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An das
Strafkreisgericht,Brünn.
zur Zahl Tl III 239/34
Tl III 256/35
Tl III 299/34


Privatkläger: Karl Kraus, Herausgeber der Zeit
schrift „Die Fackel“ in Wien III., vertreten
durch Dr. Robert Herrmann und Dr. Felix Gallia,
Advokaten in Brünn


Beschuldigte: 1./ Josef Schramek, Redakteur in
Brünn,
2./ Hugo Sonnenschein / Sonka /
Schriftsteller in Prag,
beide vertreten durch Dr. Bohuslav Ečer, Advokaten
in Brünn


wegen Ehrenbeleidigung resp. Vernachlässigung
der pflichtgemässen Obsorge. 2 fach
Beilagen


Aeusserung des Privatklägers zum Schriftsatz der Angeklagtenvom 18. Februar 1936.


und unterdrücke offenbar in der Tschechoslovakei, was
er angeblich gegen diese in Österreich vorbringt,


Es ist wohl das Absurdeste, was es je
im Rechtswesen gegeben hat: dass ein Privatkläger, dessen
37jähriges geistiges Schaffen vor aller Welt vorliegt, durch
Wochen hindurch sich und seinen Anwalt bemühen muss, nicht etwa,
Beweise durch Gegenbeweise zu entkräftigen, sondern einem Angeklagten auf seinen Schleichwegen einer Beweisführung zu folgen
und aufzuzeigen, mit welchen Mitteln der Entstellung und der
Verfälschung die Angeklagten einen „Wahrheitsbeweis, allenfalls
den Beweis entschuldbaren Irrtums“ zu führen versuchen. Schon
der Satz, dass zu seiner Durchführung notwendig war, eine Reihe
von Belegen zu studieren, die in Oesterreich in Archiven ge
sammelt werden mussten, ist wahrheitswidrig. Die Angeklagten
stellen nicht einen einzigen Beweisantrag, den sie auf eine
Archivforschung zurückführen, und sie berufen sich ausschliess
lich auf Stellen aus der vom Privatkläger seit 37 Jahren heraus
gegebenen im Buchhandel erhältlichen Zeitschrift „Die Fackel“, die sie in einer Weise zi
tieren, dass das Gegenteil der Meinungen Anschauungen des Privatklägers
herauskommt. Damit aber die Angeklagten aber sich nicht mit techni
schen Schwierigkeiten ausreden können, werden ihnen alle Exem
plare der Fackel gerne zur Verfügung gestellt, die sie zu ihrer
Entlastung zu benötigen glauben, auch die „österreichischen“
Ausgaben der Fackel, die sich allerdings von den im Gebiete der
Tschechoslowakei verbreiteten nur durch den Preisaufdruck auf dem Umschlage
– hier in Tschechenkronen, in Oesterreich in Schilling – unter
scheiden. Die beleidigende verleumderische Behauptung der Angeklagten, der
Privatkläger gebe zwei verschiedene Ausgaben seiner Zeitschrift
heraus, wodurch zum Ausdruck gebracht werden soll, er ändere
seine Meinungsäusserung nach Zeit und dem Ort des Erscheinens, wurde
zum Gegenstand einer separaten Anklage gemacht. Dieser Vorwurf
beweist wohl zur Genüge, mit welcher Gehässigkeit und gehässigen Verlogen
heit die Angeklagten ihren Standpunkt vertreten.


Ehe in die Besprechung der einzelnen
Punkte des Schriftsatzes der Angeklagten eingegangen wird, soll


der Laune feisten Goldes dienen, Leisetreter, Zuhälter der Macht,
die man morgen schon zertreten werden geistige Henkersknechte,
die „Mordhass“ schüren und den Schlaf der Welt hüten, um


zu der Rechtsfrage Stellung genommen werden: ob sie die Angeklagten den Straf
ausschliessungsgrund des § 6, 2b des Ehrenschutzgesetzes für
sich in Anspruch nehmen können. Dieser Strafausschliessungs
grund, der bei Begehung der strafbaren Handlung in einer Druck
schrift nur dann Anwendung zu finden hat, wenn die Anführung
oder Mitteilung der in Betracht kommenden Tatsachen im öffent
lichen Interesse gelegen ist oder zur Wahrung eines berechtig
ten wichtigen Privatinteresses notwendig war, kann den Ange
klagten nur dann zugute kommen, wenn das von ihnen vorgegebene
Interesse schon zur Zeit der inkriminierten Aeusserung vorhan
den war. Dieser Strafausschliessungsgrund ist nur dann gegeben,
wenn die sonst strafbare Handlung begangen wird, um eine wichti
ge Interessensphäre zu schützen. In ihrem Beweisantrag berufen
sich die Angeklagten in den Punkten 7, 8 und 9) auf Stellen aus
den Fackel-Nummern 909–911, erschienen Ende Mai 1935 und 912–915,
erschienen Ende August 1935, während das Blatt mit den inkriminierten Artikeln am 15. September 1934 veröffentlicht wurde.
Selbst dann also, wenn die von den Angeklagten behaupteten An
griffe auf
„Beschimpfungen“ dieder tschechoslowakischen Staatsmänner, und auf die Lächerlichmachung
der tschechoslowakische Verfassung und auf die ja der tschechoslowakischen
Nation so wahr wären, wie sie zur Gänze unwahr sind, – was bei der Besprechung
der einzelnen Punkte des Schriftsatzes der Angeklagten ausführ
lich dargelegten werden soll –, könnten sie nicht zu ihrer Ent
schuldigung dienen.


Die Justiz wird hier vor einen einzigarti
gen Fall gestellt. Es wird nämlich der Versuch gemacht, auf rein
denunziatorischem Wege durch Behauptungen, der Privatkläger habe
seine Gesinnung wiederholt gewechselt und
sei gegen die tschechi
sche Nation, gegen die tschechische Selbständigkeit aufgetreten,
von der Hauptsache abzulenken. Die Tat, die der Angeklagte Sonnenschein – Sonka
zu verantworten hat, ist, dass er den Privatkläger einen „ Helden
der Gesinnung und des Geistes“, einen „ Konjunkturästheten“ ge
nannt hat und ihn in einen Kreis von Personen eingereiht hat,
die ihre geistige Arbeit dazu benützen, um „ Profit zu machen“.


Herr Sonka glaubt sich damit entschuldigen zu können, daß
er dieses „ Gedicht“ nicht „auf die Person des Privatklägers
stilisiert“ schon vor dem Juliheft der Fackel auch an
anderen Orten „ohne jedwede Widmung“ veröffentlicht
habe. Welchen Sinn diese Ausrede haben soll, ist kaum
erfindlich, da ja eben die Publikation in der Arbeiterzeitung,
die die Widmung enthält, inkriminiert ist.


Der Angeklagte Schramek hat sich dafür zu verantworten, dass
er diese Beleidigungen und auch weitere Beleidigungen in dem
Aufsatz „Der Racheakt der Polizei gegen Braunthal“ in Kenntnis
ihres Inhaltes zum Druck befördert hat, sich also der strafbaren
Handlungen mitschuldig gemacht hat, zumindest aber die pflicht
gemässe Obsorge vernachlässigt hat, solche beleidigende schmähende Aufsätze
und Gedichte von der Veröffentlichung auszuschliessen. Aus dem
Artikel wurde besonders die Stelle inkriminiert, welche die Be
hauptung enthält, dass sich der Privatkläger in seiner Fackel
brav gleichgeschaltet habe und im Schweisse seines Angesichtes
die Kulturtaten des „österreichischen Menschen“ preise, was ihn
allerdings vor Wöllersdorf schütze. Darin liegt die allerdings
sofort als absurd erkennbare Behauptung, dass das im Juli 1934 erschienene Fackelheft den Zweck verfolge, dem Privatkläger die
Zwangsanhaltung in Wöllersdorf zu ersparen. Die Absurdität
dieser Behauptung ergibt sich schon aus der dem Artikel selbst
zu entnehmenden Feststellung, dass „ Braunthal am 12. Februar 1934
im Zuge der zur Niederringung der Februarrevolte getroffenen
Massnahmen festgenommen “ wurde. Es ist nicht Sache des Privatklägers, darüber Erhebungen zu pflegen, ob die Beteiligung des
Herrn
Braunthals an der Februarrevolte seine Festnahme auch
rechtlich begründet erscheinen lasse, und wie weit bei der An
haltung in dem Zwangslager die Tatsache mitbestimmend war, dass
er seit dem Jahre 1923 in der Zentralleitung des RepublikanischenSchutzbundes sass, und wie weit vielleicht auch seine Broschüre
Die Wiener Julitage“ (1927) an dieser Zwangsmassnahme mitgewirkt haben.
Dass gegen den Privatkläger nicht mit den gleichen Zwangsmass
nahmen vorgegangen wurde, das kann keinesfalls ein im Juli 1934
erschienener Artikel Aufsatz bewirkt haben, wenn das Verhalten die Haltung des Herrn
Braunthals im Jahre Juli 1927 wirklich der Grund für das Vorgehen
gegen ihn gewesen wäre. Es ist klar, dass der Autor des am
15. September 1934 erschienenen Artikels „Der Racheakt der Polizei gegen Braunthal“ nur eine ihm offenbar günstig erscheinende
Gelegenheit benützte, für den im Juli 1934 erschienenen Artikel


Daß frühere Gegner sich ihr angeschloßen haben, geht zur
Genüge unter hundert Beispielen aus einem Leitartikel
des „Ceske Slovo“ hervor, der sogar seine frühere Meinung
1 durch die in der Beilage zitierte Äußerung bereinigt, daß
er immer schon den Abwehrkampf des Bundeskanzlers
Dollfuß gegen die Hitlergefahr anerkannt habe.


Der unerhörte verlogene Anwurf, der Privatkläger „beschimpfe durch
ganze Jahre die tschechoslovakischen Staatsmänner“
wird nur durch die Komik der Mitteilung abgeschwächt,
er habe „die Gastfreundschaft dieses Staates genossen“,
eine Angabe, die den Eindruck erweckt und vielleicht
erwecken soll, daß er wie so viele Journalisten auf Kosten
des Staates dort gelebt und sich dann undankbar
erwiesen habe. In Wahrheit hat er dort wiederholt
Vorlesungen abgehalten, deren Ertrag vielfach dortigen
wohltätigen und zwar proletarischen Zwecken gewidmet
war. (In Brünn, für welche Stadt aus Gründen der
in der offenbaren Absicht der Stimmungsmacherei
der Name des Herrn Ministers Czech genannt wird,
sei hier zum Nachweis solcher charitativer
Widmungen Frau Minister Czech als Zeugin geführt.)
Was also die „antistaatliche Tätigkeit“ betrifft, so haben sich


des Privatklägers Rache zu üben, und anstatt eine Meinung zu
kritisieren und eventuell zu bekämpfen, – was ihm gewiss nicht
möglich gewesen geglückt wäre, wo da die nachfolgenden Ereignisse in der
Weltpolitik diese Meinung so sehr gerechtfertigt haben, dass
auch frühere Gegner sich ihr angeschlossen haben –, die Kritik
an dem Wirken der sozialdemokratischen Führer in Oesterreich
durch eine Verdächtigung des Privatklägers, durch den Vorwurf
der Unlauterkeit seiner Motive zu vergelten.


Die Angeklagten kommen in ihrem Schriftsatz
zu dem Schlusse, es sei eines der wichtigsten Interessen der
tschechoslowakischen Oeffentlichkeit, dass „ Menschen von der Art
des Privatklägers “, in der tschechoslowakischen Presse kritisiert
werden. Verdächtigungen und Verleumdungen sind freilich keine Kritik, und es mutet absurd grotesk
an, dass die Arbeiterzeitung, welche sich offiziell als „Organ
der österreichischen Sozialdemokratie“ bezeichnet, sich als
einen Bestandteil der tschechoslowakischen Presse aufspielt und
so tut, als ob sie tschechoslowakische Interessen zu vertreten
hätte oder je vertreten hat.


Es wird bei der Eingehung in die einzelnen
Punkte des gegnerischen Schriftsatzes ausführlich darauf hinzu
weisen sein, welche Fälschungen von der Gegenseite unternommen
wurden, um den Anschein zu erwecken, es liege bei dem Privatkläger eine Anzahl „zeitlich auffallender politischer Um
orientierungen“ vor. Aber selbst dann, wenn solche politische
Umorientierungen vorlägen, wäre es Aufgabe der Angeklagten, nicht
nur diese zu beweisen, sondern auch die Unlauterkeit der Motive
des Privatklägers, seine Absicht, sich die Zwangsanhaltung in
Wöllersdorf zu ersparen und Profit zu machen. Selbst wenn es
den Angeklagten gelänge, die politische Umorientierung des
Privatklägers zu beweisen, könnte dies nicht zu ihrer Entschuldi
gung dienen, solange sie nicht den unmoralischen Beweggrund solcher der
Umorientierungen beweisen können. Daf F ür diesen Beweggrund aber haben die Ange
klagten einen Beweis überhaupt nicht angetreten; ebensowenig
für die Behauptung, dass eine „antistaatliche Tätigkeit“ des
Privatklägers vorliege. Offenbar haben sich die intellektuellen


(Auch als talentloser Politiker wurde er seinerzeit in der
Fackel behandelt und ihm eine außerdem eine die
Verfälschung eines Angriffs in ein Lob, die er zu Reklame
zwecken nachgewiesen).


7.) der reichlich unterstützte Sproß einer wohlhabenden
Bürgerfamilie,


7a Die Erkenntnis dieser Stelle wie auch aller früher Vorkriegs
artikel der Fackel, kurz alles was Herrn Sonka
von der angeblich militaristischen Gesinnung
des Privatklägers überzeugt hat, hat ihn nicht
abgehalten, im Jahre 1910, ja im Februar 1915
seine Verehrung kundgetan.


7b diesem notwendigen – und bedauerlicherweise
ausgedehnten Schriftsatz


Führer der sozialdemokratischen Partei den Grundsatz zu eigen
gemacht „Der Staat bin ich“, und bezeichnen fassen die Kritik des
Privatklägers an ihrem unheilvollen Wirken als eine antistaat
liche Tätigkeit . auf.


Es ist aber nicht der Angriff auf gegen die
intellektuellen Führer der sozialdemokratischen Partei allein,
der den Angeklagten Sonka zu den beleidigenden seinen Ausfällen hin
riss, sondern hauptsächlich eine längst weit zurückliegende Kränkung darüber,
durch den Privatkläger seiner Talentlosigkeit als Lyriker und an
Politiker urkomischen Beispielen überfuhrt worden zu sein. Vorher hat er dem Privatkläger seine talentlosen Lyrikbände mit dem Ausdrucke der Ver
2ehrung zugesendet, den letzten im Februar 1915, also Monate nach
dem Erscheinen des Aufsatzes „In dieser grossen Zeit“ (Fackel
3Nr. 404 vom 5. Dezember 1914), dessen Besprechung über das Kritik an dem Stelle Kriegs
manifest Franz Josefs ihm schon einige Male seinerzeit – immer mit der gleichen
Verfälschung des Zitates – den willkommenen Anlass geboten hat,
sich an dem Privatkläger zu reihen, an ihm sein dürftiges Mütchen zu
kühlen
. Die genaue Darstellung des Sachverhaltes, die durch die
Notwendigkeit der Zitierung von mehr als hundert Seiten der
Fackel diesem notwendiger- und bedauerlicherweise ausgedehntenSchriftsatze eine unerträgliche Länge geben würde,
kann über Wunsch des Gerichtes durch die Verlesung dieser Stel
len gegeben geboten werden. Zu diesem Zwecke werden die Herrn Sonka (Sonnenschein)
betreffenden Fackel-Hefte vorgelegt und auf die folgenden Stel
4len verwiesen: Heft Nr. 514 bis 518 vom Ende Juli 1919, Seite 1 bis 5,
5Seite 9 bis 11, Seite 59ff.; Fackel Nr. 521 bis 530 vom Januar 1920,
6Seite 80 bis 86 ; und Fackel Nr. 531 bis 543 vom April 1920, Seite 95 bis 140.


Ist aber schon Partei- und Privatrache
eine schlechte Beglaubigung für das Kritiker publizistische Richter amt, so hat am
allerwenigsten der Angeklagte Sonka das Recht, sich hiezu
berufen zu fühlen und irgend jemande n m den Vorwurf der Profit
macherei zu machen bezichtigen , wo da er, aus der kommunistischen Partei, auf
deren Zugehörigkeit er sich mit so vielem Stolz beruft, gerade
aus einem ähnlichen solchen Grunde ausgeschlossen wurde, nämlich, weil
er trotz einem Parteiverbot für bürgerliche Blätter und gewiss nicht gratis gearbeitet e hat .
Der Angeklagte Sonka möge dem Gericht den Beschluss über seine
Ausschliessung vorlegen; der Privatkläger verlangt nichts an-


8 Die Verlogenheit geht hier schon aus dem Wor „anderswo“
hervor, das einfach erfunden ist, da der Herausgeberder Fackel seit deren Gründung – außer ein paar
Vorabdrucken in dem gewiss nicht militaristischen
Simplizissimus“ (1908) – nicht eine einzige Zeile
„anderswo“ veröffentlicht hat.


9 die immerhin turmhoch über dem literarischen
Libertinertum steht.


deres als Gegenleistung für die eigene Bereitwilligkeit, sämt
liche Schriften zur Verfügung zu stellen, als die Vorlage die
ses Dokuments, dessen Beschaffung leider nicht einmal in Ar
chiven möglich wäre.


Ehe nun auf die Besprechung der einzelnen
Punkte des Schriftsatzes der Angeklagten eingegangen wird, muss
noch bemerkt werden, dass die Entstellung der Zitate nicht etwa
auf ein Missverständnis zurückzuführen ist, sondern dass hier
eine Fälschung und Verfälschung in vollem Bewusstsein vorliegt,
weil ein Missverständnis bei der genauen Kenntnis noch so flacher der Fackel
im Kreise der sozialdemokratischen Leserschaft vollständig
auszuschliessen ist.


Zu 1.) Zum Beweise der Behauptung, der
Privatkläger habe vor dem Kriege in seiner Zeitschrift „DieFackel“ ebenso wie in seinen „anderswo“(?) veröffentlichten
literarischen Arbeiten eine ungeschminkte Verehrung des Militaris
mus, des österreichischen Adels und der Autokratie überhaupt
geäussert, berufen sich die Angeklagten auf einen Satz der FackelNr. 387/8 vom 17. November 1913, Seite 32. Nicht einmal aus dem
Zusammenhang gerissen könnte dieser aber jener Satz bei einem unbefangenen
Leser die Meinung auftauchen lassen, er enthalte eine „unge
schminkte Verehrung des Militarismus“, sondern es ist klar, dass
er eine ästhetische die Würdigung der einer Männlichkeit bedeutet. Dies
wird noch klarer, wenn der Satz in seinem Zusammenhang wieder
7gegeben wird. Die Stelle lautet:


„Die Erinnerung an Pola wiederholt das Gefühl der
Ueberraschung, in einem Staatsleben, dessen Ordnung die
Trägheit und dessen Farbe die Hässlichkeit ist, eine sonnige
Stelle zu finden. Die sittliche Kraft des Meeres würde nicht
ausreichen, unter allen Oesterreichern Manneszucht zu halten,
aber es gibt unter ihnen Menschen, die mit Recht dort unten
wohnen und nicht darüber klagen sollten, dass es ihnen die
Vorsehung erspart hat, auf diesem schwankenden Festland zu
leben. Menschen, die innen so beschaffen sein müssen wie aussen
und die anzuschauen das Gefühl dieser Einheit bestätigt und
hundertmal das Gefühl, dass der Militärhass der Demokratie die
Ueberlegenheit des Misswachses über die Männlichkeit bedeutet.
Es bedarf über eine klare und gute Sache nicht vieler Worte;
ganz einfach: Die ästhetische Entschädigung eines Tages in
Pola für ein Jahr in Wien, an und für sich nicht zu unter
schätzen, berührt den tiefer liegenden Unterschied von Menschen
wert und Fliegenplage.“


Von einer Verehrung des Militarismus als solchen kann
keine Rede sein. Der Privatkläger bekennt sich aber jedoch nach wie
vor zu dem scheinbaren Widerspruch, der ihm nur von Blödge
sinnten als solchen ausgelegt angekreidet werden könnte . : dass er mutige
Männlichkeit schätzt, den Krieg aber verabscheut.


Was nun die ungeschminkte Verehrung des
Privatklägers für den österreichischen Adel betrifft, – „knapp
vor dem Kriege“, womit offenbar gesagt werden soll, dass sie
in vollem Bewusstsein einer militaristischen Einstellung des
selben
geäussert wurde –, so tun die Angeklagten so, als ob der
Privatkläger demokratische Ehrenhaftigkeit gegenüber einer
aristokratischen Verkommenheit herabgesetzt hätte. In Wirklich
keit sind die von den Angeklagten entstellt zitierten Sätze
aus einem polemischen Artikel „Sehnsucht nach aristokratischemUmgang“ (Nr. 400–403 vom 10. Juli 1914, Seite 90–95), in dem
satirisch gegen Verleumder Stellung genommen wird, die dem
Privatkläger in anonymen Briefen und Druckschriften vorwarfen,
er sei ein „Schauspieler der Ethik“, der „mit grossem Ehrgeiz
auf aristokratischen Umgang aspiriere, und sehr stolz darauf,
dass sich in seinen Vorlesungen einige Mitglieder des ganz
reaktionären Provinzadels blicken liessen, die natürlich die
angeblich linksradikalen Angriffe auf die jüdischen Liberalen,
Bourgeoisie und ‚Neue Freie Presse‘ mit sehr rechtskonservativem
Wohlbehagen anhörten … Kraus, dieser Schauspieler der Ethik,
war ja nie wählerisch in Bezug auf sein Publikum. Zuerst war er
glücklich über den Beifall derselben Juden und Journalisten,
die er in seinen wütenden Satiren angeblich verachtete. Jetzt
ist er immerhin zum Hofnarren avanciert. Seine radikalen
literarischen Freunde, aber auch alle, die Religion und klerika
le Feudalherrschaft nicht identifizieren, werden ihm den Rücken
kehren und er wird zum literarischen Hausjuden des Grafen X.
emporsteigen“.


Diese niederträchtigen unwahren und unwahrhaftigen – später vom Schreiber selbst reuig zurückgezogenen Behauptungen,
lediglich dadurch hervorgerufen, dass der Privatkläger mit eini
gen ausgezeichneten Menschen von Adel vertrauten Umgang pflog,


die ganz im Gegenteil zu der Sorte Menschen, welche ihn hier
anpöbelten, trotz vielen Divergenzen der Anschauung ihn niemals
in seinem geistigen Schaffen zu beeinflussen suchten, mussten auf
das Entschiedenste zurückgewiesen abgetan werden. Der Privatkläger hat
niemals ein Hehl daraus gemacht, dass er den liberalen Standpunkt
in der Politik, im Wirtschaftsleben und in der Meinungsäusserung
ablehne. Was er aber mit seiner „Sehnsucht nach aristokratischemUmgang“ gemeint hat, möge aus den nunmehr vollständig wiederge
gebenen Sätzen, von denen die Angeklagten nur Teile, um eine
Meinung zu entstellen, zitieren, entnommen werden. In dem Auf
satz heisst es auf Seite 92:


„Meine radikalen literarischen Freunde, die noch ahnungs
loser waren als die feudalen Privatgesellschaften, sind endlich
aufmerksam geworden, denn sie können zwar schreiben, aber nicht
lesen und haben darum seit fünfzehn Jahren nicht gemerkt, dass
ich die Pest weniger hasse als meine radikalen literarischen
Freunde. Sie haben meine Angriffe auf die jüdischen Liberalen,
auf Bourgeoisie und Neue Freie Presse für linksradikal gehalten
und nicht geahnt, dass sie, wenn ich überhaupt etwas will und
wenn sich das, was ich will, auf eine staatsverständliche Formel
bringen lässt, im höchsten Masse rechtsradikal sind. Sie haben
geglaubt, ich sei ein Revolutionär, und haben nicht gewusst,
dass ich politisch noch nicht einmal bei der französischen
Revolution angelangt bin, geschweige denn im Zeitalter zwischen
1848 und 1914, und dass ich die Menschheit mit Entziehung
der Menschenrechte, das Bürgertum mit Entziehung des Wahlrechtes,
die Juden mit Entziehung des Telephons, die Journalisten mit
Aufhebung der Pressfreiheit und die Psychoanalytiker mit Ein
führung der Leibeigenschaft regalieren möchte. Nicht was
schwarz unter den Fingernagel geht, haben sie es geahnt, und
nun fällt es ihnen wie Schuppen von den Haaren. Sie haben
entweder die aufschlussreichsten Nummern der Fackel verpasst,
weil sie gerade in der Hand oder nur gestohlen war, oder auch
nicht gemerkt, dass der tausendste Teil meiner – angeblich –
linksradikalen Glossen, auf eine im Staat geläufige Tendenz
herabgesetzt, einen Konservatismus von einer Blutbereitschaft
propagiert, gegen den tausend Jahrgänge von tausend klerikalen
Zeitungen die Sprache einer Protestversammlung des Monisten
bundes zum Schutze reisender Kaufleute führen. Sie haben nicht
gehört, dass mir ein verhängter Himmel, dem eine Weltanschauung
erspart bleibt, immer noch besseren Trost bringt, als eine
freie Erde, die zum Himmel stinkt. Es ist ihnen entgangen, dass
ich untröstlich bin, die Machtmittel der Staaten nicht gegen
den Zerfall der Völker aufbieten zu können, und nur zufrieden
in der Gewissheit, dass dem auf den Glanz hergerichteten Mensch
heitspofel, der jetzt allerorten zu sehen ist, der grosse
Ausverkauf bevorsteht. Solche Stimmungen, Ahnungen, Hoffnungen
habe ich, wenn’s meine radikalen literarischen Freunde nicht
merkten, heimlich aus Hirn und Herz direkt ins Heft übernommen.
Das aber haben sie zum Glück verpasst, überschlagen oder
nicht verstanden, und sind jetzt fataler Weise aufmerksam ge
macht worden.“


Auf Seite 94f.:


„Was kann ich gegen diese Feststellung anderes vorbringen,
als dass sie wahr sein könnte, wenn die feudale Gesellschaft
und der aristokratische Umgang durchaus so weit wären, meiner


würdig zu sein? Das Zeug dazu – und wenn Legionen von
radikalen literarischen Freunden mit den Rücken, ja selbst
das Gesicht zukehren wollten, ich bekenne es – das Zeug dazu
hätten sie! Von Gnaden der Idee, die irgendwo hinter ihrer
Geburt lebt, und bliebe ihr schweissloses Dasein unberührt
von einer zeitlichen Gemeinheit, die auch einen Grafen zum
Verwaltungsrat macht, seinen Sohn zum Disponenten und die
das Geschmeiss der öffentlichen Meinung den Triumph des
Fortschritts bejubeln lässt, weil der Träger einer gutgebore
nen Nase endlich eine Börsenkarte gelöst hat. Ja, ich aspiriere
auf aristokratischen Umgang; aber ich, ewig unbelohnter Stre
ber, finde ihn allzu selten. Wenn irgendwo, ist hier der letzte
Funke Hoffnung auf eine Jugend, die ich den Klauen der Ent
wicklung entreissen möchte, wenn irgendwo könnte ich hier
den Versuch wagen, das Unerfüllbare in die Umgangssprache
des Lebens, der Politik, ja der Gesellschaft umzusetzen. Mir,
der weiss, dass die Empfindungen des letzten Stallpintsches
erhaben sind über der Ausdrucksfähigkeit eines kosmisch
interessierten Literaturgesindels, und der von staatswegen
einen Kommerzienrat zwingen möchte, dem letzten Stallknecht
zu dienen, mir sollte füglich nicht verübelt werden, dass ich
dort, wo ich vergebens aristokratischen Umgang suche, auf
demokratischen verzichte! Ich möchte nicht bis zu Wohltätig
keitsbazaren vordringen, wo Parvenus nach unten um die
Gunst von Handelsleuten buhlen. Dass ich trotzdem hinreichend
verdächtig bin, aristokratischen Umgang zu suchen, müsste
der demokratische längst heraushaben: ihn fliehe ich. Er
ist die Pest, die sich des Daseins freut und ihrem eigenen
Bazillus nicht auf der Spur ist. Sein Blick löst Welträtsel
und dreht mir den Magen um. Er analysiert mir den Traum, in
den mein Ekel flüchtet. Er weckt mich und ich suche einen
König, der eine Bombe hätte für diesen allzu klugen Untertan.
Ich weiss, was auf dem Spiel steht: Rette unsere Seelen!
Ich weiss und bekenne, und auf die Gefahr hin, fortan ein
Politiker zu sein oder gar ein Aesthet, als unwiderrufliches
Programm: dass die Erhaltung der Mauer eines Schlossparks,
der zwischen einer fünfhundertjährigen Pappel und einer
heute erblühten Glockenblume alle Wunder der Schöpfung aus
einer zerstörten Welt hebt, im Namen des Geistes wichtiger
ist als der Betrieb aller intellektuellen Schändlichkeit,
die Gott den Atem verlegt!“


Von einer ungeschminkten Verehrung des
österreichischen Adels kann also auch keine Rede sein, sondern
lediglich von einer Ablehnung alles dessen, was sich gegen den
Geist erhebt und ihn schändet.


Wegen des Kriegsmanifestes Franz Josefs
hat sich der Privatkläger mit dem Angeklagten Sonnenschein schon
einmal befassen müssen, als dieser ihn im „Neuen Wiener Journal
mit der gleichen Verfälschung des Zitates angriff. Obwohl ihm
die Verfälschung damals vor Augen gehalten wurde, scheut er
sich nicht, sie hier neuerlich zu machen. Auf den damaligen An
griff des Herrn Sonnenschein im „Neuen Wiener Journal“:


„Was aber gebührt einem Gesinnunskünstler, der am
5. Dezember 1914 das Kriegsmanifest Franz Josefs folgender
massen begrüsst: ‚… über jenem erhabenen Manifest, das
die tatenvolle Zeit eingeleitet, dem einzigen Gedicht, das
sie bis nun hervorgebracht hat, über dem menschlichsten
Anschlag, den die Strasse unserem Auge widerfahren lassen
konnte …‘?“


8hat der Privatkläger geantwortet (Nr. 531–543 vom April 1920,
Seite 127–129):


„Mir bleibt doch nichts erspart. Ich glaube aber fast,
man hat mich drangekriegt. Ist dieser Sonnenschein wirklich
so intellektuell, dass er den Satz für seine Zwecke benützen
zu können glaubt, oder stellt er sich nur so? Hat er unserm
Auge einen ‚Anschlag‘ widerfahren lassen, indem er so tut, als
ob dieses Wort bloss ein Plakat bedeutete? Als ob ich auf
der Suche nach einem König mit der Bombe für den intellektuel
len Untertan nun beglückt gewesen wäre, schon ein paar
Wochen später einen Kaiser zu finden, der’s der ganzen
Menschheit besorgt? Als ob ich sein Kriegsmanifest wirklich
‚begrüßt‘ hätte? Ja, denkt der Leser, der sich nicht er
innert, was ich am 5. Dezember 1914 erscheinen liess: der hat
eben im Anfang des Kriegs genau so wie alle andern mitge
heult. Er begrüsst nicht nur das erhabene Manifest, sondern
auch die tatenvolle Zeit, er nennt jenes ein Gedicht — was
doch offenbar der Superlativ des Entzückens ist, wie wenn
man dem Wiener sagt, daß eine Mehlspeise geradezu ein Ge
dicht sei —, er gewahrt einen Anschlag, das heisst ein
Plakat, voll des menschlichsten Inhalts, jedenfalls in
dem Sinne, daß wir einen heiligen Verteidigungskrieg führen
und dass unser Sieg die Menschlichkeit über die Erde ver
breiten wird, aber nicht im Sinne des Menschlichkeitspofel,
der allerorten zu sehen ist, sondern natürlich ganz anders,
denn nicht Humanität, sondern Krieg ist wahre Menschlich
keit. Kein Zweifel, der hat damals mit den andern, die
daheim sassen, berserkerhaft um sich geschlagen und ge
holfen, die Russen und die Serben in Scherben zu hauen, um
selbst davon enthoben zu werden. Man hat das nur vergessen
und ist dem Gesinnungskünstler, der sich immer darauf be
ruft, er habe vom Ultimatum an — sehr im Widerspruch zu
seinen früheren Ansichten — gegen den Krieg gesprochen,
glatt aufgesessen. Es ist Sonkas Verdienst, der Welt, an
der er verkommen musste, während sie jenen zu Ehren ge
langen liess, die Augen geöffnet zu haben. Jawohl, er
kannte den Satz, er überwand seinen Ekel vor mir, schrie
den vor Europa hinaus und sandte mir das Werk in Verehrung
zu. Und ich habe nicht sein Gedicht, sondern das des
Franz Josef gelobt! Man wird ordentlich neugierig auf den
kriegshetzerischen Aufsatz, in dem das Lob enthalten war.
In dieser großen Zeit‘ heisst er. Aber, denkt da der
Leser, der sich zu erinnern beginnt, das war ja jene radikale
Absage an den Krieg und Ansage des Kriegs an ihn, jenes
den Pygmäen der großen und den Parasiten der ‚tatenvollen
Zeit‘ gestellte Ultimatum, das durch seinen Freimut die
Kriegszensur so verblüfft hat, dass sie es erscheinen liess?
Wie reimt sich dies Faktum mit jenem Diktum? Wie entsteht
da ein Gedicht? Wie kommt die Stelle in den Aufsatz? Etwas
anders als ins Neue Wiener Journal; nämlich so: ‚Ueber
jenem erhabenen Manifest, jenem Gedicht, das die
tatenvolle Zeit eingeleitet, dem einzigen Gedicht,
das sie bis nun hervorgebracht hat, über dem menschlichsten
Anschlag, den die Strasse unserm Auge widerfahren lassen
konnte, hängt der Kopf eines Varietékomikers, überlebens
gross‘. Sogar zweimal wird — in der Kritik der Würdelosig
keit Wiens — gesagt, dass es ein Gedicht ist? Eben. Hat nun
Sonka, dem ich eine so feine Abschätzungsfähigkeit für Stil
wirkungen gar nicht zugetraut hätte, nicht vielleicht be
wirkt, dass das Lob des ‚einzigen Gedichts‘ zum Lob des Inhalts und die Weglassung des ‚Gedichts‘ zum Lob der
tatenvollen Zeit wurde? Dass das ‚erhabene Manifest‘, welches
nur ein Terminus, eine Bezeichnung der Sphäre, und die
‚tatenvolle Zeit‘, die eine hohnvolle Anwendung war,
positiven Inhalt bekamen? Ich meinte das ‚kaiserliche‘


10 Aufsehen erregende


Manifest, ein schlichter Reporter hätte es so gesagt; ich
sagte, was die feierlichen Reporter sagen. Deutlicher konnte
ich damals leider nicht aussprechen, dass ich es nicht für
erhaben hielt. Nur als Gedicht erhaben, doch als Tat ein
‚Anschlag‘. Aber für jene, die mich zu lesen gelernt haben,
war’s deutlich.“


Es ist nun notwendig, einige der markantesten
Stellen aus dem Aufsatzes zu zitieren, in dem das Manifest Franz Josefs als
Gedicht, natürlich um einer Zeile starken dichterischen Zeile willen – gelobt, als Anschlag – den die Straße dem Auge „widerfahren“ ließ – verurteilt wurde, zu zitieren, : um
dem Gericht darzutun, dass hier wirklich eine radikale unerbittliche, damals 10 Absage
an den Krieg und Ansage des Krieges an ihn vorliegt. Damit die
eigenartige Gesinnung eines Angeklagten, der sich das Recht
herausnimmt, eine andere Gesinnung zu kritisieren, im klarsten grellsten
Lichte dastehe. Es heisst dort in Nr. 404 der Fackel vom 5. DezemBeilage 4ber 1914 auf Seite 1 und 2:


„In dieser grossen Zeit
die ich noch gekannt habe, wie sie so klein war; die wieder
klein werden wird, wenn ihr dazu noch Zeit bleibt; und die
wir, weil im Bereich organischen Wachstums derlei Verwandlung
nicht möglich ist, lieber als eine dicke Zeit und wahrlich
auch schwere Zeit ansprechen wollen; in dieser Zeit, in der
eben das geschieht, was man sich nicht vorstellen konnte, und
in der geschehen muss, was man sich nicht mehr
vorstellen kann, und könnte man es, es geschähe
nicht —; in dieser ernsten Zeit, die sich zu Tode gelacht
hat vor der Möglichkeit, dass sie ernst werden könnte; von
ihrer Tragik überrascht, nach Zerstreuung langt, und sich
selbst auf frischer Tat ertappend, nach Worten sucht; in
dieser lauten Zeit, die da dröhnt von der schauerlichen
Symphonie der Taten, die Berichte hervorbringen, und der Be
richte, welche Taten verschulden: in dieser da mögen Sie von
mir kein eigenes Wort erwarten. Keines ausser diesem, das
eben noch Schweigen vor Missdeutung bewahrt. Zu tief sitzt
mir die Ehrfucht vor der Unabänderlichkeit, Subordination
der Sprache vor dem Unglück. In den Reichen der Phantasie
armut, wo der Mensch an seelischer Hungersnot stirbt, ohne
den seelischen Hunger zu spüren, wo Federn in Blut tauchen
und Schwerter in Tinte, muss das, was nicht gedacht wird,
getan werden, aber ist das, was nur gedacht wird, unaussprech
lich. Erwarten Sie von mir kein eigenes Wort. Weder vermöchte
ich ein neues zu sagen; denn im Zimmer, wo einer schreibt, ist
der Lärm so gross, und ob er von Tieren kommt, von Kindern
oder nur von Mörsern, man soll es jetzt nicht entscheiden.
Wer Taten zuspricht, schändet Wort und Tat und ist zweimal
verächtlich. Der Beruf dazu ist nicht ausgestorben. Die jetzt
nichts zu sagen haben, weil die Tat das Wort hat, sprechen
weiter. Wer etwas zu sagen hat, trete vor und schweige!“


Auf Seite 10 und 11:


„Man könnte aber einmal dahinter kommen, welch kleine
Angelegenheit so ein Weltkrieg war neben der geistigen
Selbstverstümmelung der Menschheit durch ihre Presse, und
wie er im Grund nur eine ihrer Ausstrahlungen bedeutet hat.
Vor einigen Jahrzehnten mochte ein Bismarck, auch ein Ueber
schätzer der Presse, noch erkennen: ‚Das, was das Schwert
uns Deutschen gewonnen hat, wird durch die Presse wieder
verdorben‘, und ihr die Schuld an drei Kriegen beimessen.
Heute sind die Zusammenhänge zwischen Katastrophen und
Redaktionen viel tiefere und darum weniger klare.“


Auf Seite 11 und 12:


„Die Wahrheit ist, dass die Zeitung keine Inhaltsan
gabe ist, sondern ein Inhalt, mehr als das, ein Erreger.
Bringt sie Lügen über Greuel, so werden Greuel daraus.
Mehr Unrecht in der Welt, weil es eine Presse gibt, die es
erlogen hat und die es beklagt! Nicht Nationen schlagen
einander: sondern die internationale Schande, der Beruf,
der nicht trotz seiner Unverantwortlichkeit, sondern ver
möge seiner Unverantwortlichkeit die Welt regiert, teilt
Wunden aus, quält Gefangene, hetzt Ausländer, macht Gentlemen
zu Rowdys.“


Auf Seite 16:


„Und wenn sich die Welt zerfleischt, es kommt kein
Geist heraus! Er wird später nicht erscheinen; denn er
hätte sich jetzt verbergen, durch verschwiegene Würde
sich äussern müssen. Aber wir sehen rings im kulturellen
Umkreis nichts als das Schauspiel, wie der Intellekt auf
das Schlagwort einschnappt, wenn die Persönlichheit nicht
die Kraft hat, schweigend in sich selbst zu beruhen. Die
freiwillige Kriegsdienstleistung der Dichter ist ihr Ein
tritt in den Journalismus. Hier steht ein Hauptmann, stehen
die Herren Dehmel und Hofmannsthal, mit Anspruch auf eine
Dekoration in der vordersten Front und hinter ihnen kämpft
der losgelassene Dilettantismus. Noch nie vorher hat es
einen so stürmischen Anschluss an die Banalität gegeben und
die Aufopferung der führenden Geister ist so rapid, dass
der Verdacht entsteht, sie hätten kein Selbst aufzuopfern
gehabt, sondern handelten vielmehr aus der heroischen
Überlegung, sich dorthin zu retten, wo es jetzt am sichersten
ist: in die Phrase.“


Aus diesen „paar Proben aus dem literari
schen Werk des Privatklägers“ geht also klar hervor, dass er
ebensowenig kurz vor dem Kriege als im Krieg ein ostentativer
Vergötterer des zum Deutschen Reich hin orientierten öster
reichischen Militarismus mit allem seinen Zubehör war, sondern
im Gegenteil geht daraus hervor, dass er den Krieg und sein
Zubehör, insbesondere sein literarisches Zubehör, von allem
Anfang an verurteilt verabscheut hat. Ueber das sonstige ziemlich bekannte Wirken des Privatklägers im Kriege schweigen sich die Angeklagten gründlich
aus. Nach den einleitenden Worten des dritten Absatzes ihres
Schriftsatzes „Nach Beendigung des Krieges fand beim Privatkläger
gleich im Jahre 1919 ein rascher Umsturz in seiner politischen
Gesinnung statt, so dass bei einem objektiven Betrachter dieser
auffälligen Aenderung der Privatkläger notwendig den Eindruck er
wecken musste, dass bei ihm der rasche Wechsel in den Grundan
schauungen hinsichtlich der Grundprinzipien des Staates nicht das


11 Welcher von den Schreibern, von denen Herr Sonka die Stirne
hat zu behaupten, daß sie durch den Privatkläger
Karl Kraus „diskreditiert“ seien, wagte es vorzutreten
und zu sprechen, daß sie einen militarischen
Inhalt hatten? Welchem von ihnen wäre die Art der Wirksamkeit
der Fackel im Kriege nicht bekannt.


Ergebnis einer geistigen Umorientierung, sondern eher die
Folge des staatlichen Umsturzes war, dessen Form und politischer
Majorität sich der Privatkläger in seinen literarischen Arbeiten
angepasst hat“, müsste man glauben, dass er während des Krieges
entweder überhaupt nichts von sich habe hören lassen, also sein
Wort „Wer etwas zu sagen hat, trete vor und schweige!“ wahrge
macht habe oder ganz entgegen seiner Haltung in den oben zitier
ten Sätzen wirklich für den Militarismus eingetreten sei. Es
verwundert einen da nur, dass die Angeklagten es sich entgehen
liessen, dieses Eintreten für den Militarismus nachzuweisen, da
mit es augenfällig werde, dass im Jahre 1919 wirklich ein
„rascher Umsturz in seiner politischen Gesinnung“ stattfand.
Denn wenn der Privatkläger wirklich vom Jahre 1914 bis zum Jahre
1919 geschwiegen und erst dann seine augenfällige Aenderung
bekundet hätte, so wären doch der vier Jahre Krieg und die lange Zeit ge
wiss hinreichend gewesen, um eine geistige Umorientierung hervor
zurufen, und es wäre gewiss dann nicht angebracht, hier von einem
„raschen Wechsel Umsturz“ in den Grunda A nschauungen des Privatklägers zu
sprechen. Weiters fällt aber auf, dass das nächste Zitat, das
die Angeklagten anführen, aus der Nummer 508–513 stammt, während
das Zitat über das Manifest Franz Josefs aus der Nummer 404
stammt, dass also zwischen diesen beiden Heften 104 Nummern
der Fackel liegen, über die die Angeklagten einfach kurzentschloßen hinweg
gehen. 11 Diese 104 Nummern mit 1988 Seiten sind ein einziger
grosser Angriff gegen den Krieg und die Kriegführenden, ein
Angriff gegen das damalige Oesterreich-Ungarn und Deutschland, ein
Angriff gegen alle Nutzniesser des Krieges und eine einzige Wehklagen über
die dessen Opfer desselben. Der vernichtende Ausgang für die krieg
führenden Mittelmächte wurde vorausgesehen und vorausgesagt.


Die Haltung des Privatklägers im Kriege
wurde auch von der sozialdemokratischen Partei trotz aller
Divergenz in den Anschauungen über Politik stets in hundert Huldigungen anerkannt,
ja die Einstellung gegenüber dem Kriege war geradezu das ein
zige geistige Bindeglied der Partei an den mit dem Privatkläger.


12 und eine beispiellose Fälschung durch deren Verschweigung
oder gar Verkehrung ins Gegenteil.


13 Es wird ferner auf die in dem gleichen Heft abgedruckten
Kritiken über das Wer Kriegsbuch „Die letzten Tage derMenschheit“ hingewiesen: von Prof. Otakar Fischer,
Česke Slovo, Seite 88ff.; Přitomnost, Seite 93ff.,
und auf die verschiedenen dort abgedruckten
Geburtstagsartikel: Wien Arbeiter-Zeitung, Seite
105ff.; Prager Tagblatt, Seite 109ff.


So schrieb aus Anlass der Vollendung des 20. Jahrganges der
sozialdemokratische Präsident der deutsch-österreichischen
Nationalversammlung, Herr Seitz, am 1. Mai 1919 an den PrivatBeilage 5kläger (abgedruckt auf Seite 21 der Nr. 514–518, Ende Juli 1919):


„Die Vollendung des zwanzigsten Jahres, seitdem die
Fackel zu erscheinen begonnen hat, gibt mir den erwünschten
Anlass, Ihnen für das grosse Werk, das Sie in diesen zwei
Jahrzehnten zur Reinigung, Versittlichung und Vergeistigung
des öffentlichen Lebens geleistet haben, meinen aufrichtig
sten Dank zu sagen. Insbesondere wird Ihr tapferer, mutiger,
beharrlicher Kampf gegen den Krieg und gegen alles Gemeine
und Herabwürdigende, das von ihm ausging, unvergesslich
bleiben. Hier fand die sittliche Empörung gegen die Kriegs
barbarei ihren leidenschaftlichsten Ausdruck und die Gewalt
der Empfindung vermählte sich mit der Gewalt der Form, so
den Geist zur Tat gestaltend.“


Die gleiche Einstellung fand ihren Ausdruck in einem Glück
wunschschreiben des Herrn Seitz als Bürgermeisters der Stadt
Wien Seitz vom 28. April 1924 (abgedruckt auf Seite 149 der Nr. 649–656,
11Anfang Juni 1924):


„Wir haben Ihnen für Ihren mit sittlichster Leidenschaft
geführten Krieg gegen den Krieg zu danken, dessen Unmensch
lichkeit Sie in Ihrer unsterblichen Tragödie so geschildert
haben, dass die Menschheit es nie vergessen kann. Wir haben
Ihnen aber auch für den moralischen Mut zu danken, dass Sie
den steten und beharrlichen Kampf gegen alle, die das
öffentliche Leben verfälschen, die den Lügengeist der Zeit
bestimmen, und die einstmals die Herrschenden und Mächtigen
im Staate waren, auf sich genommen und unbekümmert um äusser
lichen Erfolg, allen Verkleinerern und Widersachern zum
Trotz, mit nie versagender Energie geführt haben.“


13


Es ist natürlich unmöglich die 1988 Seiten
der 104 Fackel-Nummern, die während des Krieges erschienen sind,
dem Gerichte vorzulegen oder gar deren Verlesung zu beantragen.
Aber schon aus den wenigen Proben, die vorgelegt werden müssen,
um die Einstellung des Privatklägers zum Deutschen Reich und
zum österreichischen Militarismus darzutun, wird klar hervorge
hen, dass hier tatsächlich ein beispielloser Kampf gegen den
Krieg und die Kriegsbarbarei vorliegt 12. Es werden diesem Schrift
satz angeschlossen:


12die Nummern 413–417 mit dem Aufsatz „Schweigen, Wort undTat“ auf den Seiten 25 und 28;


13die Nummern 418–422 mit der Glosse „Ein Irrsinniger aufdem Einspännergaul“ auf den Seiten 15 und 16;


14die Nummern 423–425 mit dem Gedicht „Gebet an die Sonnevon Gibeon“ auf den Seiten 58 bis 64;


14 In Frankfurt wurde vom alldeutschen Blatt die ein Artikel geradezu auf
sofortige Ausweisung des Frevlers am deutsch
militaristischen Ideal verlangt. hingeschrieben.


15die Nummern 474–483 mit der Glosse „Ein Kantianer undKant“ auf den Seiten 155 und 156 und


16die Nummern 499–500 mit dem Gedicht „Lied des Alldeutschen
auf den Seiten 6 bis 12.


Hervorgehoben muss werden, dass die Glosse „Ein Kantianer undKantund , das Gedicht „Lied des Alldeutschen“, ja eine direkte Wilhelmsatire während des Krie
ges (1914) wiederholt in Wien, und ja zum Teil in deutschen Städten (Berlin, Frankfurt) zum Vortrag ge
bracht wurden. 14 Dass dies im Kriege möglich war, ist gewiss er
staunlicher, als dass der Privatkläger einen Pass erhielt, „mit
dessen Hilfe er eine beträchtliche Zeit in der Schweiz verbrachte
und noch im Kriege wieder ohne irgend welche Hindernisse in die
österreichisch-ungarische Monarchie zurückkehrte“. Offenbar
stellen sich die Angeklagten die Tätigkeit des Privatklägers
während des Krieges so vor, dass er Spionage betreiben hätte
sollen oder dergleichen, was ihm allerdings die Erlangung eines
Passes und die Rückreise unmöglich gemacht hätte. Aber selbst
die österreichisch-ungarische Monarchie hatte im Kriege noch
so viel Verständnis für die Tätigkeit des Privatklägers, dass
sie ihn zwar als Gegner, aber nicht als einen Verbrecher anzu
sehen hatte, und offenbar noch so viel Kultur, dass auch der
schärfste Vorhalt der eigenen Handlungen möglich war, was eben
bei einer sozialdemokratischen Regierung nicht möglich gewesen
wäre . , wenn deren geistige Handlanger sich zu einer so bodenlosen Umlügung vorhandener Sachverhalte hergeben.


Aber nicht nur in Wort und Schrift und
öffentlicht ist der Privatkläger gegen den Krieg aufgetreten.
Er kann sich des wohl auf den einzig dastehenden Fall es rühmen, bereits hinweisen, die
in den ersten Kriegswochen durch seinen Verlag gezeichnete Kriegsanleihe widerrufen zu haben, weil in ihm
die Erkenntnis wach geworden wurde, dass die Unterstützung
der Kriegführung am Kriege mitschuldig mache. Es wird das
Schreiben der Wechselstube der Unionbank vom 18. November 1914
17mit der Subskriptionsanmeldung auf 10.000.–– Kronen Kriegsan
18leihe und das Schreiben vom 30. November 1914 mit der Mitteilung
auf Streichung dieser Vormerkung vorgelegt. Es ist also wohl eine
besondere Unverfrorenheit der Angeklagten, zu behaupten, der
Privatkläger sei kurz vor dem Krieg ebenso wie ihm Krieg ein
ostentativer Vergötterer des zum Deutschen Reich hin orientier-


ten österreichischen Militarismus mit all seinem Zubehör gewe
sen. Noch frecher aber ist der Satz, es habe nach Beendigung
des Krieges bei ihm „gleich im Jahre 1919 ein rascher Umsturz
in seiner politischen Gesinnung“ stattgefunden, und die Behauptung
einer Aenderung gegenüber der Sozialdemokratie. Die Haltung der
sozialdemokratischen Partei konnte und wurde schon während des
Krieges lobend anerkannt, da sie sich (die österreichische) nach anfän Mißgriffen bei Kriegsbeginn als einzige gegen die
Greuelurteile de s r Auditoriates aufgelehnt hatte. Den Ausdruck
der gleichen Anerkennung bildet der von den Angeklagten wieder
nur verstümmelt zitierte Aufruf aus der Nummer 508 bis 513 vomFebruar 1919. Aus diesem Aufruf geht klar hervor, dass es sich
nicht um Weltanschauungsfragen des Privatklägers handelt, dass
er sich nicht Doktrin und Praxis der Sozialdemokratie zu Eigen
gemacht hat, sondern dass das Eintreten für die se (österreichische) Partei nur
die Anerkennung ihres – nach anfänglichen Irrungen – pazifistischen Wirkens während des Welt
19krieges war. Es heisst in diesem Aufruf (Nr. 508–513, Seite 31):


„Nicht was einer sonst fürs Dasein will, nur dass er
nicht mehr eine Befehlsgewalt zum Tode will, soll er diesmal
bekunden. Denn seine Stimme sei nicht mehr und nicht weniger
als das Bekenntnis, daß er einer provisorischen Sicherheit
seiner Geldtasche zuliebe die Blutschuld übernimmt, oder sie,
für Vergangenheit und Zukunft, abweist. Jener wird christlich
sozial, dieser sozialdemokratisch wählen. Jener wird sein
Scherflein zu dem Eindruck beitragen, daß ein ‚unschuldiges
Volk‘ die Tat seiner abgehausten Regenten nachträglich gut
heisse und ihrem fortzeugenden Fluch nicht entgegenzutreten
gesinnt und gesonnen sei. Der andere wird sich, mögen ihn
alle Interessen oder Ideale einer Friedenswelt von der
Sozialdemokratie scheiden, und auch der Antipolitiker, für
den der Gedanke erst jenseits der Gemeinschaft anfängt, zu
einer Partei bekennen, welche nicht größere Kriegsschuld
belastet als eine Menschheit, deren Seelenkraft keinen
hinreichenden Schutz, keinen mehr, keinen noch, gegen
Mitrailleusen gewährt hat; welcher aber das Verdienst zuzu
sprechen ist, die große Zeit der Entehrung sehend durch
lebt und dem vaterländischen Zwang ihre Gesinnung verweigert
zu haben.“


20Auch das Zitat aus der Nr. 514–518, Seite 86
vom Juli 1919, muss vollständig gebracht werden, damit der von
den Angeklagten vorgetäuschte Anschein, als ob der Privatkläger
lediglich Militär und Politik er – und nicht vor allem die Presse als Lehrerin Lehrmeisterin der Phrase – für den Krieg verantwortlich ge
macht hätte, richtiggestellt werde:


15 – vor dem sich die sozialdemokratische Partei
später sich in aller den Kotau machte –


16 – von der Sozialdemokratie gestützten –


17 ein Versprechen, das gebrochen wurde, während gegen
Arbeiter, die gegen ein
dieselbe Polizeig derselbe
Polizeipräsident gegen für Arbeiter, die gegen ein
Justizunrecht demonstrierten, noch nach
Unterdrückung des Aufstandes


18 Ist es wirklich möglich, einen Gesinnungswechsel
(und noch dazu aus Gewinnsucht), einen jener „Widersprüche“,
die doch das tausendmal wiederkehrende Leitmotiv der
Fackel bilden, daraus zu konstruieren, daß er nie
gegen Schober, dem ein sozialdemokratischer Funktionär
die Wagentür öffnete, und für Dollfuß war, der im
übermenschlichen Kampf gegen Hitler gefallen ist?
Der Ein Autor wie Carel Capek, der eben die Dinge nicht mit politischem Flachsinn betrachtet, hat zu diesem Thema
dem Privatkläger wörtlich gesagt: „Man wird Ihnen wieder einmal
einen Widerspruch vorwerfen; aber der Wider
spruch ist in denen, die Ihnen diesen Vorwurf
machen.“


„Der Mangel an Vorstellungskraft hat den Krieg er
möglicht; ein Rest von ihr ist nötig, um seine Ursache zu
erkennen. In diesem Circulus vitiosus geborgen, brandschatzt
der Journalismus weiter alle Besitztümer der wehrlosen
Menschheit. Nichts anderes ist ihr zu wünschen, nichts mit
inbrünstigerer Sehnsucht, nichts unter freudigerem Verzicht
auf die mutigste Anonymität, als dass die Republik, die
Blutsverwandtschaft erkennend, mit den hinterbliebenen
Parasiten der Kaiserzeit wie mit den Mitessern der Revolution
ein Ende mache; dass endlich Männerstolz vor Herausgeber
thronen einem Gewerbe, welches unter dem ruchlosen Vorwand
der Pressfreiheit das Volk in den Tod lügt, einer Industrie,
der nichts übrig blieb als den Geist Müssiggang zu nennen,
die Maschinen zerbreche.“


Es ist nun durchaus richtig, dass der Privatkläger ähnliche Ansichten immer ausgesprochen hat, aber gerade
die von den Angeklagten zitierten Stellen aus den Fackel-NummernBeilagen 19 und 20766 bis 770 vom Oktober 1927 und 771 bis 776 vom Dezember 1927
können ganz und gar nicht für die Sozialdemokratie gewertet
22werden. Diese beiden Nummern Hefte sind ein Angriff gegen den damali
gen
Polizeipräsidenten Schober 15 und behandeln dessen Zusage Versprechen
gegen den Herausgeber der „Stunde“, den 16 Erpresser Bekessy, zu
wirken, 17 eine Zusage, die aber nicht eingehalten wurde, während gegen auf
ständische Arbeiter
mit allen Mitteln der Kriegsg G ewalt vor ge
gangen wurde
ging . Sie Diese Hefte behandeln die Unerträglichkeit einer Inkongruenz,
dass ein Polizeipräsident vor dem Revolver eines Erpresserjournalisten zurückwich, aber gegen aufständische Arbeiter
Maschinengewehre bereit hatte. Diese Nummern Sie beweisen zwar,
dass der Privatkläger das Unrecht bekämpfte auch dann, wenn
es von der staatlichen Macht ausging, aber sie können niemals
beweisen, dass sie für eine Sozialdemokratie geschrieben waren,
die damals schon längst in die Reihe der hinterbliebenen Para
siten einbezogen worden war, als ihre Führer ihr Amt parasitär
ausübten. Dies begann schon viel früher, zu einer Zeit, als
die Partei noch lange an der Macht war, die sie nie zu ge
brauchen gelernt hatte, wohl aber missbrauchte. 18 Es ist unmög
lich alle die Stellen aus den vielen Jahrgängen der Fackel
herauszusuchen, die sich mit dem unheilvollen Wirken der
sozialdemokratischen Führer beschäftigten. Aufs Geratewohl
seien die Folgenden herausgegriffen: aus der Nr. 732–734,Beilage 21Mitte August 1926, Seite 45f.


„Die Frage: wo denn die sozialdemokratische Partei
geblieben ist, ob sie denn auch terrorisiert war, wie
es denn möglich war, dass die Freiheit so schmachvollen
Zwang ertrug, und warum sie sich vor dem, der sie befreien
wollte, auf die andern Sorgen zurückzog — solche Frage ist
so wenig zu fürchten wie nun Herr Bekessy, und sie würde
wohl unbeantwortet bleiben.“


24Aus der Nr. 743–750, Dezember 1926, Seite 4:


„Weg damit!
Die ihr errungnes Gut geschändet habt,
bezwungnes Böses nicht beendet habt,
der Freiheit Glück in Fluch gewendet habt;
Hinaufgelangte, die den Wanst gefüllt,
vor fremdem Hunger eigne Gier gestillt,
vom Futtertrog zu weichen nicht gewillt;
Pfründner des Fortschritts, die das Herz verliess,
da Weltwind in die schlaffen Segel blies,
vom Bürgergift berauschte Parvenüs,
die mit dem Todfeind, mit dem Lebensfeind
Profit der Freiheit brüderlich vereint,
die freier einst und reiner war gemeint —
mein Schritt ist nicht dies schleichende Zickzack,
mein Stich ist nicht dies zögernde Tricktrack:
er gilt politischem Paktiererpack!“


25Aus der Nr. 757–758, April 1927, Seite 19:


„Ungleichheit beschlossen
hat die Vorsehung wohl.
Nicht alle Genossen
hab’n a Schloss in Tirol.“


26Aus der Nr. 795–799, Anfang Dezember 1928,
Seite 21:


„Nicht zum zehnten Gedenktag dieser Republik, die darin
begründet ist, daß sie alle Übel der Monarchie mit Aus
nahme eines Kaisers hat, spreche ich, sondern zum zehn
jährigen Tag meines Aufrufes ‚An alle, die die Wahl haben‘,
durch den ich viele von Ihnen der Partei zugeführt habe,
mit vielen Gründen und trotz ‚allen Interessen oder Idealen
einer Friedenswelt, die mich von ihr geschieden haben‘.
Sie hat in diesen zehn Jahren nur zu sehr davon gelebt,
dass keine andere Wahl blieb, und auch Sie müssen, wiewohl
Sie Sozialisten sind, der sozialdemokratischen Partei an
gehören.“


Aber um durch die Fülle des zu Bietenden
den Eindruck nicht zu schwächen, möge zum Abschluss nur noch
der Schlussabsatz aus dem in der Nr. 876–884, Mitte OktoberBeilage 251932, erschienenen großen Aufsatz „Hüben und Drüben“ zitiert werden,
besonders weil er schon die Schuldfrage der Sozialdemokratie
an dem Emporkommen des Nationalsozialismus berührt. Dort
heisst es auf Seite 29ff.:


„Die Haltung im Krieg gegen den Krieg — seither, und
insbesondere seit jenem Hingang, hundertmal wettgemacht
durch Feigheit vor dem innern Feind, durch eine Haltung


im Frieden, deren jeder Atemzug Kriegslüge ist —; das
damals weithin sichtbare Verdienst war das Zeichen, in dem
ich, in den Tagen trügerischer Hoffnung, hunderte junger
Herzen einer Partei zugeführt habe, der ich nicht angehörte,
die ich im Verhängnis politischer Übel für das kleinere
nahm und die heute nichts ist als die zur Not und durch
Not erhaltene Organisation einer Alterserscheinung. Solches
hat damals mein Wort vermocht. Sollte es heute nicht mehr
vermögen, jene der Sache, zu der sie als der Sache von
damals stehen wollen, abzuwenden; sollte der Glaube an mich
schwächer sein als der Glaube, den er geweckt hat, so würde
es mir nicht über mich zu denken geben. Denn meiner Ohnmacht,
auch vor dem wenigen, das ich vermocht habe, bin ich mir
bewusst; ihr stolzes Gefühl ist in mein Wirken einbezogen,
dem keine Wirkung zugehört. Diejenige, auf die ich stets
am schnellsten verzichtet habe, ist die Verehrung solcher,
deren Zwiespalt in ihr sich offenbart. Dagegen darf ich
sagen, dass die Aussicht, von der Sozialdemokratie nicht
mehr verehrt zu werden, etwas ist, was meinen Lebensabend
verschönert, während der ihre vergällt wird durch den Zwang,
noch hin und wieder von meinem Dasein Notiz zu nehmen, und
durch den Krampf des Bestrebens, sich von der Bürgerwelt,
die mich totschweigt, in meinen Augen vorteilhaft zu unter
scheiden. Da ich den Unterschied gleichwohl nicht bemerke
und zufrieden bin, in der sozialdemokratischen Presse unge
nannt fortzuleben, so wäre vollends alles in Ordnung, wenn
ich ihr auch noch diese Sorge abnehmen könnte. Nichts
freilich, was immer die Sozialdemokratie mit mir vor hat,
könnte sie, solange mir die Greuel des gesellschaftlichen
Daseins noch Anreiz gewähren, davor schützen, von mir beach
tet zu werden! Nichts mich verhindern, gegen sie wie gegen
eine lästige Regierung, die kein Misslingen vom Ruder bringt,
zu Hass und Verachtung aufzureizen — ob sie nun als Partei,
als Gesamtheit, mit Sack und Pack, den Schutz der bürger
lichen Justiz gegen Kränkung anrufen könnte oder stumm
leiden müsste, wie sie stumm gelitten hat vor jenem, der
die Macht hatte, von ihren Übeln zu schweigen. Was aber
die betrifft, über die sie selbst Macht hat, diejenigen,
denen ich zum Anschluss an sie verholfen habe, so gehöre
ich keineswegs zu der Sorte, die, stolz auf eine Dummheit,
sie zum zweiten Male machen würde, und halte für eine
solche auch die Bejahung des Hoffens, gegen die Uebel einer
Partei, die aus nichts anderm mehr besteht als Uebeln,
innerhalb ihrer wirken zu können. Trage ich Schuld noch an
solcher Betörung Gläubiger, so bin ich ihrer ledig, wenn
ich ihnen gesagt habe, daß der Glaube nur durch die
Abkehr von einer Kirche zu retten ist, die die Priester
entweiht haben. Wie sich die Treue zu diesen fortan mit
der zu mir verbinden könnte, wäre ein Problem, das mir
so lange Unbehagen schafft, als nicht da oder dort die
Lösung erfolgt. Nie würde es mir in den Sinn kommen, den
reinlichen Austritt aus meiner schwachen Organisation, die
nichts zu bieten hat als etwas geistige Nahrung und keine
soziale oder gar nationale Hoffnung, mit dem Wunsch zu be
lohnen, die, die ihn vollziehen, möge der Teufel holen — einer
von denen, deren die Welt nun voll ist und an deren Er
schaffung der Sozialdemokratie das Hauptverdienst gebührt.
Drüben und hüben!“


Nach diesen durch acht Jahre hindurch fort
gesetzten Angriffen gegen die Führer einer Partei, die ihre
Macht missbraucht hatten, konnte es gewiss niemanden wunder
nehmen, dass der Privatkläger gegen sie nach dem Februarauf
stand 1934 noch schärfer Stellung nahm, als sie, anstatt sich


19 Er hat ihnen tiefstes Mit leid gefühl und alle gebührende
Ehrfurcht erwiesen.


19a Wegen einer Verdächtigung


einen ehrenvollen Abgang zu sichern, sich an die Macht
klammerten, als sie das Leben der Arbeiter aufs Spiel setzten
in einer Zeit, wo sie nicht nur wussten, dass ihr Aufstand nie
gelingen könnte, sondern sich sogar voll bewusst sein mussten,
dass er, er gelinge oder misslinge, die Macht des National
sozialismus stärken müsste, den der Privatkläger als den
grössten Feind nicht nur Oesterreichs und der Tschechoslowakei,
sondern der gesamten Kulturmenschheit betrachtet. Welche Be
schimpfungen und Beleidigungen sind stark genug, gegen eine
Führerschaft, die, um sich an der Macht zu erhalten, das
Reime Dollfuss, welches sich in mutigster Weise gegen den
Nationalsozialismus gestellt hatte, zu einem Bürgerkrieg zwang,
der die unheilvollsten Folgen für ganz Europa hätte haben
können. Aber die Beschimpfungen und Beleidigungen der
Sozialdemokratie, zu denen sich der Privatkläger vollauf be
kennt, galten lediglich deren Führern. Es ist eine bewusste
Lüge der Angeklagten, dass der Privatkläger etwas gegen die
Opfer des Februaraufstandes geschrieben hat. 19 Die Angeklagten
mögen verhalten werden, nur diesen einzigen Punkt ihrer Be
hauptungen zu beweisen, und der Privatkläger wird erklären,
dass sie ihn mit Recht beleidigt haben.


In Fortsetzung des Vorwurfes, der Privatkläger schreibe „gegen die Opfer des Februaraufstandes“, be
haupten die Angeklagten, er gehe in der Mai-Nummer aus demJahre 1934 „schliesslich so weit, dass er in ihr den
Propagandaminister Oberst Walter Adam feiert“. 19a Jeder unbe
fangene Leser des Schriftsatzes der Angeklagten und gewiss
auch das Gericht wird der Meinung sein, der „Propagandaminister
Oberst Walter Adam“ werde wegen seiner Bekämpfung der Opfer
des Februaraufstandes gefeiert, und es wird mit lächelnder einiger
28 Verwunderung Überraschung aufgenommen werden (Nr. 909–911, S. 60), dass das gespendete Lob
seine m r S s tilistischen Ausdruckskraft galt und seinem Angriff auf eben jene intellektuel-


20 nicht nur für Österreich und die Tschechoslovakei,


20a Wegen der Verdächtigung, daß jenes stilkritische
Lob spekulativen Zwecken diene, wurde bereits
ein Gesinnungsgenosse der Arbeiterzeitung, „DerGegenangriff“ zur Verantwortung gezogen, und
mußte (wie in einschlägigen Fällen etliche andere
Blätter dieser Art) eine vom Gericht textierte Abbitte
Ehrenerklärung abgeben, leisten, die vorgelegt werden
wird.


20b Für die unheilvolle Behinderung des Kampfes
gegen Hitler wurden die Führer der Sozialdemo
kratie, – selbstverständlich nicht die Arbeiter
schaft, die vom unzeitgemäßen Streite
nichts wissen wollte –


len Führer des Februaraufstandes, die aus einer ihnen aus
drücklich gegönnten leiblichen Sicherheit heraus die österreichischen
Arbeiter gegen die Regierung weiter aufhetzen, die den vielleicht
bedauerlicher tragischer weise erfolglosen Versuch gemacht haben, unternommen hat, sich
gegen die Hitler deutschland gewalt zu stellen, in welchem Versuche sie
von den Führern der Sozialdemokratie nicht nur nicht unter
stützt sondern stets furchtbar gehindert wurden. 20a


Daf F ür 20b wurden sie auch schon in der FackelBeilage 27Nr. 890–905 vom Ende Juli 1934 tatsächlich auf das Schärfste angegriffen.
Ob sie sich dadurch beschimpft fühlten und sogar „auf das
Niedrigste beschimpft “, darüber wird sich ist der Privatkläger
mit den Angeklagten nicht in eine Auseinandersetzung einlassen. Rechenschaft schuldig.
Zurückgewiesen werden muss aber Zur Debatte steht höchstens die Behauptung von den Be
schimpfungen der „Demokratie“. Die Sozialdemokratie verkörpert
diese nicht und wenn schon eine Demokratie eine mögliche
Regierungsform wäre, woran der Privatkläger seit jeher ge
zweifelt hat, so war die Sozialdemokratie der schlechteste
Ausdruck dieser Form, weil er einen Widerspruch in sich selbst
enthält, da die Utopie eines sozialen Staates am allerwenig
sten durch die demokratische Regierungsform erreicht werden
kann, deren Träger wieder nur Politiker sind, was eine
Vervielfältigung der Macht und des Machtbedürfnisses zum
Schaden der Allgemeinheit bedeutet. Aber auch darauf will
sich der Privatkläger nicht einlassen, seine Meinung zu begrün
den oder die gegnerische Meinung zu bekämpfen. Der Angriff
galt nicht einer Meinung sondern einer Tat, der Tat des
Februar 1934, der Behinderung der österreichischen Regierung
in der Abwehr gegen Hitler deutschland, deren Misslingen Versagen
von den unheilvollsten Konsequenzen für ganz Europa 20 ge
wesen wäre und wäre. Den Beschimpften, – seien sie persönlich be
zeichnet oder in einem Begriff einbezogen worden –, stand
übrigens das Recht zu, von dem Privatkläger im Gerichtssaal
Genugtuung zu verlangen. Keiner von ihnen hat dies getan.


21 der, läge sie nicht blos für Flachköpfe den Flachsinn vor, erst das
unsaubere Motive nachgewiesen werden müßte,


Es geht aber keineswegs an, dass die Angegriffenen, Dagegen hoffen sie, es werde gelingen, um sich
vor ihrer Leser- oder Anhängerschaft den Schein einer Rehabi
litation zu geben, den Privatkläger der Profitmacherei und
der Gesinnungslumperei zu beschuldigen , . ohne es zu beweisen.
Die Angeklagten versuchen aber nicht einmal einen derartigen Be
weis anzutreten, sondern sie beschränken sich darauf, eine
Ueberzeugungsänderung zu behaupten, 21 die ganz und gar nicht
vorliegt
.


Die Angeklagten stellen ein Axiom
auf, wann nach ihren Begriffen eine politische Ueberzeugung
geändert werden darf. Sie meinen, diese Aenderung sei „vom
sittlichen Standpunkt nur jenenfalls einwandfrei, wenn sie
das Ergebnis einer geistigen Umorientierung ist, die auf
einem Wechsel des Standpunktes beruht, von welchem aus wir
die sozialen Erscheinungen betrachten, die das Leben der
Gesellschaft begleiten“. Es ist nicht klar, ob die Ange
klagten Anspruch darauf erheben, dass diese moralphilo
sophische Ausführung vollständig sei. Leider ist sie nicht
ganz verständlich. Aber was immer die Angeklagten sich dabei
gedacht haben mögen: die scheinbare Aenderung der politischen Ueber
zeugung war bei dem Privatkläger niemals das Ergebnis einer
geistigen Umorientierung, die auf einem Wechsel des Stand
punktes beruhte, sondern stets das Ergebnis des Festhaltens
an einem Standpunkte gegenüber den sozialen Erscheinungen
– in der letzten Zeit waren es eben die sozialdemokratischen
Erscheinungen, die das Leben der Gesellschaft begleiteten –,
die ihm nicht genügen konnten. Es gibt für den Privatkläger
keine politische Ueberzeugung, die er zu ändern hätte, sondern
nur eine Ueberzeugung aus dem Geiste und aus der Humanität
heraus, der die sozialdemokratischen Erscheinungen nicht
entsprachen, lange bevor sie ihre Macht verloren , haben allerdings
nicht ohne Zusammenhang mit dem Verluste ihrer Macht, wie
wenigstens der Privatkläger in der Hoffnung auf die Zukunft
gerne glauben möchte
. So wie die Mächte des Krieges an ihrer


22 oder überhaupt eine Antipathie gegen ihn haben an
Stelle von Beweisen.


23 die bei weitem nicht einmal als Leumundszeugen
genügen konnten,


24 statt Hasses Sympathie zu Verehrung bekunden
würden;


Unsittlichkeit zugrunde gegangen sind, ebenso ging die
Sozialdemokratie an ihrem inneren Widerspruch zugrunde. Der
Privatkläger hat weder der einen noch der anderen Macht je
Anhängerschaft geleistet und sie nur darnach beurteilt, wie
sie sich gegen Geist und Humanität verhielt. Um ihre politi
sche Macht hat er sich nie gekümmert, von ihr nie einen Vor
teil gezogen. Diesen Beweis aber hätten die Angeklagten zu
erbringen.


Anstatt dieses Beweises möchten die
Angeklagten
sie eine Reihe von Zeugen aufmarschieren lassen, die
vom Privatkläger in seiner Zeitschrift angegriffen gekränkt worden
sind . , 22 Die Qualität dieser Zeugen ergibt sich schon aus den
beiden vorliegenden zugelassenen Aussagen des Herrn Paul Kornfeld und
des Herrn Johannes Urzidil, die nun besprochen werden müssen.
Ist es schon an und für sich absurd haarsträubend , über das Lebenswerk
eines Schriftstellers, das vor aller Welt offen vorliegt,
Leumundsz Z eugen zu vornehmen beantragen , 23 so dürften solche, wenn
man sich schon dazu entschliesst,
nicht gerade unter aus der Reihe de n r
Widersachern gesucht geholt werden. Der Privatkläger könnte den
von den Angeklagten geführten sechs Zeugen eine hundertfache
Menge von Lesern entgegenstellen, die 24 das Gegenteil bekunden können;
dass er dies nicht tut, hat lediglich seine Ursache darin,
dass er mit eine m r P p rozessnahen Gelegenheit nicht Schindluder Mißbrauch treiben will, wie
es die Angeklagten tun, und er nicht gewillt ist, ihnen auf dem Wege der Ablen
kung von der Hauptsache nicht zu folgen. will. Der Zeuge PaulKornfeld sagt aus, er habe vor zweiundzwanzig Jahren mit dem
Privatkläger „verkehrt“, seit dieser Zeit habe er ihn nicht
gesehen. Ueber die Art des Verkehres und von wessen Seite
der Abbruch desselben erfolgte, schweigt er sich aus. Man
könnte auf Grund der Aussage zu r der Meinung kommen, die Aende
rung des Urteiles über die Gedichte Franz Werfels seien
die Ursache gewesen. Aber nicht einmal das ist wahr. Noch
im Jahre 1916, als das Urteil über Franz Werfel schon längst
„geändert“ worden war (was mit der „privaten Differenz“ mit einer Dame, die der PK kannte, nichts


25 war erbär ein Klatsch, den der Privatkläger Werfel dem Privatkläger hinterbrachte, der sofort zum Abbruch der persönlichen
Verke Bekanntschaft mit Herrn ihm führte, und fällt
in das Jahr 1913 / oder 1914, jedenfalls vor den Krieg.


26 durch leichtfertige


26 (das freilich mit dem Charakter zusammenhängt)


zu tun hatte, die jener mit einer Dame hatte, die der Privatkläger kannte auf welche sich der Zeuge fälschlich beruft ), hat Herr Paul Kornfeld an den Privatkläger
30ein Schreiben mit dem Ausdruck der ergebensten Verehrung ge
31richtet, ebenso wie er dies in einem Telegramm getan hatte,
dessen Zeitpunkt sich freilich nicht feststellen lässt. Die angebliche Aner
kennung des Privatklägers, dass Franz Werfel „ein grosses
32Talent“ sei, erfolgte in der Fackel Nr. 339/340 vom 30. Dezember 1911 auf Seite 47 damit, dass unter drei Büchern, die
den Lesern der Fackel empfohlen wurden, der Gedichtband
Der Weltfreund“ erwähnt war, aus dem einige Gedichte abge
druckt wurden. Die Ablehnung dieses dichterischen Schaffens
33erfolgte in der Nr. 443/444 vom 16. November 1916 auf Seite 26
34in einem Gedicht „Elysisches“; in der Nr. 445–453 vom 18.Januar 1917 auf den Seiten 133 bis 147 in einer sprachkriti
35schen Betrachtung; in der Nr. 462–471 vom 9. Oktober 1917
36auf Seite 68 und in der Nr. 484–498 vom 15. Oktober 1918 auf
Seite 93. Stets waren konkrete, schriftstellerische Anlässe
wurden auch stets dargelegt. Die angebliche „Differenz“, die Werfel mit
einer Dame hatte, die der Privatkläger tatsächlich kannte, 25 fällt lange
vor den Krieg
. „Es war eine Kleinlichkeit“, nämlich von
seiten des Herrn Werfel, wenn man die Gefährdung des Rufes
einer Dame als eine solche bezeichnen will. Sie hatte aber natürlich
auf die kritische Beurteilung keinen Einfluss keinen literarischen , sondern le
diglich den Abbruch des persönlichen Verkehrs zur Folge gesellschaftliche Folgen . Die
viel spätere Kritik hat sich Werfel durch seinen unzulänglichen äußeres und labile n s Stil Könnertum
und durch seine Beeinfluss ung barkeit von den verschiedensten dichteri
schen Seiten her herausgefordert zugezogen . Der Zeuge Kornfeld ist aber
nicht einmal imstande, zu behaupten, dass diese private Differenz
die Ursache einer kritischen Aenderung gewesen sei, sondern er
will eine solche nur plausibel machen, und tut dies mit den
Worten „von dieser Zeit an“, mögen auch Jahre verstrichen
sein, die zwischen den beiden Vorfällen Fakten liegen. Eine gleiche
Verdächtigung ohne jeden Tatsachengehalt spricht der Zeuge
über die politische Gesinnung des Privatklägers aus. Er selbst


gibt zu, den Privatkläger seit zweiundzwanzig Jahren
nicht gesehen zu haben. Gleichwohl bezeugt er hat er die Kühnheit zu bezeugen , der Privatkläger habe im Jahre 1925 in Berlin vorwiegend mit Kom
munisten verkehrt, wäre sei in einem kommunistischen Kreis
gewesen, alle hätten damals geglaubt, er sei Kommunist,
der Privatkläger habe nicht protestiert und damals habe
ihn die kommunistische Presse sehr gelobt. Woher der Zeuge
diese von A bis Z vollständig unwahren Tatsachen hat, ver
schweigt er wohlweislich. Er möge doch angeben wird anzugeben haben , mit welchen
Kommunisten der Privatkläger im Jahre 1925 verkehrt hat . ;
W w ie der kommunistische Kreis seinen Glauben ausgedrückt hat,
der Privatkläger sei Kommunist, so dass er eine Veranlas
sung hatte, dagegen zu protestieren. Die Wahrheit ist, dass
diese Zeugenaussage vom Anfang bis zum Ende falsch ist,
dass der Privatkläger in keinem kommunistischen Kreis
verkehrt hat, was Herr Heinrich Fischer, damals Drama
turg in Berlin, jetzt wohnhaft in Prag XII. Slezzka 115
bezeugen kann, der den Privatkläger bei seinem im Jahre
1925 vom 21. März bis 2. April währenden Aufenthalt in Berlin,
in welcher Zeit sieben Vorlesungen abgehalten wurden, ständig
Gesellschaft leistete.


Noch absurder Mehr drollig ist die Aussage des
Zeugen Johannes Urzidil. Dieser bekennt sich wenigstens offen
zu seiner Gegnerschaft, denn er sagt im wesentlichen über
nichts anderes aus, als über einen Angriff, der gegen ihn
37im Jahre 1931 in der Nummer 864–867 gemacht veröffentlicht worden war.
Die Berechtigung zur Beurteilung des moralischen Wertes und
der Sachlichkeit des Angriffes muss dem angegriffenen Zeugen
abgesprochen werden, umsomehr, als er den ironischen Ver
gleich des Klanges seines Namens mit der Vorstellung zer
schlagener Glasfenster offenbar in der Absicht hervorhebt,
bei einem tschechischen Gericht die Vorstellung zu erwecken,
es liege hier eine Verunglimpfung des Tschechentums vor, wo
es sich gerade im Gegenteil in dem auf den Seiten 40 bis 49


27 Diesen Gallimathias verstehe, wer kann.


der zitierten Nummer abgedruckten Aufsatz „Der zerbrocheneKrug“ darum gehandelt hat, das hetzerische Treiben des HerrnUrzidil anzuprangern, der als Pressechef der deutschen Ge
sandtschaft in Prag die Vorstellung zu verbreiten wünschte,
es seien der deutschen Gesandtschaft eine von tschechischer Seite Fensterscheiben ein
geschlagen worden. Die Art, wie diese Nachricht verbreitet
wurde, war offensichtlich darauf angelegt, den Vorfall
national zu unterstreichen, obwohl durch nichts erwiesen
war, dass es sich um eine derartige Kundgebung gehandelt
hätte. Die Ironisierung eines Namens, „der einen Klang
hat, als ob in ihm die Vorstellung von eingeschlagenen
Fensterscheiben geradezu erfüllt wäre“, bei einem Namens
träger, der eingeschlagene Fensterscheiben zum Gegenstand
politischer deutschnationaler Verhetzung gegen die Tschechen gebraucht, ist daher sowohl satirisch
als auch sachlich gerechtfertigt . , ja zwingend notwendig. Der Zeuge behauptet weiter,
der Privatkläger habe in diesem Artikel geschrieben, Zeuge
„sei sowohl tschechischer wie auch deutscher Abstammung, womit
der Privatkläger seine verstorbene Mutter habe tadeln woll te en und
zwar aus dem Grunde, weil diese eine deutsche Jüdin gewesen
sei, womit er sich mit dem rassischen Antisemitismus iden
tifiziere und zu erkennen gebe, dass er einen tschechischen
Namen und jüdischen Ursprung als Beweis des Deutschtums
ansehe, obwohl es in seinem Fall um einen damals schon
15 Jahre bekannten deutschen Schriftsteller ginge.“ 27 Die
Interpretation des Satzes der Fackel wäre selbst dann falsch,
wenn die Zitierung richtig wäre. Der Satz lautet aber in
Wirklichkeit folgendermassen:


Herr Urzidil ist, soweit wir uns selbst
überzeugen konnten, ein Prager Literat, dessen teils
tschechische, teils nichtdeutsche Abkunft, von der wir
nur aus zweiter Hand wissen, die Opfer, die er für die
Sache des Deutschtums bringt – wenn schon nicht durch
sein Schaffen, so durch seine Gesinnung – beträchtlich
erscheinen lässt.“


Es ist klar, dass der Sinn dieses Satzes keinen Tadel gegen
die verstorbene Mutter des Herrn Urzidil enthält, von der überhaupt nicht die Rede ist, sondern
lediglich eine n Tadel gegen ihn Anprangerung seiner selbst, der teils tschechi-


28 Heute möchte er, der zwei Jahre unter Hitler
als Angestellter der deutschen Gesandtschaft nationale
deutsch Dienste geleistet hat, diese Tatsache ver
wischen, sich auf einen angegriffenen Tschechen
hinaufspielen und auf die Verspottung seines Namens
vor einem tschechischen Gericht in klarer Absicht
hinweisen.


scher, teils nichtdeutscher Abkunft, gleichwohl deutsch
nationale antitschechische Hetzpolitik trieb. 28


Damit könnten diese Ausführungen abgeschlos
sen werden, – denn die Angeklagten haben den Beweis der
Profitmacherei und der Gesinnungsänderung des Privatklägers,
um sich vor dem Konzentrationslager zu schützen, nicht einmal
angetreten und viel weniger erbracht –, wenn sie nicht,
offenbar um Stimmung für sich bei einem tschechoslowakischen
Gericht zu machen, Themen in ihren Ausführungen berührten,
die mit dem gegenständlichen Prozesse überhaupt nichts zu
tun haben. Es wurde bereits früher ausführlich dargelegt,
dass die Angeklagten sich zu ihrer Entschuldigung oder zu
dem Nachweise ihres guten Glaubens nicht auf Tatsachen be
rufen können, bei denen ein öffentliches Interesse an ihrer
Mitteilung lange nach der Veröffentlichung der Beleidigun
gen vorhanden wäre. Damit aber nicht aus dieser rein theore
tischen Auseinandersetzung der Schluss abgeleitet werde,
es seien die Behauptungen wahr, dass der Privatkläger durch
ganze Jahre unbegründet die tschechoslowakischen Staats
männer beschimpfe, sich über die tschechoslowakische Nation
und ihren Kampf um die Befreiung in dem Sinne äussere, es
hätte „die Partei den Hausherrn hinausgeworfen“, und daß er
die mache die demokratische Verfassung dieses Staates lächer
lich , müssen auch diese absurden Behauptungen Vorwürfe besprochen werden. So
fraglich das Recht der Angeklagten ist, sich zum zu Verteidigern
des damaligen Aussenministers und nunmehrigen Präsidenten
aufzuwerfen oder sich eines Angriffes auf ihn als Mittel
zur eigenen Verteidigung zu bedienen, so muss doch darge
tan werden, dass ein Angriff auf den heutigen Präsidenten in Wirk
lichkeit gar nicht vorliegt. Der Angriff auf Seite 58 der
38Fackel Nr. 909–911 richtet sich gegen die von tschechoslovakischen Geldern lebende und zugleich österreichischen Patriotismus zur Schau tragende Wiener Tages
zeitung „Der Tag“, de ss r en zwie schlächtige spaltige Haltung bespro
chen
erörtert wird. Von diese r m Zeitung Blatt heisst es:


– es handelte sich nämlich um Ank bezahlte Ankündigungen
von Vorträgen des Privatklägers


„Antipathisch ist es durch die Verbindung einer Bereit
schaft, sich ans Vaterland anzuschliessen, mit der Aufgabe,
Organ des Herrn Benesch zu sein; nicht minder wegen des
Talents, ebendieses durch alle Vorschriftsmässigkeit durch
schimmern zu lassen und den Rechtskurs mit zwei linken
Füssen mitzumachen. Für eine Annonce sich des ‚Tag‘ zu be
39dienen, kostet zwar nicht viel, doch immerhin Ueberwindung:
indem man sich dem Verdacht aussetzt, gesinnungsmässig
mit einer Leserschaft verbunden zu sein, der die Gewohnheit,
frei zu denken und zu mauern, nach wie vor als der wirk
samste Schutz gegen das Verhängnis Hitler erscheint. Was auf
diese Weise entsteht, ist die Mauer, gegen die einerseits
mit dem Kopf gerannt und die anderseits den verbrecherischen
Störern des grössten Verteidigungskrieges aller Zeiten ge
macht wird.“


Alle diese Angriffe müssen aus
der Gegnerschaft des Privatklägers gegen das Hitlerregime ver
standen werden, dessen Förderung in jeder absichtlichen oder
unbewussten Verkennung ihrer seiner Gefahr liegt. Diese Gefahr, der
nicht nur Oesterreich sondern ganz Europa und besonders die
Tschechoslowakei ausgesetzt ist, wird heute auch schon an Stellen
erkannt, die früher blind an ihr vorübergegangen sind. Der
Privatkläger glaubt diese Tatsache als gerichtsbekannt voraus
setzen zu können, da sie in allen Blättern der Tschechoslowakei
seit mehreren Monaten öffentlich besprochen wurde. Ja sogar
der Angeklagte Sonka selbst hat ist sich , wie durch die Zeugenschaft des
Herrn Heinrich Fischer bewiesen werden kann, in letzter Zeit
den Kampf Oesterreichs und seine Notwendigkeit anerkannt
jüngst in einer Prager Autorenversammlung der Paralellität der politischen Ziele Österreichs und der Tschechoslovakei bewußt geworden. Zu
der Erkenntnis, in wie unverantwortlicher Weise die Sozialdemo
kratie ihr den hier gemeinten Kampf gegen Hitler gehindert hat, ist die Partei allerdings noch nicht
gekommen. vorgedrungen.


Anstatt sich mit der verlogenen Behauptung der
Angeklagten, der Privatkläger mache die demokratische Verfassung
des tschechoslowakischen Staates lächerlich, auseinanderzusetzen,
40soll die Stelle auf Seite 59 der Fackel 909–911 hier lediglich
zitiert werden, um darzutun, mit welchen Mitteln dieser Prozess
geführt wird, wie aus einem Angriff gegen eine Partei eine Ver
höhnung der tschechoslowakischen Verfassung gemacht wird.
Diese Stelle lautet:


„Hat doch sogar die vorbildliche Dummheit der englischen
Arbeiterpartei — heute nur noch von jener Demokratie über
troffen, von deren werktätiger Neigung der ‚Tag‘ sein Dasein


fristet — erkannt, dass, ‚verglichen mit dem national
sozialistischen Regime‘, das österreichische ‚unendlich
vorzuziehen‘ sei; und das könnte doch selbst der dem
kulturellen Gehalt des neuen Lebens Abgeneigteste un
möglich bestreiten.“


Am tollsten und unverschämtesten ist aber
wohl die Behauptung der Angeklagten, „der Privatkläger äussere
sich über die tschechoslowakische Nation und ihren Kampf um die
Befreiung in dem Sinn, es hätte ‚die Partei den Hausherrn hinaus
geworfen‘. Als Hausherrn bezeichne er die Habsburger und Partei
sei zufolge der ‚beseelten‘(?) Ansicht des Privatklägers offenkundig
die tschechoslowakische Nation, die seiner Ansicht nach offen
bar keinen Anspruch auf Selbständigkeit gehabt habe.“ Man muss
sich wirklich an den Kopf greifen, dass so etwas von Menschen
vorgebracht wird, die sich zu einer Reihe von Intellektuellen
zählen, „welche gerade aus Liebe zur Wahrheit und Achtung vor der
Freiheit lieber die Emigration als die gehorsame Anpassung an
das gegenwärtige österreichische Regime wählten“, die sich be
rufen fühlen, das Urteil abzugeben, der Privatkläger „diskredi
tiere uns andere Dichter und Literaten überhaupt, deren Sendung
in der menschlichen Gesellschaft es gerade ist, die breitere
Oeffentlichkeit moralisch aufzurütteln und ein Muster morali
scher Verantwortlichkeit zu sein“. Diese moralische Verantwort
lichkeit sieht folgendermassen aus, und wenn die Angeklagten
die Nummer der Fackel nicht zitiert hätten, in der das Absurdum
stehen soll, wäre es unmöglich gewesen, überhaupt darauf zu
kommen, was sie meinen. Denn der Privatkläger ist sich bewusst,
gerade das Gegenteil stets vertreten zu haben, was auch von
Schriftstellern der tschechoslowakischen Nation, ja sogar von
deren Präsidenten Masaryk immer vollauf gewürdigt wurde. In
41der Nr. 912–915 vom Ende August 1935 ist auf den Seiten 34 bis
62 ein Aufsatz „Die Handschrift des Magiers“ enthalten, der
sich mit Herrn Max Reinhardt beschäftigt. Diesem war es, noch als die Sozialdemokratie Einfluß hatte, gelungen,
eine Wohnung in Schönbrunn und in der Hofburg zugewiesen zu er
halten. Nach einer längeren Ausführung über die von aller Welt
so gepriesene „ Künstlerschaft Magie “ Reinhardts und nach einer Dar-


legung, was von ihr zu halten sei, heisst es zu Beginn des
letzten Absatzes auf Seite 61:


Wien hat den Träumer zu einer Zeit, da die Republik
noch zum Linken sah, anders geehrt; es bedurfte damals, als
der Begriff der Freiheit mit den Namen Castiglioni und
Bosel, Rintelen und Winkler verknüpft wurde und die Habs
burger, nehmt alles nur in allem, von einer Partei ausge
bürgert waren, die den Bekessy eingebürgert hat, keiner
weitern Besinnung, um jenem in Schönbrunn und der Hofburg
einen seiner Prunkliebe und seinem imperialen Bedürfnis
halbwegs angemessenen Wohnsitz einzuräumen, wie er ihn
sich in der Wiege noch nicht geträumt hatte. Und obwohl
er sich’s ganz gewiß nicht träumen liess, dass ihm dereinst
ein greiser Kirchenfürst mit Gefolge entgegenkommen und
dies Bild in Theaterblättern verewigt würde, so war doch
er es, an dem sich hauptsächlich jener Kaiserdrang genährt
hat, der in unserer so lebhaften Montagspresse, dem wahren
Spiegel dieser Unwirklichkeit, vorläufig die Könige aller
Branchen restauriert. Wenn das jetzige Österreich, das
dafür geschmäht wird, dass es, jenseits aller Politik und
Gespensterfurcht, eine Wohnungsfrage zu Gunsten der Be
sitzer entscheidet — wenn es der Lichtspur des Herrn aufLeopoldskron noch folgen will, so möge es Auskunft geben,
ob der Träumer, der gern Rechnungen von Elektrizitätswerken
unbeglichen lässt, im September 1933 das Konto des Hof
burgbewohners mit mäzenatischer Hilfe gelöscht fand, als er
geweckt wurde, oder ob der Rückstand, der vorhanden war,
‚als dubios abgeschrieben‘ ward. Auf diese Auskunft hat
Jedermann Anspruch, dem beim geringsten, unverschuldeten
Verzug das Licht abgedreht wird (auch wenn er es dazu
brauchte, Shakespeare zu ehren — womit er es beiweitem
nicht bezahlen könnte).“


Welche Niedertracht! Der der sozialdemokratischen „Partei“ gemachte Vorwurf, den Bekessy (einen
de r n ärgsten größten Revolverjournalisten Wiens) eingebürgert zu haben,
der Tadel, einem Faiseur eine Wohnung im Schönbrunn und in
der Hofburg eingeräumt zu haben, wird dazu benützt, um
nationale Gefühle gegen den Privatkläger aufzupeitschen. Hier
wird die Justiz überhaupt vor einen einzigartigen Fall gestellt.
Es wird nämlich der Versuch unternommen, auf rein denunziatori
schem Wege durch die Behauptung, der Privatkläger habe jemals
etwas gegen die tschechische Nation, gegen die tschechische
Selbständigkeit geschrieben, von der Hauptsache, nämlich dass
er Profit mache, abzulenken. Wäre auch nur ein Atom von diesen
denunziatorischen Behauptungen wahr, so wäre es eine Er
niedrigung der Justiz und der Nation, die doch gerade durch
die Freiheit der Meinungsäusserung, die sie gewährt, sich
vor den andern hervortut, wenn sie es nicht zurückwiese, dass
auf diese Weise ein Versuch der Beeinflussung auf ihr Urteil


30 weil er zwar die höchste Anerkennung für die
tschechische Sprachliebe und Sprachkultur enthält,
freilich auch das Mom das damalige Hineintragen
des nationalistischen Moments in die Verkehrssprache
bemängelt.


31 der Gelehrte der Pariser Sorbonne und des
Collége de France an das Komitee


32 (In dieser Urkunde ist gerade auch die
Haltung und Leistung des Privatklägers
im Weltkrieg besprochen. Die Arbeiterzeitung
hat sowohl die Verleihung des Literatur-, wie
des Friedenspreises an ihn verlangt.)


gemacht wird. Die Ungeheuerlichkeit jedoch, dass man sich
etwas einfach aus den Fingern saugt, um eine gehässige Stimmung
zu erzeugen, ist wohl ohnegleichen. Dies nötigt den Privatkläger, auch einiges über seine Stellung zur tschechoslowakischen
Nation und ihrem Staate zu sagen. Vorerst soll zu diesem Zwecke
42ein in der Nr. 735–742 vom Oktober 1926 auf den Seiten
65 bis 68 erschienener Aufsatz vorgelegt werden, gerade des
wegen, weil 30 er zwar die höchste Anerkennung für die tschechische Sprachliebe kein volles Lob enthält, sondern auch manches be
mängelt.
Als nun das „Prager Tagblatt“ in einer Zuschrift vom
4320. Oktober 1926 um die Erlaubnis bat, gerade die Stelle
nachdrucken zu dürfen, die einen den Tadel der nationalistischen dieser Überspitzung
44 Verblendung enthält, erhielt dieses Blatt eine Zurückweisung,
die die Sympathie des Privatklägers für die tschechoslowaki
schen Nation Bestrebungen auf das eindringlichste dokumentiert. Als solche
45Dokumente werden weiters vorgelegt: die Nr. 521–530 vomJanuar 1920, (Notiz „Oesterreich-Ungarn“ auf Seite 63); die
46Nr. 572–576 vom Juni 1921, (Aufsatz „Bei den Tschechen und beiBeilage 41den Deutschen“ auf den Seiten 64 bis 68); die Nr. 632–639 vonBeilage 42Mitte Oktober 1923 und die Nr. 640–648 von Mitte Januar 1924,
(mit der Veröffentlichung eines Armeebefehls vom 17. April 1915
auf Seite 34 der Oktober-Nummer und einer Vorbemerkung hiezu
49auf Seite 102 der Januar-Nummer); die Nr. 668–675 vom Dezember1924, (Aufsatz „Ein Reinigungsprozess“ auf den Seiten 73 bis 79).


Der Angeklagte Sonka hat sich von dem
sonderbaren Zeugen Johannes Urzidil ein Leumundszeugnis ausstellen lassen,
er sei ein Dichter, der seine Ueberzeugung anständig verteidigt.
Wie anständig, darüber gibt wohl sein Schriftsatz mit den Be
weisanträgen genügende Aufklärung. Der Privatkläger möchte
nicht hinter dem Angeklagten zurückstehen, und auch seiner
seits Leumundszeugen, wenngleich nur dokumentarisch, ins Treffen führen. Zu diesem Zweck legt wird
er de n r Abdruck einer Adresse 31 an die Mitglieder des Komitees
50für die Verleihung des Nobelpreises vo m n 10. November den Jahren 1925 bis 1928 vor. gelegt,
deren Unterzeichner es wohl an Gewicht ihrer Meinungsäusserung
mit Herrn Urzidil aufnehmen können. 32 Ferner legt er wird eine Bro-


33 und auf die ergreifende Zuschrift eines Arbeitslosen (Seite 47f),
um das auch die soziale Gesinnung des Privatkläger der
von gehäßiger Seite geübten Verzerrung entgegen
zustellen. Überdies wird auf die Tatsache hin
gewiesen, die wohl der Meinung, das Kriegswerk
der Fackel sei ein militaristisches mit drasti
schestem Hohn begegnet: daß das Werk „Die letztenTage der Menschheit“ in tschechischer Übersetzung
unter dem Titel „Poslední dnové lidstva
im Verlag Prager Verlag Družstevní práce,
gedruckt bei Rohrer in Brünn, erschienen
ist, welche Ausgabe auf Wunsch dem Gericht
zur Verfügung gestellt wird.


34 der die Tendenz der literarischen Kriegsleistung
anerke des Herausgebers der Fackel anerkennend
hervorhebt. Es entbehrt nicht einer gewissen
Pikanterie, daß unmittelbar darunter die be
geisterte
dem Führer der Sozialdemokratie und
dem Herausgeber der Leiter der jetzigen Arbeiter-Zeitung Otto Bauer die Ehre erwiesen wird, daß
sein begeistertes Urteil über das Kriegswerk des
Privatklägers abgedruckt wird (aus seinem Buch „Die österreichische Revolution“). Ganz abgesehen
von jenem Urteile des Schöpfers der tschechoslovakischen Republik wäre es doch unvorstellbar, daß
dieser nicht nur wiederholt seit jeher wiederholt,
am 8.I.1910 (nach dem berühmten Prozess Friedjung)
und am 1.I.1922, durch eigenhändige Schreiben, ferner
durch die Präsidentschaftskanzlei (dem Privatkläger in handschriftlich mit den Worten gewidmet „Dem Dichter der letzten Tage der Menschheit“). dem Privatkläger
außerordentliche Freundlichkeit erwiesen, ja ihn
zu einem Besuche auf dem Hradschin eingeladen
hätte, wenn auch die Fackel „seit jeher“ jemals


deutschmilitaristische Gesinnung, antistaatliche
Tätigkeit, antitschechische Gesinnung und
eine herabsetzende Kritik an der tschechoslovakischen
Selbständigkeit geäußert hatte


35 Sämtliche Zuschriften, die sich auf die freundliche
Meinung des Herrn Präsidenten beziehen und
die hier nicht beigelegt werden, weil man die
wertvollen Dokumente der Post nicht anver
trauen will, werden bei der Verhandlung
vorgewiesen werden.


36 indem eine unmittelbare Gefahr für den
Staat nicht vorhanden war, die aber doch
einen durchaus analogen Standpunkt
einnimmt. Wie das Urteil des Präsidenten
in Anbetracht der drohenden Staats- und
Weltgefahr ausfiele, kann wohl nicht zweifel
haft erscheinen. Es dürfte wohl niemals
noch der Fall gewesen sein, daß es aus Kränkung zur Vergeltung einer literarischen Herabsetzung und zweifellos in der Absicht literarischer Vergeltung gewagt
würde, im Vertrauen auf die Schwierig
keit der Aufklärung einem Gerichtshof
eine derartige verleumderische Verkehrung geistiger und moralischer Sachverhalte
darzubieten und einen Schriftsteller, der 104
Antikriegshefte herausgegeben hat, aus denen
zahllose Stellen konfisziert wurden, und der
wegen „Verbrechens gegen die Kriegsgewalt“ verfolgt
wurde (bis die Regierung Lammasch das Verfahren
einstellte), einer schändlichen Haltung zu
beschuldigen, und einen Mann als Profitmacher und
„Spekulierer“ zu brandmarken, der vom
Kriegsbeginn bis heute S 162.537 wohltätigen
Zwecken (insbesondere der Invaliden Arbeiter- und Invaliden
fürsorge) zugewendet hat.


51schüre „Stimmen über Karl Kraus zum 60. Geburtstagvor
und verweist besonders wird hingewiesen auf die Beiträge tschechischer
Schriftsteller: Carl Capek auf Seite 21, Josef Hora auf
52Seite 27 und Jan Münzer auf Seite 31. 33 Ueberdies wird diesem
Dem Schriftsatz angeschlossen ein wird ein zu dieser Ausgabe veröffentlichtes Heft der Zeitschrift „Panorama“,
welches fast ausschliesslich das Werk gesamte Kriegswerk des Privatklägers in enthusiastischester Weise be
handelt. Besonders hingewiesen wird auf die das auf der zweiten
Umschlagseite abgedruckte Notiz Zitat aus einem Werk des
Schöpfers der tschechoslowakischen Republik und ihres ver
ehrten
ersten Präsidenten T.G. Masaryk . , 34 Durch die ferner vor
53gelegten Schreiben dieses hochverehrten Mannes vom 8.1. 1909
54und vom 1.1.1922 der Präsidentschaftskanzlei
vom am 22.12.1921, 28.12.1921,
55 5.1.1922, 23.1.1922, ferner durch das eigene Schreiben vom
5628.8.1933 und deren Erledigungen vom
7.9.1933 und 8.9.1933
ist wohl zur Genüge dargetan, welche Anerkennung von dieser
Seite dem Privatkläger persönlich und seinem Werk gezollt
wurde, eine Anerkennung, die ihm gewiss versagt geblieben
wäre,
wenn der Privatkläger deutschmilitaristische Politik gemacht oder „durch ganze Jahre unbegründet
die tschechoslowakischen Staatsmänner beschimpft, sich über
die tschechoslowakische Nation und ihren Kampf um die Be
freiung in dem Sinn geäussert hätte, es habe ‚die Partei
den Hausherrn hinausgeworfen‘“, oder wenn er sonst eine
„antistaatliche Tätigkeit“ entfaltet hätte, die „Menschen
von der Art“
de s n Angeklagten die Berechtigung gäbe, die
Interessen der tschechoslowakischen Oeffentlichkeit gegen „Menschen von der Art des Privatklägers“ zu ver
treten. 35 Vo m n besondere n m Interesse wird da gerade die Zuschrift
57vom 23. Januar 1922 an den Privatkläger sein, weil da s d ie sich
mit dem Notrecht des Staates befasst und einen Fall behandelt,
der gegenüber den Februarereignissen 1934 in Wien zwar ver
schwindend klein erscheint, 36 aber doch analoge Vorfälle zur
Diskussion stellt
. 3 Wie das Urteil des Präsidenten in Anbetracht gegenüber der drohenden
58 Hitlergefahr ausgefallen wäre, kann wohl nicht zweifelhaft
erscheinen.


Ueber alles, was in diesem Schriftsatz


vorgebracht wurde, ohne dokumentarisch belegt zu sein, be
antragt der Privatkläger seine Einvernahme als Zeugen.


An das


Strafkreisgericht,


Brünn.


zur Zahl Tl III 239/34
Tl III 256/35
Tl III 299/34


Privatkläger: Karl Kraus, Herausgeber der Zeitschrift
Die Fackel‘ in Wien III., vertreten durch
Dr. Robert Herrmann und Dr. Felix Gallia,
Advokaten in Brünn


Beschuldigte: 1./ Josef Schramek, Redakteur in Brünn,
2./ Hugo Sonnenschein / Sonka /
Schriftsteller in Prag,
beide vertreten durch Dr. Bohuslav Ečer,
Advokaten in Brünn


wegen Ehrenbeleidigung resp. Vernachlässigung
der pflichtgemässen Obsorge.


2 fach
46 Beilagen


Aeusserung des Privatklägers zum Schriftsatz der Angeklagten
vom 18. Februar 1936.


Es ist wohl das Absurdeste, was es je im
Rechtswesen gegeben hat: dass ein Privatkläger, dessen 37jähriges
geistiges Schaffen vor aller Welt vorliegt, durch Wochen hindurch
sich und seinen Anwalt bemühen muss, nicht etwa, Beweise durch
Gegenbeweise zu entkräftigen, sondern einem Angeklagten auf seinen
Schleichwegen einer Beweisführung zu folgen und aufzuzeigen, mit
welchen Mitteln der Entstellung und der Verfälschung die Angeklag
ten einen „Wahrheitsbeweis, allenfalls den Beweis entschuldbaren
Irrtums“ zu führen versuchen. Schon der Satz, dass zu seiner Durch
führung notwendig war, eine Reihe von Belegen zu studieren, die in
Oesterreich in Archiven gesammelt werden mussten, ist wahrheits
widrig. Die Angeklagten stellen nicht einen einzigen Beweisantrag,
den sie auf eine Archivforschung zurückführen, und sie berufen
sich ausschliesslich auf Stellen aus der vom Privatkläger seit
37 Jahren herausgegebenen im Buchhandel erhältlichen Zeitschrift
Die Fackel‘, die sie in einer Weise zitieren, dass das Gegenteil
der Anschauungen des Privatklägers herauskommt. Damit aber die An
geklagten sich nicht mit technischen Schwierigkeiten ausreden können,
werden ihnen alle Exemplare der Fackel gerne zur Verfügung gestellt,
die sie zu ihrer Entlastung zu benötigen glauben, auch die „öster
reichischen“ Ausgaben der Fackel, die sich von den im Gebiete der
Tschechoslowakei verbreiteten nur durch den Preisaufdruck auf dem
Umschlag – hier in Tschechenkronen, in Oesterreich in Schilling –
unterscheiden. Die verleumderische Behauptung der Angeklagten, der
Privatkläger gebe zwei verschiedene Ausgaben seiner Zeitschrift
heraus, wodurch zum Ausdruck gebracht werden soll, er ändere seine
Meinungsäusserung nach dem Ort des Erscheinens und unterdrücke
offenbar in der Tschechoslowakei, was er angeblich gegen diese in
Oesterreich vorbringt, wurde zum Gegenstand einer separaten
Anklage gemacht. Dieser Vorwurf beweist zur Genüge, mit welcher
gehässigen Verlogenheit die Angeklagten ihren Standpunkt ver
treten.


Ehe in die Besprechung der einzelnen
Punkte des Schriftsatzes der Angeklagten eingegangen wird, soll
zu der Rechtsfrage Stellung genommen werden: ob die Angeklagten
den Strafausschliessungsgrund des § 6, 2b des Ehrenschutzgesetzes
für sich in Anspruch nehmen können. Dieser Strafausschliessungs
grund, der bei Begehung der strafbaren Handlung in einer Druck
schrift nur dann Anwendung zu finden hat, wenn die Anführung
oder Mitteilung der in Betracht kommenden Tatsachen im öffent
lichen Interesse gelegen ist oder zur Wahrung eines berechtigten
wichtigen Privatinteresses notwendig war, kann den Angeklagten
nur dann zugute kommen, wenn das von ihnen vorgegebene Interesse
schon zur Zeit der inkriminierten Aeusserung vorhanden war. Die
ser Strafausschliessungsgrund ist nur dann gegeben, wenn die
sonst strafbare Handlung begangen wird, um eine wichtige In
teressensphäre zu schützen. In ihrem Beweisantrag berufen sich
die Angeklagten in den Punkten 7, 8 und 9) auf Stellen aus den
Fackel-Nummern 909–911, erschienen Ende Mai 1935 und 912–915,
erschienen Ende August 1935, während das Blatt mit den inkrimi
nierten Artikeln am 15. September 1934 veröffentlicht wurde.
Selbst dann also, wenn die von den Angeklagten behaupteten
„Beschimpfungen“ der tschechoslowakischen Staatsmänner, Lächer
lichmachung der tschechoslowakischen Verfassung, ja der
tschechoslowakischen Nation so wahr wären, wie sie zur Gänze
unwahr sind, – was bei der Besprechung der einzelnen Punkte des
Schriftsatzes der Angeklagten ausführlich dargelegt werden soll –,
könnten sie nicht zu ihrer Entschuldigung dienen.


Die Justiz wird hier vor einen einzigarti
gen Fall gestellt. Es wird nämlich der Versuch gemacht, auf
denunziatorischem Wege durch Behauptungen, der Privatkläger sei
gegen die tschechische Nation, gegen die tschechische Selbständig
keit aufgetreten, von der Hauptsache abzulenken. Die Tat, die der
Angeklagte Sonnenschein-Sonka zu verantworten hat, ist, dass er
den Privatkläger einen „ Helden der Gesinnung und des Geistes“,
einen „ Konjunkturästheten“ genannt und in einen Kreis von Personen
eingereiht hat, die der Laune feisten Goldes dienen, Leisetreter,
Zuhälter der Macht , die man morgen schon zertreten werde, geistige
Henkersknechte, die „Mordhass“ schüren und den Schlaf der Welt
hüten, um „ Profit zu machen“. Herr Sonka glaubt sich damit ent
schuldigen zu können, dass er dieses „Gedicht“ nicht „auf die
Person des Privatklägers stilisert“ schon vor dem Juliheft der
Fackel auch an anderen Orten „ohne jedwede Widmung“ veröffent
licht habe. Welchen Sinn diese Ausrede haben soll, ist kaum er
findlich, da ja eben die Publikation in der Arbeiterzeitung, die
die Widmung enthält, inkriminiert ist. Der Angeklagte Schramek
hat sich dafür zu verantworten, dass er diese Beleidigungen und
auch weitere Beleidigungen in dem Aufsatz „Der Racheakt derPolizei gegen Braunthal“ in Kenntnis ihres Inhaltes zum Druck
befördert, sich also der strafbaren Handlungen mitschuldig ge
macht, zumindest aber die pflichtgemässe Obsorge vernachlässigt
hat, solche schmähende Aufsätze und Gedichte von der Veröffent
lichung auszuschliessen. Aus dem Artikel wurde besonders die
Stelle inkriminiert, welche die Behauptung enthält, dass sich der
Privatkläger in seiner Fackel brav gleichgeschaltet habe und im
Schweisse seines Angesichtes die Kulturtaten den „österreichi
schen Menschen“ preise, was ihn allerdings vor Wöllersdorf
schütze. Darin liegt die sofort als absurd erkennbare Behauptung,
dass das im Juli 1934 erschienene Fackelheft den Zweck verfolge,
dem Privatkläger die Zwangsanhaltung in Wöllersdorf zu ersparen.
Die Absurdität dieser Behauptung ergibt sich aus der dem Artikel
selbst zu entnehmenden Feststellung, dass „Braunthal am 12. Februar
1934 im Zuge der zur Niederringung der Februarrevolte getroffenen
Massnahmen festgenommen“ wurde. Es ist nicht Sache des Privatklägers, darüber Erhebungen zu pflegen, ob die Beteiligung Braunthals an der Februarrevolte seine Festnahme auch rechtlich be
gründet erscheinen lasse, wie weit bei der Anhaltung in dem
Zwangslager die Tatsache mitbestimmend war, dass er seit dem
Jahre 1923 in der Zentralleitung des Republikanischen Schutzbundes sass, und wie weit vielleicht auch seine Broschüre „DieWiener Julitage“ (1927) an dieser Zwangsmassnahme mitgewirkt
haben. Dass gegen den Privatkläger nicht mit den gleichen Zwangs
massnahmen vorgegangen wurde, das kann keinesfalls ein im Juli
1934 erschienener Aufsatz bewirkt haben, wenn die Haltung Braunthals im Juli 1927 wirklich der Grund für das Vorgehen gegen ihn
gewesen wäre. Es ist klar, dass der Autor des am 15. September
1934 erschienenen Artikels „Der Racheakt der Polizei gegen Braunthal“ nur eine ihm offenbar günstig erscheinende Gelegenheit
benützte, für den im Juli 1934 erschienenen Artikel des Privatklägers Rache zu üben, und anstatt eine Meinung zu kritisieren
und eventuell zu bekämpfen, – was ihm gewiss nicht geglückt wäre,
da die nachfolgenden Ereignisse in der Weltpolitik diese Meinung
so sehr gerechtfertigt haben, dass auch frühere Gegner sich ihr ange
schlossen haben –, die Kritik an dem Wirken der sozialdemokrati
schen Führer in Oesterreich durch eine Verdächtigung des Privatklägers, durch den Vorwurf der Unlauterkeit seiner Motive zu ver
gelten. Dass frühere Gegner sich ihr angeschlossen haben, geht zur
Genüge unter hundert Beispielen aus einem Leitartikel des „CeskeSlovo“ hervor, der sogar seine frühere Meinung durch die in der
59Beilage zitierte Aeusserung bereinigt, dass er immer schon den Ab
wehrkampf des Bundeskanzlers Dollfuss gegen die Hitlergefahr an
erkannt habe.


Die Angeklagten kommen in ihrem Schriftsatz
zu dem Schlusse, es sei eines der wichtigsten Interessen der
tschechoslowakischen Oeffentlichkeit, dass „Menschen von der Art
des Privatklägers“, in der tschechoslowakischen Presse kritisiert
werden. Verdächtigungen und Verleumdungen sind freilich keine
Kritik, und es mutet grotesk an, dass die Arbeiterzeitung, welche
sich offiziell als „Organ der österreichischen Sozialdemokratie“
bezeichnet, sich als einen Bestandteil der tschechoslowakischen
Presse aufspielt und so tut, als ob sie tschechoslowakische In
teressen zu vertreten hätte oder je vertreten hatte.


Es wird bei der Eingehung in die einzelnen
Punkte des gegnerischen Schriftsatzes ausführlich darauf hinzuwei
sen sein, welche Fälschungen von der Gegenseite unternommen wurden,
um den Anschein zu erwecken, es liege bei dem Privatkläger eine
Anzahl „zeitlich auffallender politischer Umorientierungen“ vor.
Aber selbst dann, wenn solche politische Umorientierungen vorlä
gen, wäre es Aufgabe der Angeklagten, nicht nur diese zu beweisen,
sondern auch die Unlauterkeit der Motive des Privatklägers, seine
Absicht, sich die Zwangsanhaltung in Wöllersdorf zu ersparen und
Profit zu machen. Selbst wenn es den Angeklagten gelänge, die
politische Umorientierung des Privatklägers zu beweisen, könnte
dies nicht zu ihrer Entschuldigung dienen, solange sie nicht den
unmoralischen Beweggrund solcher Umorientierungen beweisen können.
Für diesen Beweggrund aber haben die Angeklagten einen Beweis
überhaupt nicht angetreten; ebensowenig für die Behauptung, dass
eine „antistaatliche Tätigkeit“ des Privatklägers vorliege. Der
unerhörte verlogene Anwurf, der Privatkläger „beschimpfe durch
ganze Jahre die tschechoslowakischen Staatsmänner“, wird nur
durch die Komik der Mitteilung abgeschwächt, er habe „die Gast
freundschaft dieses Staates genossen“, eine Angabe, die den Ein
druck erweckt und vielleicht erwecken soll, dass er wie so viele
Journalisten auf Kosten des Staates dort gelebt und sich dann un
dankbar erwiesen habe. In Wahrheit hat er dort wiederholt Vor
lesungen abgehalten, deren Ertrag vielfach dortigen wohltätigen
und zwar proletarischen Zwecken gewidmet war. (In Brünn, für
welche Stadt in der offenbaren Absicht der Stimmungsmacherei der
Name des Herrn Ministers Czech genannt wird, sei hier zum Nach
weis solcher charitativer Widmungen Frau Minister Czech als
Zeugin geführt.) Was also die „antistaatliche Tätigkeit“ betrifft,
so haben sich offenbar die intellektuellen Führer der sozial
demokratischen Partei den Grundsatz zu eigen gemacht „Der Staat
bin ich“, und fassen die Kritik des Privatklägers an ihrem unheil
vollen Wirken als eine antistaatliche Tätigkeit auf.


Es ist aber nicht der Angriff gegen die
intellektuellen Führer der sozialdemokratischen Partei allein, der
den Angeklagten Sonka zu seinen Ausfällen hinriss, sondern haupt-
sächlich eine weit zurückliegende Kränkung darüber, durch den
Privatkläger seiner Talentlosigkeit als Lyriker an urkomischen
Beispielen überführt worden zu sein. (Auch als talentloser Politiker
wurde er seinerzeit in der Fackel behandelt und ihm ausserdem die
Verfälschung eines Angriffs in ein Lob zu Reklamezwecken nachge
wiesen). Vorher hat er dem Privatkläger seine talentlosen Lyrikbände
60mit dem Ausdrucke der Verehrung zugesendet, den letzten im Februar
1915, also Monate nach dem Erscheinen des Aufsatzes „In dieser
61grossen Zeit“ (Fackel Nr. 404 vom 5. Dezember 1914), dessen Stelle
über das Kriegsmanifest Franz Josefs ihm schon seinerzeit dazu – mit der
gleichen Verfälschung des Zitates – den willkommenen Anlass ge
boten hat, an dem Privatkläger sein dürftiges Mütchen zu kühlen.
Die Erk K enntnis dieser Stelle wie auch alle Vorkriegsartikel der
Fackel, kurz alles was Herrn Sonka von der militaristischen Ge
sinnung des Privatklägers überzeugt hat, hat ihn nicht abgehalten,
im Jahre 1910, ja im Februar 1915 seine Verehrung kundzutun. Die
genaue Darstellung des Sachverhaltes, die durch die Notwendigkeit
der Zitierung von mehr als hundert Seiten der Fackel diesem not
wendiger- und bedauerlicherweise ausgedehnten Schriftsatz eine un
erträgliche Länge geben würde, kann über Wunsch des Gerichtes durch
die Verlesung dieser Stellen geboten werden. Zu diesem Zwecke wer
den die Herrn Sonka betreffenden Fackel-Hefte vorgelegt und auf
62die folgenden Stellen verwiesen: Heft Nr. 514–518 vom Ende Juli 1919
63 Seite 1 bis 5, Seite 9 bis 11, Seite 59ff.; Fackel Nr. 521–530 vom
64Januar 1920, Seite 80 bis 86 und Fackel Nr. 531–543 vom April 1920,
Seite 95 bis 140.


Ist aber schon Partei- und Privatrache eine
schlechte Beglaubigung für das publizistische Richteramt, so hat


aus dem „anderswo“ hervor, das einfach erfunden ist, da der
Herausgeber der Fackel seit deren Gründung – ausser ein paar
Vorabdrucken in dem gewiss nicht militaristischen „Simplizissimus
(1908) – nicht eine einzige Zeile „anderswo“ veröffentlicht hat.
Nicht einmal aus dem Zusammenhang gerissen könnte aber jener Satz
bei einem unbefangenen Leser die Meinung auftauchen lassen, er
enthalte eine „ungeschminkte Verehrung des Militarismus“, sondern
es ist klar, dass er die Würdigung einer Männlichkeit bedeutet, die
immerhin turmhoch über dem literarischen Libertinertum steht.
Dies wird noch klarer, wenn der Satz in seinem Zusammenhang
65wiedergegeben wird. Die Stelle lautet:


„Die Erinnerung an Pola wiederholt das Gefühl der
Ueberraschung, in einem Staatsleben, dessen Ordnung die Träg
heit und dessen Farbe die Hässlichkeit ist, eine sonnige Stel
le zu finden. Die sittliche Kraft des Heeres würde nicht aus
reichen, unter allen Oesterreichern Manneszucht zu halten, aber
es gibt unter ihnen Menschen, die mit Recht dort unten wohnen
und nicht darüber klagen sollten, dass es ihnen die Vorsehung
erspart hat, auf diesem schwankenden Festland zu leben. Menschen,
die innen so beschaffen sein müssen wie aussen und die anzu
schauen das Gefühl dieser Einheit bestätigt und hundertmal das
Gefühl, dass der Militärhass der Demokratie die Ueberlegenheit
des Misswachses über die Männlichkeit bedeutet. Es bedarf über
eine klare und gute Sache nicht vieler Worte; ganz einfach: Die
ästhetische Entschädigung eines Tages in Pola für ein Jahr in
Wien, an und für sich nicht zu unterschätzen, berührt den tiefer
liegenden Unterschied von Menschenwert und Fliegenplage.“


Von einer Verehrung des Militarismus als
solchen kann keine Rede sein. Der Privatkläger bekennt sich jedoch
nach wie vor zu dem scheinbaren Widerspruch, der ihm nur von Blöd
gesinnten angekreidet werden könnte: dass er mutige Männlichkeit
schätzt, den Krieg aber verabscheut.


Was nun die ungeschminkte Verehrung des
Privatklägers für den österreichischen Adel betrifft, – „knapp vor
dem Kriege“, womit offenbar gesagt werden soll, dass sie in vollem
Bewusstsein einer militaristischen Einstellung geäussert wurde –,
so tun die Angeklagten so, als ob der Privatkläger demokratische
Ehrenhaftigkeit gegenüber einer aristokratischen Verkommenheit
herabgesetzt hätte. In Wirklichkeit sind die von den Angeklagten
entstellt zitierten Sätze aus einem polemischen Artikel „Sehn-
66sucht nach aristokratischem Umgang“ (Nr. 400–403 vom 10. Juli 1914,
Seite 90–95), in dem satirisch gegen Verleumder Stellung genommen
wird, die dem Privatkläger in anonymen Briefen und Druckschriften
vorwarfen, er sei ein „Schauspieler der Ethik“, der „mit grossem
Ehrgeiz auf aristokratischen Umgang aspiriere, und sehr stolz
darauf, dass sich in seinen Vorlesungen einige Mitglieder des
ganz reaktionären Provinzadels blicken liessen, die natürlich
die angeblich linksradikalen Angriffe auf die jüdischen Liberalen,
Bourgeoisie und ‚Neue Freie Presse‘ mit sehr rechtskonservativem
Wohlbehagen anhörten … Kraus, dieser Schauspieler der Ethik,
war ja nie wählerisch in Bezug auf sein Publikum. Zuerst war er
glücklich über den Beifall derselben Juden und Journalisten, die
er in seinen wütenden Satiren angeblich verachtete. Jetzt ist
er immerhin zum Hofnarren avanciert. Seine radikalen literarischen
Freunde, aber auch alle, die Religion und klerikale Feudalherr
schaft nicht identifizieren, werden ihm den Rücken kehren und
er wird zum literarischen Hausjuden des Grafen X. emporsteigen.“


Diese unwahren und unwahrhaftigen, später
vom Schreiber selbst reuig zurückgezogenen Behauptungen, ledig
lich dadurch hervorgerufen, dass der Privatkläger mit einigen aus
gezeichneten Menschen von Adel vertrauten Umgang pflog, die ganz
im Gegenteil zu der Sorte Menschen, welche ihn hier anpöbelten,
trotz vielen Divergenzen der Anschauung ihn niemals in seinem
geistigen Schaffen zu beeinflussen suchten, mussten auf das Ent-
schiedenste abgetan werden. Der Privatkläger hat niemals ein Hehl
daraus gemacht, dass er den liberalen Standpunkt in der Politik, im
Wirtschaftsleben und in der Meinungsäusserung ablehne. Was er aber
mit seiner „Sehnsucht nach aristokratischem Umgang“ gemeint hat,
möge aus den nunmehr vollständig wiedergegebenen Sätzen, von denen
die Angeklagten nur Teile, um eine Meinung zu entstellen, zitieren,
entnommen werden. In dem Aufsatz heisst es auf Seite 92:


„Meine radikalen literarischen Freunde, die noch ahnungs
loser waren als die feudalen Privatgesellschaften, sind endlich
aufmerksam geworden, denn sie können zwar schreiben, aber nicht
lesen und haben darum seit fünfzehn Jahren nicht gemerkt, dass
ich die Pest weniger hasse als meine radikalen literarischen
Freunde. Sie haben meinen Angriffe auf die jüdischen Liberalen,
auf Bourgeoisie und Neue Freie Presse für linksradikal gehalten
und nicht geahnt, dass sie, wenn ich überhaupt etwas will und
wenn sich das, was ich will, auf eine staatsverständliche Formel
bringen lässt, im höchsten Masse rechtsradikal sind. Sie haben
geglaubt, ich sei ein Revolutionär, und haben nicht gewusst,
dass ich politisch noch nicht einmal bei der französischen
Revolution angelangt bin, geschweige denn im Zeitalter zwischen
1848 und 1914, und dass ich die Menschheit mit Entziehung
der Menschenrechte, das Bürgertum mit Entziehung des Wahlrechts,
die Juden mit Entziehung des Telephons, die Journalisten mit
Aufhebung der Pressfreiheit und die Psychoanalytiker mit Ein
führung der Leibeigenschaft regalieren möchte. Nicht was
schwarz unter den Fingernagel geht, haben sie es geahnt, und
nun fällt es ihnen wie Schuppen von den Haaren. Sie haben
entweder die aufschlussreichsten Nummern der Fackel verpasst,
weil sie gerade in der Hand oder nur gestohlen war, oder auch
nicht gemerkt, dass der tausendste Teil meiner – angeblich –
linksradikalen Glossen, auf eine im Staat geläufige Tendenz
herabgesetzt, einen Konservatismus von einer Blutbereitschaft
propagiert, gegen den tausend Jahrgänge von tausend klerikalen
Zeitungen die Sprache einer Protestversammlung des Monistenbundes zum Schutze reisender Kaufleute führen. Sie haben nicht
gehört, dass mir ein verhängter Himmel, dem eine Weltanschauung
erspart bleibt, immer noch besseren Trost bringt, als eine
freie Erde, die zum Himmel stinkt. Es ist ihnen entgangen, dass
ich untröstlich bin, die Machtmittel der Staaten nicht gegen
den Zerfall der Völker aufbieten zu können, und nur zufrieden
in der Gewissheit, dass dem auf den Glanz hergerichteten Mensch
heitspofel, der jetzt allerorten zu sehen ist, der grosse
Ausverkauf bevorsteht. Solche Stimmungen, Ahnungen, Hoffnungen
habe ich, wenn’s meine radikalen literarischen Freunde nicht
merkten, heimlich aus Hirn und Herz direkt ins Heft übernommen.
Das aber haben sie zum Glück verpasst, überschlagen oder nicht
verstanden, und sind jetzt fataler Weise aufmerksam gemacht
worden.“


Auf Seite 94f.:


„Was kann ich gegen diese Feststellung anderes vorbringen,
als dass sie wahr sein könnte, wenn die feudale Gesellschaft
und der aristokratische Umgang durchaus so weit wären, meiner
würdig zu sein? Das Zeug dazu – und wenn Legionen von
radikalen literarischen Freunden mir den Rücken, ja selbst
das Gesicht zukehren wollten, ich bekenne es – das Zeug dazu
hätten sie! Von Gnaden der Idee, die irgendwo hinter ihrer
Geburt lebt, und bliebe ihr schweissloses Dasein unberührt
von einer zeitlichen Gemeinheit, die auch einen Grafen zum
Verwaltungsrat macht, seinen Sohn zum Disponenten und die
das Geschmeiss der öffentlichen Meinung den Triumph des
Fortschritts bejubeln lässt, weil der Träger einer gutgebore
nen Nase endlich eine Börsenkarte gelöst hat. Ja, ich aspiriere
auf aristokratischen Umgang; aber ich, ewig unbelohnter Stre
ber, finde ihn allzu selten. Wenn irgendwo, ist hier der letzte
Funke Hoffnung auf eine Jugend, die ich den Klauen der Ent
wicklung entreissen möchte, wenn irgendwo könnte ich hier
den Versuch wagen, das Unerfüllbare in die Umgangssprache
des Lebens, der Politik, ja der Gesellschaft umzusetzen. Mir,
der weiss, dass die Empfindungen des letzten Stallpintsches
erhaben sind über der Ausdrucksfähigkeit eines kosmisch
interessierten Literaturgesindels, und der von staatswegen
einen Kommerzienrat zwingen möchte, dem letzten Stallknecht
zu dienen, mir sollte füglich nicht verübelt werden, dass ich
dort, wo ich vergebens aristokratischen Umgang suche, auf
demokratischen verzichte! Ich möchte nicht bis zu Wohltätig
keitsbazaren vordringen, wo Parvenus nach unten um die Gunst
von Handelsleuten buhlen. Dass ich trotzdem hinreichend
verdächtig bin, aristokratischen Umgang zu suchen, müsste
der demokratische längst heraushaben: ihn fliehe ich. Er
ist die Pest, die sich des Daseins freut und ihrem eigenen
Bazillus nicht auf der Spur ist. Sein Blick löst Welträtsel
und dreht mir den Magen um. Er analysiert mir den Traum, in
den mein Ekel flüchtet. Er weckt mich und ich suche einen
König, der eine Bombe hätte für diesen allzu klugen Untertan.
Ich weiss, was auf dem Spiel steht: Rettet unsere Seelen!
Ich weiss und bekenne, und auf die Gefahr hin, fortan ein
Politiker zu sein oder gar ein Aesthet, als unwiderrufliches
Programm: dass die Erhaltung der Mauer eines Schlossparks,
der zwischen einer fünfhundertjährigen Pappel und einer
heute erblühten Glockenblume alle Wunder der Schöpfung aus
einer zerstörten Welt hebt, im Namen des Geistes wichtiger
ist als der Betrieb aller intellektuellen Schändlichkeit,
die Gott den Atem verlegt!“


Von einer ungeschminkten Verehrung des
österreichischen Adels kann also auch keine Rede sein, sondern
lediglich von einer Ablehnung alles dessen, was sich gegen den
Geist erhebt und ihn schändet.


Wegen des Kriegsmanifestes Franz Josefs
hat sich der Privatkläger mit dem Angeklagten Sonnenschein schon
einmal befassen müssen, als dieser ihn im ‚Neuen Wiener Journal
mit der gleichen Verfälschung des Zitates angriff. Obwohl ihm die
Verfälschung damals vor Augen gehalten wurde, scheut er sich nicht, sie
hier neuerlich zu machen. Auf den damaligen Angriff des Herrn
Sonnenschein im ‚Neuen Wiener Journal‘:


„Was aber gebührt einem Gesinnungskünstler, der am
5. Dezember 1914 das Kriegsmanifest Franz Josefs folgender
massen begrüsst: ‚… über jenem erhabenen Manifest, das
die tatenvolle Zeit eingeleitet, dem einzigen Gedicht, das
sie bis nun hervorgebracht hat, über dem menschlichsten
Anschlag, den die Strasse unserem Auge widerfahren lassen
konnte …‘?“


67hat der Privatkläger geantwortet (Nr. 531–543 vom April 1930,
Seite 127–129):


„Mir bleibt doch nichts erspart. Ich glaube aber fast,
man hat mich drangekriegt. Ist dieser Sonnenschein wirklich
so intellektuell, dass er den Satz für seine Zwecke benützen
zu können glaubt, oder stellt er sich nur so? Hat er unserm
Auge einen ‚Anschlag‘ widerfahren lassen, indem er so tut, als
ob dieses Wort bloss ein Plakat bedeutete? Als ob ich auf der
Suche nach einem König mit der Bombe für den intellektuellen
Untertan nun beglückt gewesen wäre, schon ein paar Wochen
später einen Kaiser zu finden, der’s der ganzen Menschheit
besorgt? Als ob ich sein Kriegsmanifest wirklich ‚begrüsst‘
hätte? Ja, denkt der Leser, der sich nicht erinnert, was ich
am 5. Dezember 1914 erscheinen liess: der hat eben im Anfang
des Kriegs genau so wie alle andern mitgeheult. Er begrüsst
nicht nur das erhabene Manifest, sondern auch die tatenvolle
Zeit, er nennt jenes ein Gedicht – was doch offenbar der Super
lativ des Entzückens ist, wie wenn man dem Wiener sagt, dass
eine Mehlspeise geradezu ein Gedicht sei –, er gewährt einen
Anschlag, das heisst ein Plakat, voll des menschlichsten
Inhalts, jedenfalls in dem Sinne, dass wir einen heiligen
Verteidigungskrieg führen und dass unser Sieg die Menschlich
keit über die Erde verbreiten wird, aber nicht im Sinne des
Menschlichkeitspofel, der allerorten zu sehen ist, sondern
natürlich ganz anders, denn nicht Humanität, sondern Krieg
ist wahre Menschlichkeit. Kein Zweifel, der hat damals mit den
andern, die daheim sassen, berserkerhaft um sich geschlagen
und geholfen, die Russen und die Serben in Scherben zu hauen,
um selbst davon enthoben zu werden. Man hat das nur vergessen
und ist dem Gesinnungskünstler, der sich immer darauf be
ruft, er habe vom Ultimatum an – sehr im Widerspruch zu seinen
früheren Ansichten – gegen den Krieg gesprochen, glatt aufge
sessen. Es ist Sonkas Verdienst, der Welt, an der er verkommen
musste, während sie jenen zu Ehren gelangen liess, die Augen
geöffnet zu haben. Jawohl, er kannte den Satz, er überwand
seinen Ekel vor mir, schrie den vor Europa hinaus und sandte
mir das Werk in Verehrung zu. Und ich habe nicht sein Gedicht,
sondern das des Franz Josef gelobt! Man wird ordentlich neu
gierig auf den kriegshetzerischen Aufsatz, in dem das Lob
enthalten war. ‚In dieser grossen Zeit‘ heisst er. Aber, denkt
da der Leser, der sich zu erinnern beginnt, das war ja jene
radikale Absage an den Krieg und Ansage des Kriegs an ihn,
jenes den Pygmäen der grossen und den Parasiten der ‚taten
vollen Zeit‘ gestellte Ultimatum, das durch seinen Freimut die
Kriegszensur so verblüfft hat, dass sie es erscheinen liess?
Wie reimt sich dies Faktum mit jenem Diktum? Wie entsteht
da ein Gedicht? Wie kommt die Stelle in den Aufsatz? Etwas
anders als ins Neue Wiener Journal; nämlich so: ‚Ueber jenem
erhabenen Manifest, jenem Gedicht, das die
tatenvolle Zeit eingeleitet, dem einzigen Gedicht,
das sie bis nun hervorgebracht hat, über dem menschlichsten
Anschlag, den die Strasse unserm Auge widerfahren lassen
konnte, hängt der Kopf eines Varietékomikers, überlebens
gross‘. Sogar zweimal wird – in der Kritik der Würdelosigkeit
Wiens – gesagt, dass es ein Gedicht ist? Eben. Hat nun Sonka,
dem ich eine so feine Abschätzungsfähigkeit für Stilwirkungen
gar nicht zugetraut hätte, nicht vielleicht bewirkt, dass das
Lob des ‚einzigen Gedichts‘ zum Lob des Inhalts und die Weg
lassung des ‚Gedichts‘ zum Lob der tatenvollen Zeit wurde?
Dass das ‚erhabene Manifest‘, welches nur ein Terminus, eine
Bezeichnung der Sphäre, und die ‚tatenvolle Zeit‘, die eine
hohnvolle Anwendung war, positiven Inhalt bekamen? Ich meinte
das ‚kaiserliche‘ Manifest, ein schlichter Reporter hätte es
so gesagt; ich sagte, was die feierlichen Reporter sagen.
Deutlicher konnte ich damals leider nicht aussprechen, dass
ich es nicht für erhaben hielt. Nur als Gedicht erhaben, doch
als Tat ein ‚Anschlag‘. Aber für jene, die mich zu lesen ge
lernt haben, war’s deutlich.“


Es ist nun notwendig, einige der markantesten
Stellen aus dem Aufsatz zu zitieren, in dem das Manifest FranzJosefs als Gedicht – um einer starken dichterischen Zeile willen –
gelobt, als Anschlag – den die Strasse dem Auge „widerfahren“
liess – verurteilt wurde; um dem Gericht darzutun, dass hier
eine unerbittliche, damals Aufsehen erregende Absage an den Krieg
und Ansage des Krieges an ihn vorliegt. Damit die Gesinnung eines
Angeklagten, der sich das Recht herausnimmt, eine andere Gesinnung
zu kritisieren, im grellsten Lichte dastehe. Es heisst dort in
68Nr. 404 der Fackel vom 5. Dezember 1914 auf Seite 1 und 2:


„ In dieser grossen Zeit
die ich noch gekannt habe, wie sie so klein war; die wieder
klein werden wird, wenn ihr dazu noch Zeit bleibt; und die
wir, weil im Bereich organischen Wachstums derlei Verwandlung
nicht möglich ist, lieber als eine dicke Zeit und wahrlich
auch schwere Zeit ansprechen wollen; in dieser Zeit, in der
eben das geschieht, was man sich nicht vorstellen konnte, und
in der geschehen muss, was man sich nicht mehr
vorstellen kann, und könnte man es, es geschähe
nicht –: in dieser ernsten Zeit, die sich zu Tode gelacht
hat vor der Möglichkeit, dass sie ernst werden könnte; von
ihrer Tragik überrascht, nach Zerstreuung langt, und sich
selbst auf frischer Tat ertappend, nach Worten sucht; in
dieser lauten Zeit, die da dröhnt von der schauerlichen
Symphonie der Taten, die Berichte hervorbringen, und der Be
richte, welche Taten verschulden: in dieser da mögen Sie von
mir kein eigenes Wort erwarten. Keines ausser diesem, das
eben noch Schweigen vor Missdeutung bewahrt. Zu tief sitzt
mir die Ehrfurcht vor der Unabänderlichkeit, Subordination
der Sprache vor dem Unglück. In den Reichen der Phantasie
armut, wo der Mensch an seelischer Hungersnot stirbt, ohne
den seelischen Hunger zu spüren, wo Federn in Blut tauchen
und Schwerter in Tinte, muss das, was nicht gedacht wird,
getan werden, aber ist das, was nur gedacht wird, unaussprech
lich. Erwarten Sie von mir kein eigenes Wort. Weder vermöchte
ich ein neues zu sagen; denn im Zimmer, wo einer schreibt, ist
der Lärm so gross, und ob er von Tieren kommt, von Kindern
oder nur von Mörsern, man soll es jetzt nicht entscheiden.
Wer Taten zuspricht, schändet Wort und Tat und ist zweimal
verächtlich. Der Beruf dazu ist nicht ausgestorben. Die jetzt
nichts zu sagen haben, weil die Tat das Wort hat, sprechen
weiter. Wer etwas zu sagen hat, trete vor und schweige!“


Auf Seite 10 und 11:


„Man könnte aber einmal dahinter kommen, welch kleine
Angelegenheit so ein Weltkrieg war neben der geistigen
Selbstverstümmelung der Menschheit durch ihre Presse, und
wie er im Grund nur eine ihrer Ausstrahlungen bedeutet hat.
Vor einigen Jahrzehnten mochte ein Bismark, auch ein Ueber
schätzer der Presse, noch erkennen: ‚Das, was das Schwert
uns Deutschen gewonnen hat, wird durch die Presse wieder
verdorben‘, und ihr die Schuld an drei Kriegen beimessen.
Heute sind die Zusammenhänge zwischen Katastrophen und Re
daktionen viel tiefere und darum weniger klare.“


Auf Seite 11 und 12:


„Die Wahrheit ist, dass die Zeitung keine Inhaltsan
gabe ist, sondern ein Inhalt, mehr als das, ein Erreger.
Bringt sie Lügen über Greuel, so werden Greuel daraus. Mehr
Unrecht in der Welt, weil es eine Presse gibt, die es erlogen
hat und die es beklagt! Nicht Nationen schlagen einander: sondern
die internationale Schande, der Beruf, der nicht trotz seiner
Unverantwortlichkeit, sondern vermöge seiner Unverantwortlich
keit die Welt regiert, teilt Wunden aus, quält Gefangene, hetzt
Ausländer, macht Gentlemen zu Rowdys.“


Auf Seite 16:


„Und wenn sich die Welt zerfleischt, es kommt kein
Geist heraus! Er wird später nicht erscheinen; denn er
hätte sich jetzt verbergen, durch verschwiegene Würde sich
äussern müssen. Aber wir sehen rings im kulturellen Umkreis
nichts als das Schauspiel, wie der Intellekt auf das Schlag
wort einschnappt, wenn die Persönlichkeit nicht die Kraft
hat, schweigend in sich selbst zu beruhen. Die freiwillige
Kriegsdienstleistung der Dichter ist ihr Eintritt in den
Journalismus. Hier steht ein Hauptmann, stehen die Herren
Dehmel und Hofmannsthal, mit Anspruch auf eine Dekoration
in der vordersten Front und hinter ihnen kämpft der losge
lassene Dilettantismus. Noch nie vorher hat es einen so
stürmischen Anschluss an die Banalität gegeben und die
Aufopferung der führenden Geister ist so rapid, dass der
Verdacht entsteht, sie hätten kein Selbst aufzuopfern
gehabt, sondern handelten vielmehr aus der heroischen Ueber
legung, sich dorthin zu retten, wo es jetzt am sichersten
ist: in die Phrase.“


Aus diesen „paar Proben aus dem literari
schen Werk des Privatklägers“ geht also klar hervor, dass er
ebensowenig kurz vor dem Kriege als im Krieg ein ostentativer
Vergötterer des zum Deutschen Reich hin orientierten öster
reichischen Militarismus mit allem seinen Zubehör war, sondern
im Gegenteil geht daraus hervor, dass er den Krieg und sein
Zubehör, insbesondere sein literarisches Zubehör, von allem Anfang
an verabscheut hat. Ueber das sonstige, ziemlich bekannte Wirken
des Privatklägers im Kriege schweigen sich die Angeklagten gründ
lich aus. Nach den einleitenden Worten des dritten Absatzes ihres
Schriftsatzes „Nach Beendigung des Krieges fand beim Privatkläger
gleich im Jahre 1919 ein rascher Umsturz in seiner politischen
Gesinnung statt, so dass bei einem objektiven Betrachter dieser
auffälligen Aenderung der Privatkläger notwendig den Eindruck er
wecken musste, dass bei ihm der rasche Wechsel in den Grundan
schauungen hinsichtlich der Grundprinzipien des Staates nicht das
Ergebnis einer geistigen Umorientierung, sondern eher die Folge
des staatlichen Umsturzes war, dessen Form und politischer
Majorität sich der Privatkläger in seinen literarischen Arbeiten an
gepasst hat“, müsste man glauben, dass er während des Krieges
entweder überhaupt nichts von sich habe hören lassen, also sein
Wort „Wer etwas zu sagen hat, trete vor und schweige!“ wahrge
macht habe oder ganz entgegen seiner Haltung in den oben zitier
tes Sätzen wirklich für den Militarismus eingetreten sei. Es
verwundert einen da nur, dass die Angeklagten es sich entgehen
liessen, dieses Eintreten für den Militarismus nachzuweisen, da
mit es augenfällig werde, dass im Jahre 1919 wirklich ein
„rascher Umsturz in seiner politischen Gesinnung“ stattfand.
Denn wenn der Privatkläger wirklich vom Jahre 1914 bis zum Jahre
1919 geschwiegen und erst dann seine augenfällige Aenderung be
kundet hätte, so wären doch vier Jahre Krieg gewiss hinreichend
gewesen, um eine geistige Umorientierung hervorzurufen, und es
wäre dann nicht angebracht, hier von einem „raschen Umsturz“ in
den Grundanschauungen des Privatklägers zu sprechen. Weiters
fällt aber auf, dass das nächste Zitat, das die Angeklagten an
führen, aus der Nummer 508–513 stammt, während das Zitat über das
Manifest Franz Josefs aus der Nummer 404 stammt, dass also zwi
schen diesen beiden Heften 104 Nummern der Fackel liegen, über
die die Angeklagten kurz entschlossen hinweggehen. Welcher von
den Schreibern, von denen Herr Sonka die Stirne hat zu behaupten,
dass sie durch Karl Kraus „diskreditiert“ seien, wagte es vorzu
treten und zu sprechen, dass sie einen militaristischen Inhalt
hatten? Welchem von ihnen wäre die Art der Wirksamkeit der Fackel
im Kriege nicht bekannt. Diese 104 Nummern mit 1988 Seiten sind
ein einziger grosser Angriff gegen den Krieg und die Krieg
führenden, ein Angriff gegen das damalige Oesterreich-Ungarn
und Deutschland, ein Angriff gegen alle Nutzniesser des Krieges
und eine einzige Wehklage über dessen Opfer. Der vernichtende
Ausgang für die kriegführenden Mittelmächte wurde vorausgesehen
und vorausgesagt.


Die Haltung des Privatklägers im Kriege
wurde auch von der sozialdemokratischen Partei trotz aller
Divergenz in den Anschauungen über Politik in hundert Huldi
gungen anerkannt, ja die Einstellung gegenüber dem Kriege war
geradezu das einzige geistige Bindeglied der Partei mit dem
Privatkläger. So schrieb aus Anlass der Vollendung des 20. Jahr
ganges der sozialdemokratische Präsident der deutsch-österreichi
sehen Nationalversammlung, Seitz, am 1. Mai 1919 an den Privat
69kläger (abgedruckt auf Seite 21 der Nr. 514–518, Ende Juli 1919):


„Die Vollendung des zwanzigsten Jahres, seitdem die
Fackel zu erscheinen begonnen hat, gibt mir den erwünschten
Anlass, Ihnen für das grosse Werk, das Sie in diesen zwei
Jahrzehnten zur Reinigung, Versittlichung und Vergeistigung
des öffentlichen Lebens geleistet haben, meinen aufrichtigsten
Dank zu sagen. Insbesondere wird ihr tapferer, mutiger, be
harrlicher Kampf gegen den Krieg und gegen alles Gemeine
und Herabwürdigende, das von ihm ausging, unvergesslich bleiben.
Hier fand die sittliche Empörung gegen die Kriegsbarbarei
ihren leidenschaftlichsten Ausdruck und die Gewalt der
Emfindung vermählte sich mit der Gewalt der Form, so den
Geist zur Tat gestaltend.“


Die gleiche Einstellung fand ihren Ausdruck in einem Glückwunsch
schreiben des Bürgermeisters der Stadt Wien Seitz vom 28. April
701924 (abgedruckt auf Seite 149 der Nr. 649–656, Anfang Juni 1924):


„Wir haben Ihnen für Ihren mit sittlichster Leidenschaft
geführten Krieg gegen den Krieg zu danken, dessen Unmenschlich
keit Sie in Ihrer unsterblichen Tragödie so geschildert haben,
dass die Menschheit es nie vergessen kann. Wir haben Ihnen
aber auch für den moralischen Mut zu danken, dass Sie den
steten und beharrlichen Kampf gegen alle, die das öffentliche
Leben verfälschen, die den Lügengeist der Zeit bestimmen, und
die einstmals die Herrschenden und Mächtigen im Staate waren,
auf sich genommen und unbekümmert um äusserlichen Erfolg,
allen Verkleinerern und Widersachern zum Trotz, mit nie ver
sagender Energie geführt haben.“


Es wird ferner auf die in dem gleichen Heft abgedruckten Kritiken
über das Kriegswerk „Die letzten Tage der Menschheit“ hingewiesen;
von Prof. Otakar Fischer, Ceské Slovo, Seite 88ff.; Přitomnost, Seite93ff., und auf die verschiedenen dort abgedruckten Geburtstags
artikel: Arbeiter-Zeitung , Seite 105ff.; Prager Tagblatt, Seite 109ff.


Es ist natürlich unmöglich die 1988 Seiten
der 104 Fackel-Nummern, die während des Krieges erschienen sind,
dem Gerichte vorzulegen oder gar deren Verlesung zu beantragen.
Aber schon aus den wenigen Proben, die vorgelegt werden müssen,
um die Einstellung des Privatklägers zum Deutschen Reich und zum
österreichischen Militarismus darzutun, wird klar hervorgehen,
dass hier tatsächlich ein beispielloser Kampf gegen den Krieg
und die Kriegsbarbarei vorliegt und eine beispiellose Fälschung
durch deren Verschweigung oder gar Vermehrung ins Gegenteil. Es
werden diesem Schriftsatz angeschlossen:


die Nummern 413–417 mit dem Aufsatz „Schweigen, Wort und Tat
71 auf den Seiten 25 und 28;


die Nummern 418–422 mit der Glosse „Ein Irrsinniger auf dem
72 Einspännergaul“ auf den Seiten 15 und 16;


die Nummern 423–425 mit dem Gedicht „Gebet an die Sonne von
73 Gibeon“ auf den Seiten 58 bis 64;


die Nummern 474–483 mit der Glosse „Ein Kantianer und Kant
74 auf den Seiten 155 und 156 und


75 die Nummern 499–500 mit dem Gedicht „Lied des Alldeutschen
auf den Seiten 6 bis 12.


Hervorgehoben muss werden, dass die Glosse „Ein Kantianer undKant“ , und das Gedicht „Lied des Alldeutschen“ eine direkte Wilhelmsatire während des Krie
ges (1917) wiederholt in Wien und , ja zum Teil in deutschen Städten zum Vor-
trag gebracht wurden. (In Frankfurt wurde vom alldeutschen Blatt
die sofortige ein Artikel geradezu auf die Ausweisung des Frevlers am deutsch-militaristi
schen Ideal verlangt hin geschrieben) . Dass dies im Kriege möglich war, ist ge
wiss erstaunlicher, als dass der Privatkläger einen Pass er
hielt, „mit dessen Hilfe er eine beträchtliche Zeit in der
Schweiz verbrachte und noch im Kriege wieder ohne irgend welche
Hindernisse in die österreichisch-ungarische Monarchie zurück
kehrte“. Offenbar stellen sich die Angeklagten die Tätigkeit
des Privatklägers während des Krieges so vor, dass er Spionage
betreiben hätte sollen oder dergleichen, was ihm allerdings die
Erlangung eines Passes und die Rückreise unmöglich gemacht hät
te. Aber selbst die österreichisch-ungarische Monarchie hatte
im Kriege noch so viel Verständnis für die Tätigkeit des Privatklägers, dass sie ihn zwar als Gegner, aber nicht als einen
Verbrecher anzusehen hatte, und offenbar noch so viel Kultur,
dass auch der schärfste Vorhalt der eigenen Handlungen möglich
war, was eben bei einer sozialdemokratischen Regierung nicht
möglich gewesen wäre, wenn deren geistige Handlanger sich zu
einer so bodenlosen Umlügung vorhandener Sachverhalte hergeben.


Aber nicht nur in Wort und Schrift und
öffentlich ist der Privatkläger gegen den Krieg aufgetreten. Er
kann wohl auf den einzig dastehenden Fall hinweisen, die in den
ersten Kriegswochen durch seinen Verlag gezeichnete Kriegsanleihe
widerrufen zu haben, weil in ihm die Erkenntnis wach wurde, dass
die Unterstützung der Kriegführung am Kriege mitschuldig mache.
Es wird das Schreiben der Wechselstube der Unionbank vom
76 18. November 1914 mit der Subskriptionsanmeldung auf 10.000.–– Kro-
77 nen Kriegsanleihe und das Schreiben vom 30. November 1914 mit der
Mitteilung auf Streichung dieser Vormerkung vorgelegt. Es ist
wohl eine besondere Unverfrorenheit der Angeklagten, zu behaupten,
der Privatkläger sei kurz vor dem Krieg ebenso wie im Krieg ein
ostentativer Vergötterer des zum Deutschen Reich hin orientierten
österreichischen Militarismus mit all seinem Zubehör gewesen. Noch
frecher aber ist der Satz, es habe nach Beendigung des Krieges bei
ihm „gleich im Jahre 1919 ein rascher Umsturz in seiner politi
schen Gesinnung“ stattgefunden, und die Behauptung einer Aenderung
gegenüber der Sozialdemokratie. Die Haltung der sozialdemokratischen Partei wurde schon während des Krieges lobend anerkannt, da
sie sich (die österreichische) nach Missgriffen bei Kriegsbeginn
als einzige gegen die Greuelurteile der Auditoriate aufgelehnt
hatte. Den Ausdruck der gleichen Anerkennung bildet der von den
Angeklagten wieder nur verstümmelt zitierte Aufruf aus der Nummer
508–513 vom Februar 1919. Aus diesem Aufruf geht klar hervor, dass
es sich nicht um Weltanschauungsfragen des Privatklägers handelt,
dass er sich nicht Doktrin und Praxis der Sozialdemokratie zu eigen
gemacht hat, sondern dass das Eintreten für die (österreichische)
Partei nur die Anerkennung ihres – nach anfänglichen Irrungen –
pazifistischen Wirkens während des Weltkrieges war. Es heisst in
78 diesem Aufruf (Nr. 508–513, Seite 31):


„Nicht was einer sonst fürs Dasein will, nur dass er nicht
mehr eine Befehlsgewalt zum Tode will, soll er diesmal bekun
den. Denn seine Stimme sei nicht mehr und nicht weniger
als das Bekenntnis, dass er einer provisorischen Sicherheit
seiner Geldtasche zuliebe die Blutschuld übernimmt, oder sie,
für Vergangenheit und Zukunft, abweist. Jener wird christlich-
sozial, dieser sozialdemokratisch wählen. Jener wird sein
Scherflein zu dem Eindruck beitragen, dass ein ‚unschuldiges
Volk‘ die Tat seiner abgehausten Regenten nachträglich gut
heisse und ihrem fortzeugenden Fluch nicht entgegenzutreten
gesinnt und gesonnen sei. Der andere wird sich, mögen ihn
alle Interessen oder Ideale einer Friedenswelt von der
Sozialdemokratie scheiden , und auch der Antipolitiker, für
den der Gedanke erst jenseits der Gemeinschaft anfängt, zu
einer Partei bekennen, welche nicht grössere Kriegsschuld
belastet als eine Menschheit, deren Seelenkraft keinen hin
reichenden Schutz, keinen mehr, keinen noch, gegen
Mitrailleusen gewährt hat; welcher aber das Verdienst zuzu
sprechen ist, die grosse Zeit der Entehrung sehend durch
lebt und dem vaterländischen Zwang ihre Gesinnung verweigert
zu haben.“


79 Auch das Zitat aus der Nr. 514–518, Seite 86
vom Juli 1919, muss vollständig gebracht werden, damit der von
den Angeklagten vorgetäuschte Anschein, als ob der Privatkläger
lediglich Militär und Politik – und nicht vor allem die Presse
als Lehr erin meisterin der Phrase – für den Krieg verantwortlich gemacht
hätte, richtiggestellt werde:


„Der Mangel an Vorstellungskraft hat den Krieg ermög
licht; ein Rest von ihr ist nötig, um seine Ursache zu
erkennen. In diesem Circulus vitiosus geborgen, brandschatzt
der Journalismus weiter alle Besitztümer der wehrlosen
Menschheit. Nichts anderes ist ihr zu wünschen, nichts mit
inbrünstigerer Sehnsucht, nichts unter freudigerem Verzicht
auf die mutigste Anonymität, als dass die Republik, die
Blutsverwandtschaft erkennend, mit den hinterbliebenen
Parasiten der Kaiserzeit wie mit den Mitessern der Revolution
ein Ende mache; dass endlich Männerstolz vor Herausgeber
thronen einem Gewerbe, welches unter dem ruchlosen Vorwand
der Pressfreiheit das Volk in den Tod lügt, einer Industrie,
der nichts übrig blieb als den Geist Müssiggang zu nennen,
die Maschinen zerbreche.“


Es ist nun durchaus richtig, dass der
Privatkläger ähnliche Ansichten immer ausgesprochen hat, aber
gerade die von den Angeklagten zitierten Stellen aus den
80 Fackel-Nummern 766–770 vom Oktober 1927 und 771–776 vom Dezem
ber 1927 können ganz und gar nicht für die Sozialdemokratie ge
wertet werden. Diese beiden Hefte sind ein Angriff gegen den
Polizeipräsidenten Schober – vor dem die sozialdemokratische
Partei später den Kotau machte – und behandeln dessen Verspre
chen, gegen den Herausgeber der „Stunde“, den – von der Sozial
demokratie gestützten – Erpresser Bekessy, zu wirken, ein Ver-
sprechen, das gebrochen wurde, während derselbe Polizeipräsident
für Arbeiter, die gegen ein Justizunrecht demonstrierten, noch
nach Unterdrückung des Aufstandes alle Mittel der Gewalt bereit
hatte. Diese Hefte behandeln die Unerträglichkeit einer Inkon
gruenz, dass ein Polizeipräsident vor dem Revolver eines Erpresserjournalisten zurückwich, aber gegen aufständische Arbeiter
mit Maschinengewehren vorging. Sie beweisen zwar, dass der Privatkläger das Unrecht bekämpfte auch dann, wenn es von der staatlichen
Macht ausging, aber sie können niemals beweisen, dass sie für eine
Sozialdemokratie geschrieben waren, die damals schon längst in
die Reihe der hinterbliebenen Parasiten einbezogen worden war,
als ihre Führer ihr Amt parasitär ausübten. Dies begann schon
viel früher, zu einer Zeit, als die Partei noch lange an der
Macht war, die sie nie zu gebrauchen gelernt hatte, wohl aber
missbrauchte. Ist es wirklich möglich, einen Gesinnungswechsel
(und noch dazu aus Gewinnsucht), einen jener „Widersprüche“, die
doch das tausendmal wiederkehrende Leitmotiv der Fackel bilden,
daraus zu konstruieren, dass einer gegen Schober, dem ein
sozialdemokratischer Funktionär die Wagentür öffnete, und für
Dollfuss war, der im übermenschlichen Kampf gegen Hitler gefal
len ist? Ein Autor wie Carel Čapek, der eben die Dinge nicht mit
politischem Flachsinn betrachtet, hat zu diesem Thema dem Privatkläger wörtlich gesagt: „Man wird Ihnen wieder einmal einen
Widerspruch vorwerfen; aber der Widerspruch ist in denen, die
Ihnen diesen Vorwurf machen.“


Es ist unmöglich alle die Stellen aus den
vielen Jahrgängen der Fackel herauszusuchen, die sich mit dem
unheilvollen Wirken der sozialdemokratischen Führer beschäftig
ten. Aufs Geratewohl seien die Folgenden herausgegriffen: aus
81 der Nr. 732–734, Mitte August 1926, Seite 45f.:


„Die Frage: wo denn die sozialdemokratische Partei
geblieben ist, ob sie denn auch terrorisiert war, wie es
denn möglich war, dass die Freiheit so schmachvollen
Zwang ertrug, und warum sie sich vor dem, der sie befreien
wollte, auf die andern Sorgen zurückzog – solche Frage ist
so wenig zu fürchten wie nun Herr Bekessy, und sie würde
wohl unbeantwortet bleiben.“


82 Aus der Nr. 743–750, Dezember 1926, Seite 4:


„ Weg damit!
Die ihr errungenes Gut geschändet habt,
bezwungnes Böses nicht beendet habt,
der Freiheit Glück in Fluch gewendet habt;
Hinaufgelangte, die den Wanst gefüllt,
vor fremdem Hunger eigne Gier gestillt,
vom Futtertrog zu weichen nicht gewillt;
Pfründner des Fortschritts, die das Herz verliess,
da Weltwind in die schlaffen Segel blies,
vom Bürgergift berauschte Parvenüs,
die mit dem Todfeind, mit dem Lebensfeind
Profit der Freiheit brüderlich vereint,
die freier einst und reiner war gemeint –
mein Schritt ist nicht dies schleichende Zickzack,
mein Stich ist nicht dies zögernde Tricktrack;
er gilt politischem Paktiererpack!“


83 Aus der Nr. 757–758, April 1927, Seite 19:


„Ungleichheit beschlossen
hat die Vorsehung wohl.
Nicht alle Genossen
hab’n a Schloss in Tirol


84 Aus der Nr. 795–799, Anfang Dezember 1928,
Seite 21:


„Nicht zum zehnten Gedenktag dieser Republik, die darin
begründet ist, dass sie alle Uebel der Monarchie mit Aus
nahme eines Kaisers hat, spreche ich, sondern zum zehn
jährigen Tag meines Aufrufes ‚An alle, die die Wahl haben‘,
durch den ich viele von Ihnen der Partei zugeführt habe,
mit vielen Gründen und trotz ‚allen Interessen oder Idealen
einer Friedenswelt, die mich von ihr geschieden haben‘.
Sie hat in diesen zehn Jahren nur zu sehr davon gelebt,
dass keine andere Wahl blieb, und auch Sie müssen, wiewohl
Sie Sozialisten sind, der sozialdemokratischen Partei an
gehören.“


Aber um durch die Fülle des zu Bietenden
den Eindruck nicht zu schwächen, möge zum Abschluss nur noch
85 der Schlussabsatz aus dem in der Nr. 876–884, Mitte Oktober 1932,
ersch ienenen grossen Aufsatz „Hüben und Drüben“ zitiert werden,
besonders weil er schon die Schuldfrage der Sozialdemokratie an
dem Emporkommen des Nationalsozialismus berührt. Dort heisst es
auf Seite 29ff.:


„Die Haltung im Krieg gegen den Krieg – seither, und
insbesondere seit jenem Hingang, hundertmal wettgemacht
durch Feigheit vor dem innern Feind, durch eine Haltung
im Frieden, deren jeder Atemzug Kriegslüge ist –; das
damals weithin sichtbare Verdienst war das Zeichen, in dem
ich, in den Tagen trügerischer Hoffnung, hunderte junger
Herzen einer Partei zugeführt habe, der ich nicht angehörte,
die ich im Verhängnis politischer Uebel für das kleinere
nahm und die heute nichts ist als die zur Not und durch
Not erhaltene Organisation einer Alterserscheinung. Solches
hat damals mein Wort vermocht. Sollte es heute nicht mehr
vermögen, jene der Sache, zu der sie als der Sache von
damals stehen wollen, abzuwenden; sollte der Glaube an mich
schwächer sein als der Glaube, den er geweckt hat, so würde
es mir nicht über mich zu denken geben. Denn meiner Ohnmacht,
auch vor dem wenigen, das ich vermocht habe, bin ich mir
bewusst; ihr stolzes Gefühl ist in mein Wirken einbezogen,
dem keine Wirkung zugehört. Diejenige, auf die ich stets
am schnellsten verzichtet habe, ist die Verehrung solcher,
deren Zwiespalt in ihr sich offenbart. Dagegen darf ich
sagen, dass die Aussicht, von der Sozialdemokratie nicht
mehr verehrt zu werden, etwas ist, was meinen Lebensabend
verschönert, während der ihre vergällt wird durch den Zwang,
noch hin und wieder von meinem Dasein Notiz zu nehmen, und
durch den Krampf des Bestrebens, sich von der Bürgerwelt,
die mich totschweigt, in meinen Augen vorteilhaft zu unter
scheiden. Da ich den Unterschied gleichwohl nicht bemerke
und zufrieden bin, in der sozialdemokratischen Presse unge
nannt fortzuleben, so wäre vollends alles in Ordnung, wenn
ich ihr auch noch diese Sorge abnehmen könnte. Nichts
freilich, was immer die Sozialdemokratie mit mir vor hat,
könnte sie, solange mir die Greuel des gesellschaftlichen
Daseins noch Anreiz gewähren, davor schützen, von mir beach
tet zu werden! Nichts mich verhindern, gegen sie wie gegen
eine lästige Regierung, die kein Misslingen vom Ruder bringt,
zu Hass und Verachtung aufzureizen – ob sie nun als Partei,
als Gesamtheit, mit Sack und Pack, den Schutz der bürgerli
chen Justiz gegen Kränkung anrufen könnte oder stumm
leiden müsste, wie sie stumm gelitten hat vor jenem, der
die Macht hatte, von ihren Uebeln zu schweigen. Was aber
die betrifft, über die sie selbst Macht hat, diejenigen,
denen ich zum Anschluss an sie verholfen habe, so gehöre
ich keineswegs zu der Sorte, die, stolz auf eine Dummheit,
sie zum zweiten Male machen würde, und halte für eine solche
auch die Bejahung des Hoffens, gegen die Uebel einer Partei,
die aus nichts anderm mehr besteht als Uebeln, innerhalb
ihrer wirken zu können. Trage ich Schuld noch an solcher
Betörung Gläubiger, so bin ich ihrer ledig, wenn ich ihnen
gesagt habe, dass der Glaube nur durch die Abkehr von einer
Kirche zu retten ist, die die Priester entweiht haben. Wie
sich die Treue zu diesen fortan mit der zu mir verbinden
könnte, wäre ein Problem, das mir so lange Unbehagen schafft,
als nicht da oder dort die Lösung erfolgt. Nie würde es mir
in den Sinn kommen, den reinlichen Austritt aus meiner schwa
chen Organisation, die nichts zu bieten hat als etwas geisti
ge Nahrung und keine soziale oder gar nationale Hoffnung, mit
dem Wunsch zu belohnen, die, die ihn vollziehen, möge der
Teufel holen – einer von denen, deren die Welt nun voll ist
und an deren Erschaffung der Sozialdemokratie das Hauptver
dienst gebührt. Drüben und hüben!“


Nach diesen durch acht Jahre hindurch fort
gesetzten Angriffen gegen die Führer einer Partei, die ihre Macht
missbraucht hatten, konnte es gewiss niemanden wundernehmen,
dass der Privatkläger gegen sie nach dem Februaraufstand 1934
noch schärfer Stellung nahm, als sie, anstatt sich einen ehren
vollen Abgang zu sichern, sich an die Macht klammerten; als sie
das Leben der Arbeiter aufs Spiel setzten in einer Zeit, wo sie
nicht nur wussten, dass ihr Aufstand nie gelingen könnte, sondern
sich sogar voll bewusst sein mussten, dass er, er gelinge oder
misslinge, die Macht des Nationalsozialismus stärken müsste, den
der Privatkläger als den grössten Feind nicht nur Oesterreichs
und der Tschechoslowakei, sondern der gesamten Kulturmenschheit
betrachtet. Welche Beschimpfungen und Beleidigungen sind stark
genug, gegen eine Führerschaft, die, um sich an der Macht zu er
halten, das Regime Dollfuss, welches sich in mutigster Weise
gegen den Nationalsozialismus gestellt hatte, zu einem Bürger
krieg zwang, der die unheilvollsten Folgen für ganz Europa hät
te haben können. Aber die Beschimpfungen und Beleidigungen der
Sozialdemokratie, zu denen sich der Privatkläger vollauf bekennt,
galten lediglich deren Führern. Es ist eine bewusste Lüge der
Angeklagten, dass der Privatkläger etwas gegen die Opfer des
Februaraufstandes geschrieben hat. Er hat ihnen tiefstes Mitge
fühl und alle gebührende Ehrfurcht erwiesen. Die Angeklagten mögen
verhalten werden, nur diesen einzigen Punkt ihrer Behauptungen zu
beweisen, und der Privatkläger wird erklären, dass sie ihn mit
Recht beleidigt haben.


In Fortsetzung des Vorwurfes, der Privatkläger schreibe „ge
gen die Opfer des Februaraufstandes“, behaupten die Angeklagten, er
gehe in der Mai-Nummer aus dem Jahre 1935 „schliesslich so weit, dass
er in ihr den Propagandaminister Oberst Walter Adam feiert“. Jeder
unbefangene Leser des Schriftsatzes der Angeklagten und gewiss auch
das Gericht wird der Meinung sein, der „Propagandaminister Oberst
Walter Adam“ werde wegen seiner Bekämpfung der Opfer des Februarauf
standes gefeiert, und es wird mit einiger Ueberraschung aufgenommen
86 werden (Nr. 909–911, Seite 60), dass das gespendete Lob seiner stili
stischen Ausdruckskraft galt und seinem Angriff auf eben jene intel
lektuellen Führer des Februaraufstandes, die aus einer ihnen aus
drücklich gegönnten leiblichen Sicherheit heraus die österreichischen
Arbeiter gegen die Regierung weiter aufhetzen, die den vielleicht
tragischerweise erfolglosen Versuch unternommen hat, sich gegen die
Hitlergewalt zu stellen, in welchem Versuche sie von den Führern der
Sozialdemokratie nicht nur nicht unterstützt sondern furchtbar ge
hindert wurde. Wegen der Verdächtigung, dass jenes stilkritische Lob
spekulativen Zwecken diene, wurde bereits ein Gesinnungsgenosse der
Arbeiterzeitung, „Der Gegenangriff“ zur Verantwortung gezogen, und
musste (wie in einschlägigen Fällen etliche andere Blätter dieser Art)
eine vom Gericht textierte Abbitte leisten, die vorgelegt werden wird.


Für die unheilvolle Behinderung des Kampfes
geben Hitler wurden die Führer der Sozialdemokratie – selbstver
ständlich nicht die Arbeiterschaft, die vom unzeitgemäßen Streik
87 nichts wissen wollte – in der Fackel Nr. 890–905 vom Ende Juli 1934
tatsächlich auf das Schärfste angegriffen. Ob sie sich dadurch be
schimpft fühlten und sogar „auf das Niedrigste beschimpft“, darüber
ist der Privatkläger den Angeklagten nicht Rechenschaft schuldig.
Zur Debatte steht höchstens die Behauptung von den Beschimpfungen
der „Demokratie“. Die Sozialdemokratie verkörpert diese nicht
und wenn schon eine Demokratie eine mögliche Regierungsform
wäre, woran der Privatkläger seit jeher gezweifelt hat, so
war die Sozialdemokratie der schlechteste Ausdruck dieser Form,
weil er einen Widerspruch in sich selbst enthält, da die Utopie
eines sozialen Staates am allerwenigsten durch die demokratische
Regierungsform erreicht werden kann, deren Träger wieder nur
Politiker sind, was eine Vervielfältigung der Macht und des
Machtbedürfnisses zum Schaden der Allgemeinheit bedeutet. Aber
auch darauf will sich der Privatkläger nicht einlassen, seine
Meinung zu begründen oder die gegnerische Meinung zu bekämpfen.
Der Angriff galt nicht einer Meinung sondern einer Tat, der
Tat des Februar 1934, der Behinderung der österreichischen
Regierung in der Abwehr gegen Hitler, deren Versagen von den
unheilvollsten Konsequenzen für ganz Europa, nicht nur für
Oesterreich und die Tschechoslowakei, gewesen wäre und wäre.
Den Beschimpften, – seien sie persönlich bezeichnet oder in
einen Begriff einbezogen worden –, stand übrigens das Recht zu,
von dem Privatkläger Genugtuung zu verlangen. Keiner von ihnen
hat dies getan. Dagegen hoffen sie, es werde gelingen, um sich
vor ihrer Leser- oder Anhängerschaft den Schein einer Rehabili
tation zu geben, den Privatkläger der Profitmacherei und der
Gesinnungslumperei zu beschuldigen. Die Angeklagten versuchen
aber nicht einmal einen derartigen Beweis anzutreten, sondern
sie beschränken sich darauf, eine Ueberzeugungsänderung zu be
haupten, der, läge sie nicht blos für den Flachsinn vor, erst
das unsaubere Motive nachgewiesen werden müsste.


Die Angeklagten stellen ein Axiom auf,
wann nach ihren Begriffen eine politische Ueberzeugung geändert
werden darf. Sie meinen, diese Aenderung sei „vom sittlichen
Standpunkt nur jenenfalls einwandfrei, wenn sie das Ergebnis
einer geistigen Umorientierung ist, die auf einem Wechsel des
Standpunktes beruht, von welchem aus wir die sozialen Erscheinun
gen betrachten, die das Leben der Gesellschaft begleiten“. Es ist
nicht klar, ob die Angeklagten Anspruch darauf erheben, dass diese
moralphilosophische Ausführung vollständig sei. Leider ist sie
nicht ganz verständlich. Aber was immer die Angeklagten sich dabei
gedacht haben mögen: die scheinbare Aenderung der politischen
Ueberzeugung war bei dem Privatkläger niemals das Ergebnis einer
geistigen Umorientierung, die auf einem Wechsel des Standpunktes
beruhte, sondert stets das Ergebnis des Festhaltens an einem
Standpunkte gegenüber den sozialen Erscheinungen – in der letzten
Zeit waren es eben die sozialdemokratischen Erscheinungen, die
das Leben der Gesellschaft begleiteten –, die ihm nicht genügen
konnten. Es gibt für den Privatkläger keine politische Ueberzeu
gung, die er zu ändern hätte, sondern nur eine Ueberzeugung aus
dem Geiste und aus der Humanität heraus, der die sozialdemokra
tischen Erscheinungen nicht entsprachen, lange bevor sie ihre
Macht verloren haben. So wie die Mächte des Krieges an ihrer
Unsittlichkeit zugrunde gegangen sind, ebenso ging die Sozialdemo
kratie an ihrem inneren Widerspruch zugrunde. Der Privatkläger
hat weder der einen noch der anderen Macht je Anhängerschaft ge
leistet und sie nur darnach beurteilt, wie sie sich gegen Geist
und Humanität verhielt. Um ihre politische Macht hat er sich nie
gekümmert, von ihr nie einen Vorteil gezogen. Diesen Beweis aber
hätten die Angeklagten zu erbringen.


Anstatt dieses Beweises möchten sie eine
Reihe von Zeugen aufmarschieren lassen, die vom Privatkläger
in seiner Zeitschrift gekränkt worden sind oder überhaupt eine
Antipathie gegen ihn haben, an Stelle von Beweisen. Die Quali
tät dieser Zeugen ergibt sich aus den Aussagen der beiden zugelassenen, des Herrn Paul Kornfeld und des Herrn Johannes Urzidil,
die nun besprochen werden müssen. Ist es schon an und für sich
haarsträubend, Zeugen über das Lebenswerk eines Schriftstellers, das
vor aller Welt offen vorliegt, zu beantragen, die nicht
einmal als Leumundszeugen genügen konnten, so dürften solche
nicht gerade aus der Reihe der Widersacher geholt werden. Der
Privatkläger könnte den von den Angeklagten geführten sechs
Zeugen eine hundertfache Menge von Lesern entgegenstellen, die
statt Hasses Sympathie ja Verehrung bekunden würden; dass er
dies nicht tut, hat lediglich seine Ursache darin, dass er mit
einer prozessualen Gelegenheit nicht Missbrauch treiben will,
wie es die Angeklagten tun, und nicht gewillt ist, ihnen auf
dem Wege der Ablenkung zu folgen. Der Zeuge Paul Kornfeld
sagt aus, er habe vor zweiundzwanzig Jahren mit dem Privatkläger „verkehrt“, seit dieser Zeit habe er ihn nicht gesehen.
Ueber die Art des Verkehres und von wessen Seite der Abbruch
desselben erfolgte, schweigt er sich aus. Man könnte auf Grund
der Aussage zu der Meinung kommen, die Aenderung des Urteiles
über die Gedichte Franz Werfels seien die Ursache gewesen. Aber
nicht einmal das ist wahr. Noch im Jahre 1916, als das Urteil
über Franz Werfel schon längst „geändert“ worden war (was mit
der „privaten Differenz mit einer Dame, die der Privatkläger
kannte“, nichts zu tun hatte, auf welche sich der Zeuge
fälschlich beruft), hat Herr Paul Kornfeld an den Privatkläger
88 ein Schreiben mit dem Ausdruck der ergebensten Verehrung ge
89 richtet, ebenso wie er dies in einem Telegramm getan hatte,
dessen Zeitpunkt sich freilich nicht feststellen lässt. Die
angebliche Anerkennung des Privatklägers, dass Franz Werfel
90 „ein grosses Talent“ sei, erfolgte in der Fackel Nr. 339/340
vom 30. Dezember 1911 auf Seite 47 damit, dass unter drei
Büchern, die den Lesern der Fackel empfohlen wurden, der Ge
dichtband „Der Weltfreund“ erwähnt war, aus dem einige Gedichte
abgedruckt wurden. Die Ablehnung dieses dichterischen Schaffens
91 erfolgte in der Nr. 443/444 vom 16. November 1916 auf Seite 26
92 in einem Gedicht „Elysisches“; in der Nr. 445–453 vom 18. Januar
1917 auf den Seiten 133 bis 147 in einer sprachkritischen Be
93trachtung; in der Nr. 462–471 vom 9. Oktober 1917 auf Seite 68
94 und in der Nr. 484–498 vom 15. Oktober 1918 auf Seite 93. Stets
waren konkrete, schriftstellerische Anlässe vorhanden, sich
mit Werfel zu befassen, und diese Anlässe wurden auch stets
dargelegt. Die angebliche „Differenz“, die Werfel mit einer
Dame hatte, die der Privatkläger tatsächlich kannte, war ein
Klatsch, den Werfel dem Privatkläger hinterbrachte, der sofort
zum Abbruch der persönlichen Bekanntschaft mit ihm führte, und
fällt in das Jahr 1913 oder 1914, jedenfalls vor den Krieg.
„Es war eine Kleinlichkeit“, nämlich von seiten des Herrn Werfel,
wenn man die Gefährdung des Rufes einer Dame als eine solche
bezeichnen will. Sie hatte natürlich keinerlei literarischen
sondern lediglich gesellschaftliche Folgen. Die viel spätere
Kritik hat sich Werfel durch sein äusseres und labiles Könnertum
(das freilich mit dem Charakter zusammenhängt) und durch seine
Beeinflussbarkeit von den verschiedensten dichterischen Seiten
her zugezogen. Der Zeuge Kornfeld ist aber nicht einmal im
stande, zu behaupten, dass diese private Differenz die Ursache
einer kritischen Aenderung gewesen sei, sondern er will eine
solche nur plausibel machen, und tut dies mit den Worten „von
dieser Zeit an“, mögen auch Jahre verstrichen sein, die zwi
schen den beiden Fakten liegen. Eine gleiche Verdächtigung ohne
jeden Tatsachengehalt spricht der Zeuge über die politische
Gesinnung des Privatklägers aus. Er selbst gibt zu, den Privatkläger seit zweiundzwanzig Jahren nicht gesehen zu haben. Gleich
wohl hat er die Kühnheit zu bezeugen, der Privatkläger habe im
Jahre 1925 in Berlin vorwiegend mit Kommunisten verkehrt, sei
in einem kommunistischen Kreis gewesen, alle hätten damals ge
glaubt, er sei Kommunist, der Privatkläger habe nicht protestiert
und damals habe ihn die kommunistische Presse sehr gelobt. Woher
der Zeuge diese von A bis Z vollständig unwahren Tatsachen hat,
verschweigt er. Er wird anzugeben haben, mit welchen Kommunisten
der Privatkkläger im Jahre 1925 verkehrt hat; wie der kommunisti
sche Kreis seinen Glauben ausgedrückt hat, der Privatkläger sei
Kommunist, so dass er eine Veranlassung hatte, dagegen zu pro
testieren. Die Wahrheit ist, dass diese Zeugenaussage vom Anfang
bis zum Ende falsch ist, dass der Privatkläger in keinem
kommunistischen Kreis verkehrt hat, was Herr Heinrich Fischer, damals Dramaturg in Berlin, jetzt wohnhaft in PragXII. Slezska 115 bezeugen kann, der den Privatkläger bei seinem
im Jahre 1925 vom 21. März bis 2. April währenden Aufenthalt in
Berlin, in welcher Zeit sieben Vorlesungen abgehalten wurden,
ständig Gesellschaft leistete.


Mehr drollig ist die Aussage des Zeugen
Johannes Urzidil. Dieser bekennt sich wenigstens offen zu
seiner Gegnerschaft, denn er sagt im wesentlichen über nichts
anderes aus, als über einen Angriff, der gegen ihn im Jahre 1931
95 in der Nummer 864–867 veröffentlicht worden war. Die Berechti
gung zur Beurteilung des moralischen Wertes und der Sachlichkeit
des Angriffes muss dem angegriffenen Zeugen abgesprochen werden,
umsomehr, als er den ironischen Vergleich des Klanges seines
Namens mit der Vorstellung zerschlagener Glasfenster in der Ab
sicht hervorhebt, bei einem tschechischen Gericht die Vorstel
lung zu erwecken, es liege hier eine Verunglimpfung des Tsche
chentumes vor, wo es sich gerade im Gegenteil in dem auf den
Seiten 40 bis 49 der zitierten Nummer abgedruckten Aufsatz
Der zerbrochene Krug“ darum gehandelt hat, das hetzerische Trei
ben des Herrn Urzidil anzuprangern, der als Pressechef der
deutschen Gesandtschaft in Prag die Vorstellung zu verbreiten
wünschte, es seien der deutschen Gesandtschaft Fensterscheiben
von tschechischer Seite eingeschlagen worden. Die Art, wie diese
Nachricht verbreitet wurde, war offensichtlich darauf angelegt,
den Vorfall national zu unterstreichen, obwohl durch nichts er
wiesen war, dass es sich um eine derartige Kundgebung gehandelt
hätte. Die Ironisierung eines Namens, „der einen Klang hat, als ob
in ihm die Vorstellung von eingeschlagenen Fensterscheiben gerade
zu erfüllt wäre“, bei einem Namensträger, der eingeschlagene
Fensterscheiben zum Gegenstand deutschnationaler Verhetzung ge
gen die Tschechen gebraucht, ist daher sowohl satirisch als auch
sachlich gerechtfertigt, ja zwingend notwendig. Der Zeuge be
hauptet weiter, der Privatkläger habe in diesem Artikel geschrie
ben, Zeuge „sei sowohl tschechischer wie auch deutscher Abstam-
mung, womit der Privatkläger seine verstorbene Mutter habe
tadeln wollen und zwar aus dem Grunde, weil diese eine deutsche
Jüdin gewesen sei, womit er sich mit dem rassischen Antisemitis
mus identifiziere und zu erkennen gebe, dass er einen tsche
chischen Namen und jüdischen Ursprung als Beweis des Deutschtums
ansehe, obwohl es in seinem Fall um einen damals schon 15 Jahre
bekannten deutschen Schriftsteller ging“. Diesen Gallimathias
verstehe, wer kann. Die Interpretation des Satzes der Fackel wäre
selbst dann falsch, wenn die Zitierung richtig wäre. Der Satz
lautet in Wirklichkeit folgendermassen:


„Herr Urzidil ist, soweit wir uns selbst überzeugen
konnten, ein Prager Literat, dessen teils tschechische, teils
nichtdeutsche Abkunft, von der wir nur aus zweiter Hand wis
sen, die Opfer, die er für die Sache des Deutschtums bringt
– wenn schon nicht durch sein Schaffen, so durch seine
Gesinnung – beträchtlich erscheinen lässt.“


Es ist klar, dass der Sinn dieses Satzes keinen Tadel gegen die
verstorbene Mutter des Herrn Urzidil enthält, von der überhaupt
nicht die Rede ist, sondern lediglich eine Anprangerung seiner
selbst, der teils tschechischer, teils nichtdeutscher Abkunft,
gleichwohl deutschnationale antitschechische Hetzpolitik trieb.
Heute möchte er, der zwei Jahre unter Hitler als Angestellter
der deutschen Gesandtschaft nationale Dienste geleistet hat, die
se Tatsache verwischen, sich auf einen angegriffenen Tschechen
aufspielen und auf die Verspottung seines Namens vor einem
tschechischen Gericht in klarer Absicht hinweisen.


Damit könnten diese Ausführungen abgeschlos
sen werden, – denn die Angeklagten haben den Beweis der Profit
macherei und der Gesinnungsänderung des Privatklägers, um sich
vor dem Konzentrationslager zu schützen, nicht einmal angetreten
und viel weniger erbracht – , wenn sie nicht, offenbar um
Stimmung für sich bei einem tschechoslowakischen Gericht zu
machen, Themen in ihren Ausführungen berührten, die mit dem
gegenständlichen Prozesse überhaupt nichts zu tun haben. Es
wurde bereits früher ausführlich dargelegt, dass die Angeklagten
sich zu ihrer Entschuldigung oder zu dem Nachweise ihres guten
Glaubens nicht auf Tatsachen berufen können, bei denen ein öffent
liches Interesse an ihrer Mitteilung lange nach der Veröffent
lichung der Beleidigungen vorhanden wäre. Damit aber nicht aus
dieser rein theoretischen Auseinandersetzung der Schluss abge
leitet werde, es seien die Behauptungen wahr, dass der Privatkläger durch ganze Jahre die tschechoslowakischen Staatsmänner
beschimpfe, sich über die tschechoslowakische Nation und ihren
Kampf um die Befreiung in dem Sinne äussere, es hätte „die
Partei den Hausherrn hinausgeworfen“, und dass er die demokrati
sche Verfassung dieses Staates lächerlich mache, müssen auch die
se absurden Behauptungen besprochen werden. So fraglich das
Recht der Angeklagten ist, sich zu Verteidigern des damaligen
Aussenministers und nunmehrigen Präsidenten aufzuwerfen oder
sich eines Angriffes auf ihn als Mittel zur eigenen Verteidigung
zu bedienen, so muss doch dargetan werden, dass ein Angriff auf
den heutigen Präsidenten in Wirklichkeit gar nicht vorliegt. Der
96 Angriff auf Seite 58 der Fackel Nr. 909–911 richtet sich gegen
die eine dolose Entstellung durch den von tschechoslowakischen Geldern lebenden und zugleich öster
reichischen Patriotismus zur Schau tragenden „Wiener Tageszeitung ‚Der Tag‘,
deren dessen zwiespältige Haltung nebenbei erörtert wird. Von diesem
Blatt heisst es:


„Antipathisch ist es durch die Verbindung einer Bereit
schaft, sich ans Vaterland anzuschliessen, mit der Aufgabe,
Organ des Herrn Benesch zu sein; nicht minder wegen des
Talents, ebendieses durch alle Vorschriftsmässigkeit durch
schimmern zu lassen und den Rechtskurs mit zwei linken
Füssen mitzumachen. Für eine Annonce sich des ‚Tag‘ zu be
dienen,“


– es handelte sich nämlich um bezahlte Ankündigungen von Vor
trägen des Privatklägers


„kostet zwar nicht viel, doch immerhin Ueberwindung: indem
man sich dem Verdacht aussetzt, gesinnungsmässig mit einer
Leserschaft verbunden zu sein, der die Gewohnheit, frei zu
denken und zu mauern, nach wie vor als der wirksamste
Schutz gegen das Verhängnis Hitler erscheint. Was auf diese
Weise entsteht, ist die Mauer, gegen die einerseits mit dem
Kopf gerannt und die anderseits den verbrecherischen Störern
des grössten Verteidigungskrieges aller Zeiten gemacht wird.“


Alle diese Angriffe müssen aus der Gegner
schaft des Privatklägers gegen das Hitlerregime verstanden wer
den, dessen Förderung in jeder absichtlichen oder unbewussten
Verkennung seiner Gefahr liegt. Diese Gefahr, der nicht nur
Oesterreich sondern ganz Europa und besonders die Tschechoslo
wakei ausgesetzt ist, wird heute auch schon an Stellen erkannt,
die früher blind an ihr vorübergegangen sind. Der Privatkläger
glaubt diese Tatsache als gerichtsbekannt voraussetzen zu kön
nen, da sie in allen Blättern der Tschechoslowakei seit mehre
ren Monaten öffentlich besprochen wurde. Ja sogar der Ange
klagte Sonka ist sich, wie durch die Zeugenschaft des Herrn
Heinrich Fischer bewiesen werden kann, jüngst in einer Prager
Autorenversammlung der Paralellität der politischen Ziele
Oesterreichs und der Tschechoslowakei bewusst geworden. Zu der
Erkenntnis, in wie unverantwortlicher Weise die Sozialdemo
kratie den hier gemeinten Kampf gegen Hitler gehindert hat, ist
die Partei allerdings noch nicht vorgedrungen.


Anstatt sich mit der verlogenen Behauptung der
Angeklagten, der Privatkläger mache die demokratische Verfassung
des tschechoslowakischen Staates lächerlich, auseinanderzusetzen,
97 soll die Stelle auf Seite 59 der Fackel 909–911 hier lediglich
zitiert werden, um darzutun, mit welchen Mitteln dieser Prozess
geführt wird, wie aus einem Angriff gegen eine Partei eine Ver
höhnung der tschechoslowakischen Verfassung gemacht wird. Diese
Stelle lautet:


„Hat doch sogar die vorbildliche Dummheit der englischen
Arbeiterpartei – heute nur noch von jener Demokratie über
troffen, von deren werktätiger Neigung der ‚Tag‘ sein Dasein
fristet – erkannt, dass, ‚verglichen mit dem national
sozialistischen Regime‘, das österreichische ‚unendlich vor
zuziehen‘ sei; und das könnte doch selbst der dem kulturellen
Gehalt des neuen Lebens Abgeneigteste unmöglich bestreiten.“


Am tollsten und unverschämtesten ist aber
wohl die Behauptung der Angeklagten, „der Privatkläger äussere
sich über die tschechoslowakische Nation und ihren Kampf um die
Befreiung in dem Sinn, es hätte ‚die Partei den Hausherrn hinaus
geworfen‘. Als Hausherrn bezeichne er die Habsburger und Partei
sei zufolge der ‚beseelten‘(?) Ansicht des Privatklägers offenkun
dig die tschechoslowakische Nation, die seiner Ansicht nach offen
bar keinen Anspruch auf Selbständigkeit gehabt habe.“ Man muss
sich wirklich an den Kopf greifen, dass so etwas von Menschen
vorgebracht wird, die sich zu einer Reihe von Intellektuellen
zählen, „welche gerade aus Liebe zur Wahrheit und Achtung vor der
Freiheit lieber die Emigration als die gehorsame Anpassung an
das gegenwärtige österreichische Regime wählten“, die sich be
rufen fühlen, das Urteil abzugeben, der Privatkläger „diskredi
tiere uns andere Dichter und Literaten überhaupt, deren Sendung
in der menschlichen Gesellschaft es gerade ist, die breitere
Oeffentlichkeit moralisch aufzurütteln und ein Muster moralischer
Verantwortlichkeit zu sein“. Diese moralische Verantwortlichkeit
sieht folgendermassen aus, und wenn die Angeklagten die Nummer
der Fackel nicht zitiert hätten, in der das Absurdum stehen soll,
wäre es unmöglich gewesen, überhaupt darauf zu kommen, was
sie meinen. Denn der Privatkläger ist sich bewusst, gerade
das Gegenteil stets vertreten zu haben, was auch von Schrift
stellern der tschechoslowakischen Nation, ja sogar von deren
Präsidenten Masaryk immer vollauf gewürdigt wurde. ln der
98 Nr. 912–915 vom Ende August 1935 ist auf den Seiten 34 bis 62
ein Aufsatz „Die Handschrift des Magiers“ enthalten, der sich
mit Herrn Max Reinhardt beschäftigt. Diesem war es, noch als
die Sozialdemokratie Einfluss hatte, gelungen, eine Wohnung in
Schönbrunn und in der Hofburg zugewiesen zu erhalten. Nach
einer längeren Ausführung über die von aller Welt so gepriese
ne „Magie“ Reinhardt’s und nach einer Darlegung, was von ihr
zu halten sei, heisst es zu Beginn des letzten Absatzes auf
Seite 61:


Wien hat den Träumer zu einer Zeit, da die Republik
noch zum Linken sah, anders geehrt; es bedurfte damals, als
der Begriff der Freiheit mit den Namen Castiglioni und
Bosel, Rintelen und Winkler verknüpft wurde und die Habs
burger, nehmt alles nur in allem, von einer Partei ausge
hungert waren, die den Bekessy eingebürgert hat, keiner
weiteren Besinnung, um jenem in Schönbrunn und der Hofburg
einen seiner Prunkliebe und seines imperialen Bedürfnis
halbwegs angemessenen Wohnsitz einzuräumen, wie er ihn sich
in der Wiege noch nicht geträumt hatte. Und obwohl er sich’s
ganz gewiss nicht träumen liess, dass ihm dereinst ein greiser
Kirchenfürst mit Gefolge entgegenkommen und dies Bild in
Theaterblättern verewigt würde, so war doch er es, an dem
sich hauptsächlich jener Kaiserdrang genährt hat, der in
unserer so lebhaften Montagspresse, dem wahren Spiegel dieser
Unwirklichkeit, vorläufig die Könige aller Branchen restau
riert. Wenn das jetzige Oesterreich, das dafür geschmäht
wird, dass es, jenseits aller Politik und Gespensterfurcht,
eine Wohnungsfrage zu Gunsten der Besitzer entscheidet – wenn
es der Lichtspur des Herrn auf Leopoldskron noch folgen will,
so möge es Auskunft geben, ob der Träumer, der gern Rechnun
gen von Elektrizitätswerken unbeglichen lässt, im September
1933 das Konto des Hofburgbewohners mit mäzenatischer Hilfe
gelöscht fand, als er geweckt wurde, oder ob der Rückstand,
der vorhanden war, ‚als dubios abgeschrieben‘ ward. Auf die
se Auskunft hat Jedermann Anspruch, dem beim geringsten, un
verschuldeten Verzug das Licht abgedreht wird (auch wenn er
es dazu brauchte, Shakespeare zu ehren – womit er es beiweitem
nicht bezahlen könnte).“


Welche Niedertracht! Der der sozialdemo
kratischen „Partei“ gemachte Vorwurf, den Bekessy (den grössten
Revolverjournalisten Wiens) eingebürgert zu haben, der Tadel,
einem Faiseur eine Wohnung in Schönbrunn und in der Hofburg ein
geräumt zu haben, wird dazu benützt, um nationale Gefühle gegen
den Privatkläger aufzupeitschen. Hier wird die Justiz überhaupt
vor einen einzigartigen Fall gestellt. Es wird nämlich der Ver
such unternommen, auf rein denunziatorischem Wege durch die Be
hauptung, der Privatkläger habe jemals etwas gegen die tschechi
sche Nation, gegen die tschechische Selbständigkeit geschrieben,
von der Hauptsache, nämlich dass er Profit mache, abzulenken.
Wäre auch nur ein Atom von diesen denunziatorischen Behauptungen
wahr, so wäre es eine Erniedrigung der Justiz und der Nation, die
doch gerade durch die Freiheit der Meinungsäusserung, die sie ge
währt, sich vor den andern hervortut, wenn sie es nicht zurück
wiese, dass auf diese Weise ein Versuch der Beeinflussung auf
ihr Urteil gemacht wird. Die Ungeheuerlichkeit jedoch, dass man
sich etwas einfach aus den Fingern saugt, um eine gehässige
Stimmung zu erzeugen, ist wohl ohnegleichen. Dies nötigt den
Privatkläger, auch einiges über seine Stellung zur tschecho
slowakischen Nation und ihrem Staate zu sagen. Vorerst soll zu
99 diesem Zwecke ein in der Nr. 735–742 vom Oktober 1926 auf den
Seiten 65 bis 68 erschienener Aufsatz vorgelegt werden, gerade
deswegen, weil er zwar die höchste Anerkennung für die tschechi
sche Sprachliebe und Sprachkultur enthält, freilich auch das da
malige Hineintragen des nationalistischen Moments in die Verkehrs
sprache bemängelt. Als nun das ‚Prager Tagblatt‘ in einer Zuschrift
100 vom 20. Oktober 1926 um die Erlaubnis bat, gerade die Stelle
nachdrucken zu dürfen, die den Tadel dieser Ueberspitzung ent-
101 hält, erhielt dieses Blatt eine Zurückweisung, die die
Sympathie des Privatklägers für die tschechoslowakischen Be
strebungen auf das eindringlichste dokumentiert. Als solche
102 Dokumente werden weiters vorgelegt: die Nr. 521–530 vom Januar
103 1920, (Notiz „Oesterreich-Ungarn“ auf Seite 63); die Nr. 572–576
vom Juni 1921, (Aufsatz „Bei den Tschechen und bei den Deutschen
104 auf den Seiten 64 bis 68); die Nr. 632–639 von Mitte Oktober 1923
105 und die Nr. 640–648 von Mitte Januar 1924, (mit der Veröffent
lichung eines Armeebefehls vom 17. April 1915 auf Seite 34 der
Oktober-Nummer und einer Vorbemerkung hiezu auf Seite 102 der
106 Januar-Nummer); die Nr. 668–675 vom Dezember 1924, (Aufsatz „EinReinigungsprozess“ auf den Seiten 73 bis 79).


Der Angeklagte Sonka hat sich von dem son
derbaren Zeugen Johannes Urzidil ein Leumundszeugnis ausstellen
lassen, er sei ein Dichter, der seine Ueberzeugung anständig
verteidigt . Wie anständig, darüber gibt wohl sein Schriftsatz
mit den Beweisanträgen genügende Aufklärung. Der Privatkläger
möchte nicht hinter dem Angeklagten zurückstehen, und auch sei
nerseits Leumundszeugen, wenngleich nur dokumentarisch, ins
Treffen führen. Zu diesem Zweck wird der Abdruck einer Adresse
der Gelehrten der Pariser Sorbonne und des Collége de France an
das Komitee für die Verleihung des Nobelpreises von den Jahren
107 1925 bis 1928 vorgelegt, deren Unterzeichner es wohl an Gewicht
ihrer Meinungsäusserung mit Herrn Urzidil aufnehmen können.
(In dieser Urkunde ist gerade auch die Haltung und Leistung des
Privatklägers im Weltkrieg besprochen. Die Arbeiterzeitung hat
sowohl die Verleihung des Literatur-, wie des Friedenspreises an
ihn verlangt.) Ferner eine Broschüre „Stimmen über Karl Kraus Beil. 45.) zum 60. Geburtstag“ und besonders wird hingewiesen auf die Bei
träge tschechischer Schriftsteller: Carl Čapek auf Seite 21,
Josef Hora auf Seite 27 etc., und auf die ergreifende Zuschrift
eines Arbeitslosen (Seite 47f.), um auch die soziale Gesinnung des
Privatklägers der von gehässiger Seite geübten Verzerrung entge
genzustellen. Uederdies wird auf die Tatsache hingewiesen, die
wohl der Meinung, das Kriegswerk der Fackel sei ein militaristi
sches mit drastischestem Hohn begegnet: dass das Werk „Die letztenTage der Menschheit“ in tschechischer Uebersetzung unter dem
Titel „Posledni dnovée lidtiv“ im Prager Verlag Družstevni práce,
gedruckt bei Rohrer in Brünn, erschienen ist, welche Ausgabe auf
Wunsch dem Gericht zur Verfügung gestellt wird. Dem Schriftsatz
angeschlossen wird ein zu dieser Ausgabe veröffentlichtes Heft der
109 Zeitschrift „Panorama“, welches fast ausschliesslich das gesamte
Kriegswerk des Privatklägers in enthusiastischester Weise behan
delt. Besonders hingewiesen wird auf das auf der zweiten Umschlag
seite abgedruckte Zitat aus einem Werk des ersten Präsidenten
T.G. Masaryk, der die Tendenz der literarischen Kriegsleistung des
Herausgebers der Fackel anerkennend hervorhebt. Es entbehrt nicht
einer gewissen Pikanterie, dass unmittelbar darunter dem Führer
der Sozialdemokratie und Leiter der jetzigen Arbeiter-Zeitung
Otto Bauer die Ehre erwiesen wird, dass sein begeistertes Urteil
über das Kriegswerk des Privatklägers abgedruckt wird (aus seinem
Buch „Die österreichische Revolution“, dem Privatkläger hand
schriftlich mit den Worten gewidmet „Dem Dichter der ‚letzten Tageder Menschheit ‘“). Ganz abgesehen von jenem Urteile des Schöpfers
der tschechoslowakischen Republik wäre es doch unvorstellbar, dass
dieser nicht nur seit jeher wiederholt, am 8.1.1910 (nach dem
berühmten Prozess Friedjung) und am 1.1.1922, durch eingenhändi
ge Schreiben, ferner durch die Präsidentschaftskanzlei am
22.12.1921, 28.12.1921, 5.1.1922, 23.1.1922, 7.9.1933 und 9.8.
1933 dem Privatkläger ausserordentliche Freundlichkeit erwiesen,
ja ihn zu einem Besuch auf dem Hradschin eingeladen hätte, wenn
der Privatkläger deutschmilitaristische Politik gemacht oder
„durch ganze Jahre die tschechoslowakischen Staatsmänner be
schimpft, sich über die tschechoslowakische Nation und ihren
Kampf um die Befreiung in dem Sinn geäussert hätte, es habe ‚die
Partei den Hausherrn hinausgeworfen‘“, oder wenn er sonst eine
„antistaatliche Tätigkeit“ entfaltet hätte, die den Angeklagten
die Berechtigung gäbe, die Interessen der tschechoslowakischen
Oeffentlichkeit gegen „Menschen von der Art des Privatklägers“
zu vertreten. Sämtliche Zuschriften, die sich auf die freundliche
Meinung des Herrn Präsidenten beziehen und die hier nicht beige
legt werden, weil man die wertvollen Dokumente der Post nicht
anvertrauen will, werden bei der Verhandlung vorgewiesen werden.
Von besonderem Interesse wird da gerade die Zuschrift vom
23. Januar 1922 an den Privatkläger sein, die sich mit dem Not
recht des Staates befasst und einen Fall behandelt, der gegen
über den Februarereignissen 1934 in Wien zwar verschwindend
klein erscheint, indem eine unmittelbare Gefahr für den Staat
nicht vorhanden war, die aber doch einen durchaus analogen
Standpunkt einnimmt. Wie das Urteil des Präsidenten in Anbetracht
der drohenden Staats- und Weltgefahr ausfiele, kann wohl nicht
zweifelhaft erscheinen. Es dürfte wohl niemals noch der Fall
gewesen sein, dass es und zweifellos in der Absicht literari
scher Vergeltung gewagt wurde, im Vertrauen auf die Schwierig
keit der Aufklärung einem Gerichtshof eine derartige verleumde-
rische Verkehrung geistiger und moralischer Sachverhalte darzu
bieten und einen Schriftsteller, der 104 Antikriegshefte heraus
gegeben hat, aus denen zahllose Stellen konfisziert wurden, und
der wegen „Verbrechens gegen die Kriegsgewalt“ verfolgt wurde,
(bis die Regierung Lammasch das Verfahren einstellte), einer
schändlichen Haltung zu beschuldigen, und einen Mann als Profit
macher und „Spekulierer“ zu brandmarken, der vom Kriegsbeginn
bis heute S 162.537.–– wohltätigen Zwecken (insbesondre der
Arbeiter- und lnvalidenfürsorge) zugewendet hat.


Ueber alles, was in diesem Schriftsatz
vorgebracht wurde, ohne dokumentarisch belegt zu sein, beantragt
der Privatkläger seine Einvernahme als Zeugen.


Dr. Felix Gallia als Vertreter
des Privatklägers Karl Kraus.