Uebersetzung.
Durchführung des Wahrheitsbeweises resp. des entschuld
baren Irrtums.
In dieser Strafsache haben
wir uns im Vorverfahren
vorbehalten, hinsichtlich des Artikels „der Racheakt derPolizei gegen
Braunthal“ und des Gedichtes „Zeitgeistervon Sonka“ den Wahrheitsbeweis bezw. den
Beweis entschuldbaren
Irrtums
anzutreten.
Da zu seiner Durchführung es
notwendig war, eine
Reihe von
Belegen zu studieren, die in diesem Staate nur mit
der grössten Mühe
aufgetrieben werden können bezw. die in
Oesterreich in Archiven
gesammelt werden müssen, führen wir
erst jetzt auf diese Weise
den
Wahrheitsbeweis, allenfalls den Beweis entschuldbaren Irrtums
durch:
1./ Der Privatkläger hat vor dem Kriege in seiner
Zeitschrift Fackel ebenso wie in seinen anderswo
veröffentlich
ten literarischen Arbeiten eine ungeschminkte Verehrung des
Militarismus, des österr.
Adels und der Autokratie überhaupt
geäussert.
So schreibt er in der Nummer
387/8 vom 17. November
1913 auf Seite
32 der Zeitschrift Fackel
bei Gelegenheit eines
Vortrages in dem damaligen k.u.k. Kriegshafen Pola von dem
österr. Marineoffizierskorps wörtlich: „Menschen, die
innen so beschaffen …
wie aussen und die anzuschauen das
Gefühl dieser Einheit
bestätigt und hundertmal das Gefühl, dass
der Militärhass der
Demokratie die Ueberlegenheit des Miss
wachses über die
Männlichkeit bedeutet.“
In der gleichen Zeitschrift vom 10.VII.1914, Nr.400–403, auf Seite
90, knapp vor dem Krieg, erklärte der
Privatkläger: „Ja, ich aspiriere auf
aristokratischen
Umgang … Dass ich … hinreichend
verdächtig bin, ari
stokratischen Umgang zu
suchen, müsste der demokratische
längst heraus haben: ihn
fliehe ich. Er ist die Pest, die
sich des Daseins freut
und ihrem eigenen Bazillus nicht
auf der Spur ist. Er
weckt mich und ich suche einen König,
der eine Bombe hätte für
diesen allzuklugen Untertan. Ich
weiss, was auf dem
Spiele steht: rettet unsere Seelen. Ich
weiss und bekenne, und
auf die Gefahr hin, fortan ein Poli
tiker zu sein oder usw.
…“
In der gleichen Zeitschrift vom 14. Juli 1914 bekennt
er „politisch nicht einmal bei der
französischen Revolu
tion angelangt“
zu sein und da „einen Konservativismus von
einer Blutbereitschaft
propagiert, gegen den tausend Jahrgän
ge von tausend
klerikalen Zeitungen die Sprache einer
Protestversammlung des
Monistenbundes zum Schutze rei
sender Kaufleute
führen.“ In seiner Aversion gegen „eine
freie Erde, die zum
Himmel stinkt“ ist er „nur zufrie
den in der Gewissheit,
dass dem auf den Glanz hergerichteten
Menschheitspofel, der
allerorten zu sehen ist, der grosse
Ausverkauf
bevorsteht.“
In der gleichen Zeitschrift u.zw. in Nummer
404 vom 5.
Dezember
1914, Seite 3 begrüsst er das Kriegsmanifest FranzJosefs
mit Begeisterung: „… über jenem erhabenen
Mani
fest,
dass die tatenvolle Zeit eingeleitet, dem einzigen Ge
dicht, das sie bis nun
hervorgebracht hat, über dem menschlich
sten Anschlag, den die
Strasse unserem Auge widerfahren lassen
konnte. …“
Aus
diesen paar Proben aus dem literarischen Werk des
Privatklägers geht hervor, dass er kurz vor dem Krieg
ebenso
wie im Krieg ein
ostentativer Vergötterer
des zum deutschen
Reich
hin orientierten österr. Militarismus mit allem seinen
Zubehör war.
Beweis: Die Fackel Nr.
387 vom 17.XI.1913, Nr. 400–403
vom 10.VII.1914, Nr.
vom 14.VII.1914, Nr. 404 vom 5.XII.1914,
die nach ihrer Beschaffung
dem Gericht werden vorgelegt werden.
2./ Im Krieg erhielt der Privatkläger als verlässlicher
österr. ung. Staatsbürger
einen Pass, mit dessen Hilfe er eine
beträchtliche Zeit in der
Schweiz verbrachte und noch im Kriege
wieder ohne irgend welche
Hindernisse in die österr. ung. Monarchie
zurückkehrte.
Beweis: Zeugenschaft des Johannes
Urzidil, Prag Karlín,Palackého 72, des
Paul
Kornfeld, Prag XIX,
Soborská 8.
3./ Nach
Beendigung des Krieges fand beim Privatkläger
gleich im Jahre 1919 ein rascher Umsturz in seiner politischen
Gesinnung statt, sodass bei
einem objektiven Betrachter dieser
auffälligen Aenderurg der
Privatkläger notwendig den Eindruck
erwecken musste, dass bei
ihm der rasche Wechsel in den
Grundanschauungen hinsichtlich der Grundprinzipien des Staates
nicht das Ergebnis einer
geistigen Umorientierung, sondern eher
die Folge des staatlichen
Umsturzes war, dessen Form und poli
tischer Majorität sich der
Privatkläger in seinen literarischen
Arbeiten angepasst hat.
So schreibt schon im März
1919 in der Nummer 508 bis513 der Fackel auf
Seite
30 der Privatkläger in einem Wahlauf
ruf für die Sozialdemokratie: „… Jener
wird christlich-sozial,
dieser sozialdemokratisch wählen. Jener
wird sein Schärflein zu
dem Eindruck beitragen, dass ein unschul
diges Volk die Tat
seiner abgehausten Regenten nachträglich
gutheisse … der andere
wird belastet … welcher aber das
Verdienst zuzusprechen ist, die grosse Zeit der Entehrung
sehend
durchlebt und
dem vaterländischem Zwang ihre Gesinnung verwei
gert zu haben … Wenn
nicht im letzten Augenblick eine
Spur von Ehre, eine Spur
von Erinnerung … die andere Wahl
gebietet, wird
schwarz-gelb, in der verächtlichsten Einigung
seiner hassenswerten
Farben, auferstehen … um dem blutig
sten Schaustück Platz zu
machen.“
In der gleichen Zeitschrift vom Juli 1919 in der Nr.
514–518 auf Seite
86: „Nichts anderes ist ihr zu
wünschen …
als dass die
Republik, die Blutsverwandtschaft erkennend, mit
den hinterbliebenen
Parasiten der Kaiserzeit wie mit den
Mitessern der Revolution
ein Ende mache …“
In seinem Werk „Die letzten Tage der Menschheit“ 5.
Akt
11. Szene:
Aussenministerium. Graf: „Lass mich aus – jede
Woche beim K.M. für ein
Juden um ein kontumazfreien Grenz
übertritt penzen
…“
In der Zeitschrift Fackel, Ende Juli 1919, Seite
86,
Nr.
514–518: „Weg mit den verantwortlichen
Redakteuren
des
Weltkrieges.“
Beweis: Die Fackel Nr. 508–513, dieselbe Zeitschrift
Nr.
514–518, die Nummer der Zeitschrift: „Die letztenTage der Menschheit“, Die Fackel Nr.
514–518.
3./ Aehnliche Ansichten hat
der Privatkläger in der
Fackel vom Oktober 1927 auf Seite
49
Nr. 766–770, auf
Seite 50,
51, 52, 53, 54,
55, 56, 57, insbesondere 58, 59, 61 , 63,
64,
65, 66, 70, 71,
72, 73, 75, 77,
78 und weiter in der gleichen
Zeitschrift im Dezember Nr. 771–776 auf Seite 11, 13, 15,
17,
18, 19, 28 ausgesprochen.
Beweis: Die Fackel
Nr.
766–770 vom Oktober 1927,
Nr.
771–776 vom Dezember 1927 zit. Seiten.
4./ Offen hat der Privatkläger für die Sozialdemokratie
solange geschrieben,
solange es schien, dass die Sozialdemo
kratie in Oesterreich
die absolute Macht erlangen werde.
Später jedoch beginnt sein
literarisches Werk eine rasche Ab
schwenkung zu zeigen, insbesondere nach dem Feber 1934, also
in einer Zeit, wo sich in
Oesterreich die christlich-sozialen
als Todfeind der Demokratie
und daher auch der sozialdemo-
kratischen Ideen der Macht
bemächtigten. So hat im Sommer
1934 in der Nummer
890–905 der Fackel der Privatkläger
mit Beschimpfungen und
Beleidigungen der Demokratie nicht
gespart und umgekehrt mit
dem Lob des Regimes Dollfuss
– Fey – Starhemberg.
Gleichzeitig hat er nicht gezögert,
obwohl früher ein
begeisterter Bewunderer der Arbeiter
schaft und ihres politischen
Kampfes, auch gegen die Opfer
des Feberaufstandes zu schreiben. In der Mainummer der glei
chen Zeitschrift aus dem Jahre 1934 geht er schliesslich so
weit, dass er in
ihr den Propagandaminister Oberst WalterAdam feiert.
Beweis: Die Fackel
Nr.
890–905 aus dem Jahre 1934,
die Mainummer
1935, die werden vorgelegt werden.
5./ Die
Fackel
Nr.
890–905 aus dem Juli 1934 wimmelt
geradezu von den niedrigsten
Beschimpfungen der Demokratie.
So auf Seite 4./: „Chance der Frechheit Wanzen,
die ver
muten
…“ auf Seite 7./: „Der Hohlkopf, der sich
über
haupt
nichts vorstellt …“ Seite 8./ „Das
Geistgesindel“,
Seite 10./: „ Schadenfreude der
Lumperei“, Seite 11./:
„Weiss und Lump, dass man auch
einer sein kann“, Seite12./: „ Nichtsnutziger
Aesthet“, Seite 15./: „Schä
bigkeit der
Linkspresse“, Seite 21./: „ Der radikale
Lump“ Seite
24./: „Der Plunder der
Freiheit“, Seite 28./:
„Eine Generation von
Dieben“ Seite 34: „ schmecks, kusch“
Seite
36./: „Abgewiesene Hausierer der
Literatur“ Seite49 : „Prager Schmock“ Seite
36./: „Höherer Kategorie,
nämlich der
Huren“ Seite 173: „Vision einer Einigung:
dass
der
Würdenträger, der diese Woche nicht empfängt auf der Barri
kade abgehalten
wäre / Minister Czech /“, Seite 277: „Zu
Gunsten der Opfer des
sozialdemokratischen Verbrechertums.“
Beweis: Die Fackel
Nr.
890–905, aus dem Jahre 1934, die
vorgelegt werden wird.
Es ist sicher möglich, dass
ein Mensch seine poli
tische Ueberzeugung ändert.
Diese Aenderung ist jedoch nur je
nenfalls vom sittlichen Standpunkt einwandfrei, wenn sie das
Ergebnis einer geistigen
Umorientierung ist, die auf einem
Wechsel des Standpunkts
beruht, von welchem aus wir die sozialen
Erscheinungen betrachten,
die das Leben der Gesellschaft be
gleiten.
Wenn
jedoch derartige Aenderungen zu häufig sind und
gerade in jenen Zeiten geschehen, die gleichzeitig gekennzeich
net sind durch Aenderungen der politischen
Macht, dann wird si
cher diese Auffassung verdächtig und vom
moralischen Stand
punkt fehlerhaft.
Oben haben wir nachgewissen
– an Hand des eigenen
Werks des Privatklägers –
dass seine Abwendung vom Militarismus
und der feudalen
Zusammensetzung der österr. ung. Monarchie so
fort nach dem Umsturz
eingetreten ist. Von da an datiert seine
ungeschminkte Bewunderung
und agitatorische
Tätigkeit für die
österr.
Sozialdemokratie, die allerdings nur solange dauerte,
als nicht allmählich eine andere
politische Partei zur Macht
kam und sich offen mit
den Aeusserungen der höchsten Verachtung
nach der unglücklichen
Feberrevolution 1934 ändert, von welcher
Zeit an sich der Privatkläger in die Dienste des faschistisch
orientierten österr.
Regierungsregimes stellt.
In dieser Richtung ist es
daher eine durchaus zuläs
sige Kritik, wenn ich Sonka, in dem Artikel „der Racheakt
Arbeiterzeitung
angeführt habe, dass der Privatkläger sich
gleich
geschaltet hat und sich damit
vor dem Konzentrationslager inWöllersdorf schützt. Diese seine
Bemühungen, sich dem herrschenden
faschistischen Regime
anzupassen, sind in einer ganzen Reihe
Intellektueller, welche
gerade aus Liebe zur Wahrheit und Achtung
vor der
Freiheit lieber die Emigration als die gehorsame Anpas
sung an das gegenwärtige
österr. Regime wählten, bekannt.
Beweis: Zeugenschaft des Paul Kornfeld,
Prag–XIX, Sobolská 8, Johannes Urzidil, Prag–Karlín, Palackého 72, Franz Werfel, New
York,
Manhattan Opera, des Herrn Gerke, Legationssekretärs der čsl.Gesandtschaft in London, des Dr. Theodor
Wolf in Paris, HotelMeurice, der Frau Maximiliane Harden,
Berlin, Willmersdorferstrasse 133
B, die früher zitierten Nummern der Fackel.
6./ Das Gedicht Zeitgeister habe ich nicht auf die
Person
des Privatklägers stilisiert. Es wurde schon am 19.
März 1934
ohne jedwede
Widmung in der Zeitschrift Čin abgedruckt. Ebenso
wurde es im Mai 1935 als
Flugblatt einer Ausgabe der Arbeiterzeitung
angefügt und weiter in meinem Buch „Nichts alsBrot und Freiheit“
im Jänner 1936 ohne jede Widmung. Mein Ge
danke bei der Verfassung
dieses satirischen Gedichtes war
dem
Leser einen
Literatentyp zu schildern, der sich geschickt und
im richtigen Augenblick
ohne eine innerliche wirkliche Aenderung
den Tendenzen des
herrschenden Regimes anpasst und auf diese
der Konjunktur
Rechnungtragende Weise seiner literarischen Tä
tigkeit uns andere
Dichter und Literaten überhaupt diskreditiert,
deren Sendung in der
menschlichen Gesellschaft es gerade ist,
die breitere Öffentlichkeit
moralisch aufzurütteln und ein
Muster moralischer Verantwortlichkeit zu sein.
Die Widmung an den Privatkläger Karl Kraus ist
nur ein
Entgelt für seine
wahllosen Ausfälle gegen uns sozialdemokrati
sche Dichter, die wir gerade
für unsere Ueberzeugung die un
sichere Fremde vor der weit
bequemeren Gleichschaltung ge
wählt haben.
Ich war
daher zu dieser Widmung durch die frühern Aus
fälle des Privatklägers, die oben eingehend bewiesen wurden,
direkt provoziert.
Beweis:
Die oben zitierten Nummern
der Zeitschrift Fackel
aus dem Jahre 1934.
7./ Der Kläger beschimpft durch ganze Jahre in sei
nen Artikeln unbegründet die
čsl. Staatsmänner, obwohl er oft
die Gastfreundschaft dieses
Staates genossen hat. So greift
er z.B. in der Nummer
909–911 der Fackel die
Wiener Zeitung
der Tag nur darum an, weil diese
eine Agitationsrede des
Propagandisten Adam nicht veröffentlicht hat.
In diesem Zu
sammenhang wagt es der Privatkläger den
damaligen Aussenmini
ster, den nunmehrigen Präsidenten Dr. Eduard
Beneš wegen
seiner staatsmännischen Tätigkeit anzugreifen.
Beweis: Die Fackel
Nr.
909–911, Seite 58, Zeugenschaft des
Legationsrates Šrom, Pressereferenten in Wien I., Lobkowitzgasse,
8./ Der Privatkläger macht die demokratische Ver
fassung dieses Staates
lächerlich, dem er beispiellose Dumm
heit auszusetzen wagt.
Beweis: Die Fackel
909–911, Seite 59.
9./ Der Privatkläger äussert sich über die čsl.
Nation und ihrem Kampf um
die Befreiung in dem Sinn, es hätte
„die Partei den Hausherrn
hinausgeworfen“. Als Hausherrn
bezeichnet er die Habsburger
und Partei ist zufolge der beseelten
Ansicht des Privatklägers offenkundig die čsl. Nation, die
seiner Ansicht nach offenbar
keinen Anspruch auf Selbstständig
keit gehabt hat.
Beweis: Die österreich. Ausgaben der Fackel
Nr. 912–915, die
wir beschaffen und vorlegen
werden, die Zeugenschaft des Lega
tionsrats Šrom.
10./ Diese Tätigkeit des Privatklägers hat schon all
gemeine Erregung
hervorgerufen.
Beweis: Zeugerschaft des
Legationsrats Šrom.
Es ist also klar, dass es
eine der wichtigsten In
teressen der čsl.
Oeffentlichkeit ist, dass Menschen von der
Art des Privatklägers in unserer čsl. Presse kritisiert werden.
Wir behaupten, dass im
Hinblick auf die geschilderte und nach
weisbare antistaatliche
Tätigkeit des Privatklägers und im
Hinblick auf seine schon dritte, zeitlich auffallende politi
sche
Umorientierung die Kritik sowohl in dem inkriminierten
Artikel wie auch in dem Gedicht eine durchaus zulässige litera
rische Kritik ist und dass
sie ausserdem im öffentlichen Interes
se geschah. Der Privatkläger sucht durch mutwillige Klagen
die
wahren Freunde der
Čechoslowakei an diesem literarischen Kampf
zu hindern, allerdings
vergeblich. Für den Fall, dass das
Gericht auch diese unsere Behauptung für wichtig halten
sollte, bie
ten
wir hierüber den Beweis durch die Akten des Strafkreisgerichtes in Prag Tk VI 9174/34 an.
Wir
beantragen
daher, uns von der
Privatanklage des Karl Kraus freizuspre
chen und den Privatkläger schuldig zu erkennen, uns die
Kosten
dieses
Strafverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu er
setzen.
Brünn, den 18. Feber 1936.