Sehr geehrter Herr Kollege.
Ich bestätige Ihr
geschätztes Schreiben vom 17. d.M.
Zunächst möchte ich Ihnen, sehr geehrter
Herr Kollege, und Herrn Kraus auf das herzlichste für den
freundlichen Empfang danken,
den Sie mir in Wien bereitet
haben. Es war auch mir eine
sehr grosse Freude, Sie und
Herrn Kraus kennenlernen zu dürfen. Ich hoffe
sehr, dass
dadurch unser
Zusammenarbeiten gefördert wurde und dass
Sie ebenso wie Herr Kraus die Ueberzeugung gewonnen haben,
dass wir uns hier mit aller
Sorgfalt und Liebe der Sache
des Klienten widmen.
Zu den einzelnen von Ihnen
genannten
Punkten möchte
ich folgendes bemerken: Wenn Herr Kraus
die Erweiterung der Klage
durch Inkriminierung der Be
leidigungen wünscht, die der
Schriftsatz der Gegner enthält,
bin ich natürlich durchaus
damit einverstanden, eine Anklage
einzubringen. Allerdings
dürfte diese neue Anklage den
Gegnern eine willkommene Gelegenheit bieten, neuerliche
Verschleppungsversuche zu
machen. Auch glaube ich, dass die
Strafe der Angeklagten kaum
grösser sein wird, wenn auch
noch die Beleidigungen
berücksichtigt werden, die in dem
Schriftsatz stehen. Die von Ihnen erwähnte
Möglichkeit,
durch die
Erweiterung der Anklage das Gericht über
die
Intentionen unseres
Klienten aufzuklären, scheint mir auch
ohne Einbringung der neuen
Anklage gegeben und wir wollen
ja von dieser Möglichkeit durch den von Ihnen schon vor
bereiteten Schriftsatz
ausgiebig Gebrauch machen.
Wenn trotzdem Sie und Herr
Kraus sich dazu ent
schliessen, die Anklage
auszudehnen, werde ich Ihnen, sobald
Sie mir den Entschluss
mitteilen, sofort bekanntgeben, welche
Behauptungen des
gegnerischen Beweisantrages meiner Mei
nung nach zu inkriminieren
wären.
Der Bericht des Prager Tagblattes über die Ver
handlung vom Feber l.J. ist mir
heute nicht zugänglich. Ich
möchte jedoch jetzt schon bemerken, dass ich selbst dem hie
sigen Redakteur des Prager Tagblattes
eine Information über
das
Ergebnis der Verhandlung erteilt habe. Ich kann mich
heute wohl an den Wortlaut des
Berichtes des Prager Tagblattes nicht ganz genau erinnern, soweit jedoch mein Ge
dächtnis reicht, ist mir
erinnerlich, dass der Bericht eigentlich im Ganzen ob
jektiv war und keinerlei Anlass
zu einer Berichtigung geben
dürfte. Mir persönlich wäre diese Berichtigung nicht be
sonders angenehm, doch bin ich,
wenn Sie oder Herr Kraus meine
Meinung nicht teilen sollten,
natürlich ohne weiteres bereit,
auch die Berichtigung zu
verlangen.
Jedenfalls werde ich mir den
Bericht des PragerTagblattes umgehend beschaffen und dann zur Frage der Be
richtigung nochmals Stellung
nehmen.
Ueber die Einvernahme des Herrn
Kraus habe
ich mit dem Untersuchungsrichter heute gesprochen. Er ist
ohne weiteres bereit Herrn Kraus in Brünn vor
der Haupt
verhandlung
einzuvernehmen, wobei diese Einvernahme technisch
so durchgeführt werden würde,
dass ich ein Protokollformular
bei Gericht behebe, mit Herrn Kraus in meiner Kanzlei seine
Aussage niederschreibe und Herr
Kraus dann beim Unter
suchungsrichter seine Aussage bloss unterschreibt und dem
Richter
bestätigt, dass das Protokoll in Ordnung sei. Aller
dings ist hier folgendes zu
erwägen: Der Untersuchungs
richter, der die Sache
jetzt führt, wird am 1.4. wahrschein
lich zur Staatsanwaltschaft versetzt werden. Es wäre daher,
da ich nicht weiss, wer an Stelle
des jetzigen Untersuchungs
richters kommt und wie
sich der neue Richter zu der von mir
vorgesehenen Art der Einvernahme
des Klienten stellen wird,
unbedingt erforderlich, dass wir
unseren Schriftsatz, der
ja durch
die Einvernahme des Herrn Kraus als Zeugen be
stätigt werden soll,
ehestens überreichen. Ich möchte dies
selbst auf die Gefahr hin tun,
dass der Schriftsatz nicht
so
komplett wird, wie wir ihn haben wollen, da ja Herr
Kraus bei der Hauptverhandlung seine vor dem Unter
suchungsrichter abgegebene Aussage jederzeit ergänzen
könnte, falls wir es notwendig
finden, den Schriftsatz vor
der
Hauptverhandlung durch einen zweiten zu vervollstän
digen.
Sie entnehmen, sehr geehrter
Herr Kollege, dem
gerade Gesagten, dass ich
durchaus damit einverstanden bin,
wenn Herr Kraus zunächst zu seiner Einvernahme – noch im
Laufe dieses Monates – und
dann zu der Hauptverhandlung
selbst auch kommt.
Eine unangenehme Wendung im
Prozess wird leider
dadurch
eintreten, dass in der allernächsten Zeit der bisherige
Senatsvorsitzende,
Gerichtsrat Dr. Winter, zum Zivilkreisgericht versetzt
wird. Derartige Verschiebungen sind hier, sehr
zum Schaden der anhängigen
Sachen, an der Tagesordnung. Die
Versetzung des Dr. Winter dürfte jetzt noch schneller vor
sich
gehen als
ursprünglich vorgesehen war, da durch den Tod eines
Mitgliedes des Berufungssenates eine Stelle beim Zivilkreisgericht vakant
geworden ist.
Wie mir der Untersuchungsrichter bei meinem
heutigen Besuche mitteilte, wird
die Einvernahme des Lega-
tionsrates Šrom zunächst nicht erfolgen, was uns natürlich
nur erwünscht ist. Der Untersuchungsrichter hat vom Senatsvorsitzenden Auftrag erhalten – aus welchem Grunde ist mir
nicht recht klar – die
Einvernahme des Legationsrates in
Wien nicht zu veranlassen. Offenbar will der Senat von dem
Beweisbeschluss, der bei der
Hauptverhandlung im Feber ge
fasst wurde, wieder abgehen.
Die Einvernahme Kornfelds und Urzidils ist
hingegen schon durchgeführt worden. Das Protokoll habe ich
abschreiben lassen und
übersetzt. Sie finden die Uebersetzung,
sehr geehrter Herr Kollege, in der Anlage.
Die Angaben der beiden Zeugen
sind, wie wir
ja erwartet hatten,
frech und unsachlich, ohne allerdings,
was besonders von der Aussage Urzidils gilt, mit dem Pro
zessthema viel zu tun zu haben.
Ueber die Differenz, die Herr
Kraus seinerzeit mit Werfel gehabt haben soll, bin ich nicht
recht im Bilde. Ueber die
politische Ueberzeugung des Klienten
hat Kornfeld nichts Bestimmtes geäussert. Er spricht von einem
Eindruck den er hatte, allerdings
geht der Eindruck noch über
das
hinaus, was die Angeklagten behaupten, zweifellos völlig zu
unrecht, denn soweit ich mich
erinnern kann, wurde Herrn
Kraus eine kommunistische Ueberzeugung kaum je
vorge
worfen. Was
die Berliner Kommunisten sich gedacht haben,
ist ganz gewiss für den Prozess
ohne Interesse und wenn
Kornfeld behauptet, die kommunistische Presse habe
Herrn
Kraus damals sehr gelobt, so ist dies meiner Meinung nach
ein sehr schwacher Beweis für die
kommunistische Gesinnung
unseres
Mandanten, denn zu jener Zeit wurde er auch von
der
weniger extremen
Linkspresse in den Himmel gehoben und
hätte daher zur gleichen Zeit, wo
er Kommunist gewesen sein
soll,
zumindest auch Sozialdemokrat gewesen sein müssen,
wenn das Lob einer Parteipresse
schon beweisen soll, der
Gelobte
gehöre der Partei an, die über diese Presse verfügt.
Klar ist, dass im Jahre 1925 die
kommunistische Partei weder
in
Berlin noch auch in Wien regierte und wenn selbst die An
gaben Kornfelds richtig wären, würden sie gerade beweisen,
dass Herr Kraus nicht sich der herrschenden Meinung ange
schlossen hat, denn diese war
auch im Jahre 1925 durchaus
nicht
kommunistisch.
Die Aussage
Urzidils ist in den Punkten, auf die
es ankommt, für die Gegner meiner
Ueberzeugung nach gänzlich
unverwertbar. Was es den Angriff anlangt, den Herr Kraus gegen
Urzidil gerichtet haben soll, zeigt die Angabe des
Zeugen
über diesen Punkt nur seine
Befangenheit, ohne etwas zu ent
halten, was für den Vorwurf der
Gesinnungslumperei, Profitma
cherei u.ä. sprechen könnte.
Was Urzidil im vorletzten Absatz seiner Aussage eigentlich zum
Ausdruck bringen wollte, ist mir nicht
recht klar. Im Jahre 1931
soll Herr Kraus doch noch Sozial
demokrat gewesen sein. Hätte
er sich damals mit dem Rassen
antisemitismus
identifiziert, so wäre es auch nur ein Beweis
dafür, dass er nicht in das
sozialdemokratische Horn geblasen
hat, denn es wird kaum eines
weitläufigen Nachweises bedürfen
zu zeigen, dass die
Sozialdemokratie sich nie auf rassenanti
semitische Standpunkte
gestellt hat.
Ich erwarte, sehr geehrter
Herr Kollege, Ihre freund
lichen umgehenden
Nachrichten. Den mir übergebenen Entwurf
des Schriftsatzes studiere
ich und werde meine Ergänzungs
vorschläge in den nächsten
Tagen machen.
Das Buch von Reinold habe ich mir hier schon
wieder beschafft und übermittle
Ihnen daher wunschgemäss
einen
Erlagschein.
Ich bin mit den besten
Empfehlungen
Ihr sehr
ergebener
Dr. Gallia.
2 Beilagen.
1 Durchschlag.
1 Erlagschein.
P.S. Wer an Stelle des
Gerichtsrates Winter in den Pressesenat kommt, weiss
ich nicht. Auch ihm ist es bisher nicht
bekannt.