An das
Strafkreisgericht,Brünn.
zur
Zahl Tl III 239/34
Tl III
256/35
Tl III 299/34
Privatkläger: Karl Kraus, Herausgeber der Zeit
schrift „Die Fackel“ in Wien
III., vertreten
durch Dr. Robert
Herrmann und Dr. Felix Gallia,
Advokaten in Brünn
Beschuldigte: 1./ Josef Schramek, Redakteur in
Brünn,
2./ Hugo Sonnenschein / Sonka /
Schriftsteller in Prag,
beide vertreten durch Dr.
Bohuslav Ečer, Advokaten
in Brünn
wegen Ehrenbeleidigung resp.
Vernachlässigung
der
pflichtgemässen Obsorge. 2 fach
Beilagen
Aeusserung des Privatklägers
zum Schriftsatz der Angeklagtenvom 18. Februar
1936.
und unterdrücke offenbar in der
Tschechoslovakei, was
er
angeblich gegen diese in Österreich vorbringt,
Es ist wohl das Absurdeste,
was es je
im Rechtswesen
gegeben hat: dass ein Privatkläger, dessen
37jähriges geistiges
Schaffen vor aller Welt vorliegt, durch
Wochen hindurch sich und
seinen Anwalt bemühen muss, nicht etwa,
Beweise durch Gegenbeweise
zu entkräftigen, sondern einem Angeklagten auf seinen
Schleichwegen einer Beweisführung zu folgen
und aufzuzeigen, mit welchen
Mitteln der Entstellung und der
Verfälschung die Angeklagten
einen „Wahrheitsbeweis, allenfalls
den Beweis
entschuldbaren Irrtums“ zu führen versuchen. Schon
der Satz, dass zu seiner
Durchführung notwendig war, eine Reihe
von Belegen zu studieren,
die in Oesterreich in Archiven ge
sammelt werden mussten, ist
wahrheitswidrig. Die Angeklagten
stellen nicht einen einzigen
Beweisantrag, den sie auf eine
Archivforschung zurückführen, und sie berufen sich ausschliess
lich auf Stellen aus der vom
Privatkläger seit 37 Jahren heraus
gegebenen im Buchhandel erhältlichen Zeitschrift
„Die Fackel“, die sie in einer
Weise zi
tieren,
dass das Gegenteil der
Meinungen
Anschauungen
des Privatklägers
herauskommt. Damit aber die Angeklagten
aber sich nicht mit techni
schen
Schwierigkeiten ausreden können, werden ihnen alle Exem
plare der Fackel gerne zur Verfügung gestellt, die sie zu
ihrer
Entlastung zu
benötigen glauben, auch die „österreichischen“
Ausgaben der Fackel, die sich allerdings von den im Gebiete der
Tschechoslowakei verbreiteten nur durch den Preisaufdruck
auf dem Umschlage
– hier in
Tschechenkronen, in Oesterreich in Schilling – unter
scheiden. Die
beleidigende
verleumderische
Behauptung der Angeklagten, der
Privatkläger gebe zwei
verschiedene Ausgaben seiner Zeitschrift
heraus,
wodurch zum Ausdruck gebracht werden soll, er ändere
seine Meinungsäusserung nach
Zeit und
dem
Ort des Erscheinens, wurde
zum Gegenstand einer
separaten Anklage gemacht. Dieser Vorwurf
beweist wohl zur Genüge, mit
welcher
Gehässigkeit und
gehässigen
Verlogen
heit die Angeklagten ihren Standpunkt vertreten.
Ehe in die Besprechung der
einzelnen
Punkte des Schriftsatzes der Angeklagten eingegangen wird, soll
der Laune feisten Goldes dienen, Leisetreter,
Zuhälter der
Macht,
die man
morgen schon zertreten werden geistige Henkersknechte,
die „Mordhass“ schüren
und den Schlaf der Welt hüten, um
zu der Rechtsfrage Stellung
genommen werden: ob
sie
die Angeklagten
den Straf
ausschliessungsgrund des § 6, 2b des
Ehrenschutzgesetzes für
sich in Anspruch nehmen
können. Dieser Strafausschliessungs
grund, der bei Begehung der
strafbaren Handlung in einer Druck
schrift nur dann Anwendung
zu finden hat, wenn die Anführung
oder Mitteilung der in
Betracht kommenden Tatsachen im öffent
lichen Interesse gelegen ist
oder zur Wahrung eines berechtig
ten wichtigen
Privatinteresses notwendig war, kann den Ange
klagten nur dann zugute
kommen, wenn das von ihnen vorgegebene
Interesse schon zur Zeit der
inkriminierten Aeusserung vorhan
den war. Dieser
Strafausschliessungsgrund ist nur dann gegeben,
wenn die sonst strafbare
Handlung begangen wird, um eine wichti
ge Interessensphäre zu
schützen. In ihrem Beweisantrag berufen
sich die Angeklagten in den Punkten 7, 8 und 9) auf Stellen aus
den Fackel-Nummern
909–911, erschienen Ende Mai 1935 und 912–915,
erschienen
Ende August 1935, während das Blatt mit den inkriminierten Artikeln
am 15. September 1934 veröffentlicht wurde.
Selbst dann also, wenn die
von den Angeklagten behaupteten
An
„Beschimpfungen“
dieder tschechoslowakischen Staatsmänner,
griffe aufund auf die
Lächerlichmachung
der tschechoslowakische Verfassung
und auf die
ja der
tschechoslowakischen
Nation so wahr wären, wie
sie zur Gänze unwahr sind, – was bei der
Besprechung
der einzelnen
Punkte des Schriftsatzes der Angeklagten ausführ
lich dargelegten werden soll
–, könnten sie nicht zu ihrer Ent
schuldigung dienen.
Die Justiz wird hier vor
einen einzigarti
gen Fall gestellt. Es wird nämlich der Versuch gemacht, auf rein
denunziatorischem Wege durch
Behauptungen, der Privatkläger
habe sei gegen die tschechi
seine Gesinnung
wiederholt gewechselt und
sche Nation, gegen die
tschechische Selbständigkeit aufgetreten,
von der Hauptsache
abzulenken. Die Tat, die der Angeklagte
Sonnenschein – Sonka
zu verantworten hat, ist,
dass er den Privatkläger einen „
Helden
der Gesinnung und
des Geistes“, einen „
Konjunkturästheten“ ge
nannt hat und ihn in einen Kreis von Personen eingereiht
hat,
die ihre geistige Arbeit dazu benützen, um
„
Profit zu machen“.
Herr Sonka
glaubt sich damit entschuldigen zu können, daß
er dieses „
Gedicht“ nicht „auf die Person des Privatklägers
stilisiert“
schon vor dem Juliheft der Fackel auch an
anderen Orten „ohne jedwede Widmung“ veröffentlicht
habe. Welchen Sinn diese
Ausrede haben soll, ist kaum
erfindlich, da ja eben
die Publikation in der Arbeiterzeitung,
die die Widmung enthält,
inkriminiert ist.
Der Angeklagte Schramek hat sich dafür zu verantworten, dass
er diese Beleidigungen und
auch weitere Beleidigungen in dem
Aufsatz „Der Racheakt der Polizei gegen Braunthal“ in Kenntnis
ihres Inhaltes zum Druck
befördert hat, sich also der
strafbaren
Handlungen
mitschuldig gemacht hat, zumindest aber
die pflicht
gemässe Obsorge vernachlässigt hat, solche
beleidigende
schmähende
Aufsätze
und
Gedichte von der Veröffentlichung auszuschliessen. Aus dem
Artikel wurde besonders die Stelle inkriminiert, welche die
Be
hauptung
enthält, dass sich der Privatkläger in seiner
Fackel
brav gleichgeschaltet habe
und im Schweisse seines Angesichtes
die Kulturtaten des „österreichischen Menschen“ preise, was ihn
allerdings vor Wöllersdorf schütze. Darin liegt die allerdings
sofort als absurd erkennbare
Behauptung, dass das im
Juli 1934
erschienene Fackelheft den Zweck verfolge, dem Privatkläger die
Zwangsanhaltung in Wöllersdorf zu ersparen. Die Absurdität
dieser Behauptung ergibt
sich schon aus der dem Artikel selbst
zu entnehmenden
Feststellung, dass „
Braunthal am 12.
Februar 1934
im
Zuge der zur Niederringung der Februarrevolte getroffenen
Massnahmen
festgenommen
“ wurde. Es ist
nicht Sache des Privatklägers, darüber
Erhebungen zu pflegen, ob die Beteiligung des
Braunthals
an der Februarrevolte seine Festnahme auch
Herrn
rechtlich begründet
erscheinen lasse, und wie weit bei der
An
haltung in
dem Zwangslager die Tatsache mitbestimmend war,
dass
er seit dem Jahre
1923 in der Zentralleitung des RepublikanischenSchutzbundes sass, und wie weit vielleicht auch seine Broschüre
„Die Wiener Julitage“ (1927) an dieser Zwangsmassnahme
mitgewirkt haben.
Dass gegen
den Privatkläger nicht mit den gleichen
Zwangsmass
nahmen vorgegangen wurde, das kann keinesfalls ein im Juli 1934
erschienener
bewirkt haben, wenn das
Artikel
Aufsatz
Verhalten
die Haltung
des Herrn
Braunthals
im
Jahre
Juli
1927 wirklich der Grund für das Vorgehen
gegen ihn gewesen wäre. Es
ist klar, dass der Autor des am
15. September 1934
erschienenen Artikels „Der Racheakt der
Polizei
gegen Braunthal“ nur eine ihm offenbar
günstig erscheinende
Gelegenheit benützte, für den im Juli 1934 erschienenen Artikel
Daß frühere Gegner sich ihr angeschloßen haben,
geht zur
Genüge unter
hundert Beispielen aus einem Leitartikel
des
„Ceske Slovo“ hervor, der
sogar seine frühere Meinung
1 durch die
in der Beilage zitierte Äußerung
bereinigt, daß
er immer
schon den Abwehrkampf des Bundeskanzlers
Dollfuß gegen die Hitlergefahr anerkannt habe.
Der unerhörte verlogene Anwurf, der Privatkläger „beschimpfe durch
ganze Jahre die
tschechoslovakischen Staatsmänner“
wird nur durch die Komik
der Mitteilung abgeschwächt,
er habe „die Gastfreundschaft dieses Staates
genossen“,
eine Angabe, die den Eindruck erweckt und vielleicht
erwecken soll, daß er
wie so viele Journalisten auf Kosten
des Staates dort gelebt
und sich dann undankbar
erwiesen habe. In Wahrheit hat er dort wiederholt
Vorlesungen abgehalten,
deren Ertrag vielfach dortigen
wohltätigen und zwar
proletarischen Zwecken gewidmet
war. (In Brünn, für welche Stadt aus Gründen der
in der offenbaren
Absicht der Stimmungsmacherei
der Name des Herrn Ministers Czech genannt wird,
sei hier zum Nachweis
solcher charitativer
Widmungen Frau Minister Czech als Zeugin
geführt.)
Was also
die „antistaatliche Tätigkeit“ betrifft, so
haben sich
des Privatklägers Rache zu üben, und anstatt eine Meinung zu
kritisieren und eventuell zu
bekämpfen, – was ihm gewiss nicht
möglich gewesen
geglückt
wäre,
wo
da
die nachfolgenden Ereignisse in der
Weltpolitik diese Meinung so
sehr gerechtfertigt haben, dass
auch frühere Gegner sich ihr
angeschlossen haben –, die Kritik
an dem Wirken der
sozialdemokratischen Führer in Oesterreich
durch eine Verdächtigung des
Privatklägers, durch den Vorwurf
der Unlauterkeit seiner
Motive zu vergelten.
Die Angeklagten kommen in
ihrem Schriftsatz
zu dem Schlusse, es sei
eines der wichtigsten Interessen der
tschechoslowakischen
Oeffentlichkeit, dass „
Menschen von der Art
des
Privatklägers
“, in der tschechoslowakischen Presse
kritisiert
werden.
Verdächtigungen und Verleumdungen sind
freilich keine Kritik, und es mutet
absurd
grotesk
an, dass die Arbeiterzeitung, welche sich offiziell als
„Organ
der
österreichischen Sozialdemokratie“ bezeichnet, sich als
einen Bestandteil der
tschechoslowakischen Presse aufspielt und
so tut, als ob sie
tschechoslowakische Interessen zu vertreten
hätte oder je vertreten
hat.
Es wird bei der Eingehung in
die einzelnen
Punkte des gegnerischen Schriftsatzes ausführlich darauf hinzu
weisen sein,
welche Fälschungen von der Gegenseite unternommen
wurden, um den Anschein zu
erwecken, es liege bei dem Privatkläger eine Anzahl
„zeitlich auffallender politischer Um
orientierungen“
vor. Aber selbst dann, wenn solche politische
Umorientierungen vorlägen,
wäre es Aufgabe der Angeklagten, nicht
nur diese zu beweisen,
sondern auch die Unlauterkeit der Motive
des Privatklägers, seine Absicht, sich die Zwangsanhaltung in
Wöllersdorf zu ersparen und Profit zu machen. Selbst wenn
es
den Angeklagten
gelänge, die politische Umorientierung des
Privatklägers zu beweisen, könnte dies nicht zu ihrer
Entschuldi
gung dienen, solange sie nicht den unmoralischen Beweggrund solcher der
Umorientierungen beweisen
können.
Daf
F
ür diesen Beweggrund aber haben
die Ange
klagten
einen Beweis überhaupt nicht angetreten; ebensowenig
für die Behauptung, dass
eine „antistaatliche Tätigkeit“ des
Privatklägers vorliege. Offenbar haben sich die intellektuellen
(Auch als talentloser Politiker wurde er
seinerzeit in der
Fackel behandelt und ihm eine
außerdem eine die
Verfälschung eines
Angriffs in ein Lob, die er zu
Reklame
zwecken nachgewiesen).
7.) der reichlich
unterstützte Sproß einer wohlhabenden
Bürgerfamilie,
7a Die Erkenntnis dieser Stelle wie auch aller
früher Vorkriegs
artikel der Fackel, kurz alles was Herrn Sonka
von der angeblich militaristischen
Gesinnung
des Privatklägers überzeugt hat, hat ihn
nicht
abgehalten, im
Jahre 1910, ja im Februar 1915
seine Verehrung
kundgetan.
7b diesem notwendigen – und
bedauerlicherweise
ausgedehnten Schriftsatz
Führer der
sozialdemokratischen Partei den Grundsatz zu eigen
gemacht „Der Staat bin ich“,
und
bezeichnen
fassen
die Kritik des
Privatklägers an ihrem unheilvollen Wirken als
eine antistaat
liche Tätigkeit
.
auf.
Es ist aber nicht der
Angriff
auf
gegen
die
intellektuellen
Führer der sozialdemokratischen Partei allein,
der den Angeklagten Sonka zu
den beleidigenden
seinen
Ausfällen hin
riss, sondern
hauptsächlich eine
längst
weit
zurückliegende Kränkung darüber,
durch den Privatkläger seiner Talentlosigkeit als Lyriker
und
an
Politiker
urkomischen Beispielen
überfuhrt worden zu sein. Vorher hat er dem Privatkläger seine talentlosen Lyrikbände mit dem Ausdrucke der Ver
2ehrung zugesendet, den letzten im Februar 1915, also Monate nach
dem Erscheinen des Aufsatzes
„In
dieser grossen Zeit“ (Fackel
3Nr. 404
vom 5. Dezember 1914), dessen
Besprechung über das
Kritik an dem
Stelle
Kriegs
manifest Franz Josefs ihm schon
einige Male
seinerzeit
– immer mit der gleichen
Verfälschung des Zitates –
den willkommenen Anlass geboten hat,sich an
dem Privatkläger
zu reihen, an ihm sein dürftiges Mütchen zu. Die genaue Darstellung des Sachverhaltes, die durch
die
kühlen
Notwendigkeit der
Zitierung von mehr als hundert Seiten der
Fackel diesem notwendiger- und bedauerlicherweise ausgedehntenSchriftsatze eine unerträgliche Länge geben würde,
kann über Wunsch des Gerichtes durch die Verlesung dieser
Stel
len
gegeben
geboten
werden. Zu diesem Zwecke werden die Herrn
Sonka
(Sonnenschein)
betreffenden Fackel-Hefte vorgelegt und auf die folgenden
Stel
4len verwiesen: Heft Nr. 514 bis 518
vom Ende Juli 1919, Seite 1 bis 5,
5Seite 9 bis
11, Seite 59ff.; Fackel Nr. 521 bis 530 vom Januar 1920,
6Seite 80 bis
86
;
und
Fackel
Nr. 531 bis 543 vom April 1920, Seite 95 bis 140.
Ist aber schon Partei- und
Privatrache
eine
schlechte Beglaubigung für das
Kritiker
publizistische Richter
amt, so hat am
allerwenigsten der Angeklagte Sonka das Recht,
sich hiezu
berufen zu fühlen
und irgend jemande
n
m
den Vorwurf der Profit
macherei zu
machen
bezichtigen
,
wo
da
er, aus der kommunistischen Partei, auf
deren Zugehörigkeit er sich
mit so vielem Stolz beruft, gerade
aus einem
ähnlichen
solchen
Grunde ausgeschlossen wurde, nämlich, weil
er trotz einem Parteiverbot
für bürgerliche Blätter und gewiss nicht gratis
gearbeitet
e
hat
.
Der Angeklagte Sonka möge dem Gericht den Beschluss über seine
Ausschliessung vorlegen; der
Privatkläger verlangt nichts an-
8 Die Verlogenheit geht hier schon aus dem Wor „anderswo“
hervor, das einfach
erfunden ist, da der Herausgeberder Fackel seit deren Gründung – außer
ein paar
Vorabdrucken in
dem gewiss nicht militaristischen
„Simplizissimus“ (1908) – nicht eine einzige
Zeile
„anderswo“ veröffentlicht hat.
9 die immerhin turmhoch über dem
literarischen
Libertinertum steht.
deres als Gegenleistung für
die eigene Bereitwilligkeit, sämt
liche Schriften zur
Verfügung zu stellen, als die Vorlage die
ses Dokuments, dessen
Beschaffung leider nicht einmal in Ar
chiven möglich wäre.
Ehe nun auf die Besprechung
der einzelnen
Punkte des Schriftsatzes der Angeklagten eingegangen wird, muss
noch bemerkt werden, dass
die Entstellung der Zitate nicht etwa
auf ein Missverständnis
zurückzuführen ist, sondern dass hier
eine Fälschung und
Verfälschung in vollem Bewusstsein vorliegt,
weil ein Missverständnis bei
der genauen Kenntnis
noch so flacher
der Fackel
im Kreise der
sozialdemokratischen Leserschaft vollständig
auszuschliessen ist.
Zu 1.) Zum Beweise der Behauptung, der
Privatkläger habe vor dem Kriege in seiner Zeitschrift „DieFackel“ ebenso wie
in seinen „anderswo“(?) veröffentlichten
literarischen Arbeiten eine
ungeschminkte Verehrung des Militaris
mus, des österreichischen
Adels und der Autokratie überhaupt
geäussert, berufen sich die
Angeklagten auf einen Satz der FackelNr. 387/8 vom 17.
November 1913, Seite 32. Nicht einmal aus dem
Zusammenhang gerissen könnte
dieser
aber jener
Satz bei einem unbefangenen
Leser die Meinung auftauchen
lassen, er enthalte eine „unge
schminkte Verehrung des
Militarismus“, sondern es ist klar, dass
er
eine ästhetische
die
Würdigung
der
einer
Männlichkeit bedeutet. Dies
wird noch klarer, wenn der Satz in seinem Zusammenhang wieder
7gegeben wird. Die Stelle lautet:
„Die Erinnerung an Pola wiederholt das Gefühl der
Ueberraschung, in einem
Staatsleben, dessen Ordnung die
Trägheit und dessen
Farbe die Hässlichkeit ist, eine sonnige
Stelle zu finden. Die
sittliche Kraft des Meeres würde nicht
ausreichen, unter allen
Oesterreichern Manneszucht zu halten,
aber es gibt unter ihnen
Menschen, die mit Recht dort unten
wohnen und nicht darüber
klagen sollten, dass es ihnen die
Vorsehung erspart hat,
auf diesem schwankenden Festland zu
leben. Menschen, die
innen so beschaffen sein müssen wie aussen
und die anzuschauen das
Gefühl dieser Einheit bestätigt und
hundertmal das Gefühl,
dass der Militärhass der Demokratie die
Ueberlegenheit des
Misswachses über die Männlichkeit bedeutet.
Es bedarf über eine
klare und gute Sache nicht vieler Worte;
ganz einfach: Die
ästhetische Entschädigung eines Tages in
Pola für ein Jahr in Wien,
an und für sich nicht zu unter
schätzen, berührt den
tiefer liegenden Unterschied von Menschen
wert und
Fliegenplage.“
Von einer Verehrung des
Militarismus als solchen kann
keine Rede sein. Der Privatkläger bekennt sich
aber
jedoch
nach wie
vor zu dem
scheinbaren Widerspruch, der ihm nur von Blödge
sinnten
als solchen ausgelegt
angekreidet
werden könnte
.
:
dass er mutige
Männlichkeit schätzt, den Krieg aber verabscheut.
Was nun die ungeschminkte
Verehrung des
Privatklägers für den österreichischen Adel
betrifft, – „knapp
vor dem Kriege“,
womit offenbar gesagt werden soll, dass sie
in vollem Bewusstsein einer
militaristischen Einstellung des geäussert
wurde –, so tun die Angeklagten so, als ob der
selben
Privatkläger demokratische Ehrenhaftigkeit gegenüber einer
aristokratischen
Verkommenheit herabgesetzt hätte. In Wirklich
keit sind die von den
Angeklagten entstellt zitierten Sätze
aus einem polemischen
Artikel „Sehnsucht nach aristokratischemUmgang“ (Nr.
400–403 vom 10. Juli 1914, Seite 90–95), in dem
satirisch gegen Verleumder
Stellung genommen wird, die dem
Privatkläger in anonymen Briefen und Druckschriften
vorwarfen,
er sei ein
„Schauspieler der Ethik“,
der „mit grossem Ehrgeiz
auf aristokratischen
Umgang aspiriere, und sehr stolz darauf,
dass sich in seinen
Vorlesungen einige Mitglieder des ganz
reaktionären
Provinzadels blicken liessen, die natürlich die
angeblich linksradikalen
Angriffe auf die jüdischen Liberalen,
Bourgeoisie und ‚Neue Freie Presse‘ mit sehr
rechtskonservativem
Wohlbehagen anhörten … Kraus, dieser
Schauspieler der Ethik,
war ja nie wählerisch in Bezug auf sein Publikum. Zuerst war er
glücklich über den
Beifall derselben Juden und Journalisten,
die er in seinen
wütenden Satiren angeblich verachtete. Jetzt
ist er immerhin zum
Hofnarren avanciert. Seine radikalen
literarischen Freunde,
aber auch alle, die Religion und klerika
le Feudalherrschaft
nicht identifizieren, werden ihm den Rücken
kehren und er wird zum
literarischen Hausjuden des Grafen X.
emporsteigen“.
Diese
niederträchtigen
unwahren und unwahrhaftigen – später vom
Schreiber selbst reuig zurückgezogenen
Behauptungen,
lediglich dadurch hervorgerufen, dass der Privatkläger mit eini
gen ausgezeichneten Menschen
von Adel vertrauten Umgang pflog,
die ganz im Gegenteil zu der
Sorte Menschen, welche ihn hier
anpöbelten, trotz vielen
Divergenzen der Anschauung ihn niemals
in seinem geistigen Schaffen
zu beeinflussen suchten, mussten auf
das Entschiedenste
zurückgewiesen
abgetan
werden. Der Privatkläger hat
niemals ein Hehl daraus
gemacht, dass er den liberalen Standpunkt
in der Politik, im
Wirtschaftsleben und in der Meinungsäusserung
ablehne. Was er aber mit
seiner „Sehnsucht nach aristokratischemUmgang“ gemeint
hat, möge aus den nunmehr vollständig wiederge
gebenen Sätzen, von denen
die Angeklagten nur Teile, um eine
Meinung zu entstellen,
zitieren, entnommen werden. In dem Auf
satz heisst es auf Seite
92:
„Meine radikalen literarischen
Freunde, die noch ahnungs
loser waren als die
feudalen Privatgesellschaften, sind endlich
aufmerksam geworden,
denn sie können zwar schreiben, aber nicht
lesen und haben darum
seit fünfzehn Jahren nicht gemerkt, dass
ich die Pest weniger
hasse als meine radikalen literarischen
Freunde. Sie haben meine
Angriffe auf die jüdischen Liberalen,
auf Bourgeoisie und Neue Freie Presse für linksradikal
gehalten
und nicht
geahnt, dass sie, wenn ich überhaupt etwas will und
wenn sich das, was ich
will, auf eine staatsverständliche Formel
bringen lässt, im
höchsten Masse rechtsradikal sind. Sie haben
geglaubt, ich sei ein
Revolutionär, und haben nicht gewusst,
dass ich politisch noch
nicht einmal bei der französischen
Revolution angelangt
bin, geschweige denn im Zeitalter zwischen
1848 und 1914, und dass
ich die Menschheit mit Entziehung
der Menschenrechte, das
Bürgertum mit Entziehung des Wahlrechtes,
die Juden mit Entziehung
des Telephons, die Journalisten mit
Aufhebung der
Pressfreiheit und die Psychoanalytiker mit Ein
führung der
Leibeigenschaft regalieren möchte. Nicht was
schwarz unter den
Fingernagel geht, haben sie es geahnt, und
nun fällt es ihnen wie
Schuppen von den Haaren. Sie haben
entweder die
aufschlussreichsten Nummern der Fackel verpasst,
weil sie gerade in der Hand oder nur gestohlen war, oder auch
nicht gemerkt, dass der
tausendste Teil meiner – angeblich –
linksradikalen Glossen,
auf eine im Staat geläufige Tendenz
herabgesetzt, einen
Konservatismus von einer Blutbereitschaft
propagiert, gegen den
tausend Jahrgänge von tausend klerikalen
Zeitungen die Sprache
einer Protestversammlung des Monisten
bundes zum Schutze
reisender Kaufleute führen. Sie haben nicht
gehört, dass mir ein
verhängter Himmel, dem eine Weltanschauung
erspart bleibt, immer
noch besseren Trost bringt, als eine
freie Erde, die zum
Himmel stinkt. Es ist ihnen entgangen, dass
ich untröstlich bin, die
Machtmittel der Staaten nicht gegen
den Zerfall der Völker
aufbieten zu können, und nur zufrieden
in der Gewissheit, dass
dem auf den Glanz hergerichteten Mensch
heitspofel, der jetzt
allerorten zu sehen ist, der grosse
Ausverkauf bevorsteht.
Solche Stimmungen, Ahnungen, Hoffnungen
habe ich, wenn’s meine
radikalen literarischen Freunde nicht
merkten, heimlich aus
Hirn und Herz direkt ins Heft übernommen.
Das aber haben sie zum
Glück verpasst, überschlagen oder
nicht verstanden, und
sind jetzt fataler Weise aufmerksam ge
macht
worden.“
Auf Seite 94f.:
„Was kann ich gegen diese
Feststellung anderes vorbringen,
als dass sie wahr sein
könnte, wenn die feudale Gesellschaft
und der aristokratische
Umgang durchaus so weit wären, meiner
würdig zu sein? Das Zeug dazu – und
wenn Legionen von
radikalen literarischen Freunden mit den Rücken, ja selbst
das Gesicht zukehren
wollten, ich bekenne es – das Zeug dazu
hätten sie! Von Gnaden
der Idee, die irgendwo hinter ihrer
Geburt lebt, und bliebe
ihr schweissloses Dasein unberührt
von einer zeitlichen
Gemeinheit, die auch einen Grafen zum
Verwaltungsrat macht,
seinen Sohn zum Disponenten und die
das Geschmeiss der
öffentlichen Meinung den Triumph des
Fortschritts bejubeln
lässt, weil der Träger einer gutgebore
nen Nase endlich eine
Börsenkarte gelöst hat. Ja, ich aspiriere
auf aristokratischen
Umgang; aber ich, ewig unbelohnter Stre
ber, finde ihn allzu
selten. Wenn irgendwo, ist hier der letzte
Funke Hoffnung auf eine
Jugend, die ich den Klauen der Ent
wicklung entreissen
möchte, wenn irgendwo könnte ich hier
den Versuch wagen, das
Unerfüllbare in die Umgangssprache
des Lebens, der Politik,
ja der Gesellschaft umzusetzen. Mir,
der weiss, dass die
Empfindungen des letzten Stallpintsches
erhaben sind über der
Ausdrucksfähigkeit eines kosmisch
interessierten
Literaturgesindels, und der von staatswegen
einen Kommerzienrat
zwingen möchte, dem letzten Stallknecht
zu dienen, mir sollte
füglich nicht verübelt werden, dass ich
dort, wo ich vergebens
aristokratischen Umgang suche, auf
demokratischen
verzichte! Ich möchte nicht bis zu Wohltätig
keitsbazaren vordringen,
wo Parvenus nach unten um die
Gunst von Handelsleuten
buhlen. Dass ich trotzdem hinreichend
verdächtig bin,
aristokratischen Umgang zu suchen, müsste
der demokratische längst
heraushaben: ihn fliehe ich. Er
ist die Pest, die sich
des Daseins freut und ihrem eigenen
Bazillus nicht auf der
Spur ist. Sein Blick löst Welträtsel
und dreht mir den Magen
um. Er analysiert mir den Traum, in
den mein Ekel flüchtet.
Er weckt mich und ich suche einen
König, der eine Bombe
hätte für diesen allzu klugen Untertan.
Ich weiss, was auf dem
Spiel steht: Rette unsere Seelen!
Ich weiss und bekenne,
und auf die Gefahr hin, fortan ein
Politiker zu sein oder
gar ein Aesthet, als unwiderrufliches
Programm: dass die
Erhaltung der Mauer eines Schlossparks,
der zwischen einer
fünfhundertjährigen Pappel und einer
heute erblühten
Glockenblume alle Wunder der Schöpfung aus
einer zerstörten Welt
hebt, im Namen des Geistes wichtiger
ist als der Betrieb
aller intellektuellen Schändlichkeit,
die Gott den Atem
verlegt!“
Von einer ungeschminkten
Verehrung des
österreichischen Adels kann also auch keine Rede sein, sondern
lediglich von einer
Ablehnung alles dessen, was sich gegen den
Geist erhebt und ihn
schändet.
Wegen des Kriegsmanifestes
Franz Josefs
hat sich der Privatkläger mit dem Angeklagten Sonnenschein schon
einmal befassen müssen, als
dieser ihn im „Neuen Wiener
Journal“
mit der
gleichen Verfälschung des Zitates angriff. Obwohl ihm
die Verfälschung damals vor
Augen gehalten wurde, scheut er
sich nicht, sie hier
neuerlich zu machen. Auf den damaligen An
griff des Herrn Sonnenschein im „Neuen Wiener Journal“:
„Was aber
gebührt einem Gesinnunskünstler, der am
5. Dezember 1914 das
Kriegsmanifest Franz Josefs folgender
massen
begrüsst: ‚… über jenem erhabenen
Manifest, das
die
tatenvolle Zeit eingeleitet, dem einzigen Gedicht, das
sie bis nun
hervorgebracht hat, über dem menschlichsten
Anschlag, den die
Strasse unserem Auge widerfahren lassen
konnte
…‘?“
8hat der Privatkläger geantwortet (Nr. 531–543 vom April
1920,
Seite
127–129):
„Mir bleibt doch nichts erspart. Ich
glaube aber fast,
man hat
mich drangekriegt. Ist dieser Sonnenschein
wirklich
so
intellektuell, dass er den Satz für seine Zwecke benützen
zu können glaubt, oder
stellt er sich nur so? Hat er unserm
Auge einen ‚Anschlag‘
widerfahren lassen, indem er so tut, als
ob dieses Wort bloss ein
Plakat bedeutete? Als ob ich auf
der Suche nach einem
König mit der Bombe für den intellektuel
len Untertan nun
beglückt gewesen wäre, schon ein paar
Wochen später einen
Kaiser zu finden, der’s der ganzen
Menschheit besorgt? Als
ob ich sein Kriegsmanifest wirklich
‚begrüßt‘ hätte? Ja,
denkt der Leser, der sich nicht er
innert, was ich am 5.
Dezember 1914 erscheinen liess: der hat
eben im Anfang des
Kriegs genau so wie alle andern mitge
heult. Er begrüsst nicht
nur das erhabene Manifest, sondern
auch die tatenvolle
Zeit, er nennt jenes ein Gedicht — was
doch offenbar der
Superlativ des Entzückens ist, wie wenn
man dem Wiener sagt, daß
eine Mehlspeise geradezu ein Ge
dicht sei —, er gewahrt
einen Anschlag, das heisst ein
Plakat, voll des
menschlichsten Inhalts, jedenfalls in
dem Sinne, daß wir einen
heiligen Verteidigungskrieg führen
und dass unser Sieg die
Menschlichkeit über die Erde ver
breiten wird, aber nicht
im Sinne des Menschlichkeitspofel,
der allerorten zu sehen
ist, sondern natürlich ganz anders,
denn nicht Humanität,
sondern Krieg ist wahre Menschlich
keit. Kein Zweifel, der
hat damals mit den andern, die
daheim sassen,
berserkerhaft um sich geschlagen und ge
holfen, die Russen und
die Serben in Scherben zu hauen, um
selbst davon enthoben zu
werden. Man hat das nur vergessen
und ist dem
Gesinnungskünstler, der sich immer darauf be
ruft, er habe vom
Ultimatum an — sehr im Widerspruch zu
seinen früheren
Ansichten — gegen den Krieg gesprochen,
glatt aufgesessen. Es
ist Sonkas Verdienst, der Welt, an
der er verkommen musste,
während sie jenen zu Ehren ge
langen liess, die Augen
geöffnet zu haben. Jawohl, er
kannte den Satz, er
überwand seinen Ekel vor mir, schrie
den vor Europa hinaus
und sandte mir das Werk in Verehrung
zu. Und ich habe nicht
sein Gedicht, sondern das des
Franz Josef gelobt! Man wird ordentlich neugierig auf
den
kriegshetzerischen Aufsatz, in dem das Lob enthalten war.
‚In dieser großen
Zeit‘ heisst er. Aber, denkt da der
Leser, der sich zu
erinnern beginnt, das war ja jene radikale
Absage an den Krieg und
Ansage des Kriegs an ihn, jenes
den Pygmäen der großen
und den Parasiten der ‚tatenvollen
Zeit‘
gestellte Ultimatum, das durch seinen Freimut die
Kriegszensur so
verblüfft hat, dass sie es erscheinen liess?
Wie reimt sich dies
Faktum mit jenem Diktum? Wie entsteht
da ein Gedicht? Wie
kommt die Stelle in den Aufsatz?
Etwas
anders als ins
Neue Wiener Journal; nämlich
so: ‚Ueber
jenem erhabenen
Manifest, jenem Gedicht, das die
tatenvolle Zeit eingeleitet, dem einzigen Gedicht,
das sie bis nun
hervorgebracht hat, über dem menschlichsten
Anschlag, den die
Strasse unserm Auge widerfahren lassen
konnte, hängt der
Kopf eines Varietékomikers, überlebens
gross‘.
Sogar zweimal wird — in der Kritik der Würdelosig
keit Wiens — gesagt, dass es ein Gedicht ist? Eben. Hat nun
Sonka, dem ich eine so feine Abschätzungsfähigkeit für
Stil
wirkungen gar nicht zugetraut hätte, nicht vielleicht be
wirkt, dass das Lob des
‚einzigen Gedichts‘ zum
Lob des Inhalts und die Weglassung des ‚Gedichts‘ zum
Lob der
tatenvollen Zeit wurde? Dass das ‚erhabene Manifest‘,
welches
nur ein
Terminus, eine Bezeichnung der Sphäre, und die
‚tatenvolle Zeit‘, die
eine hohnvolle Anwendung war,
positiven Inhalt
bekamen? Ich meinte das ‚kaiserliche‘
10 Aufsehen erregende
Manifest, ein schlichter Reporter
hätte es so gesagt; ich
sagte, was die feierlichen Reporter sagen. Deutlicher konnte
ich damals leider nicht
aussprechen, dass ich es nicht für
erhaben hielt. Nur als
Gedicht erhaben, doch als Tat ein
‚Anschlag‘. Aber für
jene, die mich zu lesen gelernt haben,
war’s
deutlich.“
Es ist nun notwendig, einige
der markantesten
Stellen aus
dem Aufsatzes zu zitieren, in dem das
Manifest Franz Josefs als
Gedicht, natürlich um einer Zeile starken dichterischen Zeile
willen – gelobt, als Anschlag – den
die Straße dem Auge „widerfahren“ ließ – verurteilt wurde,
zu zitieren,
:
um
dem Gericht
darzutun, dass hier wirklich eine
radikale
unerbittliche, damals 10
Absage
an den Krieg
und Ansage des Krieges an ihn vorliegt. Damit dieeigenartige Gesinnung eines Angeklagten,
der sich das Recht
herausnimmt, eine andere Gesinnung zu kritisieren, im
klarsten
grellsten
Lichte dastehe. Es
heisst dort in Nr. 404 der Fackel vom 5. DezemBeilage 4ber
1914 auf Seite 1 und 2:
„In dieser grossen
Zeit
die ich
noch gekannt habe, wie sie so klein war; die wieder
klein werden wird, wenn
ihr dazu noch Zeit bleibt; und die
wir, weil im Bereich
organischen Wachstums derlei Verwandlung
nicht möglich ist,
lieber als eine dicke Zeit und wahrlich
auch schwere Zeit
ansprechen wollen; in dieser Zeit, in der
eben das geschieht, was
man sich nicht vorstellen konnte, und
in der geschehen muss, was man sich nicht mehr
vorstellen kann, und könnte man es, es geschähe
nicht —; in dieser
ernsten Zeit, die sich zu Tode gelacht
hat vor der Möglichkeit,
dass sie ernst werden könnte; von
ihrer Tragik überrascht,
nach Zerstreuung langt, und sich
selbst auf frischer Tat
ertappend, nach Worten sucht; in
dieser lauten Zeit, die
da dröhnt von der schauerlichen
Symphonie der Taten, die
Berichte hervorbringen, und der Be
richte, welche Taten
verschulden: in dieser da mögen Sie von
mir kein eigenes Wort
erwarten. Keines ausser diesem, das
eben noch Schweigen vor
Missdeutung bewahrt. Zu tief sitzt
mir die Ehrfucht vor der
Unabänderlichkeit, Subordination
der Sprache vor dem
Unglück. In den Reichen der Phantasie
armut, wo der Mensch an
seelischer Hungersnot stirbt, ohne
den seelischen Hunger zu
spüren, wo Federn in Blut tauchen
und Schwerter in Tinte,
muss das, was nicht gedacht wird,
getan werden, aber ist
das, was nur gedacht wird, unaussprech
lich. Erwarten Sie von
mir kein eigenes Wort. Weder vermöchte
ich ein neues zu sagen;
denn im Zimmer, wo einer schreibt, ist
der Lärm so gross, und
ob er von Tieren kommt, von Kindern
oder nur von Mörsern,
man soll es jetzt nicht entscheiden.
Wer Taten zuspricht,
schändet Wort und Tat und ist zweimal
verächtlich. Der Beruf
dazu ist nicht ausgestorben. Die jetzt
nichts zu sagen haben,
weil die Tat das Wort hat, sprechen
weiter. Wer etwas zu
sagen hat, trete vor und schweige!“
Auf Seite 10 und 11:
„Man könnte aber einmal dahinter
kommen, welch kleine
Angelegenheit so ein Weltkrieg war neben der geistigen
Selbstverstümmelung der
Menschheit durch ihre Presse, und
wie er im Grund nur eine
ihrer Ausstrahlungen bedeutet hat.
Vor einigen Jahrzehnten
mochte ein Bismarck, auch ein Ueber
schätzer der
Presse, noch erkennen: ‚Das, was das Schwert
uns Deutschen gewonnen
hat, wird durch die Presse wieder
verdorben‘, und ihr die
Schuld an drei Kriegen beimessen.
Heute sind die
Zusammenhänge zwischen Katastrophen und
Redaktionen viel tiefere
und darum weniger klare.“
Auf Seite 11 und 12:
„Die Wahrheit ist, dass die Zeitung
keine Inhaltsan
gabe ist, sondern ein Inhalt, mehr als das, ein Erreger.
Bringt sie Lügen über
Greuel, so werden Greuel daraus.
Mehr Unrecht in der
Welt, weil es eine Presse gibt, die es
erlogen hat und die es
beklagt! Nicht Nationen schlagen
einander: sondern die
internationale Schande, der Beruf,
der nicht trotz seiner
Unverantwortlichkeit, sondern ver
möge seiner
Unverantwortlichkeit die Welt regiert, teilt
Wunden aus, quält
Gefangene, hetzt Ausländer, macht Gentlemen
zu Rowdys.“
Auf Seite 16:
„Und wenn sich die Welt zerfleischt,
es kommt kein
Geist
heraus! Er wird später nicht erscheinen; denn er
hätte sich jetzt
verbergen, durch verschwiegene Würde
sich äussern müssen.
Aber wir sehen rings im kulturellen
Umkreis nichts als das
Schauspiel, wie der Intellekt auf
das Schlagwort
einschnappt, wenn die Persönlichheit nicht
die Kraft hat,
schweigend in sich selbst zu beruhen. Die
freiwillige
Kriegsdienstleistung der Dichter ist ihr Ein
tritt in den
Journalismus. Hier steht ein Hauptmann,
stehen
die Herren Dehmel und Hofmannsthal, mit Anspruch auf eine
Dekoration in der
vordersten Front und hinter ihnen kämpft
der losgelassene
Dilettantismus. Noch nie vorher hat es
einen so stürmischen
Anschluss an die Banalität gegeben und
die Aufopferung der
führenden Geister ist so rapid, dass
der Verdacht entsteht,
sie hätten kein Selbst aufzuopfern
gehabt, sondern
handelten vielmehr aus der heroischen
Überlegung, sich dorthin
zu retten, wo es jetzt am sichersten
ist: in die
Phrase.“
Aus diesen „paar Proben aus dem literari
schen Werk des Privatklägers“ geht also klar
hervor, dass er
ebensowenig
kurz vor dem Kriege als im Krieg ein ostentativer
Vergötterer des zum
Deutschen Reich hin orientierten öster
reichischen Militarismus
mit allem seinen Zubehör war, sondern
im Gegenteil geht daraus
hervor, dass er den Krieg und sein
Zubehör, insbesondere sein
literarisches Zubehör, von allem
Anfang an
verurteilt
verabscheut
hat. Ueber das sonstige ziemlich
bekannte Wirken des Privatklägers im Kriege
schweigen sich die Angeklagten gründlich
aus. Nach den einleitenden
Worten des dritten Absatzes ihres
Schriftsatzes „Nach Beendigung des Krieges fand beim Privatkläger
gleich im Jahre 1919 ein
rascher Umsturz in seiner politischen
Gesinnung statt, so dass
bei einem objektiven Betrachter dieser
auffälligen Aenderung
der Privatkläger notwendig den Eindruck er
wecken musste, dass bei
ihm der rasche Wechsel in den Grundan
schauungen hinsichtlich
der Grundprinzipien des Staates nicht das
11 Welcher von den Schreibern, von denen Herr Sonka die Stirne
hat zu behaupten, daß
sie durch den Privatkläger
Karl Kraus „diskreditiert“ seien, wagte es vorzutreten
und zu sprechen, daß sie
einen militarischen
Inhalt hatten? Welchem von ihnen
wäre die Art der Wirksamkeit
der Fackel im Kriege nicht bekannt.
Ergebnis einer geistigen Umorientierung, sondern eher die
Folge des staatlichen
Umsturzes war, dessen Form und politischer
Majorität sich der Privatkläger in seinen literarischen
Arbeiten
angepasst
hat“, müsste man glauben, dass er während des Krieges
entweder überhaupt nichts
von sich habe hören lassen, also sein
Wort „Wer etwas zu sagen hat, trete vor
und schweige!“ wahrge
macht habe oder ganz
entgegen seiner Haltung in den oben zitier
ten Sätzen wirklich für den
Militarismus eingetreten sei. Es
verwundert einen da nur,
dass die Angeklagten es sich entgehen
liessen, dieses Eintreten
für den Militarismus nachzuweisen, da
mit es augenfällig werde,
dass im Jahre 1919 wirklich ein
„rascher Umsturz in seiner politischen Gesinnung“ stattfand.
Denn wenn der Privatkläger wirklich vom Jahre 1914 bis zum
Jahre
1919 geschwiegen
und erst dann seine augenfällige Aenderung
bekundet hätte, so wären doch
der
vier Jahre
Krieg und die lange Zeit ge
wiss hinreichend
gewesen, um eine geistige Umorientierung hervor
zurufen, und es wäre
gewiss
dann
nicht angebracht, hier von einem
„raschen
Wechsel
Umsturz“
in den
Grunda
A
nschauungen des Privatklägers zu
sprechen. Weiters fällt aber
auf, dass das nächste Zitat, das
die Angeklagten anführen,
aus der Nummer 508–513 stammt, während
das Zitat über das Manifest
Franz Josefs aus der Nummer 404
stammt, dass also zwischen
diesen beiden Heften 104 Nummern
der Fackel liegen, über die die Angeklagten
einfach
kurzentschloßen
hinweg
gehen. 11 Diese 104 Nummern mit 1988
Seiten sind ein einziger
grosser Angriff gegen den Krieg und die Kriegführenden, ein
Angriff gegen das damalige
Oesterreich-Ungarn und Deutschland,
ein
Angriff gegen alle
Nutzniesser des Krieges und eine einzige
Wehklagen über
die
dessen
Opfer desselben. Der
vernichtende Ausgang für die krieg
führenden Mittelmächte wurde
vorausgesehen und vorausgesagt.
Die Haltung des Privatklägers im Kriege
wurde auch von der sozialdemokratischen Partei trotz aller
Divergenz in den
Anschauungen über Politik
stets
in hundert Huldigungen
anerkannt,
ja die
Einstellung gegenüber dem Kriege war geradezu das ein
zige geistige Bindeglied der
Partei
an den
mit dem
Privatkläger.
12 und eine beispiellose Fälschung durch deren
Verschweigung
oder
gar Verkehrung ins Gegenteil.
13 Es wird ferner auf die in dem gleichen Heft abgedruckten
Kritiken über das Wer Kriegsbuch „Die letzten Tage derMenschheit“
hingewiesen: von Prof. Otakar Fischer,
Česke Slovo, Seite 88ff.; Přitomnost, Seite 93ff.,
und auf die
verschiedenen dort abgedruckten
Geburtstagsartikel: Wien
Arbeiter-Zeitung, Seite
105ff.; Prager Tagblatt, Seite 109ff.
So schrieb aus Anlass der
Vollendung des 20. Jahrganges der
sozialdemokratische
Präsident der deutsch-österreichischen
Nationalversammlung, Herr
Seitz, am 1. Mai 1919 an den PrivatBeilage
5kläger (abgedruckt auf Seite 21 der Nr. 514–518,
Ende Juli 1919):
„Die Vollendung des zwanzigsten
Jahres, seitdem die
Fackel zu erscheinen begonnen
hat, gibt mir den erwünschten
Anlass, Ihnen für das
grosse Werk, das Sie in diesen zwei
Jahrzehnten zur
Reinigung, Versittlichung und Vergeistigung
des öffentlichen Lebens
geleistet haben, meinen aufrichtig
sten Dank zu sagen.
Insbesondere wird Ihr tapferer, mutiger,
beharrlicher Kampf gegen
den Krieg und gegen alles Gemeine
und Herabwürdigende, das
von ihm ausging, unvergesslich
bleiben. Hier fand die
sittliche Empörung gegen die Kriegs
barbarei ihren
leidenschaftlichsten Ausdruck und die Gewalt
der Empfindung vermählte
sich mit der Gewalt der Form, so
den Geist zur Tat
gestaltend.“
Die gleiche Einstellung fand
ihren Ausdruck in einem Glück
wunschschreiben des Herrn Seitz
als Bürgermeisters der Stadt
Wien
Seitz
vom 28. April 1924 (abgedruckt auf Seite 149 der Nr. 649–656,
11Anfang Juni
1924):
„Wir haben Ihnen für Ihren mit
sittlichster Leidenschaft
geführten Krieg gegen den Krieg zu danken, dessen Unmensch
lichkeit Sie in Ihrer
unsterblichen Tragödie so geschildert
haben, dass die
Menschheit es nie vergessen kann. Wir haben
Ihnen aber auch für den
moralischen Mut zu danken, dass Sie
den steten und
beharrlichen Kampf gegen alle, die das
öffentliche Leben
verfälschen, die den Lügengeist der Zeit
bestimmen, und die
einstmals die Herrschenden und Mächtigen
im Staate waren, auf
sich genommen und unbekümmert um äusser
lichen Erfolg, allen
Verkleinerern und Widersachern zum
Trotz, mit nie
versagender Energie geführt haben.“
13
Es ist natürlich unmöglich
die 1988 Seiten
der 104 Fackel-Nummern, die während des
Krieges erschienen sind,
dem
Gerichte vorzulegen oder gar deren Verlesung zu beantragen.
Aber schon aus den wenigen
Proben, die vorgelegt werden müssen,
um die Einstellung des Privatklägers zum Deutschen Reich und
zum österreichischen
Militarismus darzutun, wird klar hervorge
hen, dass hier tatsächlich
ein beispielloser Kampf gegen den
Krieg und die Kriegsbarbarei
vorliegt 12. Es werden diesem
Schrift
satz
angeschlossen:
12die Nummern
413–417 mit dem Aufsatz „Schweigen, Wort
undTat“ auf den
Seiten 25 und 28;
13die Nummern
418–422 mit der Glosse „Ein Irrsinniger
aufdem
Einspännergaul“ auf den Seiten 15 und 16;
14die Nummern
423–425 mit dem Gedicht „Gebet an die Sonnevon Gibeon“ auf den
Seiten 58 bis 64;
14 In Frankfurt wurde vom alldeutschen Blatt
die
ein Artikel geradezu auf
sofortige Ausweisung des Frevlers am
deutsch
militaristischen Ideal
verlangt.
hingeschrieben.
15die Nummern
474–483 mit der Glosse „Ein Kantianer undKant“ auf den
Seiten 155 und 156 und
16die Nummern
499–500 mit dem Gedicht „Lied des
Alldeutschen“
auf
den Seiten 6 bis 12.
Hervorgehoben muss werden,
dass die Glosse „Ein Kantianer undKant“
und
,
das Gedicht „Lied des Alldeutschen“, ja eine direkte Wilhelmsatire
während des Krie
ges
(1914) wiederholt in Wien,
und
ja zum Teil
in deutschen
Städten (Berlin, Frankfurt) zum Vortrag ge
bracht wurden. 14 Dass dies im Kriege möglich war, ist
gewiss er
staunlicher, als dass der Privatkläger einen
Pass erhielt, „mit
dessen Hilfe er eine
beträchtliche Zeit in der Schweiz verbrachte
und noch im Kriege
wieder ohne irgend welche Hindernisse in die
österreichisch-ungarische Monarchie zurückkehrte“. Offenbar
stellen sich die Angeklagten
die Tätigkeit des Privatklägers
während des Krieges so vor,
dass er Spionage betreiben hätte
sollen oder dergleichen, was
ihm allerdings die Erlangung eines
Passes und die Rückreise
unmöglich gemacht hätte. Aber selbst
die
österreichisch-ungarische Monarchie hatte im Kriege noch
so viel Verständnis für die
Tätigkeit des Privatklägers, dass
sie ihn zwar als Gegner,
aber nicht als einen Verbrecher anzu
sehen hatte, und offenbar
noch so viel Kultur, dass auch der
schärfste Vorhalt der
eigenen Handlungen möglich war, was eben
bei einer
sozialdemokratischen Regierung nicht möglich gewesen
wäre
.
, wenn deren geistige Handlanger sich zu
einer so bodenlosen Umlügung vorhandener Sachverhalte hergeben.
Aber nicht nur in Wort und
Schrift und
öffentlicht ist
der Privatkläger gegen den Krieg aufgetreten.
Er kann sich des wohl auf den einzig dastehenden Fall
es rühmen, bereits
hinweisen, die
in den ersten Kriegswochen durch seinen Verlag
gezeichnete Kriegsanleihe widerrufen
zu haben, weil in ihm
die
Erkenntnis wach geworden wurde, dass die Unterstützung
der Kriegführung am Kriege
mitschuldig mache. Es wird das
Schreiben der Wechselstube der Unionbank vom 18. November
1914
17mit der Subskriptionsanmeldung auf 10.000.–– Kronen Kriegsan
18leihe und das Schreiben vom 30. November 1914 mit
der Mitteilung
auf Streichung
dieser Vormerkung vorgelegt. Es ist
also
wohl
eine
besondere
Unverfrorenheit der Angeklagten, zu behaupten, der
Privatkläger sei kurz vor dem Krieg ebenso wie ihm Krieg
ein
ostentativer
Vergötterer des zum Deutschen Reich hin orientier-
ten österreichischen
Militarismus mit all seinem Zubehör gewe
sen. Noch frecher aber ist
der Satz, es habe nach Beendigung
des Krieges bei ihm „gleich im Jahre 1919 ein rascher Umsturz
in seiner politischen
Gesinnung“ stattgefunden, und die Behauptung
einer Aenderung gegenüber
der Sozialdemokratie. Die Haltung der
sozialdemokratischen Partei
konnte und wurde schon während des
Krieges lobend anerkannt, da
sie sich (die österreichische) nach anfän
Mißgriffen bei Kriegsbeginn als einzige gegen die
Greuelurteile de
s
r
Auditoriates aufgelehnt hatte.
Den Ausdruck
der gleichen
Anerkennung bildet der von den Angeklagten wieder
nur verstümmelt zitierte Aufruf aus der Nummer 508 bis 513 vomFebruar 1919. Aus
diesem Aufruf geht klar hervor, dass es sich
nicht um
Weltanschauungsfragen des Privatklägers handelt,
dass
er sich nicht
Doktrin und Praxis der Sozialdemokratie zu Eigen
gemacht hat, sondern dass
das Eintreten für die
se
(österreichische)
Partei nur
die Anerkennung ihres – nach anfänglichen Irrungen –
pazifistischen Wirkens während des Welt
19krieges war.
Es heisst in diesem Aufruf (Nr. 508–513, Seite
31):
„Nicht was einer sonst fürs Dasein
will, nur dass er
nicht
mehr eine Befehlsgewalt zum Tode will, soll er diesmal
bekunden. Denn seine
Stimme sei nicht mehr und nicht weniger
als das Bekenntnis, daß
er einer provisorischen Sicherheit
seiner Geldtasche
zuliebe die Blutschuld übernimmt, oder sie,
für Vergangenheit und
Zukunft, abweist. Jener wird christlich
sozial, dieser
sozialdemokratisch wählen. Jener wird sein
Scherflein zu dem
Eindruck beitragen, daß ein ‚unschuldiges
Volk‘ die Tat seiner
abgehausten Regenten nachträglich gut
heisse und ihrem
fortzeugenden Fluch nicht entgegenzutreten
gesinnt und gesonnen
sei. Der andere wird sich, mögen ihn
alle Interessen oder
Ideale einer Friedenswelt von der
Sozialdemokratie
scheiden, und auch der Antipolitiker, für
den der Gedanke erst
jenseits der Gemeinschaft anfängt, zu
einer Partei bekennen,
welche nicht größere Kriegsschuld
belastet als eine
Menschheit, deren Seelenkraft keinen
hinreichenden Schutz,
keinen mehr, keinen noch, gegen
Mitrailleusen gewährt
hat; welcher aber das Verdienst zuzu
sprechen ist, die große
Zeit der Entehrung sehend durch
lebt und dem
vaterländischen Zwang ihre Gesinnung verweigert
zu haben.“
20Auch das Zitat
aus der Nr. 514–518, Seite 86
vom Juli 1919, muss
vollständig gebracht werden, damit der von
den Angeklagten
vorgetäuschte Anschein, als ob der Privatkläger
lediglich Militär und Politik
er
– und nicht vor allem die Presse als
Lehrerin
Lehrmeisterin
der Phrase –
für den Krieg verantwortlich ge
macht hätte, richtiggestellt
werde:
15 –
vor
dem
sich
die sozialdemokratische Partei
später
sich
in aller den Kotau machte –
16 – von der Sozialdemokratie gestützten
–
17 ein Versprechen, das gebrochen wurde, während
gegen
Arbeiter, die gegen
eindieselbe Polizeig derselbe
Polizeipräsident
gegen
für
Arbeiter, die gegen ein
Justizunrecht
demonstrierten, noch nach
Unterdrückung des Aufstandes
18 Ist es wirklich möglich, einen
Gesinnungswechsel
(und noch dazu aus Gewinnsucht), einen jener „Widersprüche“,
die doch das tausendmal
wiederkehrende Leitmotiv der
Fackel bilden, daraus zu konstruieren, daß
er nie
gegen Schober, dem ein sozialdemokratischer Funktionär
die Wagentür öffnete,
und für Dollfuß war, der im
übermenschlichen Kampf
gegen Hitler gefallen ist?
Der
Ein
Autor wie
Carel Capek, der eben die Dinge nicht mit politischem Flachsinn
betrachtet, hat zu diesem Thema
dem Privatkläger wörtlich gesagt: „Man wird Ihnen wieder einmal
einen Widerspruch
vorwerfen; aber der Wider
spruch ist in denen,
die Ihnen diesen Vorwurf
machen.“
„Der Mangel an Vorstellungskraft hat
den Krieg er
möglicht; ein Rest von ihr ist nötig, um seine Ursache zu
erkennen. In diesem
Circulus vitiosus geborgen, brandschatzt
der Journalismus weiter
alle Besitztümer der wehrlosen
Menschheit. Nichts
anderes ist ihr zu wünschen, nichts mit
inbrünstigerer
Sehnsucht, nichts unter freudigerem Verzicht
auf die mutigste
Anonymität, als dass die Republik, die
Blutsverwandtschaft
erkennend, mit den hinterbliebenen
Parasiten der Kaiserzeit
wie mit den Mitessern der Revolution
ein Ende mache; dass
endlich Männerstolz vor Herausgeber
thronen einem Gewerbe,
welches unter dem ruchlosen Vorwand
der Pressfreiheit das
Volk in den Tod lügt, einer Industrie,
der nichts übrig blieb
als den Geist Müssiggang zu nennen,
die Maschinen
zerbreche.“
Es ist nun durchaus richtig,
dass der Privatkläger ähnliche
Ansichten immer ausgesprochen hat, aber gerade
die von den Angeklagten
zitierten Stellen aus den Fackel-NummernBeilagen 19 und
20766 bis 770 vom Oktober 1927 und 771 bis 776 vom
Dezember 1927
können
ganz und gar nicht für die Sozialdemokratie gewertet
22werden. Diese beiden
Nummern
Hefte
sind ein Angriff gegen den damali
Polizeipräsidenten Schober
15 und behandeln dessen
genZusage
Versprechen
gegen den
Herausgeber der „Stunde“, den 16 Erpresser Bekessy, zu
wirken, 17 eine
Zusage,
die aber nicht eingehalten wurde, während gegen auf mit allen Mitteln der
ständische
ArbeiterKriegsg
G
ewalt vor
ge
ging
.
gangen wurdeSie
Diese Hefte
behandeln die Unerträglichkeit einer Inkongruenz,
dass ein Polizeipräsident vor dem Revolver eines Erpresserjournalisten
zurückwich, aber gegen aufständische Arbeiter
Maschinengewehre bereit
hatte.
Diese Nummern
Sie
beweisen zwar,
dass
der Privatkläger das Unrecht bekämpfte auch
dann, wenn
es von der
staatlichen Macht ausging, aber sie können niemals
beweisen, dass sie für eine
Sozialdemokratie geschrieben waren,
die damals schon längst in
die Reihe der hinterbliebenen Para
siten einbezogen worden war,
als ihre Führer ihr Amt parasitär
ausübten. Dies begann schon
viel früher, zu einer Zeit, als
die Partei noch lange an der Macht war, die sie nie zu ge
brauchen gelernt
hatte, wohl aber missbrauchte. 18 Es ist
unmög
lich
alle die Stellen aus den vielen Jahrgängen der Fackel
herauszusuchen, die sich mit dem unheilvollen Wirken der
sozialdemokratischen Führer
beschäftigten. Aufs Geratewohl
seien die Folgenden herausgegriffen: aus der Nr. 732–734,Beilage 21Mitte
August 1926, Seite 45f.
„Die Frage: wo denn die sozialdemokratische Partei
geblieben ist, ob sie
denn auch terrorisiert war, wie
es denn möglich war,
dass die Freiheit so schmachvollen
Zwang ertrug, und warum
sie sich vor dem, der sie befreien
wollte, auf die andern
Sorgen zurückzog — solche Frage ist
so wenig zu fürchten wie
nun Herr Bekessy, und sie würde
wohl unbeantwortet
bleiben.“
24Aus der Nr.
743–750, Dezember 1926, Seite 4:
„Weg
damit!
Die ihr
errungnes Gut geschändet habt,
bezwungnes Böses nicht
beendet habt,
der
Freiheit Glück in Fluch gewendet habt;
Hinaufgelangte, die den
Wanst gefüllt,
vor
fremdem Hunger eigne Gier gestillt,
vom Futtertrog zu
weichen nicht gewillt;
Pfründner des Fortschritts, die das Herz verliess,
da Weltwind in die
schlaffen Segel blies,
vom Bürgergift berauschte Parvenüs,
die mit dem Todfeind,
mit dem Lebensfeind
Profit der Freiheit brüderlich vereint,
die freier einst und
reiner war gemeint —
mein
Schritt ist nicht dies schleichende Zickzack,
mein Stich ist nicht
dies zögernde Tricktrack:
er gilt politischem Paktiererpack!“
25Aus der Nr.
757–758, April 1927, Seite 19:
„Ungleichheit beschlossen
hat die Vorsehung
wohl.
Nicht alle
Genossen
hab’n a
Schloss in Tirol.“
26Aus der Nr.
795–799, Anfang Dezember 1928,
Seite 21:
„Nicht zum zehnten Gedenktag dieser
Republik, die darin
begründet ist, daß sie alle Übel der Monarchie mit Aus
nahme eines Kaisers hat,
spreche ich, sondern zum zehn
jährigen Tag meines
Aufrufes ‚An alle, die die Wahl haben‘,
durch den ich viele von
Ihnen der Partei zugeführt habe,
mit vielen Gründen und
trotz ‚allen
Interessen oder Idealen
einer Friedenswelt,
die mich von ihr geschieden haben‘.
Sie hat in diesen zehn
Jahren nur zu sehr davon gelebt,
dass keine andere Wahl
blieb, und auch Sie müssen, wiewohl
Sie Sozialisten sind,
der sozialdemokratischen Partei an
gehören.“
Aber um durch die Fülle des
zu Bietenden
den Eindruck
nicht zu schwächen, möge zum Abschluss nur noch
der Schlussabsatz aus dem in
der Nr.
876–884, Mitte OktoberBeilage 251932, erschienenen großen Aufsatz „Hüben und
Drüben“ zitiert werden,
besonders weil er schon die Schuldfrage der Sozialdemokratie
an dem Emporkommen des
Nationalsozialismus berührt. Dort
heisst es auf Seite
29ff.:
„Die Haltung im Krieg gegen den
Krieg — seither, und
insbesondere seit jenem Hingang, hundertmal wettgemacht
durch Feigheit vor dem
innern Feind, durch eine Haltung
im Frieden, deren jeder Atemzug
Kriegslüge ist —; das
damals weithin sichtbare Verdienst war das Zeichen, in dem
ich, in den Tagen
trügerischer Hoffnung, hunderte junger
Herzen einer Partei
zugeführt habe, der ich nicht angehörte,
die ich im Verhängnis
politischer Übel für das kleinere
nahm und die heute
nichts ist als die zur Not und durch
Not erhaltene
Organisation einer Alterserscheinung. Solches
hat damals mein Wort
vermocht. Sollte es heute nicht mehr
vermögen, jene der
Sache, zu der sie als der Sache von
damals stehen wollen,
abzuwenden; sollte der Glaube an mich
schwächer sein als der
Glaube, den er geweckt hat, so würde
es mir nicht über mich
zu denken geben. Denn meiner Ohnmacht,
auch vor dem wenigen,
das ich vermocht habe, bin ich mir
bewusst; ihr stolzes
Gefühl ist in mein Wirken einbezogen,
dem keine Wirkung
zugehört. Diejenige, auf die ich stets
am schnellsten
verzichtet habe, ist die Verehrung solcher,
deren Zwiespalt in ihr
sich offenbart. Dagegen darf ich
sagen, dass die
Aussicht, von der Sozialdemokratie nicht
mehr verehrt zu werden,
etwas ist, was meinen Lebensabend
verschönert, während der
ihre vergällt wird durch den Zwang,
noch hin und wieder von
meinem Dasein Notiz zu nehmen, und
durch den Krampf des
Bestrebens, sich von der Bürgerwelt,
die mich totschweigt, in
meinen Augen vorteilhaft zu unter
scheiden. Da ich den
Unterschied gleichwohl nicht bemerke
und zufrieden bin, in
der sozialdemokratischen Presse unge
nannt fortzuleben, so
wäre vollends alles in Ordnung, wenn
ich ihr auch noch diese
Sorge abnehmen könnte. Nichts
freilich, was immer die
Sozialdemokratie mit mir vor hat,
könnte sie, solange mir
die Greuel des gesellschaftlichen
Daseins noch Anreiz
gewähren, davor schützen, von mir beach
tet zu werden! Nichts
mich verhindern, gegen sie wie gegen
eine lästige Regierung,
die kein Misslingen vom Ruder bringt,
zu Hass und Verachtung
aufzureizen — ob sie nun als Partei,
als Gesamtheit, mit Sack
und Pack, den Schutz der bürger
lichen Justiz gegen
Kränkung anrufen könnte oder stumm
leiden müsste, wie sie
stumm gelitten hat vor jenem, der
die Macht hatte, von
ihren Übeln zu schweigen. Was aber
die betrifft, über die
sie selbst Macht hat, diejenigen,
denen ich zum Anschluss
an sie verholfen habe, so gehöre
ich keineswegs zu der
Sorte, die, stolz auf eine Dummheit,
sie zum zweiten Male
machen würde, und halte für eine
solche auch die Bejahung
des Hoffens, gegen die Uebel einer
Partei, die aus nichts
anderm mehr besteht als Uebeln,
innerhalb ihrer wirken
zu können. Trage ich Schuld noch an
solcher Betörung
Gläubiger, so bin ich ihrer ledig, wenn
ich ihnen gesagt habe,
daß der Glaube nur durch die
Abkehr von einer Kirche
zu retten ist, die die Priester
entweiht haben. Wie sich
die Treue zu diesen fortan mit
der zu mir verbinden
könnte, wäre ein Problem, das mir
so lange Unbehagen
schafft, als nicht da oder dort die
Lösung erfolgt. Nie
würde es mir in den Sinn kommen, den
reinlichen Austritt aus
meiner schwachen Organisation, die
nichts zu bieten hat als
etwas geistige Nahrung und keine
soziale oder gar
nationale Hoffnung, mit dem Wunsch zu be
lohnen, die, die ihn
vollziehen, möge der Teufel holen — einer
von denen, deren die
Welt nun voll ist und an deren Er
schaffung der
Sozialdemokratie das Hauptverdienst gebührt.
Drüben und
hüben!“
Nach diesen durch acht Jahre
hindurch fort
gesetzten Angriffen gegen die Führer einer Partei, die ihre
Macht missbraucht hatten,
konnte es gewiss niemanden wunder
nehmen, dass der Privatkläger gegen sie nach dem Februarauf
stand 1934 noch
schärfer Stellung nahm, als sie, anstatt sich
19 Er hat ihnen tiefstes Mit
leid
gefühl
und alle gebührende
Ehrfurcht
erwiesen.
19a Wegen
einer Verdächtigung
einen ehrenvollen Abgang zu
sichern, sich an die Macht
klammerten, als sie das Leben der Arbeiter aufs Spiel setzten
in einer Zeit, wo sie nicht
nur wussten, dass ihr Aufstand nie
gelingen könnte, sondern
sich sogar voll bewusst sein mussten,
dass er, er gelinge oder
misslinge, die Macht des National
sozialismus stärken müsste,
den der Privatkläger als den
grössten Feind nicht nur
Oesterreichs und der Tschechoslowakei,
sondern der gesamten
Kulturmenschheit betrachtet. Welche Be
schimpfungen und
Beleidigungen sind stark genug, gegen eine
Führerschaft, die, um sich
an der Macht zu erhalten, das
Reime Dollfuss, welches sich in mutigster
Weise gegen den
Nationalsozialismus gestellt hatte, zu einem Bürgerkrieg zwang,
der die unheilvollsten
Folgen für ganz Europa hätte haben
können. Aber die
Beschimpfungen und Beleidigungen der
Sozialdemokratie, zu denen
sich der Privatkläger vollauf be
kennt, galten lediglich
deren Führern. Es ist eine bewusste
Lüge der Angeklagten, dass
der Privatkläger etwas gegen die
Opfer des Februaraufstandes
geschrieben hat. 19 Die Angeklagten
mögen verhalten werden, nur
diesen einzigen Punkt ihrer Be
hauptungen zu beweisen, und
der Privatkläger wird erklären,
dass sie ihn mit Recht
beleidigt haben.
In Fortsetzung des
Vorwurfes, der Privatkläger schreibe
„gegen die Opfer des Februaraufstandes“, be
haupten die
Angeklagten, er gehe in der Mai-Nummer aus demJahre 1934 „schliesslich so weit, dass er in ihr den
Propagandaminister
Oberst Walter Adam feiert“. 19a Jeder unbe
fangene Leser des Schriftsatzes der Angeklagten und gewiss
auch das Gericht wird der
Meinung sein, der „Propagandaminister
Oberst Walter Adam“ werde wegen seiner Bekämpfung der
Opfer
des
Februaraufstandes gefeiert, und es wird mit
lächelnder
einiger
28
Verwunderung
Überraschung
aufgenommen werden (Nr. 909–911,
S. 60), dass das gespendete Lob
seine
m
r
S
s
tilistischen Ausdruckskraft galt
und seinem Angriff auf eben jene
intellektuel-
20 nicht nur für Österreich und die
Tschechoslovakei,
20a Wegen der Verdächtigung, daß jenes
stilkritische
Lob
spekulativen Zwecken diene, wurde bereits
ein Gesinnungsgenosse
der Arbeiterzeitung, „DerGegenangriff“
zur Verantwortung gezogen, und
mußte (wie in
einschlägigen Fällen etliche andere
Blätter dieser Art) eine
vom Gericht textierte AbbitteEhrenerklärung abgeben, leisten, die
vorgelegt werden
wird.
20b Für die unheilvolle Behinderung des
Kampfes
gegen Hitler wurden die Führer der Sozialdemo
kratie, –
selbstverständlich nicht die Arbeiter
schaft, die vom
unzeitgemäßen Streite
nichts wissen wollte –
len Führer des
Februaraufstandes, die aus einer ihnen aus
drücklich gegönnten leiblichen Sicherheit heraus die
österreichischen
Arbeiter
gegen die Regierung
weiter aufhetzen, die den vielleicht
bedauerlicher
tragischer
weise erfolglosen Versuch
gemacht haben,
unternommen hat,
sich
gegen die Hitler
deutschland
gewalt
zu stellen, in welchem Versuche sie
von den Führern der
Sozialdemokratie nicht nur nicht unter
stützt sondern
stets
furchtbar
gehindert wurden. 20a
Daf
F
ür 20b
wurden sie auch schon in der FackelBeilage 27Nr.
890–905 vom Ende Juli 1934
tatsächlich auf das Schärfste
angegriffen.
Ob sie sich
dadurch beschimpft fühlten und sogar „auf das
Niedrigste
beschimpft
“, darüber
wird sich
ist
der Privatkläger
mit den Angeklagten nicht
in eine Auseinandersetzung einlassen.
Rechenschaft schuldig.
Zurückgewiesen werden muss aber
Zur Debatte steht höchstens
die Behauptung von den Be
schimpfungen der
„Demokratie“. Die Sozialdemokratie verkörpert
diese nicht und wenn schon
eine Demokratie eine mögliche
Regierungsform wäre, woran der Privatkläger
seit jeher ge
zweifelt hat, so war die Sozialdemokratie der schlechteste
Ausdruck dieser Form, weil
er einen Widerspruch in sich selbst
enthält, da die Utopie eines
sozialen Staates am allerwenig
sten durch die demokratische
Regierungsform erreicht werden
kann, deren Träger wieder nur Politiker sind, was eine
Vervielfältigung der Macht
und des Machtbedürfnisses zum
Schaden der Allgemeinheit bedeutet. Aber auch darauf will
sich der Privatkläger nicht einlassen, seine Meinung zu begrün
den oder die
gegnerische Meinung zu bekämpfen. Der Angriff
galt nicht einer Meinung
sondern einer Tat, der Tat des
Februar 1934, der Behinderung der österreichischen Regierung
in der Abwehr gegen Hitler
deutschland, deren
Misslingen
Versagen
von den unheilvollsten
Konsequenzen für ganz Europa 20 ge
wesen wäre und wäre. Den Beschimpften, – seien sie
persönlich be
zeichnet oder in einem Begriff einbezogen worden –, stand
übrigens das Recht zu, von
dem Privatkläger
im Gerichtssaal
Genugtuung zu verlangen.
Keiner von ihnen hat dies getan.
21 der, läge sie nicht blos für
Flachköpfe
den Flachsinn
vor, erst das
unsaubere Motive nachgewiesen
werden müßte,
Es geht aber keineswegs an, dass die
Angegriffenen,
Dagegen hoffen sie, es werde
gelingen,
um sich
vor ihrer
Leser- oder Anhängerschaft den Schein einer Rehabi
litation zu geben, den Privatkläger der Profitmacherei und
der Gesinnungslumperei zu
beschuldigen
,
.
ohne es zu beweisen.
Die Angeklagten versuchen
aber nicht einmal einen derartigen
Be
weis
anzutreten, sondern sie beschränken sich darauf, eine
Ueberzeugungsänderung zu
behaupten, 21
die ganz und gar nicht.
vorliegt
Die Angeklagten stellen ein
Axiom
auf, wann nach
ihren Begriffen eine politische Ueberzeugung
geändert werden darf. Sie
meinen, diese Aenderung sei „vom
sittlichen
Standpunkt nur jenenfalls einwandfrei, wenn sie
das Ergebnis einer
geistigen Umorientierung ist, die auf
einem Wechsel des
Standpunktes beruht, von welchem aus wir
die sozialen
Erscheinungen betrachten, die das Leben der
Gesellschaft
begleiten“. Es ist nicht klar, ob die Ange
klagten Anspruch darauf
erheben, dass diese moralphilo
sophische Ausführung vollständig sei. Leider ist sie nicht
ganz verständlich. Aber was
immer die Angeklagten sich dabei
gedacht haben mögen: die
scheinbare Aenderung der politischen
Ueber
zeugung
war bei dem Privatkläger niemals das Ergebnis
einer
geistigen
Umorientierung, die auf einem Wechsel des Stand
punktes beruhte, sondern
stets das Ergebnis des Festhaltens
an einem Standpunkte
gegenüber den sozialen Erscheinungen
– in der letzten Zeit waren
es eben die sozialdemokratischen
Erscheinungen, die das Leben
der Gesellschaft begleiteten –,
die ihm nicht genügen
konnten. Es gibt für den Privatkläger
keine politische Ueberzeugung, die er zu ändern hätte, sondern
nur eine Ueberzeugung aus
dem Geiste und aus der Humanität
heraus, der die
sozialdemokratischen Erscheinungen nicht
entsprachen, lange bevor sie
ihre Macht verloren
,
haben
allerdings. So wie die Mächte des Krieges an ihrer
nicht ohne Zusammenhang
mit dem Verluste ihrer Macht, wie
wenigstens der Privatkläger in der Hoffnung auf die
Zukunft
gerne glauben
möchte
22 oder überhaupt eine Antipathie gegen ihn
haben an
Stelle von
Beweisen.
23 die bei
weitem nicht einmal als Leumundszeugen
genügen
konnten,
24 statt Hasses Sympathie zu Verehrung
bekunden
würden;
Unsittlichkeit zugrunde
gegangen sind, ebenso ging die
Sozialdemokratie an ihrem inneren Widerspruch zugrunde. Der
Privatkläger hat weder der einen noch der anderen Macht je
Anhängerschaft geleistet und
sie nur darnach beurteilt, wie
sie sich gegen Geist und Humanität verhielt. Um ihre politi
sche Macht hat er sich nie
gekümmert, von ihr nie einen Vor
teil gezogen. Diesen Beweis
aber hätten die Angeklagten zu
erbringen.
Anstatt dieses Beweises
möchten
die
sie
eine Reihe von Zeugen aufmarschieren lassen, die
Angeklagten
vom Privatkläger in seiner Zeitschrift
angegriffen
gekränkt
worden
sind
.
,
22 Die Qualität dieser Zeugen ergibt sich
schon aus den
beiden
vorliegenden
zugelassenen
Aussagen des Herrn Paul Kornfeld und
des Herrn Johannes Urzidil, die nun besprochen werden müssen.
Ist es schon an und für sich
absurd
haarsträubend
, über das Lebenswerk
eines Schriftstellers, das vor aller Welt
offen vorliegt,
Leumundsz
Z
eugen zu
vornehmen
beantragen
, 23 so dürften solche, wenn nicht gerade
man sich schon dazu
entschliesst,unter
aus der Reihe
de
n
r
Widersachern
gesucht
geholt
werden. Der Privatkläger könnte den
von den Angeklagten
geführten sechs Zeugen eine hundertfache
Menge von Lesern entgegenstellen, die 24
das Gegenteil bekunden können;
dass er dies nicht tut, hat
lediglich seine Ursache darin,
dass er mit eine
m
r
P
p
rozessnahen Gelegenheit nicht
Schindluder
Mißbrauch
treiben will, wie
es
die Angeklagten tun, und
er
nicht gewillt ist,
ihnen auf dem Wege der Ablen
kung
von der Hauptsache nicht
zu
folgen.
will. Der Zeuge PaulKornfeld
sagt
aus, er habe vor zweiundzwanzig Jahren mit dem
Privatkläger
„verkehrt“, seit dieser Zeit habe
er ihn nicht
gesehen. Ueber
die Art des Verkehres und von wessen Seite
der Abbruch desselben
erfolgte, schweigt er sich aus. Man
könnte auf Grund der Aussage
zu
r
der
Meinung kommen, die Aende
rung des Urteiles über die
Gedichte Franz Werfels seien
die Ursache gewesen. Aber
nicht einmal das ist wahr. Noch
im Jahre 1916, als das
Urteil über Franz Werfel schon längst
„geändert“ worden war (was mit der „privaten Differenz“ mit einer Dame, die der PK kannte,
nichts
25 war erbär ein Klatsch, den der Privatkläger
Werfel dem Privatkläger hinterbrachte, der sofort zum Abbruch der persönlichen
Verke Bekanntschaft mit
Herrn ihm führte, und fällt
in das Jahr 1913 / oder
1914, jedenfalls vor den Krieg.
26 durch
leichtfertige
26 (das freilich mit dem Charakter
zusammenhängt)
zu tun hatte,
die jener mit einer Dame hatte, die der Privatkläger
kannte
auf welche sich der Zeuge fälschlich
beruft
), hat Herr Paul Kornfeld an den Privatkläger
30ein Schreiben mit dem Ausdruck der ergebensten Verehrung ge
31richtet, ebenso wie er dies in einem Telegramm
getan hatte,
dessen Zeitpunkt
sich freilich nicht feststellen lässt.
Die angebliche Aner
kennung des Privatklägers, dass Franz Werfel „ein grosses
32Talent“ sei, erfolgte in der Fackel Nr. 339/340
vom 30. Dezember 1911 auf Seite 47 damit, dass unter drei Büchern, die
den Lesern der Fackel empfohlen wurden, der
Gedichtband
„Der Weltfreund“ erwähnt war, aus dem
einige Gedichte abge
druckt wurden. Die Ablehnung
dieses dichterischen Schaffens
33erfolgte in der Nr. 443/444 vom 16.
November 1916 auf Seite 26
34in einem
Gedicht „Elysisches“; in der Nr. 445–453 vom
18.Januar 1917
auf den Seiten 133 bis 147 in einer sprachkriti
35schen
Betrachtung; in der Nr. 462–471 vom 9. Oktober 1917
36auf Seite 68
und in der Nr. 484–498 vom 15. Oktober 1918 auf
Seite 93. Stets waren
konkrete, schriftstellerische Anlässe
wurden auch stets dargelegt.
Die angebliche
„Differenz“, die Werfel mit
einer Dame hatte, die der Privatkläger
tatsächlich kannte, 25
fällt lange. „Es war eine Kleinlichkeit“, nämlich von
vor den Krieg
seiten des Herrn Werfel, wenn man die Gefährdung des Rufes
einer Dame als eine solche bezeichnen will. Sie hatte
aber
natürlich
auf die kritische Beurteilung keinen
Einfluss
keinen literarischen
, sondern le
diglich
den Abbruch des persönlichen Verkehrs zur
Folge
gesellschaftliche Folgen
. Die
viel spätere Kritik hat sich
Werfel durch seinen
unzulänglichen
äußeres und
labile
n
s
Stil
Könnertum
und durch seine
Beeinfluss
ung
barkeit
von den verschiedensten dichteri
schen Seiten her
herausgefordert
zugezogen
. Der Zeuge Kornfeld ist aber
nicht einmal imstande, zu
behaupten, dass diese private Differenz
die Ursache einer kritischen
Aenderung gewesen sei, sondern er
will eine solche nur
plausibel machen, und tut dies mit den
Worten „von dieser Zeit an“, mögen auch Jahre verstrichen
sein, die zwischen den
beiden
Vorfällen
Fakten
liegen. Eine gleiche
Verdächtigung ohne jeden Tatsachengehalt spricht der Zeuge
über die politische
Gesinnung des Privatklägers aus. Er selbst
gibt zu, den Privatkläger seit zweiundzwanzig Jahren
nicht gesehen zu haben.
Gleichwohl
bezeugt er
hat er die Kühnheit zu bezeugen
, der Privatkläger habe im
Jahre 1925 in Berlin vorwiegend mit Kom
munisten
verkehrt,
wäre
sei
in einem kommunistischen Kreis
gewesen, alle hätten damals
geglaubt, er sei Kommunist,
der Privatkläger habe nicht protestiert und
damals habe
ihn die
kommunistische Presse sehr gelobt. Woher der Zeuge
diese von A
bis Z vollständig unwahren Tatsachen hat, ver
schweigt er wohlweislich. Er
möge doch angeben
wird anzugeben haben
, mit welchen
Kommunisten der Privatkläger im Jahre 1925
verkehrt hat
.
;
W
w
ie der kommunistische Kreis seinen Glauben ausgedrückt hat,
der Privatkläger sei Kommunist, so dass er eine Veranlas
sung hatte,
dagegen zu protestieren. Die Wahrheit ist, dass
diese Zeugenaussage vom
Anfang bis zum Ende falsch ist,
dass der Privatkläger in keinem kommunistischen Kreis
verkehrt hat, was Herr Heinrich Fischer, damals
Drama
turg in
Berlin, jetzt wohnhaft in Prag XII. Slezzka 115
bezeugen kann, der den Privatkläger bei seinem im Jahre
1925 vom 21. März bis 2.
April währenden Aufenthalt in Berlin,
in welcher Zeit sieben
Vorlesungen abgehalten wurden, ständig
Gesellschaft leistete.
Noch absurder
Mehr drollig
ist die Aussage des
Zeugen Johannes Urzidil. Dieser bekennt sich
wenigstens offen
zu seiner
Gegnerschaft, denn er sagt im wesentlichen über
nichts anderes aus, als über
einen Angriff, der gegen ihn
37im Jahre 1931 in der Nummer 864–867
gemacht
veröffentlicht
worden war.
Die
Berechtigung zur Beurteilung des moralischen Wertes und
der Sachlichkeit des
Angriffes muss dem angegriffenen Zeugen
abgesprochen werden,
umsomehr, als er den ironischen Ver
gleich des Klanges seines
Namens mit der Vorstellung zer
schlagener Glasfenster
offenbar in der Absicht hervorhebt,
bei einem tschechischen
Gericht die Vorstellung zu erwecken,
es liege hier eine
Verunglimpfung des Tschechentums vor, wo
es sich gerade im Gegenteil
in dem auf den Seiten 40 bis 49
27 Diesen Gallimathias verstehe, wer kann.
der zitierten Nummer
abgedruckten Aufsatz „Der zerbrocheneKrug“ darum
gehandelt hat, das hetzerische Treiben des HerrnUrzidil
anzuprangern, der als Pressechef der deutschen Ge
sandtschaft in Prag die Vorstellung zu verbreiten wünschte,
es seien der deutschen Gesandtschaft
eine
von tschechischer Seite
Fensterscheiben ein
geschlagen
worden. Die Art, wie diese Nachricht verbreitet
wurde, war offensichtlich
darauf angelegt, den Vorfall
national zu unterstreichen, obwohl durch nichts erwiesen
war, dass es sich um eine
derartige Kundgebung gehandelt
hätte. Die Ironisierung eines Namens, „der einen Klang
hat, als ob in ihm die
Vorstellung von eingeschlagenen
Fensterscheiben geradezu
erfüllt wäre“, bei einem Namens
träger, der eingeschlagene
Fensterscheiben zum Gegenstand
politischer
deutschnationaler
Verhetzung gegen die Tschechen
gebraucht, ist daher sowohl satirisch
als auch sachlich
gerechtfertigt
.
, ja zwingend notwendig.
Der Zeuge behauptet weiter,
der Privatkläger habe in diesem Artikel
geschrieben, Zeuge
„sei sowohl tschechischer wie auch deutscher Abstammung,
womit
der Privatkläger seine verstorbene Mutter
habe tadeln woll
te
en
und
zwar aus dem
Grunde, weil diese eine deutsche Jüdin gewesen
sei, womit er sich mit dem rassischen
Antisemitismus iden
tifiziere und zu
erkennen gebe, dass er einen tschechischen
Namen und jüdischen Ursprung
als Beweis des
Deutschtums
ansehe,
obwohl es in seinem Fall um einen damals schon
15 Jahre bekannten deutschen
Schriftsteller ginge.“
27 Die
Interpretation des Satzes der Fackel wäre selbst dann falsch,
wenn die Zitierung richtig
wäre. Der Satz lautet aber in
Wirklichkeit
folgendermassen:
„Herr
Urzidil ist, soweit wir uns selbst
überzeugen konnten, ein
Prager Literat, dessen teils
tschechische, teils nichtdeutsche
Abkunft, von der wir
nur
aus zweiter Hand wissen, die Opfer, die er für die
Sache des Deutschtums
bringt – wenn schon nicht durch
sein Schaffen, so durch
seine Gesinnung – beträchtlich
erscheinen
lässt.“
Es ist klar, dass der Sinn
dieses Satzes keinen Tadel gegen
die verstorbene Mutter des Herrn
Urzidil enthält, von der überhaupt
nicht die Rede ist, sondern
lediglich eine
n Tadel gegen ihn
Anprangerung seiner
selbst, der teils tschechi-
28 Heute möchte er, der zwei Jahre unter Hitler
als Angestellter der
deutschen Gesandtschaft nationaledeutsch Dienste geleistet hat, diese
Tatsache ver
wischen, sich auf einen angegriffenen Tschechenhinaufspielen und auf die Verspottung seines Namens
vor einem tschechischen
Gericht in klarer Absicht
hinweisen.
scher, teils nichtdeutscher
Abkunft, gleichwohl deutsch
nationale antitschechische
Hetzpolitik trieb. 28
Damit könnten diese
Ausführungen abgeschlos
sen werden, – denn die
Angeklagten haben den Beweis der
Profitmacherei und der
Gesinnungsänderung des Privatklägers,
um sich vor dem
Konzentrationslager zu schützen, nicht einmal
angetreten und viel weniger
erbracht –, wenn sie nicht,
offenbar um Stimmung für sich bei einem tschechoslowakischen
Gericht zu machen, Themen in
ihren Ausführungen berührten,
die mit dem gegenständlichen Prozesse überhaupt nichts zu
tun haben. Es wurde bereits
früher ausführlich dargelegt,
dass die Angeklagten sich zu ihrer Entschuldigung oder zu
dem Nachweise ihres guten
Glaubens nicht auf Tatsachen be
rufen können, bei denen ein
öffentliches Interesse an ihrer
Mitteilung lange nach der
Veröffentlichung der Beleidigun
gen vorhanden wäre. Damit
aber nicht aus dieser rein theore
tischen Auseinandersetzung
der Schluss abgeleitet werde,
es seien die Behauptungen wahr, dass der Privatkläger durch
ganze Jahre unbegründet die
tschechoslowakischen Staats
männer beschimpfe, sich über
die tschechoslowakische Nation
und ihren Kampf um die Befreiung in dem Sinne äussere, es
hätte „die Partei den
Hausherrn hinausgeworfen“, und daß er
die mache
die demokratische
Verfassung dieses Staates lächer
lich
, müssen auch diese absurden Behauptungen
Vorwürfe besprochen werden. So
fraglich das Recht der
Angeklagten ist, sich
zum
zu
Verteidigern
des damaligen
Aussenministers und nunmehrigen Präsidenten
aufzuwerfen oder sich eines
Angriffes auf ihn als Mittel
zur eigenen Verteidigung zu bedienen, so muss doch darge
tan werden, dass ein Angriff
auf den heutigen
Präsidenten in Wirk
lichkeit gar nicht vorliegt.
Der Angriff auf Seite 58 der
38Fackel Nr. 909–911 richtet sich gegen die von tschechoslovakischen Geldern lebende und
zugleich österreichischen Patriotismus zur Schau tragende Wiener Tages
zeitung „Der Tag“, de
ss
r
en zwie
schlächtige
spaltige
Haltung
bespro
erörtert
wird. Von diese
chenr
m
Zeitung
Blatt
heisst es:
– es handelte sich nämlich um Ank bezahlte Ankündigungen
von Vorträgen des Privatklägers –
„Antipathisch ist es durch die
Verbindung einer Bereit
schaft, sich ans Vaterland anzuschliessen, mit der Aufgabe,
Organ des Herrn Benesch zu sein; nicht minder wegen
des
Talents,
ebendieses durch alle Vorschriftsmässigkeit durch
schimmern zu lassen und
den Rechtskurs mit zwei linken
Füssen mitzumachen. Für
eine Annonce sich des ‚Tag‘ zu be
39dienen, kostet zwar nicht viel, doch immerhin Ueberwindung:
indem man sich dem
Verdacht aussetzt, gesinnungsmässig
mit einer Leserschaft
verbunden zu sein, der die Gewohnheit,
frei zu denken und zu
mauern, nach wie vor als der wirk
samste Schutz gegen das
Verhängnis Hitler erscheint. Was auf
diese Weise entsteht,
ist die Mauer, gegen die einerseits
mit dem Kopf gerannt und
die anderseits den verbrecherischen
Störern des grössten
Verteidigungskrieges aller Zeiten ge
macht wird.“
Alle diese Angriffe müssen
aus
der Gegnerschaft des
Privatklägers gegen das Hitlerregime ver
standen werden,
dessen Förderung in jeder absichtlichen oder
unbewussten Verkennung
ihrer
seiner
Gefahr liegt. Diese Gefahr, der
nicht nur Oesterreich
sondern ganz Europa und besonders die
Tschechoslowakei ausgesetzt
ist, wird heute auch schon an Stellen
erkannt, die früher blind an
ihr vorübergegangen sind. Der
Privatkläger glaubt diese Tatsache als
gerichtsbekannt voraus
setzen zu können, da sie in
allen Blättern der Tschechoslowakei
seit mehreren Monaten
öffentlich besprochen wurde. Ja sogar
der Angeklagte Sonka
selbst hat
ist sich
, wie durch die Zeugenschaft des
Herrn Heinrich Fischer bewiesen werden kann,
in letzter Zeit
jüngst in einer Prager Autorenversammlung
der Paralellität der politischen Ziele Österreichs und der Tschechoslovakei
bewußt geworden.
Zu
den Kampf
Oesterreichs und seine Notwendigkeit anerkannt
der Erkenntnis,
in wie unverantwortlicher Weise die Sozialdemo
kratie
ihr
den hier gemeinten Kampf gegen Hitler
gehindert hat, ist die Partei allerdings noch nicht
gekommen.
vorgedrungen.
Anstatt sich mit der verlogenen Behauptung der
Angeklagten, der Privatkläger mache die demokratische Verfassung
des tschechoslowakischen
Staates lächerlich, auseinanderzusetzen,
40soll die
Stelle auf Seite 59 der Fackel 909–911 hier lediglich
zitiert werden, um darzutun,
mit welchen Mitteln dieser Prozess
geführt wird, wie aus einem
Angriff gegen eine Partei eine Ver
höhnung der
tschechoslowakischen Verfassung gemacht wird.
Diese Stelle lautet:
„Hat doch sogar die vorbildliche
Dummheit der englischen
Arbeiterpartei — heute nur noch von jener Demokratie über
troffen, von deren
werktätiger Neigung der ‚Tag‘ sein
Dasein
fristet — erkannt, dass, ‚verglichen mit
dem national
sozialistischen
Regime‘, das österreichische ‚unendlich
vorzuziehen‘
sei; und das könnte doch selbst der dem
kulturellen Gehalt des
neuen Lebens Abgeneigteste un
möglich
bestreiten.“
Am tollsten und
unverschämtesten ist aber
wohl die Behauptung der Angeklagten, „der Privatkläger äussere
sich über die
tschechoslowakische Nation und ihren Kampf um die
Befreiung in dem Sinn,
es hätte ‚die Partei den Hausherrn hinaus
geworfen‘.
Als Hausherrn bezeichne er die Habsburger und Partei
sei zufolge der ‚beseelten‘(?) Ansicht des Privatklägers offenkundig
die tschechoslowakische
Nation, die seiner Ansicht nach offen
bar keinen Anspruch auf
Selbständigkeit gehabt habe.“ Man muss
sich wirklich an den Kopf
greifen, dass so etwas von Menschen
vorgebracht wird, die sich
zu einer Reihe von Intellektuellen
zählen, „welche gerade aus Liebe zur Wahrheit und Achtung vor der
Freiheit lieber die
Emigration als die gehorsame Anpassung an
das gegenwärtige
österreichische Regime wählten“, die sich be
rufen fühlen, das Urteil
abzugeben, der Privatkläger „diskredi
tiere uns andere Dichter und Literaten überhaupt, deren Sendung
in der menschlichen
Gesellschaft es gerade ist, die breitere
Oeffentlichkeit
moralisch aufzurütteln und ein Muster morali
scher Verantwortlichkeit
zu sein“. Diese moralische Verantwort
lichkeit sieht
folgendermassen aus, und wenn die Angeklagten
die Nummer der
Fackel nicht zitiert hätten, in der das Absurdum
stehen soll, wäre es
unmöglich gewesen, überhaupt darauf zu
kommen, was sie meinen. Denn
der Privatkläger ist sich bewusst,
gerade das Gegenteil stets
vertreten zu haben, was auch von
Schriftstellern der
tschechoslowakischen Nation, ja sogar von
deren Präsidenten Masaryk immer vollauf gewürdigt wurde. In
41der Nr.
912–915 vom Ende August 1935 ist auf den Seiten 34 bis
62 ein Aufsatz „Die
Handschrift des Magiers“ enthalten, der
sich mit Herrn
Max Reinhardt beschäftigt. Diesem war es, noch als die Sozialdemokratie Einfluß
hatte, gelungen,
eine Wohnung in Schönbrunn und in der Hofburg zugewiesen zu er
halten. Nach einer längeren
Ausführung über die von aller Welt
so gepriesene „
Künstlerschaft
Magie
“ Reinhardts und nach einer Dar-
legung, was von ihr zu
halten sei, heisst es zu Beginn des
letzten Absatzes auf Seite
61:
„Wien hat den Träumer zu einer Zeit, da die Republik
noch zum Linken sah,
anders geehrt; es bedurfte damals, als
der Begriff der Freiheit
mit den Namen Castiglioni und
Bosel, Rintelen und
Winkler verknüpft wurde und die Habs
burger, nehmt
alles nur in allem, von einer Partei ausge
bürgert waren, die den
Bekessy eingebürgert hat, keiner
weitern Besinnung, um
jenem in Schönbrunn und der Hofburg
einen seiner Prunkliebe
und seinem imperialen Bedürfnis
halbwegs angemessenen
Wohnsitz einzuräumen, wie er ihn
sich in der Wiege noch
nicht geträumt hatte. Und obwohl
er sich’s ganz gewiß
nicht träumen liess, dass ihm dereinst
ein greiser Kirchenfürst
mit Gefolge entgegenkommen und
dies Bild in
Theaterblättern verewigt würde, so war doch
er es, an dem sich
hauptsächlich jener Kaiserdrang genährt
hat, der in unserer so
lebhaften Montagspresse, dem wahren
Spiegel dieser
Unwirklichkeit, vorläufig die Könige aller
Branchen restauriert.
Wenn das jetzige Österreich, das
dafür geschmäht wird,
dass es, jenseits aller Politik und
Gespensterfurcht, eine
Wohnungsfrage zu Gunsten der Be
sitzer entscheidet —
wenn es der Lichtspur des Herrn aufLeopoldskron
noch folgen will, so möge es Auskunft geben,
ob der Träumer, der gern
Rechnungen von Elektrizitätswerken
unbeglichen lässt, im
September 1933 das Konto des Hof
burgbewohners mit
mäzenatischer Hilfe gelöscht fand, als er
geweckt wurde, oder ob
der Rückstand, der vorhanden war,
‚als dubios
abgeschrieben‘ ward. Auf diese Auskunft hat
Jedermann Anspruch, dem
beim geringsten, unverschuldeten
Verzug das Licht
abgedreht wird (auch wenn er es dazu
brauchte, Shakespeare zu ehren — womit er es
beiweitem
nicht
bezahlen könnte).“
Welche Niedertracht! Der der
sozialdemokratischen „Partei“
gemachte Vorwurf, den Bekessy (einen
de
r
n
ärgsten
größten
Revolverjournalisten Wiens) eingebürgert zu
haben,
der Tadel, einem
Faiseur eine Wohnung im Schönbrunn und in
der Hofburg eingeräumt zu haben, wird dazu benützt, um
nationale Gefühle gegen den
Privatkläger aufzupeitschen. Hier
wird die Justiz überhaupt
vor einen einzigartigen Fall gestellt.
Es wird nämlich der Versuch
unternommen, auf rein denunziatori
schem Wege durch die
Behauptung, der Privatkläger habe jemals
etwas gegen die tschechische
Nation, gegen die tschechische
Selbständigkeit geschrieben, von der Hauptsache, nämlich dass
er Profit mache, abzulenken.
Wäre auch nur ein Atom von diesen
denunziatorischen
Behauptungen wahr, so wäre es eine Er
niedrigung der Justiz und
der Nation, die doch gerade durch
die Freiheit der
Meinungsäusserung, die sie gewährt, sich
vor den andern hervortut,
wenn sie es nicht zurückwiese, dass
auf diese Weise ein Versuch
der Beeinflussung auf ihr Urteil
30 weil er zwar die höchste Anerkennung für
die
tschechische
Sprachliebe und Sprachkultur enthält,
freilich auch das Mom das damalige Hineintragen
des nationalistischen
Moments in die Verkehrssprache
bemängelt.
31 der Gelehrte der Pariser Sorbonne und des
Collége de France an das Komitee
32 (In dieser Urkunde ist gerade auch die
Haltung und Leistung des
Privatklägers
im Weltkrieg besprochen.
Die Arbeiterzeitung
hat sowohl die
Verleihung des Literatur-, wie
des Friedenspreises an
ihn verlangt.)
gemacht wird. Die
Ungeheuerlichkeit jedoch, dass man sich
etwas einfach aus den
Fingern saugt, um eine gehässige Stimmung
zu erzeugen, ist wohl
ohnegleichen. Dies nötigt den Privatkläger, auch
einiges über seine Stellung zur tschechoslowakischen
Nation und ihrem Staate zu
sagen. Vorerst soll zu diesem Zwecke
42ein in der
Nr.
735–742 vom Oktober 1926 auf den Seiten
65 bis 68 erschienener Aufsatz vorgelegt werden, gerade des
wegen, weil 30 er zwar die höchste Anerkennung für die
tschechische Sprachliebe
kein volles Lob enthält,
Als nun
das „Prager Tagblatt“ in einer Zuschrift vomsondern
auch
manches be
mängelt.
4320. Oktober 1926 um die Erlaubnis bat, gerade die
Stelle
nachdrucken zu
dürfen, die
einen
den
Tadel der
nationalistischen
dieser Überspitzung
44
Verblendung enthält, erhielt dieses Blatt
eine Zurückweisung,
die die
Sympathie des Privatklägers für die
tschechoslowaki
schen
Nation
Bestrebungen
auf das eindringlichste dokumentiert. Als solche
45Dokumente
werden weiters vorgelegt: die Nr. 521–530 vomJanuar 1920, (Notiz
„Oesterreich-Ungarn“ auf Seite 63); die
46Nr.
572–576 vom Juni 1921, (Aufsatz „Bei den Tschechen und
beiBeilage
41den Deutschen“ auf den Seiten 64 bis 68); die Nr. 632–639 vonBeilage 42Mitte
Oktober 1923 und die Nr. 640–648 von Mitte
Januar 1924,
(mit
der Veröffentlichung eines Armeebefehls vom 17. April 1915
auf Seite 34 der Oktober-Nummer und einer Vorbemerkung
hiezu
49auf Seite 102 der Januar-Nummer);
die Nr.
668–675 vom Dezember1924, (Aufsatz „Ein Reinigungsprozess“ auf den Seiten 73 bis 79).
Der Angeklagte Sonka hat sich von dem
sonderbaren Zeugen Johannes Urzidil ein Leumundszeugnis ausstellen lassen,
er sei ein Dichter, der
seine Ueberzeugung anständig verteidigt.
Wie anständig, darüber gibt
wohl sein Schriftsatz mit den Be
weisanträgen genügende
Aufklärung. Der Privatkläger möchte
nicht hinter dem Angeklagten zurückstehen, und auch seiner
seits
Leumundszeugen, wenngleich nur
dokumentarisch, ins Treffen führen. Zu diesem Zweck
legt
wird
er de
n
r
Abdruck einer Adresse 31
an die Mitglieder des Komitees
50für die
Verleihung des Nobelpreises vo
m
n
10. November
den Jahren
1925 bis 1928
vor.
gelegt,
deren Unterzeichner
es wohl an Gewicht ihrer Meinungsäusserung
mit Herrn Urzidil aufnehmen können. 32 Ferner
legt er
wird
eine Bro-
33 und auf die ergreifende Zuschrift eines
Arbeitslosen (Seite 47f),
um
das
auch
die soziale Gesinnung des Privatkläger der
von gehäßiger Seite geübten Verzerrung entgegen
zustellen. Überdies wird
auf die Tatsache hin
gewiesen, die wohl der
Meinung, das Kriegswerk
der Fackel sei ein
militaristisches mit drasti
schestem Hohn begegnet:
daß das Werk „Die letztenTage der
Menschheit“ in tschechischer Übersetzung
unter dem Titel „Poslední dnové lidstva“
im Verlag Prager Verlag Družstevní práce,
gedruckt bei Rohrer in Brünn, erschienen
ist, welche Ausgabe auf
Wunsch dem Gericht
zur Verfügung gestellt
wird.
34 der die Tendenz der literarischen
Kriegsleistunganerke des Herausgebers der Fackel anerkennend
hervorhebt. Es entbehrt
nicht einer gewissen
Pikanterie, daß unmittelbar darunter die
be dem Führer der Sozialdemokratie und
geistertedem Herausgeber der Leiter der
jetzigen Arbeiter-Zeitung
Otto Bauer die Ehre erwiesen wird, daß
sein begeistertes Urteil
über das Kriegswerk des
Privatklägers abgedruckt wird (aus seinem Buch „Die österreichische Revolution“).
Ganz abgesehen
von jenem
Urteile des Schöpfers der tschechoslovakischen
Republik wäre es doch unvorstellbar, daß
dieser nicht nur wiederholt seit jeher wiederholt,
am 8.I.1910 (nach dem
berühmten Prozess Friedjung)
und am 1.I.1922, durch
eigenhändige Schreiben, ferner
durch die
Präsidentschaftskanzlei (dem Privatkläger in handschriftlich mit den
Worten gewidmet „Dem Dichter der letzten Tage der
Menschheit“). dem Privatkläger
außerordentliche
Freundlichkeit erwiesen, ja ihn
zu einem Besuche auf
dem Hradschin eingeladen
hätte, wenn auch die
Fackel „seit jeher“
jemals
deutschmilitaristische Gesinnung, antistaatliche
Tätigkeit,
antitschechische Gesinnung und
eine herabsetzende
Kritik an der tschechoslovakischen
Selbständigkeit
geäußert hatte
35 Sämtliche Zuschriften, die sich auf die
freundliche
Meinung
des Herrn Präsidenten beziehen und
die hier nicht beigelegt
werden, weil man die
wertvollen Dokumente der Post nicht anver
trauen will, werden bei
der Verhandlung
vorgewiesen werden.
36 indem eine unmittelbare Gefahr für den
Staat nicht vorhanden
war, die aber doch
einen
durchaus analogen Standpunkt
einnimmt. Wie das Urteil
des Präsidenten
in Anbetracht der
drohenden Staats- und
Weltgefahr ausfiele, kann wohl nicht zweifel
haft erscheinen. Es
dürfte wohl niemals
noch
der Fall gewesen sein, daß es aus Kränkung zur Vergeltung einer
literarischen Herabsetzung
und zweifellos in der Absicht
literarischer Vergeltung gewagt
würde, im Vertrauen auf die Schwierig
keit der Aufklärung
einem Gerichtshof
eine
derartige verleumderische Verkehrung
geistiger und moralischer
Sachverhalte
darzubieten und einen Schriftsteller, der
104
Antikriegshefte
herausgegeben hat, aus denen
zahllose Stellen
konfisziert wurden, und der
wegen „Verbrechens gegen
die Kriegsgewalt“ verfolgt
wurde (bis die Regierung Lammasch das
Verfahren
einstellte), einer schändlichen Haltung zu
beschuldigen, und einen
Mann als Profitmacher und
„Spekulierer“ zu brandmarken, der vom
Kriegsbeginn bis heute S
162.537 wohltätigen
Zwecken (insbesondere der Invaliden
Arbeiter- und Invaliden
fürsorge) zugewendet
hat.
51schüre „Stimmen über Karl Kraus zum 60. Geburtstag“ vor
und verweist besonders wird hingewiesen auf die Beiträge
tschechischer
Schriftsteller: Carl Capek auf Seite 21, Josef Hora auf
52Seite 27 und Jan
Münzer auf Seite 31. 33
Ueberdies wird diesem
Dem Schriftsatz angeschlossen ein wird ein zu dieser Ausgabe
veröffentlichtes
Heft der Zeitschrift „Panorama“,
welches fast ausschliesslich
das
Werk
gesamte Kriegswerk des Privatklägers
in enthusiastischester Weise be
handelt.
Besonders hingewiesen wird auf
die
das
auf der zweiten
Umschlagseite abgedruckte
Notiz
Zitat
aus einem Werk
des
ersten
Präsidenten T.G. Masaryk
Schöpfers der
tschechoslowakischen Republik und ihres ver
ehrten.
,
34
Durch die ferner vor
53gelegten
Schreiben dieses hochverehrten Mannes vom 8.1. 1909
54und vom 1.1.1922 der Präsidentschaftskanzleivom
am
22.12.1921, 28.12.1921,
55
5.1.1922, 23.1.1922, ferner durch das eigene
Schreiben vom
7.9.1933 und 8.9.1933
5628.8.1933 und deren Erledigungen
vom
ist wohl zur Genüge dargetan, welche Anerkennung
von dieser wenn der Privatkläger
deutschmilitaristische Politik gemacht
oder „durch ganze Jahre
Seite dem Privatkläger persönlich und seinem Werk
gezollt
wurde, eine
Anerkennung, die ihm gewiss versagt geblieben
wäre,unbegründet
die tschechoslowakischen
Staatsmänner beschimpft, sich über
die tschechoslowakische
Nation und ihren Kampf um die Be
freiung in dem Sinn
geäussert hätte, es habe ‚die Partei
den Hausherrn
hinausgeworfen‘“, oder wenn er sonst eine
„antistaatliche Tätigkeit“ entfaltet hätte, die „Menschen de
von der
Art“s
n
Angeklagten die Berechtigung gäbe, die
Interessen der
tschechoslowakischen Oeffentlichkeit gegen
„Menschen von der Art des Privatklägers“ zu ver
treten. 35 Vo
m
n
besondere
n
m
Interesse wird da
gerade
die Zuschrift
57vom 23. Januar
1922 an den Privatkläger sein,
weil
da
s
d
ie sich
mit dem
Notrecht des Staates befasst und einen Fall behandelt,
der gegenüber den
Februarereignissen 1934 in Wien zwar ver
schwindend klein
erscheint, 36 aber doch analoge Vorfälle zur.
3
Diskussion stelltWie das Urteil des Präsidenten in Anbetracht gegenüber der drohenden
58 Hitlergefahr
ausgefallen wäre, kann wohl nicht zweifelhaft
erscheinen.
Ueber alles, was in diesem
Schriftsatz
vorgebracht wurde, ohne
dokumentarisch belegt zu sein, be
antragt der Privatkläger seine Einvernahme als Zeugen.
An das
zur Zahl Tl III
239/34
Tl III
256/35
Tl III 299/34
Privatkläger: Karl Kraus, Herausgeber der Zeitschrift
‚Die Fackel‘ in Wien III., vertreten durch
Dr. Robert Herrmann und Dr.
Felix
Gallia,
Advokaten in Brünn
Beschuldigte: 1./ Josef Schramek, Redakteur in Brünn,
2./ Hugo Sonnenschein / Sonka
/
Schriftsteller in
Prag,
beide vertreten durch
Dr. Bohuslav Ečer,
Advokaten in Brünn
wegen Ehrenbeleidigung
resp. Vernachlässigung
der pflichtgemässen Obsorge.
2 fach
46 Beilagen
Aeusserung des Privatklägers zum Schriftsatz der Angeklagten
vom 18. Februar
1936.
Es ist wohl das
Absurdeste, was es je im
Rechtswesen gegeben hat: dass ein Privatkläger, dessen 37jähriges
geistiges Schaffen vor
aller Welt vorliegt, durch Wochen hindurch
sich und seinen Anwalt bemühen muss, nicht etwa, Beweise
durch
Gegenbeweise zu
entkräftigen, sondern einem Angeklagten auf seinen
Schleichwegen einer
Beweisführung zu folgen und aufzuzeigen, mit
welchen Mitteln der
Entstellung und der Verfälschung die Angeklag
ten einen
„Wahrheitsbeweis, allenfalls den Beweis
entschuldbaren
Irrtums“ zu führen versuchen. Schon der Satz, dass zu seiner
Durch
führung notwendig war, eine Reihe von Belegen zu studieren, die in
Oesterreich in Archiven
gesammelt werden mussten, ist wahrheits
widrig. Die
Angeklagten stellen nicht einen einzigen Beweisantrag,
den sie auf eine
Archivforschung zurückführen, und sie berufen
sich ausschliesslich auf
Stellen aus der vom Privatkläger seit
37 Jahren
herausgegebenen im Buchhandel erhältlichen Zeitschrift
‚Die Fackel‘, die sie in einer Weise
zitieren, dass das Gegenteil
der Anschauungen des Privatklägers herauskommt. Damit aber die
An
geklagten sich nicht mit technischen Schwierigkeiten ausreden können,
werden ihnen alle
Exemplare der Fackel gerne zur
Verfügung gestellt,
die
sie zu ihrer Entlastung zu benötigen glauben, auch die „öster
reichischen“
Ausgaben der Fackel, die sich
von den im Gebiete der
Tschechoslowakei verbreiteten nur durch den Preisaufdruck auf dem
Umschlag – hier in
Tschechenkronen, in Oesterreich in Schilling –
unterscheiden. Die
verleumderische Behauptung der Angeklagten, der
Privatkläger gebe zwei verschiedene Ausgaben seiner Zeitschrift
heraus, wodurch zum
Ausdruck gebracht werden soll, er ändere seine
Meinungsäusserung nach
dem Ort des Erscheinens und unterdrücke
offenbar in der
Tschechoslowakei, was er angeblich gegen diese in
Oesterreich vorbringt,
wurde zum Gegenstand einer separaten
Anklage gemacht. Dieser
Vorwurf beweist zur Genüge, mit welcher
gehässigen Verlogenheit
die Angeklagten ihren Standpunkt ver
treten.
Ehe in die Besprechung
der einzelnen
Punkte des
Schriftsatzes der Angeklagten eingegangen wird,
soll
zu der
Rechtsfrage Stellung genommen werden: ob die Angeklagten
den
Strafausschliessungsgrund des § 6, 2b des
Ehrenschutzgesetzes
für sich in Anspruch
nehmen können. Dieser Strafausschliessungs
grund, der
bei Begehung der strafbaren Handlung in einer Druck
schrift nur
dann Anwendung zu finden hat, wenn die Anführung
oder Mitteilung der in
Betracht kommenden Tatsachen im öffent
lichen
Interesse gelegen ist oder zur Wahrung eines berechtigten
wichtigen
Privatinteresses notwendig war, kann den Angeklagten
nur dann zugute kommen,
wenn das von ihnen vorgegebene Interesse
schon zur Zeit der
inkriminierten Aeusserung vorhanden war. Die
ser
Strafausschliessungsgrund ist nur dann gegeben, wenn die
sonst strafbare Handlung
begangen wird, um eine wichtige In
teressensphäre zu schützen. In ihrem Beweisantrag berufen sich
die Angeklagten in den
Punkten 7, 8 und 9) auf Stellen aus den
Fackel-Nummern 909–911, erschienen Ende Mai 1935 und 912–915,
erschienen Ende August 1935, während das Blatt mit den inkrimi
nierten
Artikeln am 15. September 1934 veröffentlicht
wurde.
Selbst dann
also, wenn die von den Angeklagten behaupteten
„Beschimpfungen“ der
tschechoslowakischen Staatsmänner, Lächer
lichmachung
der tschechoslowakischen Verfassung, ja der
tschechoslowakischen
Nation so wahr wären, wie sie zur Gänze
unwahr sind, – was bei
der Besprechung der einzelnen Punkte des
Schriftsatzes der Angeklagten ausführlich dargelegt
werden soll –,
könnten
sie nicht zu ihrer Entschuldigung dienen.
Die Justiz wird hier vor
einen einzigarti
gen Fall gestellt. Es wird nämlich der Versuch gemacht, auf
denunziatorischem Wege
durch Behauptungen, der Privatkläger sei
gegen die tschechische
Nation, gegen die tschechische Selbständig
keit
aufgetreten, von der Hauptsache abzulenken. Die Tat, die der
Angeklagte Sonnenschein-Sonka zu verantworten hat, ist,
dass er
den Privatkläger einen „
Helden der Gesinnung und des Geistes“,
einen „
Konjunkturästheten“ genannt und in einen Kreis von Personen
eingereiht hat, die
der Laune feisten Goldes dienen, Leisetreter,
Zuhälter der Macht , die man morgen schon zertreten werde, geistige
Henkersknechte, die „Mordhass“ schüren und den Schlaf der Welt
hüten, um „
Profit zu machen“. Herr Sonka glaubt sich damit ent
schuldigen zu
können, dass er dieses „Gedicht“
nicht „auf die
Person des
Privatklägers stilisert“ schon vor dem
Juliheft der
Fackel auch an anderen
Orten „ohne jedwede Widmung“ veröffent
licht habe.
Welchen Sinn diese Ausrede haben soll, ist kaum er
findlich, da
ja eben die Publikation in der Arbeiterzeitung, die
die Widmung enthält,
inkriminiert ist. Der Angeklagte Schramek
hat sich dafür zu
verantworten, dass er diese Beleidigungen und
auch weitere
Beleidigungen in dem Aufsatz „Der
Racheakt derPolizei
gegen Braunthal“ in Kenntnis ihres Inhaltes zum Druck
befördert, sich also der
strafbaren Handlungen mitschuldig ge
macht,
zumindest aber die pflichtgemässe Obsorge vernachlässigt
hat, solche schmähende
Aufsätze und Gedichte von der Veröffent
lichung
auszuschliessen. Aus dem Artikel
wurde besonders die
Stelle inkriminiert, welche die Behauptung enthält, dass sich der
Privatkläger in seiner Fackel
brav
gleichgeschaltet habe und im
Schweisse
seines Angesichtes die Kulturtaten den „österreichi
schen
Menschen“ preise, was ihn allerdings vor Wöllersdorf
schütze. Darin
liegt die sofort als absurd erkennbare Behauptung,
dass das im Juli 1934 erschienene Fackelheft
den Zweck verfolge,
dem
Privatkläger die Zwangsanhaltung in Wöllersdorf zu ersparen.
Die Absurdität dieser
Behauptung ergibt sich aus der dem Artikel
selbst
zu entnehmenden Feststellung, dass „Braunthal
am 12. Februar
1934 im
Zuge der zur Niederringung der Februarrevolte getroffenen
Massnahmen
festgenommen“ wurde. Es ist nicht Sache des Privatklägers, darüber Erhebungen zu pflegen, ob die
Beteiligung Braunthals an der Februarrevolte seine Festnahme auch rechtlich be
gründet
erscheinen lasse, wie weit bei der Anhaltung in dem
Zwangslager die Tatsache mitbestimmend war, dass er seit
dem
Jahre 1923 in der
Zentralleitung des Republikanischen
Schutzbundes sass, und wie weit vielleicht auch seine Broschüre „DieWiener
Julitage“ (1927) an dieser Zwangsmassnahme mitgewirkt
haben. Dass gegen den
Privatkläger nicht mit den gleichen
Zwangs
massnahmen vorgegangen wurde, das kann keinesfalls ein im Juli
1934 erschienener Aufsatz bewirkt haben, wenn die Haltung Braunthals im Juli 1927 wirklich der Grund für das Vorgehen gegen ihn
gewesen wäre. Es ist
klar, dass der Autor des am 15. September
1934 erschienenen
Artikels „Der Racheakt der Polizei
gegen Braunthal“ nur eine ihm offenbar günstig erscheinende Gelegenheit
benützte, für den im
Juli 1934 erschienenen Artikel des Privatklägers Rache zu üben, und anstatt eine Meinung zu kritisieren
und eventuell zu
bekämpfen, – was ihm gewiss nicht geglückt wäre,
da die nachfolgenden
Ereignisse in der Weltpolitik diese Meinung
so sehr gerechtfertigt
haben, dass auch frühere Gegner sich ihr ange
schlossen
haben –, die Kritik an dem Wirken der sozialdemokrati
schen Führer in Oesterreich durch eine Verdächtigung des Privatklägers, durch den Vorwurf der Unlauterkeit seiner Motive zu ver
gelten. Dass
frühere Gegner sich ihr angeschlossen haben, geht zur
Genüge unter hundert
Beispielen aus einem Leitartikel des „CeskeSlovo“ hervor,
der sogar seine frühere Meinung durch die in der
59Beilage
zitierte Aeusserung bereinigt, dass er immer schon den Ab
wehrkampf des
Bundeskanzlers Dollfuss gegen die
Hitlergefahr an
erkannt habe.
Die Angeklagten kommen
in ihrem Schriftsatz
zu dem Schlusse, es sei
eines der wichtigsten Interessen der
tschechoslowakischen
Oeffentlichkeit, dass „Menschen von der Art
des Privatklägers“, in der tschechoslowakischen Presse kritisiert
werden. Verdächtigungen
und Verleumdungen sind freilich keine
Kritik, und es mutet
grotesk an, dass die Arbeiterzeitung,
welche
sich offiziell
als „Organ der österreichischen Sozialdemokratie“
bezeichnet, sich als
einen Bestandteil der tschechoslowakischen
Presse aufspielt und so
tut, als ob sie tschechoslowakische In
teressen zu
vertreten hätte oder je vertreten hatte.
Es wird bei der
Eingehung in die einzelnen
Punkte des gegnerischen Schriftsatzes ausführlich darauf hinzuwei
sen sein,
welche Fälschungen von der Gegenseite
unternommen wurden,
um
den Anschein zu erwecken, es liege bei dem Privatkläger eine
Anzahl „zeitlich auffallender politischer
Umorientierungen“ vor.
Aber selbst dann, wenn
solche politische Umorientierungen vorlä
gen, wäre es
Aufgabe der Angeklagten, nicht nur diese zu beweisen,
sondern auch die
Unlauterkeit der Motive des Privatklägers,
seine
Absicht, sich die
Zwangsanhaltung in Wöllersdorf zu ersparen
und
Profit zu machen.
Selbst wenn es den Angeklagten gelänge, die
politische
Umorientierung des Privatklägers zu
beweisen, könnte
dies
nicht zu ihrer Entschuldigung dienen, solange sie nicht den
unmoralischen Beweggrund
solcher Umorientierungen beweisen können.
Für diesen Beweggrund
aber haben die Angeklagten einen Beweis
überhaupt nicht
angetreten; ebensowenig für die Behauptung, dass
eine „antistaatliche Tätigkeit“ des Privatklägers vorliege. Der
unerhörte verlogene
Anwurf, der Privatkläger „beschimpfe durch
ganze Jahre die
tschechoslowakischen Staatsmänner“, wird nur
durch die Komik der
Mitteilung abgeschwächt, er habe „die Gast
freundschaft dieses Staates genossen“, eine Angabe, die den Ein
druck erweckt
und vielleicht erwecken soll, dass er wie so viele
Journalisten auf Kosten
des Staates dort gelebt und sich dann un
dankbar
erwiesen habe. In Wahrheit hat er dort wiederholt Vor
lesungen
abgehalten, deren Ertrag vielfach dortigen wohltätigen
und zwar proletarischen
Zwecken gewidmet war. (In Brünn, für
welche Stadt in der
offenbaren Absicht der Stimmungsmacherei der
Name des Herrn Ministers
Czech genannt wird, sei hier zum Nach
weis solcher
charitativer Widmungen Frau Minister Czech
als
Zeugin geführt.)
Was also die „antistaatliche Tätigkeit“ betrifft,
so haben sich offenbar
die intellektuellen Führer der sozial
demokratischen Partei den Grundsatz zu eigen gemacht „Der Staat
bin ich“, und fassen die
Kritik des Privatklägers an ihrem unheil
vollen Wirken
als eine antistaatliche Tätigkeit auf.
Es ist aber nicht der
Angriff gegen die
intellektuellen Führer der sozialdemokratischen Partei allein, der
den Angeklagten Sonka zu seinen Ausfällen hinriss, sondern
haupt-
sächlich eine weit
zurückliegende Kränkung darüber, durch den
Privatkläger seiner Talentlosigkeit als Lyriker an
urkomischen
Beispielen überführt worden zu sein. (Auch als talentloser Politiker
wurde er seinerzeit in
der Fackel behandelt und ihm
ausserdem die
Verfälschung eines Angriffs in ein Lob zu Reklamezwecken nachge
wiesen).
Vorher hat er dem Privatkläger seine
talentlosen Lyrikbände
60mit dem Ausdrucke der Verehrung zugesendet, den
letzten im Februar
1915,
also Monate nach dem Erscheinen des Aufsatzes „In dieser
61grossen Zeit“ (Fackel Nr.
404 vom 5. Dezember 1914), dessen Stelle
über das Kriegsmanifest
Franz Josefs ihm
schon seinerzeit
dazu –
mit der
gleichen
Verfälschung des Zitates – den willkommenen Anlass ge
boten hat, an
dem Privatkläger sein dürftiges Mütchen zu
kühlen.
Die
Erk
K
enntnis dieser Stelle wie auch alle Vorkriegsartikel der
Fackel, kurz alles was Herrn Sonka von der militaristischen Ge
sinnung des
Privatklägers überzeugt hat, hat ihn
nicht abgehalten,
im
Jahre 1910, ja im Februar 1915 seine Verehrung kundzutun. Die
genaue Darstellung des
Sachverhaltes, die durch die Notwendigkeit
der Zitierung von mehr
als hundert Seiten der Fackel
diesem not
wendiger- und bedauerlicherweise ausgedehnten Schriftsatz eine un
erträgliche
Länge geben würde, kann über Wunsch des Gerichtes durch
die Verlesung dieser Stellen geboten werden. Zu diesem Zwecke wer
den die Herrn
Sonka betreffenden Fackel-Hefte
vorgelegt und auf
62die folgenden Stellen verwiesen: Heft Nr. 514–518
vom Ende Juli 1919
63
Seite
1 bis 5, Seite 9 bis 11, Seite 59ff.;
Fackel Nr. 521–530 vom
64Januar
1920, Seite 80 bis 86 und Fackel Nr.
531–543 vom April 1920,
Seite 95 bis
140.
Ist aber schon Partei-
und Privatrache eine
schlechte Beglaubigung für das publizistische Richteramt, so hat
aus dem „anderswo“
hervor, das einfach erfunden ist, da der
Herausgeber der Fackel seit deren Gründung – ausser ein paar
Vorabdrucken in dem
gewiss nicht militaristischen „Simplizissimus“
(1908) – nicht eine einzige Zeile „anderswo“ veröffentlicht hat.
Nicht einmal aus dem
Zusammenhang gerissen könnte aber jener Satz
bei einem unbefangenen
Leser die Meinung auftauchen lassen, er
enthalte eine „ungeschminkte Verehrung des
Militarismus“, sondern
es ist klar, dass er die
Würdigung einer Männlichkeit bedeutet, die
immerhin turmhoch über
dem literarischen Libertinertum steht.
Dies wird noch klarer,
wenn der Satz in seinem Zusammenhang
65wiedergegeben wird. Die Stelle lautet:
„Die Erinnerung an Pola wiederholt das Gefühl der
Ueberraschung, in
einem Staatsleben, dessen Ordnung die Träg
heit und
dessen Farbe die Hässlichkeit ist, eine sonnige Stel
le zu
finden. Die sittliche Kraft des Heeres würde nicht aus
reichen,
unter allen Oesterreichern Manneszucht zu halten, aber
es gibt unter ihnen
Menschen, die mit Recht dort unten wohnen
und nicht darüber
klagen sollten, dass es ihnen die Vorsehung
erspart hat, auf
diesem schwankenden Festland zu leben. Menschen,
die innen so
beschaffen sein müssen wie aussen und die anzu
schauen
das Gefühl dieser Einheit bestätigt und hundertmal das
Gefühl, dass der
Militärhass der Demokratie die Ueberlegenheit
des Misswachses über
die Männlichkeit bedeutet. Es bedarf über
eine klare und gute
Sache nicht vieler Worte; ganz einfach: Die
ästhetische
Entschädigung eines Tages in Pola für ein
Jahr in
Wien, an und für sich nicht zu
unterschätzen, berührt den tiefer
liegenden
Unterschied von Menschenwert und Fliegenplage.“
Von einer Verehrung des
Militarismus als
solchen
kann keine Rede sein. Der Privatkläger
bekennt sich jedoch
nach
wie vor zu dem scheinbaren Widerspruch, der ihm nur von Blöd
gesinnten
angekreidet werden könnte: dass er mutige Männlichkeit
schätzt, den Krieg aber
verabscheut.
Was nun die
ungeschminkte Verehrung des
Privatklägers für den österreichischen Adel betrifft, –
„knapp vor
dem Kriege“, womit offenbar gesagt werden soll, dass sie in vollem
Bewusstsein einer
militaristischen Einstellung geäussert wurde –,
so tun die Angeklagten
so, als ob der Privatkläger demokratische
Ehrenhaftigkeit
gegenüber einer aristokratischen Verkommenheit
herabgesetzt hätte. In
Wirklichkeit sind die von den Angeklagten
entstellt zitierten
Sätze aus einem polemischen Artikel „Sehn-
66sucht nach
aristokratischem Umgang“ (Nr. 400–403
vom 10. Juli 1914,
Seite
90–95), in dem satirisch gegen Verleumder Stellung genommen
wird, die dem Privatkläger in anonymen Briefen und
Druckschriften
vorwarfen, er sei ein „Schauspieler der
Ethik“, der „mit grossem
Ehrgeiz auf
aristokratischen Umgang aspiriere, und sehr stolz
darauf, dass sich in
seinen Vorlesungen einige Mitglieder des
ganz reaktionären
Provinzadels blicken liessen, die natürlich
die angeblich
linksradikalen Angriffe auf die jüdischen Liberalen,
Bourgeoisie und ‚Neue
Freie Presse‘ mit sehr rechtskonservativem
Wohlbehagen anhörten …
Kraus, dieser Schauspieler der Ethik,
war ja nie
wählerisch in Bezug auf sein Publikum. Zuerst war er
glücklich über den
Beifall derselben Juden und Journalisten, die
er in seinen
wütenden Satiren angeblich verachtete. Jetzt ist
er immerhin zum
Hofnarren avanciert. Seine radikalen literarischen
Freunde, aber auch
alle, die Religion und klerikale Feudalherr
schaft
nicht identifizieren, werden ihm den Rücken kehren und
er wird zum
literarischen Hausjuden des Grafen X. emporsteigen.“
Diese unwahren und
unwahrhaftigen, später
vom Schreiber selbst reuig zurückgezogenen Behauptungen, ledig
lich dadurch
hervorgerufen, dass der Privatkläger mit
einigen aus
gezeichneten Menschen von Adel vertrauten Umgang pflog, die ganz
im Gegenteil zu der
Sorte Menschen, welche ihn hier anpöbelten,
trotz vielen Divergenzen
der Anschauung ihn niemals in seinem
geistigen Schaffen zu
beeinflussen suchten, mussten auf das Ent-
schiedenste abgetan
werden. Der Privatkläger hat niemals ein
Hehl
daraus gemacht,
dass er den liberalen Standpunkt in der Politik, im
Wirtschaftsleben und in
der Meinungsäusserung ablehne. Was er aber
mit seiner „Sehnsucht nach aristokratischem Umgang“ gemeint hat,
möge aus den nunmehr
vollständig wiedergegebenen Sätzen, von denen
die Angeklagten nur
Teile, um eine Meinung zu entstellen, zitieren,
entnommen werden. In dem
Aufsatz heisst es auf Seite 92:
„Meine radikalen literarischen
Freunde, die noch ahnungs
loser
waren als die feudalen Privatgesellschaften, sind endlich
aufmerksam geworden,
denn sie können zwar schreiben, aber nicht
lesen und haben
darum seit fünfzehn Jahren nicht gemerkt, dass
ich die Pest weniger
hasse als meine radikalen literarischen
Freunde. Sie haben
meinen Angriffe auf die jüdischen Liberalen,
auf Bourgeoisie und
Neue Freie Presse für linksradikal gehalten
und nicht geahnt,
dass sie, wenn ich überhaupt etwas will und
wenn sich das, was
ich will, auf eine staatsverständliche Formel
bringen lässt, im
höchsten Masse rechtsradikal sind. Sie haben
geglaubt, ich sei
ein Revolutionär, und haben nicht gewusst,
dass ich politisch
noch nicht einmal bei der französischen
Revolution angelangt
bin, geschweige denn im Zeitalter zwischen
1848 und 1914, und
dass ich die Menschheit mit Entziehung
der Menschenrechte,
das Bürgertum mit Entziehung des Wahlrechts,
die Juden mit
Entziehung des Telephons, die Journalisten mit
Aufhebung der
Pressfreiheit und die Psychoanalytiker mit Ein
führung
der Leibeigenschaft regalieren möchte. Nicht was
schwarz unter den
Fingernagel geht, haben sie es geahnt, und
nun fällt es ihnen
wie Schuppen von den Haaren. Sie haben
entweder die
aufschlussreichsten Nummern der Fackel verpasst,
weil sie gerade in
der Hand oder nur gestohlen war, oder auch
nicht gemerkt, dass
der tausendste Teil meiner – angeblich –
linksradikalen
Glossen, auf eine im Staat geläufige Tendenz
herabgesetzt, einen
Konservatismus von einer Blutbereitschaft
propagiert, gegen
den tausend Jahrgänge von tausend klerikalen
Zeitungen die
Sprache einer Protestversammlung des Monistenbundes zum Schutze reisender Kaufleute führen. Sie
haben nicht
gehört,
dass mir ein verhängter Himmel, dem eine Weltanschauung
erspart bleibt,
immer noch besseren Trost bringt, als eine
freie Erde, die zum
Himmel stinkt. Es ist ihnen entgangen, dass
ich untröstlich bin,
die Machtmittel der Staaten nicht gegen
den Zerfall der
Völker aufbieten zu können, und nur zufrieden
in der Gewissheit,
dass dem auf den Glanz hergerichteten Mensch
heitspofel, der jetzt allerorten zu sehen ist, der grosse
Ausverkauf
bevorsteht. Solche Stimmungen, Ahnungen, Hoffnungen
habe ich, wenn’s
meine radikalen literarischen Freunde nicht
merkten, heimlich
aus Hirn und Herz direkt ins Heft übernommen.
Das aber haben sie
zum Glück verpasst, überschlagen oder nicht
verstanden, und sind
jetzt fataler Weise aufmerksam gemacht
worden.“
Auf Seite 94f.:
„Was kann ich gegen diese
Feststellung anderes vorbringen,
als dass sie wahr
sein könnte, wenn die feudale Gesellschaft
und der
aristokratische Umgang durchaus so weit wären, meiner
würdig zu sein? Das
Zeug dazu – und wenn Legionen von
radikalen
literarischen Freunden mir den Rücken, ja selbst
das Gesicht zukehren
wollten, ich bekenne es – das Zeug dazu
hätten sie! Von
Gnaden der Idee, die irgendwo hinter ihrer
Geburt lebt, und
bliebe ihr schweissloses Dasein unberührt
von einer zeitlichen
Gemeinheit, die auch einen Grafen zum
Verwaltungsrat
macht, seinen Sohn zum Disponenten und die
das Geschmeiss der
öffentlichen Meinung den Triumph des
Fortschritts
bejubeln lässt, weil der Träger einer gutgebore
nen Nase
endlich eine Börsenkarte gelöst hat. Ja, ich aspiriere
auf aristokratischen
Umgang; aber ich, ewig unbelohnter Stre
ber,
finde ihn allzu selten. Wenn irgendwo, ist hier der letzte
Funke Hoffnung auf
eine Jugend, die ich den Klauen der Ent
wicklung
entreissen möchte, wenn irgendwo könnte ich hier
den Versuch wagen,
das Unerfüllbare in die Umgangssprache
des Lebens, der
Politik, ja der Gesellschaft umzusetzen. Mir,
der weiss, dass die
Empfindungen des letzten Stallpintsches
erhaben sind über
der Ausdrucksfähigkeit eines kosmisch
interessierten
Literaturgesindels, und der von staatswegen
einen Kommerzienrat
zwingen möchte, dem letzten Stallknecht
zu dienen, mir
sollte füglich nicht verübelt werden, dass ich
dort, wo ich
vergebens aristokratischen Umgang suche, auf
demokratischen
verzichte! Ich möchte nicht bis zu Wohltätig
keitsbazaren vordringen, wo Parvenus nach unten um die Gunst
von Handelsleuten
buhlen. Dass ich trotzdem hinreichend
verdächtig bin,
aristokratischen Umgang zu suchen, müsste
der demokratische
längst heraushaben: ihn fliehe ich. Er
ist die Pest, die
sich des Daseins freut und ihrem eigenen
Bazillus nicht auf
der Spur ist. Sein Blick löst Welträtsel
und dreht mir den
Magen um. Er analysiert mir den Traum, in
den mein Ekel
flüchtet. Er weckt mich und ich suche einen
König, der eine
Bombe hätte für diesen allzu klugen Untertan.
Ich weiss, was auf
dem Spiel steht: Rettet unsere Seelen!
Ich weiss und
bekenne, und auf die Gefahr hin, fortan ein
Politiker zu sein
oder gar ein Aesthet, als unwiderrufliches
Programm: dass die
Erhaltung der Mauer eines Schlossparks,
der zwischen einer
fünfhundertjährigen Pappel und einer
heute erblühten
Glockenblume alle Wunder der Schöpfung aus
einer zerstörten
Welt hebt, im Namen des Geistes wichtiger
ist als der Betrieb
aller intellektuellen Schändlichkeit,
die Gott den Atem
verlegt!“
Von einer ungeschminkten
Verehrung des
österreichischen Adels kann also auch keine Rede sein, sondern
lediglich von einer
Ablehnung alles dessen, was sich gegen den
Geist erhebt und ihn
schändet.
Wegen des
Kriegsmanifestes Franz Josefs
hat sich der Privatkläger mit dem Angeklagten Sonnenschein schon
einmal befassen müssen,
als dieser ihn im ‚Neuen Wiener
Journal‘
mit der
gleichen Verfälschung des Zitates angriff. Obwohl ihm die
Verfälschung damals vor Augen
gehalten wurde, scheut er sich nicht, sie
hier neuerlich zu
machen. Auf den damaligen Angriff des Herrn
Sonnenschein im ‚Neuen Wiener Journal‘:
„Was aber
gebührt einem Gesinnungskünstler, der am
5. Dezember 1914 das
Kriegsmanifest Franz Josefs folgender
massen
begrüsst: ‚… über jenem erhabenen Manifest, das
die tatenvolle Zeit
eingeleitet, dem einzigen Gedicht, das
sie bis nun
hervorgebracht hat, über dem menschlichsten
Anschlag, den die
Strasse unserem Auge widerfahren lassen
konnte …‘?“
67hat der
Privatkläger geantwortet (Nr.
531–543 vom April 1930,
Seite
127–129):
„Mir bleibt doch nichts erspart.
Ich glaube aber fast,
man hat mich drangekriegt. Ist dieser Sonnenschein wirklich
so intellektuell,
dass er den Satz für seine Zwecke benützen
zu können glaubt,
oder stellt er sich nur so? Hat er unserm
Auge einen
‚Anschlag‘ widerfahren lassen, indem er so tut, als
ob dieses Wort bloss
ein Plakat bedeutete? Als ob ich auf der
Suche nach einem
König mit der Bombe für den intellektuellen
Untertan nun
beglückt gewesen wäre, schon ein paar Wochen
später einen Kaiser zu finden, der’s der ganzen
Menschheit
besorgt? Als ob ich sein Kriegsmanifest wirklich ‚begrüsst‘
hätte? Ja, denkt der
Leser, der sich nicht erinnert, was ich
am 5. Dezember
1914 erscheinen liess: der hat eben im Anfang
des Kriegs genau so
wie alle andern mitgeheult. Er begrüsst
nicht nur das
erhabene Manifest, sondern auch die tatenvolle
Zeit, er nennt jenes
ein Gedicht – was doch offenbar der Super
lativ des
Entzückens ist, wie wenn man dem Wiener sagt, dass
eine Mehlspeise
geradezu ein Gedicht sei –, er gewährt einen
Anschlag, das heisst
ein Plakat, voll des menschlichsten
Inhalts, jedenfalls
in dem Sinne, dass wir einen heiligen
Verteidigungskrieg
führen und dass unser Sieg die Menschlich
keit über
die Erde verbreiten wird, aber nicht im Sinne des
Menschlichkeitspofel, der allerorten zu sehen ist, sondern
natürlich ganz
anders, denn nicht Humanität, sondern Krieg
ist wahre
Menschlichkeit. Kein Zweifel, der hat damals mit den
andern, die daheim
sassen, berserkerhaft um sich geschlagen
und geholfen, die
Russen und die Serben in Scherben zu hauen,
um selbst davon
enthoben zu werden. Man hat das nur vergessen
und ist dem
Gesinnungskünstler, der sich immer darauf be
ruft, er
habe vom Ultimatum an – sehr im Widerspruch zu seinen
früheren Ansichten –
gegen den Krieg gesprochen, glatt aufge
sessen.
Es ist Sonkas Verdienst, der Welt, an
der er verkommen
musste, während sie jenen zu Ehren gelangen liess, die Augen
geöffnet zu haben.
Jawohl, er kannte den Satz, er überwand
seinen Ekel vor mir,
schrie den vor Europa hinaus und sandte
mir das Werk in
Verehrung zu. Und ich habe nicht sein Gedicht,
sondern das des Franz Josef gelobt! Man wird ordentlich
neu
gierig auf den kriegshetzerischen Aufsatz, in dem das Lob
enthalten war. ‚In dieser grossen Zeit‘ heisst er. Aber, denkt
da der Leser, der
sich zu erinnern beginnt, das war ja jene
radikale Absage an
den Krieg und Ansage des Kriegs an ihn,
jenes den Pygmäen
der grossen und den Parasiten der ‚taten
vollen
Zeit‘ gestellte Ultimatum, das durch seinen Freimut die
Kriegszensur so
verblüfft hat, dass sie es erscheinen liess?
Wie reimt sich dies
Faktum mit jenem Diktum? Wie entsteht
da ein Gedicht? Wie
kommt die Stelle in den Aufsatz? Etwas
anders als ins Neue Wiener Journal; nämlich
so: ‚Ueber jenem
erhabenen
Manifest, jenem Gedicht, das die
tatenvolle Zeit eingeleitet, dem einzigen
Gedicht,
das
sie bis nun hervorgebracht hat, über dem menschlichsten
Anschlag, den
die Strasse unserm Auge widerfahren lassen
konnte, hängt
der Kopf eines Varietékomikers, überlebens
gross‘. Sogar zweimal wird – in der Kritik der Würdelosigkeit
Wiens – gesagt, dass es ein Gedicht ist? Eben. Hat nun
Sonka,
dem ich eine so
feine Abschätzungsfähigkeit für Stilwirkungen
gar nicht zugetraut
hätte, nicht vielleicht bewirkt, dass das
Lob des ‚einzigen
Gedichts‘ zum Lob des Inhalts und die Weg
lassung
des ‚Gedichts‘ zum Lob der tatenvollen Zeit wurde?
Dass das ‚erhabene
Manifest‘, welches nur ein Terminus, eine
Bezeichnung der
Sphäre, und die ‚tatenvolle Zeit‘, die eine
hohnvolle Anwendung
war, positiven Inhalt bekamen? Ich meinte
das ‚kaiserliche‘
Manifest, ein schlichter Reporter hätte es
so gesagt; ich
sagte, was die feierlichen Reporter sagen.
Deutlicher konnte
ich damals leider nicht aussprechen, dass
ich es nicht für
erhaben hielt. Nur als Gedicht erhaben, doch
als Tat ein
‚Anschlag‘. Aber für jene, die mich zu lesen ge
lernt
haben, war’s deutlich.“
Es ist nun notwendig,
einige der markantesten
Stellen aus dem Aufsatz zu zitieren, in dem das Manifest FranzJosefs als Gedicht – um einer starken dichterischen Zeile willen –
gelobt, als Anschlag –
den die Strasse dem Auge
„widerfahren“
liess – verurteilt wurde; um dem Gericht darzutun, dass hier
eine unerbittliche,
damals Aufsehen erregende Absage an den Krieg
und Ansage des Krieges
an ihn vorliegt. Damit die Gesinnung eines
Angeklagten, der sich das Recht herausnimmt, eine andere
Gesinnung
zu
kritisieren, im grellsten Lichte dastehe. Es heisst dort in
68Nr.
404 der Fackel vom 5.
Dezember 1914 auf Seite 1 und 2:
„
In dieser grossen Zeit
die ich noch gekannt
habe, wie sie so klein war; die wieder
klein werden wird,
wenn ihr dazu noch Zeit bleibt; und die
wir, weil im Bereich
organischen Wachstums derlei Verwandlung
nicht möglich ist,
lieber als eine dicke Zeit und wahrlich
auch schwere Zeit
ansprechen wollen; in dieser Zeit, in der
eben das geschieht,
was man sich nicht vorstellen konnte, und
in der geschehen
muss, was man sich nicht mehr
vorstellen kann, und
könnte man es, es geschähe
nicht –: in dieser
ernsten Zeit, die sich zu Tode gelacht
hat vor der
Möglichkeit, dass sie ernst werden könnte; von
ihrer Tragik
überrascht, nach Zerstreuung langt, und sich
selbst auf frischer
Tat ertappend, nach Worten sucht; in
dieser lauten Zeit,
die da dröhnt von der schauerlichen
Symphonie der Taten,
die Berichte hervorbringen, und der Be
richte,
welche Taten verschulden: in dieser da mögen Sie von
mir kein eigenes
Wort erwarten. Keines ausser diesem, das
eben noch Schweigen
vor Missdeutung bewahrt. Zu tief sitzt
mir die Ehrfurcht
vor der Unabänderlichkeit, Subordination
der Sprache vor dem
Unglück. In den Reichen der Phantasie
armut, wo
der Mensch an seelischer Hungersnot stirbt, ohne
den seelischen
Hunger zu spüren, wo Federn in Blut tauchen
und Schwerter in
Tinte, muss das, was nicht gedacht wird,
getan werden, aber
ist das, was nur gedacht wird, unaussprech
lich.
Erwarten Sie von mir kein eigenes Wort. Weder vermöchte
ich ein neues zu
sagen; denn im Zimmer, wo einer schreibt, ist
der Lärm so gross,
und ob er von Tieren kommt, von Kindern
oder nur von
Mörsern, man soll es jetzt nicht entscheiden.
Wer Taten zuspricht,
schändet Wort und Tat und ist zweimal
verächtlich. Der
Beruf dazu ist nicht ausgestorben. Die jetzt
nichts zu sagen
haben, weil die Tat das Wort hat, sprechen
weiter. Wer etwas zu
sagen hat, trete vor und schweige!“
Auf Seite 10 und
11:
„Man könnte aber einmal dahinter
kommen, welch kleine
Angelegenheit so ein Weltkrieg war neben der geistigen
Selbstverstümmelung
der Menschheit durch ihre Presse, und
wie er im Grund nur
eine ihrer Ausstrahlungen bedeutet hat.
Vor einigen
Jahrzehnten mochte ein Bismark, auch ein
Ueber
schätzer der Presse, noch erkennen: ‚Das, was das Schwert
uns Deutschen
gewonnen hat, wird durch die Presse wieder
verdorben‘, und ihr
die Schuld an drei Kriegen beimessen.
Heute sind die
Zusammenhänge zwischen Katastrophen und Re
daktionen
viel tiefere und darum weniger klare.“
Auf Seite 11 und
12:
„Die Wahrheit ist, dass die
Zeitung keine Inhaltsan
gabe ist,
sondern ein Inhalt, mehr als das, ein Erreger.
Bringt sie Lügen
über Greuel, so werden Greuel daraus. Mehr
Unrecht in der Welt,
weil es eine Presse gibt, die es erlogen
hat und die es
beklagt! Nicht Nationen schlagen einander: sondern
die internationale
Schande, der Beruf, der nicht trotz seiner
Unverantwortlichkeit, sondern vermöge seiner Unverantwortlich
keit die
Welt regiert, teilt Wunden aus, quält Gefangene, hetzt
Ausländer, macht
Gentlemen zu Rowdys.“
Auf Seite 16:
„Und wenn sich die Welt
zerfleischt, es kommt kein
Geist heraus! Er
wird später nicht erscheinen; denn er
hätte sich jetzt
verbergen, durch verschwiegene Würde sich
äussern müssen. Aber
wir sehen rings im kulturellen Umkreis
nichts als das
Schauspiel, wie der Intellekt auf das Schlag
wort
einschnappt, wenn die Persönlichkeit nicht die Kraft
hat, schweigend in
sich selbst zu beruhen. Die freiwillige
Kriegsdienstleistung
der Dichter ist ihr Eintritt in den
Journalismus. Hier
steht ein Hauptmann, stehen die
Herren
Dehmel und Hofmannsthal, mit Anspruch auf eine Dekoration
in der vordersten
Front und hinter ihnen kämpft der losge
lassene
Dilettantismus. Noch nie vorher hat es einen so
stürmischen
Anschluss an die Banalität gegeben und die
Aufopferung der
führenden Geister ist so rapid, dass der
Verdacht entsteht,
sie hätten kein Selbst aufzuopfern
gehabt, sondern
handelten vielmehr aus der heroischen Ueber
legung,
sich dorthin zu retten, wo es jetzt am sichersten
ist: in die
Phrase.“
Aus diesen „paar Proben aus dem literari
schen
Werk des Privatklägers“ geht also klar hervor, dass er
ebensowenig kurz vor dem
Kriege als im Krieg
ein ostentativer
Vergötterer des
zum Deutschen Reich hin orientierten öster
reichischen Militarismus mit allem seinen Zubehör war, sondern
im
Gegenteil geht daraus hervor, dass er den Krieg und sein
Zubehör, insbesondere
sein literarisches Zubehör, von allem Anfang
an verabscheut hat.
Ueber das sonstige, ziemlich bekannte Wirken
des Privatklägers im Kriege schweigen sich die Angeklagten
gründ
lich
aus. Nach den einleitenden Worten des dritten Absatzes ihres
Schriftsatzes „Nach Beendigung des Krieges fand beim Privatkläger
gleich im Jahre 1919
ein rascher Umsturz in seiner politischen
Gesinnung statt, so
dass bei einem objektiven Betrachter dieser
auffälligen
Aenderung der Privatkläger notwendig den
Eindruck er
wecken musste, dass bei ihm der rasche Wechsel in den Grundan
schauungen hinsichtlich der Grundprinzipien des Staates nicht das
Ergebnis einer
geistigen Umorientierung, sondern eher die Folge
des staatlichen
Umsturzes war, dessen Form und politischer
Majorität sich der Privatkläger in seinen literarischen
Arbeiten an
gepasst hat“, müsste man glauben, dass er während des Krieges
entweder überhaupt
nichts von sich habe hören lassen, also sein
Wort „Wer etwas zu sagen hat, trete
vor und schweige!“ wahrge
macht habe
oder ganz entgegen seiner Haltung in den oben zitier
tes Sätzen
wirklich für den Militarismus eingetreten sei. Es
verwundert einen da nur,
dass die Angeklagten es sich entgehen
liessen, dieses
Eintreten für den Militarismus nachzuweisen, da
mit es
augenfällig werde, dass im Jahre 1919 wirklich ein
„rascher Umsturz in
seiner politischen Gesinnung“ stattfand.
Denn wenn der Privatkläger wirklich vom Jahre 1914 bis zum
Jahre
1919
geschwiegen und erst dann seine augenfällige Aenderung be
kundet hätte,
so wären doch vier Jahre Krieg gewiss hinreichend
gewesen, um eine
geistige Umorientierung hervorzurufen, und es
wäre dann nicht
angebracht, hier von einem „raschen Umsturz“ in
den Grundanschauungen
des Privatklägers zu sprechen. Weiters
fällt aber auf, dass das
nächste Zitat, das die Angeklagten an
führen, aus
der Nummer 508–513 stammt, während das Zitat über das
Manifest Franz Josefs aus der Nummer 404
stammt, dass also zwi
schen diesen beiden Heften 104 Nummern der Fackel liegen, über
die die Angeklagten kurz
entschlossen hinweggehen. Welcher von
den Schreibern, von
denen Herr Sonka die Stirne hat zu
behaupten,
dass sie
durch Karl
Kraus „diskreditiert“ seien, wagte es vorzu
treten und zu
sprechen, dass sie einen militaristischen Inhalt
hatten? Welchem von
ihnen wäre die Art der Wirksamkeit der Fackel
im Kriege nicht bekannt.
Diese 104 Nummern mit 1988 Seiten sind
ein einziger grosser
Angriff gegen den Krieg und die Krieg
führenden,
ein Angriff gegen das damalige Oesterreich-Ungarn
und Deutschland, ein Angriff gegen alle Nutzniesser des
Krieges
und eine
einzige Wehklage über dessen Opfer. Der vernichtende
Ausgang für die
kriegführenden Mittelmächte wurde vorausgesehen
und vorausgesagt.
Die Haltung des Privatklägers im Kriege
wurde auch von der sozialdemokratischen Partei trotz
aller
Divergenz in
den Anschauungen über Politik in hundert Huldi
gungen
anerkannt, ja die Einstellung gegenüber dem Kriege war
geradezu das einzige
geistige Bindeglied der Partei mit
dem
Privatkläger. So schrieb aus Anlass der Vollendung des 20.
Jahr
ganges der sozialdemokratische Präsident der deutsch-österreichi
sehen
Nationalversammlung, Seitz, am 1. Mai 1919
an den Privat
69kläger (abgedruckt auf
Seite 21 der Nr. 514–518, Ende Juli 1919):
„Die Vollendung des zwanzigsten
Jahres, seitdem die
Fackel zu erscheinen
begonnen hat, gibt mir den erwünschten
Anlass, Ihnen für
das grosse Werk, das Sie in diesen zwei
Jahrzehnten zur
Reinigung, Versittlichung und Vergeistigung
des öffentlichen
Lebens geleistet haben, meinen aufrichtigsten
Dank zu sagen.
Insbesondere wird ihr tapferer, mutiger, be
harrlicher Kampf gegen den Krieg und gegen alles Gemeine
und Herabwürdigende,
das von ihm ausging, unvergesslich bleiben.
Hier fand die
sittliche Empörung gegen die Kriegsbarbarei
ihren
leidenschaftlichsten Ausdruck und die Gewalt der
Emfindung vermählte
sich mit der Gewalt der Form, so den
Geist zur Tat
gestaltend.“
Die gleiche Einstellung
fand ihren Ausdruck in einem Glückwunsch
schreiben des
Bürgermeisters der Stadt Wien
Seitz vom 28. April
701924
(abgedruckt auf Seite 149 der Nr. 649–656,
Anfang Juni 1924):
„Wir haben Ihnen für Ihren mit
sittlichster Leidenschaft
geführten Krieg
gegen den Krieg zu danken, dessen Unmenschlich
keit Sie
in Ihrer unsterblichen Tragödie so geschildert haben,
dass die Menschheit
es nie vergessen kann. Wir haben Ihnen
aber auch für den
moralischen Mut zu danken, dass Sie den
steten und
beharrlichen Kampf gegen alle, die das öffentliche
Leben verfälschen,
die den Lügengeist der Zeit bestimmen, und
die einstmals die
Herrschenden und Mächtigen im Staate waren,
auf sich genommen
und unbekümmert um äusserlichen Erfolg,
allen Verkleinerern
und Widersachern zum Trotz, mit nie ver
sagender
Energie geführt haben.“
Es wird ferner auf die
in dem gleichen Heft abgedruckten Kritiken
über das Kriegswerk „Die letzten Tage der Menschheit“
hingewiesen;
von Prof. Otakar Fischer, Ceské Slovo, Seite 88ff.;
Přitomnost, Seite93ff., und auf
die verschiedenen dort abgedruckten Geburtstags
artikel: Arbeiter-Zeitung , Seite
105ff.; Prager Tagblatt,
Seite 109ff.
Es ist natürlich
unmöglich die 1988 Seiten
der 104 Fackel-Nummern, die während des Krieges erschienen sind,
dem Gerichte vorzulegen oder gar deren
Verlesung zu beantragen.
Aber schon aus den wenigen Proben, die vorgelegt werden müssen,
um die Einstellung des
Privatklägers zum Deutschen Reich und zum
österreichischen
Militarismus darzutun, wird klar hervorgehen,
dass hier tatsächlich
ein beispielloser Kampf gegen den Krieg
und die Kriegsbarbarei
vorliegt und eine beispiellose Fälschung
durch deren
Verschweigung oder gar Vermehrung ins Gegenteil. Es
werden diesem
Schriftsatz angeschlossen:
die Nummern 413–417 mit dem Aufsatz „Schweigen, Wort
und Tat“
71 auf den Seiten 25 und 28;
die Nummern 418–422 mit der Glosse „Ein Irrsinniger
auf dem
72 Einspännergaul“ auf den Seiten 15 und 16;
die Nummern 423–425 mit dem Gedicht „Gebet an die
Sonne von
73 Gibeon“ auf den Seiten 58 bis 64;
die Nummern 474–483 mit der Glosse „Ein Kantianer und
Kant“
74 auf den Seiten 155 und 156 und
75 die
Nummern 499–500 mit dem Gedicht „Lied des
Alldeutschen“
auf den Seiten 6 bis 12.
Hervorgehoben muss
werden, dass die Glosse „Ein Kantianer
undKant“
,
und das Gedicht „Lied des
Alldeutschen“ eine direkte Wilhelmsatire während des Krie
ges (1917) wiederholt in Wien
und
, ja zum Teil in deutschen Städten zum Vor-
trag gebracht wurden.
(In Frankfurt wurde vom alldeutschen Blatt
die sofortige
ein Artikel geradezu auf die
Ausweisung des Frevlers am
deutsch-militaristi
schen Ideal
verlangt
hin geschrieben)
. Dass dies im Kriege möglich war, ist ge
wiss
erstaunlicher, als dass der Privatkläger
einen Pass er
hielt, „mit dessen Hilfe er eine beträchtliche Zeit in
der
Schweiz verbrachte und noch im Kriege
wieder ohne irgend welche
Hindernisse in die
österreichisch-ungarische Monarchie zurück
kehrte“. Offenbar stellen sich die Angeklagten die Tätigkeit
des Privatklägers während des Krieges so vor, dass er
Spionage
betreiben
hätte sollen oder dergleichen, was ihm allerdings die
Erlangung eines Passes
und die Rückreise unmöglich gemacht hät
te. Aber
selbst die österreichisch-ungarische Monarchie hatte
im Kriege noch so viel
Verständnis für die Tätigkeit des Privatklägers, dass sie ihn zwar als Gegner, aber nicht als einen
Verbrecher anzusehen
hatte, und offenbar noch so viel Kultur,
dass auch der schärfste
Vorhalt der eigenen Handlungen möglich
war, was eben bei einer
sozialdemokratischen Regierung nicht
möglich gewesen wäre,
wenn deren geistige Handlanger sich zu
einer so bodenlosen
Umlügung vorhandener Sachverhalte hergeben.
Aber nicht nur in Wort
und Schrift und
öffentlich ist der Privatkläger gegen den
Krieg aufgetreten. Er
kann wohl auf den einzig dastehenden Fall hinweisen, die in den
ersten Kriegswochen
durch seinen Verlag gezeichnete Kriegsanleihe
widerrufen zu haben,
weil in ihm die Erkenntnis wach wurde, dass
die Unterstützung der
Kriegführung am Kriege mitschuldig mache.
Es wird das Schreiben
der Wechselstube der Unionbank vom
76 18.
November 1914 mit der Subskriptionsanmeldung auf 10.000.–– Kro-
77 nen
Kriegsanleihe und das Schreiben vom 30. November 1914 mit der
Mitteilung auf
Streichung dieser Vormerkung vorgelegt. Es ist
wohl eine besondere
Unverfrorenheit der Angeklagten, zu behaupten,
der Privatkläger sei kurz vor dem Krieg ebenso wie im Krieg ein
ostentativer
Vergötterer des zum Deutschen Reich hin
orientierten
österreichischen Militarismus mit all seinem Zubehör gewesen.
Noch
frecher aber ist
der Satz, es habe nach Beendigung des Krieges bei
ihm „gleich im Jahre 1919 ein rascher Umsturz in
seiner politi
schen Gesinnung“ stattgefunden, und die Behauptung
einer Aenderung
gegenüber
der Sozialdemokratie. Die Haltung der sozialdemokratischen Partei wurde schon während des Krieges lobend
anerkannt, da
sie sich
(die österreichische) nach Missgriffen bei Kriegsbeginn
als einzige gegen die
Greuelurteile der Auditoriate aufgelehnt
hatte. Den Ausdruck der
gleichen Anerkennung bildet der von den
Angeklagten wieder nur
verstümmelt zitierte Aufruf aus der Nummer
508–513 vom
Februar 1919. Aus diesem Aufruf geht klar hervor, dass
es sich nicht um
Weltanschauungsfragen des Privatklägers
handelt,
dass er sich
nicht Doktrin und Praxis der Sozialdemokratie zu eigen
gemacht hat, sondern
dass das Eintreten für die (österreichische)
Partei nur die Anerkennung ihres – nach anfänglichen
Irrungen –
pazifistischen
Wirkens während des Weltkrieges war. Es heisst in
78 diesem
Aufruf (Nr. 508–513, Seite 31):
„Nicht was einer sonst fürs
Dasein will, nur dass er nicht
mehr eine
Befehlsgewalt zum Tode will, soll er diesmal bekun
den. Denn
seine Stimme sei nicht mehr und nicht weniger
als das Bekenntnis,
dass er einer provisorischen Sicherheit
seiner Geldtasche
zuliebe die Blutschuld übernimmt, oder sie,
für Vergangenheit
und Zukunft, abweist. Jener wird christlich-
sozial, dieser
sozialdemokratisch wählen. Jener wird sein
Scherflein zu dem
Eindruck beitragen, dass ein ‚unschuldiges
Volk‘ die Tat seiner
abgehausten Regenten nachträglich gut
heisse
und ihrem fortzeugenden Fluch nicht entgegenzutreten
gesinnt und gesonnen
sei. Der andere wird sich, mögen ihn
alle Interessen
oder Ideale einer Friedenswelt von der
Sozialdemokratie
scheiden , und auch der Antipolitiker, für
den der Gedanke erst
jenseits der Gemeinschaft anfängt, zu
einer Partei
bekennen, welche nicht grössere Kriegsschuld
belastet als eine
Menschheit, deren Seelenkraft keinen hin
reichenden Schutz, keinen mehr, keinen noch, gegen
Mitrailleusen
gewährt hat; welcher aber das Verdienst zuzu
sprechen
ist, die grosse Zeit der Entehrung sehend durch
lebt und
dem vaterländischen Zwang ihre Gesinnung verweigert
zu haben.“
79 Auch das
Zitat aus der Nr. 514–518, Seite 86
vom Juli 1919, muss
vollständig gebracht werden, damit der von
den Angeklagten
vorgetäuschte Anschein, als ob der Privatkläger
lediglich Militär und Politik – und nicht vor allem die Presse
als Lehr
erin
meisterin
der Phrase – für den Krieg verantwortlich gemacht
hätte, richtiggestellt
werde:
„Der Mangel an Vorstellungskraft
hat den Krieg ermög
licht; ein Rest von ihr ist nötig, um seine Ursache zu
erkennen. In diesem
Circulus vitiosus geborgen, brandschatzt
der Journalismus
weiter alle Besitztümer der wehrlosen
Menschheit. Nichts
anderes ist ihr zu wünschen, nichts mit
inbrünstigerer
Sehnsucht, nichts unter freudigerem Verzicht
auf die mutigste
Anonymität, als dass die Republik, die
Blutsverwandtschaft
erkennend, mit den hinterbliebenen
Parasiten der
Kaiserzeit wie mit den Mitessern der Revolution
ein Ende mache; dass
endlich Männerstolz vor Herausgeber
thronen
einem Gewerbe, welches unter dem ruchlosen Vorwand
der Pressfreiheit
das Volk in den Tod lügt, einer Industrie,
der nichts übrig
blieb als den Geist Müssiggang zu nennen,
die Maschinen
zerbreche.“
Es ist nun durchaus
richtig, dass der
Privatkläger ähnliche Ansichten immer
ausgesprochen hat, aber
gerade die von den Angeklagten zitierten Stellen aus den
80
Fackel-Nummern 766–770 vom Oktober 1927 und 771–776 vom
Dezem
ber
1927 können ganz und gar nicht für die Sozialdemokratie ge
wertet
werden. Diese beiden Hefte sind ein Angriff gegen den
Polizeipräsidenten Schober – vor dem die sozialdemokratische
Partei später den Kotau
machte – und behandeln dessen Verspre
chen, gegen
den Herausgeber der „Stunde“, den – von
der Sozial
demokratie gestützten – Erpresser Bekessy,
zu wirken, ein Ver-
sprechen, das gebrochen
wurde, während derselbe Polizeipräsident
für Arbeiter, die gegen
ein Justizunrecht demonstrierten, noch
nach Unterdrückung des
Aufstandes alle Mittel der Gewalt bereit
hatte. Diese Hefte
behandeln die Unerträglichkeit einer Inkon
gruenz, dass
ein Polizeipräsident vor dem Revolver eines
Erpresserjournalisten zurückwich, aber gegen aufständische Arbeiter
mit Maschinengewehren
vorging. Sie beweisen zwar, dass der Privatkläger das Unrecht bekämpfte auch dann, wenn es von der
staatlichen
Macht
ausging, aber sie können niemals beweisen, dass sie für eine
Sozialdemokratie
geschrieben waren, die damals schon längst in
die Reihe der
hinterbliebenen Parasiten einbezogen worden war,
als ihre Führer ihr Amt
parasitär ausübten. Dies begann schon
viel früher, zu einer
Zeit, als die Partei noch lange an
der
Macht war, die
sie nie zu gebrauchen gelernt hatte, wohl aber
missbrauchte. Ist es
wirklich möglich, einen Gesinnungswechsel
(und noch dazu aus
Gewinnsucht), einen jener „Widersprüche“, die
doch das tausendmal
wiederkehrende Leitmotiv der Fackel bilden,
daraus zu konstruieren, dass einer gegen Schober, dem ein
sozialdemokratischer Funktionär die Wagentür
öffnete, und für
Dollfuss war, der im übermenschlichen Kampf
gegen Hitler gefal
len ist? Ein
Autor wie Carel Čapek, der eben die Dinge
nicht mit
politischem
Flachsinn betrachtet, hat zu diesem Thema dem Privatkläger wörtlich gesagt: „Man wird Ihnen wieder einmal einen
Widerspruch vorwerfen;
aber der Widerspruch ist in denen, die
Ihnen diesen Vorwurf
machen.“
Es ist unmöglich alle
die Stellen aus den
vielen Jahrgängen der Fackel
herauszusuchen, die sich mit dem
unheilvollen Wirken der
sozialdemokratischen Führer beschäftig
ten. Aufs
Geratewohl seien die Folgenden herausgegriffen: aus
81 der Nr.
732–734, Mitte August 1926, Seite 45f.:
„Die Frage: wo denn die sozialdemokratische Partei
geblieben ist, ob
sie denn auch terrorisiert war, wie es
denn möglich war,
dass die Freiheit so schmachvollen
Zwang ertrug, und
warum sie sich vor dem, der sie befreien
wollte, auf die
andern Sorgen zurückzog – solche Frage ist
so wenig zu fürchten
wie nun Herr Bekessy, und sie würde
wohl unbeantwortet
bleiben.“
82 Aus der
Nr. 743–750, Dezember 1926, Seite 4:
„
Weg damit!
Die ihr errungenes
Gut geschändet habt,
bezwungnes Böses nicht beendet habt,
der Freiheit Glück
in Fluch gewendet habt;
Hinaufgelangte, die
den Wanst gefüllt,
vor fremdem Hunger eigne Gier gestillt,
vom Futtertrog zu
weichen nicht gewillt;
Pfründner des Fortschritts, die das Herz verliess,
da Weltwind in die
schlaffen Segel blies,
vom Bürgergift berauschte Parvenüs,
die mit dem
Todfeind, mit dem Lebensfeind
Profit der Freiheit
brüderlich vereint,
die freier einst und reiner war gemeint –
mein Schritt ist
nicht dies schleichende Zickzack,
mein Stich ist nicht
dies zögernde Tricktrack;
er gilt politischem
Paktiererpack!“
83 Aus der
Nr. 757–758, April 1927, Seite 19:
„Ungleichheit beschlossen
hat die Vorsehung
wohl.
Nicht alle
Genossen
hab’n a
Schloss in Tirol“
84 Aus der
Nr. 795–799, Anfang Dezember 1928,
Seite 21:
„Nicht zum zehnten Gedenktag
dieser Republik, die darin
begründet ist, dass
sie alle Uebel der Monarchie mit Aus
nahme
eines Kaisers hat, spreche ich, sondern zum zehn
jährigen
Tag meines Aufrufes ‚An alle, die
die Wahl haben‘,
durch den ich viele
von Ihnen der Partei zugeführt habe,
mit vielen Gründen
und trotz ‚allen Interessen oder Idealen
einer Friedenswelt,
die mich von ihr geschieden haben‘.
Sie hat in diesen
zehn Jahren nur zu sehr davon gelebt,
dass keine andere
Wahl blieb, und auch Sie müssen, wiewohl
Sie Sozialisten
sind, der sozialdemokratischen Partei an
gehören.“
Aber um durch die Fülle
des zu Bietenden
den
Eindruck nicht zu schwächen, möge zum Abschluss nur noch
85 der
Schlussabsatz aus dem in der Nr. 876–884,
Mitte Oktober 1932,
ersch ienenen grossen Aufsatz „Hüben
und Drüben“ zitiert werden,
besonders weil er schon
die Schuldfrage der Sozialdemokratie an
dem Emporkommen des
Nationalsozialismus berührt. Dort heisst es
auf Seite 29ff.:
„Die Haltung im Krieg gegen den
Krieg – seither, und
insbesondere seit jenem Hingang, hundertmal wettgemacht
durch Feigheit vor
dem innern Feind, durch eine Haltung
im Frieden, deren
jeder Atemzug Kriegslüge ist –; das
damals weithin
sichtbare Verdienst war das Zeichen, in dem
ich, in den Tagen
trügerischer Hoffnung, hunderte junger
Herzen einer Partei
zugeführt habe, der ich nicht angehörte,
die ich im
Verhängnis politischer Uebel für das kleinere
nahm und die heute
nichts ist als die zur Not und durch
Not erhaltene
Organisation einer Alterserscheinung. Solches
hat damals mein Wort
vermocht. Sollte es heute nicht mehr
vermögen, jene der
Sache, zu der sie als der Sache von
damals stehen
wollen, abzuwenden; sollte der Glaube an mich
schwächer sein als
der Glaube, den er geweckt hat, so würde
es mir nicht über
mich zu denken geben. Denn meiner Ohnmacht,
auch vor dem
wenigen, das ich vermocht habe, bin ich mir
bewusst; ihr stolzes
Gefühl ist in mein Wirken einbezogen,
dem keine Wirkung
zugehört. Diejenige, auf die ich stets
am schnellsten
verzichtet habe, ist die Verehrung solcher,
deren Zwiespalt in
ihr sich offenbart. Dagegen darf ich
sagen, dass die
Aussicht, von der Sozialdemokratie nicht
mehr verehrt zu
werden, etwas ist, was meinen Lebensabend
verschönert, während
der ihre vergällt wird durch den Zwang,
noch hin und wieder
von meinem Dasein Notiz zu nehmen, und
durch den Krampf des
Bestrebens, sich von der Bürgerwelt,
die mich
totschweigt, in meinen Augen vorteilhaft zu unter
scheiden.
Da ich den Unterschied gleichwohl nicht bemerke
und zufrieden bin,
in der sozialdemokratischen Presse unge
nannt
fortzuleben, so wäre vollends alles in Ordnung, wenn
ich ihr auch noch
diese Sorge abnehmen könnte. Nichts
freilich, was immer
die Sozialdemokratie mit mir vor hat,
könnte sie, solange
mir die Greuel des gesellschaftlichen
Daseins noch Anreiz
gewähren, davor schützen, von mir beach
tet zu
werden! Nichts mich verhindern, gegen sie wie gegen
eine lästige
Regierung, die kein Misslingen vom Ruder bringt,
zu Hass und
Verachtung aufzureizen – ob sie nun als Partei,
als
Gesamtheit, mit Sack und Pack, den Schutz der bürgerli
chen
Justiz gegen Kränkung anrufen könnte oder stumm
leiden müsste, wie
sie stumm gelitten hat vor jenem, der
die Macht hatte, von
ihren Uebeln zu schweigen. Was aber
die betrifft, über
die sie selbst Macht hat, diejenigen,
denen ich zum
Anschluss an sie verholfen habe, so gehöre
ich keineswegs zu
der Sorte, die, stolz auf eine Dummheit,
sie zum zweiten Male
machen würde, und halte für eine solche
auch die Bejahung
des Hoffens, gegen die Uebel einer Partei,
die
aus nichts anderm mehr besteht als Uebeln, innerhalb
ihrer wirken zu
können. Trage ich Schuld noch an solcher
Betörung Gläubiger,
so bin ich ihrer ledig, wenn ich ihnen
gesagt habe, dass
der Glaube nur durch die Abkehr von einer
Kirche zu retten
ist, die die Priester entweiht haben. Wie
sich die Treue zu
diesen fortan mit der zu mir verbinden
könnte, wäre ein
Problem, das mir so lange Unbehagen schafft,
als nicht da oder
dort die Lösung erfolgt. Nie würde es mir
in den Sinn kommen,
den reinlichen Austritt aus meiner schwa
chen
Organisation, die nichts zu bieten hat als etwas geisti
ge
Nahrung und keine soziale oder gar nationale Hoffnung, mit
dem Wunsch zu
belohnen, die, die ihn vollziehen, möge der
Teufel holen – einer
von denen, deren die Welt nun voll ist
und an deren
Erschaffung der Sozialdemokratie das Hauptver
dienst
gebührt. Drüben und hüben!“
Nach diesen durch acht
Jahre hindurch fort
gesetzten Angriffen gegen die Führer einer Partei, die ihre Macht
missbraucht hatten,
konnte es gewiss niemanden wundernehmen,
dass der Privatkläger gegen sie nach dem
Februaraufstand 1934
noch
schärfer Stellung nahm, als sie, anstatt sich einen ehren
vollen Abgang
zu sichern, sich an die Macht klammerten; als sie
das Leben der Arbeiter
aufs Spiel setzten in einer Zeit, wo sie
nicht nur wussten, dass
ihr Aufstand nie gelingen könnte, sondern
sich sogar voll bewusst
sein mussten, dass er, er gelinge oder
misslinge, die Macht des
Nationalsozialismus stärken müsste, den
der Privatkläger als den grössten Feind nicht nur Oesterreichs
und der Tschechoslowakei, sondern der gesamten Kulturmenschheit
betrachtet. Welche
Beschimpfungen und Beleidigungen sind stark
genug, gegen eine
Führerschaft, die, um sich an der Macht zu er
halten, das
Regime Dollfuss, welches sich in mutigster
Weise
gegen den
Nationalsozialismus gestellt hatte, zu einem Bürger
krieg zwang,
der die unheilvollsten Folgen für ganz Europa hät
te haben
können. Aber die Beschimpfungen und Beleidigungen der
Sozialdemokratie, zu
denen sich der Privatkläger vollauf
bekennt,
galten
lediglich deren Führern. Es ist eine bewusste Lüge der
Angeklagten, dass der
Privatkläger etwas gegen die Opfer
des
Februaraufstandes
geschrieben hat. Er hat ihnen tiefstes Mitge
fühl und alle
gebührende Ehrfurcht erwiesen. Die Angeklagten mögen
verhalten werden, nur
diesen einzigen Punkt ihrer Behauptungen zu
beweisen, und der Privatkläger wird erklären, dass sie ihn mit
Recht beleidigt haben.
In Fortsetzung des
Vorwurfes, der Privatkläger schreibe „ge
gen die
Opfer des Februaraufstandes“, behaupten die Angeklagten, er
gehe in der Mai-Nummer aus dem Jahre 1935 „schliesslich so weit, dass
er in ihr den
Propagandaminister Oberst Walter Adam
feiert“. Jeder
unbefangene Leser des
Schriftsatzes der Angeklagten und gewiss auch
das Gericht wird der Meinung sein, der
„Propagandaminister Oberst
Walter Adam“ werde wegen seiner Bekämpfung der Opfer des Februarauf
standes
gefeiert, und es wird mit einiger Ueberraschung aufgenommen
86 werden
(Nr. 909–911, Seite 60), dass das gespendete Lob seiner stili
stischen
Ausdruckskraft galt und seinem Angriff auf eben jene intel
lektuellen
Führer des Februaraufstandes, die aus einer ihnen aus
drücklich
gegönnten leiblichen Sicherheit heraus die österreichischen
Arbeiter gegen die
Regierung weiter aufhetzen, die den vielleicht
tragischerweise
erfolglosen Versuch unternommen hat, sich gegen die
Hitlergewalt zu stellen,
in welchem Versuche sie von den Führern der
Sozialdemokratie nicht
nur nicht unterstützt sondern furchtbar ge
hindert
wurde. Wegen der Verdächtigung, dass jenes stilkritische Lob
spekulativen Zwecken
diene, wurde bereits ein Gesinnungsgenosse der
Arbeiterzeitung, „Der
Gegenangriff“ zur Verantwortung gezogen, und
musste (wie in
einschlägigen Fällen etliche andere Blätter dieser Art)
eine vom Gericht
textierte Abbitte leisten, die vorgelegt werden wird.
Für die unheilvolle
Behinderung des Kampfes
geben Hitler wurden die Führer der
Sozialdemokratie – selbstver
ständlich
nicht die Arbeiterschaft, die vom unzeitgemäßen Streik
87 nichts
wissen wollte – in der Fackel
Nr.
890–905 vom Ende Juli 1934
tatsächlich auf das
Schärfste angegriffen. Ob sie sich dadurch be
schimpft
fühlten und sogar „auf das Niedrigste beschimpft“, darüber
ist der Privatkläger den Angeklagten nicht
Rechenschaft schuldig.
Zur Debatte steht höchstens die Behauptung von den Beschimpfungen
der „Demokratie“. Die
Sozialdemokratie verkörpert diese nicht
und wenn schon eine
Demokratie eine mögliche Regierungsform
wäre, woran der Privatkläger seit jeher gezweifelt hat,
so
war die
Sozialdemokratie der schlechteste Ausdruck dieser Form,
weil er einen
Widerspruch in sich selbst enthält, da die Utopie
eines sozialen Staates
am allerwenigsten durch die demokratische
Regierungsform erreicht
werden kann, deren Träger wieder nur
Politiker sind, was eine
Vervielfältigung der Macht und des
Machtbedürfnisses zum
Schaden der Allgemeinheit bedeutet. Aber
auch darauf will sich
der Privatkläger nicht einlassen, seine
Meinung zu begründen
oder die gegnerische Meinung zu bekämpfen.
Der Angriff galt nicht
einer Meinung sondern einer Tat, der
Tat des Februar 1934,
der Behinderung der österreichischen
Regierung in der Abwehr
gegen Hitler, deren Versagen von den
unheilvollsten
Konsequenzen für ganz Europa, nicht nur für
Oesterreich und die Tschechoslowakei, gewesen wäre und wäre.
Den Beschimpften, –
seien sie persönlich bezeichnet oder in
einen Begriff einbezogen
worden –, stand übrigens das Recht zu,
von dem Privatkläger Genugtuung zu verlangen. Keiner
von ihnen
hat dies getan.
Dagegen hoffen sie, es werde gelingen, um sich
vor ihrer Leser- oder
Anhängerschaft den Schein einer Rehabili
tation zu
geben, den Privatkläger der Profitmacherei
und der
Gesinnungslumperei zu beschuldigen. Die Angeklagten versuchen
aber nicht einmal einen
derartigen Beweis anzutreten, sondern
sie beschränken sich
darauf, eine Ueberzeugungsänderung zu be
haupten, der,
läge sie nicht blos für den Flachsinn vor, erst
das unsaubere Motive
nachgewiesen werden müsste.
Die Angeklagten stellen
ein Axiom auf,
wann nach ihren
Begriffen eine politische Ueberzeugung geändert
werden darf. Sie meinen,
diese Aenderung sei „vom sittlichen
Standpunkt nur
jenenfalls einwandfrei, wenn sie das Ergebnis
einer geistigen
Umorientierung ist, die auf einem Wechsel des
Standpunktes beruht,
von welchem aus wir die sozialen Erscheinun
gen
betrachten, die das Leben der Gesellschaft begleiten“. Es ist
nicht klar, ob die
Angeklagten Anspruch darauf erheben, dass diese
moralphilosophische
Ausführung vollständig sei. Leider ist sie
nicht ganz verständlich.
Aber was immer die Angeklagten sich dabei
gedacht haben mögen: die
scheinbare Aenderung der politischen
Ueberzeugung war bei dem
Privatkläger niemals das Ergebnis
einer
geistigen
Umorientierung, die auf einem Wechsel des Standpunktes
beruhte, sondert stets
das Ergebnis des Festhaltens an einem
Standpunkte gegenüber
den sozialen Erscheinungen – in der letzten
Zeit waren es eben die
sozialdemokratischen Erscheinungen, die
das Leben der
Gesellschaft begleiteten –, die ihm nicht genügen
konnten. Es gibt für den
Privatkläger keine politische Ueberzeu
gung, die er
zu ändern hätte, sondern nur eine Ueberzeugung aus
dem Geiste und aus der
Humanität heraus, der die sozialdemokra
tischen
Erscheinungen nicht entsprachen, lange bevor sie ihre
Macht verloren haben. So
wie die Mächte des Krieges an ihrer
Unsittlichkeit zugrunde
gegangen sind, ebenso ging die Sozialdemo
kratie an
ihrem inneren Widerspruch zugrunde. Der Privatkläger
hat weder der einen noch der anderen Macht je Anhängerschaft ge
leistet und
sie nur darnach beurteilt, wie sie sich gegen Geist
und Humanität verhielt.
Um ihre politische Macht hat er sich nie
gekümmert, von ihr nie
einen Vorteil gezogen. Diesen Beweis aber
hätten die Angeklagten
zu erbringen.
Anstatt dieses Beweises
möchten sie eine
Reihe
von Zeugen aufmarschieren lassen, die vom Privatkläger
in seiner Zeitschrift gekränkt worden sind
oder überhaupt eine
Antipathie gegen ihn haben, an Stelle von Beweisen. Die Quali
tät dieser
Zeugen ergibt sich aus den Aussagen der beiden zugelassenen, des Herrn Paul Kornfeld und des
Herrn Johannes
Urzidil,
die nun
besprochen werden müssen. Ist es schon an und für sich
haarsträubend, Zeugen
über das Lebenswerk eines Schriftstellers,
das
vor aller Welt
offen vorliegt, zu beantragen, die nicht
einmal als
Leumundszeugen genügen konnten, so dürften solche
nicht gerade aus der
Reihe der Widersacher geholt werden. Der
Privatkläger könnte den von den Angeklagten geführten
sechs
Zeugen eine
hundertfache Menge von Lesern entgegenstellen, die
statt Hasses Sympathie
ja Verehrung bekunden würden; dass er
dies nicht tut, hat
lediglich seine Ursache darin, dass er mit
einer prozessualen
Gelegenheit nicht Missbrauch treiben will,
wie es die Angeklagten
tun, und nicht gewillt ist, ihnen auf
dem Wege der Ablenkung
zu folgen. Der Zeuge Paul Kornfeld
sagt aus, er habe vor
zweiundzwanzig Jahren mit dem Privatkläger „verkehrt“, seit dieser Zeit habe er ihn
nicht gesehen.
Ueber die
Art des Verkehres und von wessen Seite der Abbruch
desselben erfolgte,
schweigt er sich aus. Man könnte auf Grund
der Aussage zu der
Meinung kommen, die Aenderung des Urteiles
über die Gedichte Franz Werfels seien die Ursache gewesen.
Aber
nicht einmal das
ist wahr. Noch im Jahre 1916, als das Urteil
über Franz Werfel schon längst „geändert“ worden war (was mit
der „privaten Differenz mit einer Dame, die der Privatkläger
kannte“,
nichts zu tun hatte, auf welche sich der Zeuge
fälschlich beruft), hat
Herr Paul
Kornfeld an den Privatkläger
88 ein
Schreiben mit dem Ausdruck der ergebensten Verehrung ge
89 richtet, ebenso wie er dies in einem Telegramm getan hatte,
dessen Zeitpunkt sich
freilich nicht feststellen lässt. Die
angebliche Anerkennung
des Privatklägers, dass Franz Werfel
90 „ein grosses Talent“ sei, erfolgte in der
Fackel
Nr.
339/340
vom 30. Dezember 1911
auf Seite 47 damit, dass unter drei
Büchern, die den Lesern
der Fackel empfohlen wurden, der
Ge
dichtband „Der Weltfreund“
erwähnt war, aus dem einige Gedichte
abgedruckt wurden. Die
Ablehnung dieses dichterischen Schaffens
91 erfolgte
in der Nr. 443/444 vom 16. November 1916 auf Seite 26
92 in einem
Gedicht „Elysisches“; in der Nr. 445–453
vom 18. Januar
1917 auf
den Seiten 133 bis 147 in einer sprachkritischen Be
93trachtung; in der Nr. 462–471
vom 9. Oktober 1917 auf Seite 68
94 und in
der Nr. 484–498 vom 15. Oktober 1918 auf Seite 93.
Stets
waren konkrete,
schriftstellerische Anlässe vorhanden, sich
mit Werfel zu befassen, und diese Anlässe wurden auch stets
dargelegt. Die
angebliche „Differenz“, die Werfel mit
einer
Dame hatte, die
der Privatkläger tatsächlich kannte, war
ein
Klatsch, den Werfel dem Privatkläger hinterbrachte, der sofort
zum Abbruch der
persönlichen Bekanntschaft mit ihm führte, und
fällt in das Jahr 1913
oder 1914, jedenfalls vor den Krieg.
„Es war eine Kleinlichkeit“, nämlich von
seiten des Herrn Werfel,
wenn man die Gefährdung
des Rufes einer Dame als eine solche
bezeichnen will. Sie
hatte natürlich keinerlei literarischen
sondern lediglich
gesellschaftliche Folgen. Die viel spätere
Kritik hat sich Werfel durch sein äusseres und labiles
Könnertum
(das
freilich mit dem Charakter zusammenhängt) und durch seine
Beeinflussbarkeit von
den verschiedensten dichterischen Seiten
her zugezogen. Der Zeuge
Kornfeld ist aber nicht einmal im
stande, zu
behaupten, dass diese private Differenz die Ursache
einer kritischen
Aenderung gewesen sei, sondern er will eine
solche nur plausibel
machen, und tut dies mit den Worten „von
dieser Zeit an“, mögen auch Jahre verstrichen sein, die zwi
schen den
beiden Fakten liegen. Eine gleiche Verdächtigung ohne
jeden Tatsachengehalt
spricht der Zeuge über die politische
Gesinnung des Privatklägers aus. Er selbst gibt zu, den
Privatkläger seit zweiundzwanzig Jahren nicht gesehen zu haben. Gleich
wohl hat er
die Kühnheit zu bezeugen, der Privatkläger
habe im
Jahre 1925 in Berlin vorwiegend mit Kommunisten verkehrt,
sei
in einem
kommunistischen Kreis gewesen, alle hätten damals ge
glaubt, er
sei Kommunist, der Privatkläger habe nicht
protestiert
und
damals habe ihn die kommunistische Presse sehr gelobt. Woher
der Zeuge diese von A bis Z vollständig unwahren Tatsachen
hat,
verschweigt er.
Er wird anzugeben haben, mit welchen Kommunisten
der Privatkkläger im Jahre 1925 verkehrt hat; wie der
kommunisti
sche Kreis seinen Glauben ausgedrückt hat, der Privatkläger sei
Kommunist, so dass er eine Veranlassung hatte, dagegen zu pro
testieren.
Die Wahrheit ist, dass diese Zeugenaussage vom Anfang
bis zum Ende falsch ist,
dass der Privatkläger in keinem
kommunistischen Kreis
verkehrt hat, was Herr Heinrich Fischer, damals Dramaturg in Berlin, jetzt wohnhaft in PragXII. Slezska 115 bezeugen kann, der den Privatkläger bei seinem
im Jahre 1925 vom 21.
März bis 2. April währenden Aufenthalt in
Berlin, in welcher Zeit sieben Vorlesungen abgehalten
wurden,
ständig
Gesellschaft leistete.
Mehr drollig ist die
Aussage des Zeugen
Johannes
Urzidil. Dieser bekennt sich wenigstens offen zu
seiner Gegnerschaft,
denn er sagt im wesentlichen über nichts
anderes aus, als über
einen Angriff, der gegen ihn im Jahre 1931
95 in der
Nummer 864–867 veröffentlicht worden war. Die Berechti
gung zur
Beurteilung des moralischen Wertes und der Sachlichkeit
des Angriffes muss dem
angegriffenen Zeugen abgesprochen werden,
umsomehr, als er den
ironischen Vergleich des Klanges seines
Namens mit der
Vorstellung zerschlagener Glasfenster in der Ab
sicht
hervorhebt, bei einem tschechischen Gericht die Vorstel
lung zu
erwecken, es liege hier eine Verunglimpfung des Tsche
chentumes
vor, wo es sich gerade im Gegenteil in dem auf den
Seiten 40
bis 49 der zitierten Nummer abgedruckten Aufsatz
„Der zerbrochene
Krug“ darum gehandelt hat, das hetzerische Trei
ben des Herrn
Urzidil anzuprangern, der als Pressechef
der
deutschen Gesandtschaft in Prag die
Vorstellung zu verbreiten
wünschte, es seien der deutschen
Gesandtschaft Fensterscheiben
von tschechischer Seite
eingeschlagen worden. Die Art, wie diese
Nachricht verbreitet
wurde, war offensichtlich darauf angelegt,
den Vorfall national zu
unterstreichen, obwohl durch nichts er
wiesen war,
dass es sich um eine derartige Kundgebung gehandelt
hätte. Die Ironisierung
eines Namens, „der einen Klang hat, als ob
in ihm die
Vorstellung von eingeschlagenen Fensterscheiben gerade
zu
erfüllt wäre“, bei einem Namensträger, der eingeschlagene
Fensterscheiben zum
Gegenstand deutschnationaler Verhetzung ge
gen die
Tschechen gebraucht, ist daher sowohl satirisch als auch
sachlich gerechtfertigt,
ja zwingend notwendig. Der Zeuge be
hauptet
weiter, der Privatkläger habe in diesem Artikel geschrie
ben, Zeuge „sei sowohl tschechischer wie auch deutscher Abstam-
mung, womit der Privatkläger seine verstorbene Mutter habe
tadeln wollen und
zwar aus dem Grunde, weil diese eine deutsche
Jüdin gewesen sei,
womit er sich mit dem rassischen Antisemitis
mus
identifiziere und zu erkennen gebe, dass er einen tsche
chischen
Namen und jüdischen Ursprung als Beweis des
Deutschtums
ansehe, obwohl es in
seinem Fall um einen damals schon 15 Jahre
bekannten deutschen
Schriftsteller ging“. Diesen Gallimathias
verstehe, wer kann. Die
Interpretation des Satzes der Fackel wäre
selbst dann falsch, wenn die Zitierung richtig wäre. Der Satz
lautet in Wirklichkeit
folgendermassen:
„Herr Urzidil ist, soweit wir uns selbst überzeugen
konnten, ein Prager
Literat, dessen teils tschechische, teils
nichtdeutsche
Abkunft, von der wir nur aus zweiter Hand wis
sen, die
Opfer, die er für die Sache des Deutschtums bringt
– wenn schon nicht
durch sein Schaffen, so durch seine
Gesinnung –
beträchtlich erscheinen lässt.“
Es ist klar, dass der
Sinn dieses Satzes keinen Tadel gegen die
verstorbene Mutter des Herrn Urzidil enthält, von der überhaupt
nicht die Rede ist,
sondern lediglich eine Anprangerung seiner
selbst, der teils
tschechischer, teils nichtdeutscher Abkunft,
gleichwohl
deutschnationale antitschechische Hetzpolitik trieb.
Heute möchte er, der
zwei Jahre unter Hitler als Angestellter
der deutschen Gesandtschaft nationale
Dienste geleistet hat, die
se Tatsache verwischen, sich auf einen angegriffenen
Tschechen
aufspielen
und auf die Verspottung seines Namens vor einem
tschechischen Gericht in klarer Absicht hinweisen.
Damit könnten diese
Ausführungen abgeschlos
sen werden, – denn die Angeklagten haben den Beweis der
Profit
macherei und der Gesinnungsänderung des Privatklägers, um sich
vor dem Konzentrationslager zu schützen, nicht einmal
angetreten
und viel
weniger erbracht – , wenn sie nicht, offenbar um
Stimmung für sich bei
einem tschechoslowakischen Gericht
zu
machen, Themen in
ihren Ausführungen berührten, die mit dem
gegenständlichen
Prozesse überhaupt nichts zu tun haben. Es
wurde bereits früher
ausführlich dargelegt, dass die Angeklagten
sich zu ihrer
Entschuldigung oder zu dem Nachweise ihres guten
Glaubens nicht auf
Tatsachen berufen können, bei denen ein öffent
liches
Interesse an ihrer Mitteilung lange nach der Veröffent
lichung der
Beleidigungen vorhanden wäre. Damit aber nicht aus
dieser rein
theoretischen Auseinandersetzung der Schluss abge
leitet werde,
es seien die Behauptungen wahr, dass der Privatkläger durch ganze Jahre die tschechoslowakischen Staatsmänner
beschimpfe, sich über
die tschechoslowakische Nation und ihren
Kampf um die Befreiung
in dem Sinne äussere, es hätte „die
Partei den Hausherrn
hinausgeworfen“, und dass er die demokrati
sche
Verfassung dieses Staates lächerlich mache, müssen auch die
se absurden
Behauptungen besprochen werden. So fraglich das
Recht der Angeklagten
ist, sich zu Verteidigern des damaligen
Aussenministers und
nunmehrigen Präsidenten aufzuwerfen oder
sich eines Angriffes auf
ihn als Mittel zur eigenen Verteidigung
zu bedienen, so muss
doch dargetan werden, dass ein Angriff auf
den heutigen Präsidenten in Wirklichkeit gar nicht
vorliegt. Der
96 Angriff auf Seite 58 der
Fackel
Nr.
909–911 richtet sich gegen
die
eine dolose Entstellung durch den
von tschechoslowakischen Geldern lebenden und zugleich öster
reichischen
Patriotismus zur Schau tragenden „Wiener Tag
“
eszeitung ‚Der Tag‘,
deren
dessen
zwiespältige Haltung nebenbei
erörtert wird. Von diesem
Blatt heisst es:
„Antipathisch ist es durch die
Verbindung einer Bereit
schaft,
sich ans Vaterland anzuschliessen, mit der Aufgabe,
Organ des Herrn Benesch zu sein; nicht minder wegen
des
Talents,
ebendieses durch alle Vorschriftsmässigkeit durch
schimmern
zu lassen und den Rechtskurs mit zwei linken
Füssen mitzumachen.
Für eine Annonce sich des ‚Tag‘ zu
be
dienen,“
– es handelte sich
nämlich um bezahlte Ankündigungen von Vor
trägen des
Privatklägers –
„kostet zwar nicht viel, doch
immerhin Ueberwindung: indem
man sich dem
Verdacht aussetzt, gesinnungsmässig mit einer
Leserschaft
verbunden zu sein, der die Gewohnheit, frei zu
denken und zu
mauern, nach wie vor als der wirksamste
Schutz gegen das
Verhängnis Hitler erscheint. Was auf
diese
Weise
entsteht, ist die Mauer, gegen die einerseits mit dem
Kopf gerannt und die
anderseits den verbrecherischen Störern
des grössten
Verteidigungskrieges aller Zeiten gemacht wird.“
Alle diese Angriffe
müssen aus der Gegner
schaft des Privatklägers
gegen das Hitlerregime verstanden wer
den, dessen
Förderung in jeder absichtlichen oder unbewussten
Verkennung seiner Gefahr
liegt. Diese Gefahr, der nicht nur
Oesterreich sondern ganz Europa und besonders die Tschechoslo
wakei ausgesetzt ist, wird heute auch schon an Stellen erkannt,
die früher blind an ihr
vorübergegangen sind. Der Privatkläger
glaubt diese Tatsache
als gerichtsbekannt voraussetzen zu kön
nen, da sie
in allen Blättern der Tschechoslowakei seit
mehre
ren
Monaten öffentlich besprochen wurde. Ja sogar der Ange
klagte Sonka ist sich, wie durch die Zeugenschaft
des Herrn
Heinrich
Fischer bewiesen werden kann, jüngst in einer Prager
Autorenversammlung der
Paralellität der politischen Ziele
Oesterreichs und der Tschechoslowakei bewusst geworden. Zu der
Erkenntnis, in wie
unverantwortlicher Weise die Sozialdemo
kratie den
hier gemeinten Kampf gegen Hitler gehindert
hat, ist
die Partei allerdings noch nicht
vorgedrungen.
Anstatt sich mit der
verlogenen Behauptung der
Angeklagten, der Privatkläger mache die
demokratische Verfassung
des tschechoslowakischen
Staates lächerlich, auseinanderzusetzen,
97 soll
die Stelle auf Seite 59 der Fackel
909–911 hier lediglich
zitiert werden, um
darzutun, mit welchen Mitteln dieser Prozess
geführt wird, wie aus
einem Angriff gegen eine Partei eine
Ver
höhnung der tschechoslowakischen Verfassung gemacht wird. Diese
Stelle lautet:
„Hat doch sogar die vorbildliche
Dummheit der englischen
Arbeiterpartei –
heute nur noch von jener Demokratie über
troffen,
von deren werktätiger Neigung der ‚Tag‘ sein Dasein
fristet – erkannt,
dass, ‚verglichen mit dem national
sozialistischen Regime‘, das österreichische ‚unendlich vor
zuziehen‘
sei; und das könnte doch selbst der dem kulturellen
Gehalt des neuen
Lebens Abgeneigteste unmöglich bestreiten.“
Am tollsten und
unverschämtesten ist aber
wohl die Behauptung der Angeklagten, „der Privatkläger äussere
sich über die
tschechoslowakische Nation und ihren Kampf um die
Befreiung in dem
Sinn, es hätte ‚die Partei den Hausherrn hinaus
geworfen‘. Als Hausherrn bezeichne er die Habsburger und Partei
sei zufolge der
‚beseelten‘(?) Ansicht des Privatklägers
offenkun
dig die tschechoslowakische Nation, die seiner Ansicht nach
offen
bar keinen Anspruch auf Selbständigkeit gehabt habe.“ Man muss
sich wirklich an den
Kopf greifen, dass so etwas von Menschen
vorgebracht wird, die
sich zu einer Reihe von Intellektuellen
zählen, „welche gerade aus Liebe zur Wahrheit und Achtung
vor der
Freiheit
lieber die Emigration als die gehorsame Anpassung an
das gegenwärtige
österreichische Regime wählten“, die sich be
rufen fühlen,
das Urteil abzugeben, der Privatkläger
„diskredi
tiere uns
andere Dichter und Literaten überhaupt, deren Sendung
in der menschlichen
Gesellschaft es gerade ist, die breitere
Oeffentlichkeit
moralisch aufzurütteln und ein Muster moralischer
Verantwortlichkeit
zu sein“. Diese moralische Verantwortlichkeit
sieht folgendermassen
aus, und wenn die Angeklagten die Nummer
der Fackel nicht zitiert hätten, in der das
Absurdum stehen soll,
wäre es unmöglich
gewesen, überhaupt darauf zu kommen, was
sie meinen. Denn der Privatkläger ist sich bewusst, gerade
das Gegenteil stets
vertreten zu haben, was auch von Schrift
stellern der
tschechoslowakischen Nation, ja sogar von deren
Präsidenten Masaryk immer vollauf gewürdigt wurde. ln
der
98
Nr. 912–915 vom Ende August 1935 ist auf den Seiten 34
bis 62
ein Aufsatz „Die
Handschrift des Magiers“ enthalten, der sich
mit Herrn Max Reinhardt beschäftigt. Diesem war es,
noch als
die
Sozialdemokratie Einfluss hatte, gelungen, eine Wohnung in
Schönbrunn und in der Hofburg zugewiesen zu erhalten. Nach
einer längeren
Ausführung über die von aller Welt so gepriese
ne „Magie“
Reinhardt’s und nach einer Darlegung,
was von ihr
zu halten
sei, heisst es zu Beginn des letzten Absatzes auf
Seite 61:
„Wien hat den Träumer zu einer Zeit, da die Republik
noch zum Linken sah,
anders geehrt; es bedurfte damals, als
der Begriff der
Freiheit mit den Namen Castiglioni und
Bosel, Rintelen
und Winkler verknüpft wurde und die
Habs
burger, nehmt alles nur in allem, von einer Partei ausge
hungert
waren, die den Bekessy eingebürgert hat,
keiner
weiteren
Besinnung, um jenem in Schönbrunn und der
Hofburg
einen seiner
Prunkliebe und seines imperialen Bedürfnis
halbwegs
angemessenen Wohnsitz einzuräumen, wie er ihn sich
in der Wiege noch
nicht geträumt hatte. Und obwohl er sich’s
ganz gewiss nicht
träumen liess, dass ihm dereinst ein greiser
Kirchenfürst mit Gefolge entgegenkommen und dies Bild in
Theaterblättern
verewigt würde, so war doch er es, an dem
sich hauptsächlich
jener Kaiserdrang genährt hat, der in
unserer so lebhaften
Montagspresse, dem wahren Spiegel dieser
Unwirklichkeit,
vorläufig die Könige aller Branchen restau
riert.
Wenn das jetzige Oesterreich, das dafür geschmäht
wird, dass es,
jenseits aller Politik und Gespensterfurcht,
eine Wohnungsfrage
zu Gunsten der Besitzer entscheidet – wenn
es der Lichtspur des
Herrn auf Leopoldskron noch folgen will,
so möge es Auskunft
geben, ob der Träumer, der gern Rechnun
gen von
Elektrizitätswerken unbeglichen lässt, im September
1933 das Konto des
Hofburgbewohners mit mäzenatischer
Hilfe
gelöscht
fand, als er geweckt wurde, oder ob der Rückstand,
der vorhanden war,
‚als dubios abgeschrieben‘ ward. Auf die
se
Auskunft hat Jedermann Anspruch, dem beim geringsten, un
verschuldeten Verzug das Licht abgedreht wird (auch wenn er
es dazu brauchte,
Shakespeare zu ehren – womit er es
beiweitem
nicht
bezahlen könnte).“
Welche Niedertracht! Der
der sozialdemo
kratischen „Partei“ gemachte Vorwurf,
den Bekessy (den grössten
Revolverjournalisten Wiens) eingebürgert zu haben, der Tadel,
einem Faiseur eine
Wohnung in Schönbrunn und in der Hofburg ein
geräumt zu
haben, wird dazu benützt, um nationale Gefühle gegen
den Privatkläger aufzupeitschen. Hier wird die Justiz
überhaupt
vor einen
einzigartigen Fall gestellt. Es wird nämlich der Ver
such
unternommen, auf rein denunziatorischem Wege durch die Be
hauptung, der
Privatkläger habe jemals etwas gegen die
tschechi
sche Nation, gegen die tschechische Selbständigkeit geschrieben,
von der Hauptsache,
nämlich dass er Profit mache, abzulenken.
Wäre auch nur ein Atom
von diesen denunziatorischen Behauptungen
wahr, so wäre es eine
Erniedrigung der Justiz und der Nation, die
doch gerade durch die
Freiheit der Meinungsäusserung, die sie ge
währt, sich
vor den andern hervortut, wenn sie es nicht zurück
wiese, dass
auf diese Weise ein Versuch der Beeinflussung auf
ihr Urteil gemacht wird.
Die Ungeheuerlichkeit jedoch, dass man
sich etwas einfach aus
den Fingern saugt, um eine gehässige
Stimmung zu erzeugen,
ist wohl ohnegleichen. Dies nötigt den
Privatkläger, auch einiges über seine Stellung zur
tschecho
slowakischen Nation und ihrem Staate zu sagen. Vorerst soll zu
99 diesem
Zwecke ein in der Nr. 735–742 vom Oktober 1926 auf den
Seiten 65 bis 68
erschienener Aufsatz vorgelegt werden, gerade
deswegen, weil er zwar
die höchste Anerkennung für die tschechi
sche
Sprachliebe und Sprachkultur enthält, freilich auch das da
malige
Hineintragen des nationalistischen Moments in die Verkehrs
sprache
bemängelt. Als nun das ‚Prager
Tagblatt‘ in einer Zuschrift
100 vom 20.
Oktober 1926 um die Erlaubnis bat, gerade die Stelle
nachdrucken zu dürfen,
die den Tadel dieser Ueberspitzung ent-
101 hält,
erhielt dieses Blatt eine
Zurückweisung, die die
Sympathie des Privatklägers für die
tschechoslowakischen Be
strebungen auf das eindringlichste dokumentiert. Als solche
102
Dokumente werden weiters vorgelegt: die Nr. 521–530
vom Januar
103 1920, (Notiz „Oesterreich-Ungarn“ auf Seite 63); die Nr.
572–576
vom Juni
1921, (Aufsatz „Bei den Tschechen und bei den Deutschen“
104 auf den
Seiten 64 bis 68); die Nr. 632–639 von Mitte Oktober 1923
105 und die
Nr. 640–648 von Mitte Januar 1924, (mit der Veröffent
lichung eines
Armeebefehls vom 17. April 1915 auf Seite 34 der
Oktober-Nummer und einer
Vorbemerkung hiezu auf Seite 102 der
106
Januar-Nummer); die Nr. 668–675 vom Dezember 1924, (Aufsatz „EinReinigungsprozess“ auf den Seiten 73 bis 79).
Der Angeklagte Sonka hat sich von dem son
derbaren
Zeugen Johannes
Urzidil ein Leumundszeugnis ausstellen
lassen, er sei ein Dichter, der seine Ueberzeugung
anständig
verteidigt . Wie anständig, darüber gibt wohl sein Schriftsatz
mit den Beweisanträgen
genügende Aufklärung. Der Privatkläger
möchte nicht hinter dem
Angeklagten zurückstehen, und auch sei
nerseits
Leumundszeugen, wenngleich nur dokumentarisch, ins
Treffen führen. Zu
diesem Zweck wird der Abdruck einer Adresse
der Gelehrten der Pariser Sorbonne und des Collége de France an
das Komitee für die
Verleihung des Nobelpreises von den
Jahren
107 1925 bis 1928 vorgelegt, deren Unterzeichner es wohl an
Gewicht
ihrer
Meinungsäusserung mit Herrn Urzidil
aufnehmen können.
(In
dieser Urkunde ist gerade auch die Haltung und Leistung des
Privatklägers im Weltkrieg besprochen. Die Arbeiterzeitung hat
sowohl die Verleihung
des Literatur-, wie des Friedenspreises an
ihn verlangt.) Ferner
eine Broschüre „Stimmen über Karl
Kraus
Beil.
45.) zum 60. Geburtstag“ und besonders wird hingewiesen auf
die Bei
träge
tschechischer Schriftsteller: Carl Čapek auf
Seite 21,
Josef Hora auf Seite 27 etc., und auf die
ergreifende Zuschrift
eines Arbeitslosen (Seite 47f.), um auch die soziale Gesinnung des
Privatklägers der von gehässiger Seite geübten Verzerrung
entge
genzustellen. Uederdies wird auf die Tatsache hingewiesen, die
wohl der Meinung, das
Kriegswerk der Fackel sei ein
militaristi
sches mit drastischestem Hohn begegnet: dass das Werk „Die letztenTage der
Menschheit“ in tschechischer Uebersetzung unter dem
Titel „Posledni dnovée
lidtiv“ im Prager Verlag Družstevni
práce,
gedruckt
bei Rohrer in Brünn, erschienen ist, welche Ausgabe auf
Wunsch dem Gericht zur Verfügung gestellt wird.
Dem Schriftsatz
angeschlossen wird ein zu dieser Ausgabe veröffentlichtes Heft der
109
Zeitschrift „Panorama“, welches
fast ausschliesslich das gesamte
Kriegswerk des Privatklägers in enthusiastischester Weise
behan
delt. Besonders hingewiesen wird auf das auf der zweiten Umschlag
seite
abgedruckte Zitat aus einem Werk des ersten Präsidenten
T.G. Masaryk, der die Tendenz der literarischen
Kriegsleistung des
Herausgebers der Fackel anerkennend hervorhebt. Es entbehrt
nicht
einer gewissen
Pikanterie, dass unmittelbar darunter dem Führer
der Sozialdemokratie und
Leiter der jetzigen Arbeiter-Zeitung
Otto Bauer die Ehre
erwiesen wird, dass sein begeistertes Urteil
über das Kriegswerk des
Privatklägers abgedruckt wird (aus
seinem
Buch „Die österreichische Revolution“,
dem Privatkläger hand
schriftlich
mit den Worten gewidmet „Dem Dichter der
‚letzten Tageder Menschheit
‘“). Ganz abgesehen von jenem Urteile des Schöpfers
der tschechoslowakischen
Republik wäre es doch unvorstellbar, dass
dieser nicht nur seit
jeher wiederholt, am 8.1.1910 (nach dem
berühmten Prozess Friedjung) und am 1.1.1922, durch
eingenhändi
ge Schreiben, ferner durch die Präsidentschaftskanzlei am
22.12.1921, 28.12.1921,
5.1.1922, 23.1.1922, 7.9.1933 und 9.8.
1933 dem Privatkläger ausserordentliche
Freundlichkeit erwiesen,
ja ihn zu einem Besuch auf dem Hradschin
eingeladen hätte, wenn
der Privatkläger deutschmilitaristische
Politik gemacht oder
„durch ganze Jahre die tschechoslowakischen
Staatsmänner be
schimpft, sich über die tschechoslowakische Nation und
ihren
Kampf um
die Befreiung in dem Sinn geäussert hätte, es habe ‚die
Partei den Hausherrn
hinausgeworfen‘“, oder wenn er sonst eine
„antistaatliche Tätigkeit“ entfaltet
hätte, die den Angeklagten
die Berechtigung gäbe, die Interessen der tschechoslowakischen
Oeffentlichkeit gegen
„Menschen von der Art des
Privatklägers“
zu vertreten. Sämtliche Zuschriften, die sich auf die freundliche
Meinung des Herrn Präsidenten beziehen und die hier nicht
beige
legt
werden, weil man die wertvollen Dokumente der Post nicht
anvertrauen will, werden
bei der Verhandlung vorgewiesen werden.
Von besonderem Interesse
wird da gerade die Zuschrift vom
23. Januar 1922 an den
Privatkläger sein, die sich mit dem
Not
recht
des Staates befasst und einen Fall behandelt, der gegen
über den
Februarereignissen 1934 in Wien zwar
verschwindend
klein
erscheint, indem eine unmittelbare Gefahr für den Staat
nicht vorhanden war, die
aber doch einen durchaus analogen
Standpunkt einnimmt. Wie
das Urteil des Präsidenten in Anbetracht
der drohenden Staats-
und Weltgefahr ausfiele, kann wohl nicht
zweifelhaft erscheinen.
Es dürfte wohl niemals noch der Fall
gewesen sein, dass es
und zweifellos in der Absicht literari
scher
Vergeltung gewagt wurde, im Vertrauen auf die Schwierig
keit der
Aufklärung einem Gerichtshof eine
derartige verleumde-
rische Verkehrung
geistiger und moralischer Sachverhalte darzu
bieten und
einen Schriftsteller, der 104
Antikriegshefte heraus
gegeben hat, aus denen zahllose Stellen konfisziert wurden,
und
der wegen
„Verbrechens gegen die Kriegsgewalt“ verfolgt wurde,
(bis die Regierung Lammasch das Verfahren einstellte), einer
schändlichen Haltung zu
beschuldigen, und einen Mann als Profit
macher und
„Spekulierer“ zu brandmarken, der vom Kriegsbeginn
bis heute S 162.537.––
wohltätigen Zwecken (insbesondre der
Arbeiter- und
lnvalidenfürsorge) zugewendet hat.
Ueber alles, was in
diesem Schriftsatz
vorgebracht wurde, ohne dokumentarisch belegt zu sein, beantragt
der Privatkläger seine Einvernahme als Zeugen.
Dr. Felix Gallia als Vertreter
des Privatklägers Karl Kraus.