Uebersetzung der Zeugenprotokolle vom 6.III.1936.
Ich habe vor 22 Jahren mit dem
Privatkläger verkehrt, seit
dieser Zeit habe ich ihn nicht
gesehen. Sonka kenne ich seit dem Herbst
1935. Kraus habe ich damals vor 22 Jahren für eine moralische Grösse
gehalten. Aber ich habe mich
überzeugt, dass dies nicht der Fall ist.
Kraus hat nämlich in seiner Zeitschrift ein Gedicht
Franz Werfels
veröffentlicht, von welchem
sowohl ich wie auch der Privatkläger über
zeugt war, dass er ein
grosses Talent ist. Dann aber hatte Werfel
irgend eine private Differenz
mit einer Dame, die Kraus kannte. Es war
eine Kleinlichkeit und trotzdem hat von dieser Zeit an Kraus seine
Meinung über
Werfel geändert, hat ihn kritisiert und erklärt,
dass er
kein guter Dichter sei.
Was es die politische Gesinnung Kraus’ anlangt,
habe ich im Ganzen den Eindruck,
dass er sie nach den gegebenen Um
ständen ändert, denn in Berlin, etwa im Jahre 1925 hat er vorwiegend
mit Kommunisten verkehrt, war in
einem kommunistischen Kreis und alle
haben damals geglaubt, er sei
Kommunist, er hat nicht protestiert und
damals hat ihn die kommunistische
Presse sehr gelobt. Später sah ich ihn
als Bewunderer Dollfuss’.
Den Privatkläger Kraus und den Beschuldigten Schramek kenne
ich persönlich nicht. Den
Beschuldigten Sonka kenne ich auch persön
lich und kann von
ihm sagen, er sei ein Dichter, der seine Ueberzeugun
gen anständig verteidigt.
Von dem inkriminierten Gedicht habe
ich nach
dessen
Veröffentlichung erfahren und kann mich kritisch zu seinem
Inhalt nicht äussern, denn
ich habe die Ansicht und die politische
Ueberzeugung Karl Kraus’ in
den letzten 15 Jahren nicht genau verfolgt
und die Zeitschrift Fackel nur selten und flüchtig
gelesen. Da ich in
diesem Prozess als Zeuge
geführt bin, wovon ich aus der Tagespresse
erfuhr, bin ich genötigt,
zur Charakterisierung Karl Kraus’ zurückzu
kehren auf Grund eines
Angriffes, den er gegen mich im Jahre 1931 in
der Nummer
864/7 seiner Zeitschrift Fackel machte. In diesem Angriff
kritisiert er mich in der
Art, dass er meinen čechischen Namen Urzi
dil ironisiert und den Klang
dieses Namens mit der Vorstellung zer
schlagener Glasfenster
vergleicht. Die Art einer solchen Kritik wirft
auf den moralischen Wert und
die Sachlichkeit der Kritik ein schlech
tes Licht. Weiter hat der
Privatkläger in diesem Artikel geschrieben,
ich sei sowohl čechischer wie auch deutscher Abstammung. Unter če
chischer Abstammung meinte
er meinen Vater, mit der deutschen Ab
stammung wollte er meine
verstorbene Mutter tadeln u.zw. aus dem
Grunde, weil diese eine
deutsche Jüdin war. Wenn ein deutscher Schrift
steller, der selbst Jude
ist, jemanden deshalb deutsch nennt, weil er
teilweise jüdischen
Ursprungs ist und wenn er dies in der Absicht
tut, durch eine solche
Bemerkung den betreffenden herabzusetzen, dann
identifiziert er sich mit
dem rassischen / hier folgt ein im Protokoll
unleserliches Wort /
Antisemitismus und gibt zu erkennen, dass er einen
čechischen Namen und
jüdischen Ursprung als Beweis des Deutschtums
ansieht, trotzdem dass es in
meinem Fall um einen damals schon 15 Jahre
bekannten deutschen
Schriftsteller ging.
Von plötzlichen Aenderungen
der politischen Ueberzeugung des Privatklägers kann ich
nichts näheres angeben.