagten die zitierten Stellen aus
der Fackel als Beleg einer angeblichen Beschimpfung der Demokratie
heranziehen wollen, könnte
jede andere politische Richtung be
haupten, sie sei durch diese
Stellen beschimpft worden.
Das Lob, das in der Fackel
Nr. 909–911 dem Obersten
Adam gezollt wurde, bezog sich, soweit mir bekannt ist, auf
seine
literarische resp.
oratorische Begabung, ohne jeden politischen
Hintergrund.
Zu den Behauptungen der
Gegner über die angeblichen Angriffe
auf čsl. Staatsmänner werden
wir ausführlich Stellung nehmen müs
sen. Das Prozessgericht hat, wie ich Ihnen schon mitteilte,
die
4Tendenz der
Angeklagten sofort erkannt, wir müssen jedoch damit
rechnen, dass die Sache vors
Oberste Gericht gelangt, das, wie
Sie, sehr geehrter Herr Kollege, vielleicht wissen werden, in
Fragen nationaler Art recht
empfindlich zu sein pflegt. –
Der Pressenat hat die Zeugen Kornfeld, Urzidil und Šrom
zu jenen Punkten des gegnerischen Beweisantrages zugelassen, zu
welchen sie geführt wurden,
mit Ausnahme des Punktes 2./, über
welchen Beweise nicht
zugelassen worden sind.
Da ich aus einem Bericht
Herrn Dr. Turnovskys weiss, wie
5eigentümlich die
Herren Dr. Emil
Franzel und Dr. Brügel in dem
Prager Prozess ausgesagt haben, habe ich, um auf Umfang
und Pro
tokollierung der Aussagen der hiesigen Zeugen eine entsprechende
Ingerenz nehmen zu können,
bei der Hauptverhandlung beantragt,
die im Brünner Verfahren zu hörenden Zeugen vor dem Prozessgericht
einzuvernehmen. Dem Antrag
wurde nicht Folge gegeben, ich habe
6mir die
Nichtigkeitsbeschwerde vorbehalten.
Weiters habe ich über die
Hauptverhandlung noch zu berich
ten, dass der Verteidiger erklärte, der Angeklagte Schramek
trete den Wahrheitsbeweis
hinsichtlich des Sonkaschen Gedichtes
nicht an, sondern nur
bezüglich des Artikels „Der Racheakt
derPolizei gegen
Braunthal“.
Eine Abschrift des
Protokolles der Hauptverhandlung,
das bis nun von dem Schriftführer nicht fertiggestellt wurde, werde
7ich gelegentlich
besorgen lassen, und falls Sie oder Herr Kraus
es wünschen sollten, für Sie
übersetzen.
Zu weiteren Aufklärungen
stehe ich natürlich jederzeit
zur Verfügung und zeichne
in kollegialer
Hochachtung
Ihr
ergebener
Dr. Gallia.
recom.
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