Sehr geehrter Herr Doktor.
Ich erhielt Ihre beiden
gesch. Zuschriften
vom 8. Mai betreffend Kraus – Arbeiterzeitung, Kraus – Sozialdemokrat
und nachher ein in Wien am 12.V. aufgegebenes nicht unterfertig
tes Telegramm des Inhaltes „abwartet“. Ich habe
also vor Ein
langen der für heute erwarteten weiteren Nachricht, nichts unter
nommen.
Zu Ihrer Anfrage über die an das Prager Tagblatt
abzusendende Zuschrift mit der von diesem Blatte zu ver
öffentlichenden Erklärung gestatte ich mir zu bemerken:
Wir haben in Prag zwei Pressesenate. Die Agenda dieser Senate
ist weder nach dem
Anfangsbuchstaben des Angeklagten, noch nach
den Rayons abgegrenzt, sondern
die einzelnen Fälle werden den
Senaten nach dem Einlangen bei Gericht zugewiesen. Ob
hiebei
nicht Abweichungen
vorkommen, vermag ich nicht zu sagen, sodass
ich nicht voraussagen kann, ob
eine evtl. Ehrenbeleidigungsklage
gegen das Prager Tagblatt nicht wieder vor
dem gewissen Senate
zur
Verhandlung gelangen wird. Dass dieser Senat durch einen
Ablehnungsantrag auszuschalten
wäre, halte ich nicht für möglich.
Es ist wohl auch kaum anzunehmen, dass ein erfolgloser Ablehnungs
antrag den Richter zu einer
grösseren Objektivität veranlassen
könnte, im Gegenteil, man müsste
darauf gefasst sein, dass er,
von
uns einmal mit Erfolg oder ohne Erfolg abgelehnt, in Angele
genheiten des Herrn K. bestrebt sein wird, wo es nur geht, Schwie
rigkeiten zu bereiten. Ich
fürchte mich nicht vor den Richtern
und würde mich in jedem anderen
Falle trauen, Ungerechtigkeiten
oder Unkorrektheiten entsprechend zu begegnen. Allein in Sachen
des Herrn K., und noch dazu in Presseangelegenheiten, an denen ein
öffentliches Interesse vorliegt
und die auch jedesmal der Oeffent
lichkeit zur Kenntnis gebracht
werden, wäre ein durch den Ableh
nungsantrag herbeigeführtes
weiteres Handicap nicht sehr wün
schenswert.
Die Ehrenbeleidigungsklage gegen
das PRAGER TAGBLATT scheint mir an sich
schwächer, als die gegen Dr. Schwelb
und Dr. Strauss wegen des Prozessberichtes. Ich habe Herrn K. und
wenn ich nicht irre, auch in
einem an Sie gerichteten Briefe
mitgeteilt, dass man Dr. Schwelb ruhig klagen und von ihm behaup
ten kann, er sei der
Autor des Prozessberichtes und, dass
selbst
für den Fall, dass man
dies nicht beweisen könnte, das Kosten
risiko nicht allzu gross sein
könnte. Nach meiner Ansicht müss
ten die Redakteure Zeugenschaft
ablegen, da sie nicht zu den
Personen gehören, die nach § 151 St.P.O. nicht einvernommen werden
dürfen, noch zu denen, die nach
§ 152 von der Verbindlichkeit
zur Ablegung eines Zeugnisses
befreit sind, schliesslich auch
nicht zu solchen, die nach § 153 die Aussage verweigern dürfen.
Ich glaube, dass man Dr. Schwelb ruhig als Autor angeben kann,
weil als Autor nach § 1 der Pressgesetznovelle aus dem Jahre
1924 in der Fassung des Gesetzes
vom 28.VI.1933 auch der anzu
sehen ist, der die Informationen
zu der Veröffentlichung des
Artikels gegeben hat, insofern dieser mit der Information über
einstimmt. Autor ist
also nicht nur der tatsächliche Verfasser,
der Besteller der Nachricht und
derjenige, der die Veröffentli
chung angeordnet hat, sondern
auch derjenige, auf Grund dessen
Information die Nachricht veröffentlicht wurde. Man kann es also
wohl riskieren, Dr. Schwelb als Autor zu klagen. Ich habe es bis
her unterlassen, Ihnen den Entwurf der Klage gegen Dr. Schwelb
und Dr. Strauss zu übersenden, weil ich Ihre Nachrichten und die
Weisungen des Herrn K. vorerst abwarten wollte.
Es ist mir ganz gleich, wer von
uns den Brief
und die Erklärung an das Prager
Tagblatt absendet, ich habe keine
Bedenken dies zu tun und
überlasse es ganz Ihnen, zu entscheiden,
wer den Brief einsenden soll.
Ich habe auch Ihren Brief
in AngelegenheitArbeiterzeitung erhalten und
Erkundigungen nach Dr. Liska eingeholt.
Bisher konnte ich über ihn
nur erfahren, dass er seine ärztliche
Praxis ausübt, verheiratet
ist und Kinder hat, es war mir jedoch
noch nicht möglich, in
Erfahrung zu bringen, ob er in politischer
Hinsicht irgendwie belastet
ist. Ein guter Bekannter von mir, der
in höherer Position beim
Innen-Ministerium arbeitet und den ich
ersucht habe, privat beim
Aussenministerium anzufragen, warum Dr. L.
seine Stellung als Konsul
aufgegeben hat, teilte mir mit, dass das
Aussenministerium solche
Auskünfte nur schriftlich erteilt und
dass das Ansuchen um die
Auskunft auch den Nachweis des vorliegen
den dienstlichen Interesses
an ihr enthalten muss. Ich muss mir
daher die Auskunft
anderweitig verschaffen, was immerhin einige
Tage dauern wird, hoffe
Ihnen aber dann näheres mitteilen zu
können.
In der Angelegenheit der
Nichtigkeitsbeschwerde
/ Sozialdemokrat / habe ich bei dem Herrn K. gegenüber erwähnten
Ministerialrat
des Justizministeriums interveniert, welcher ein
grosses Interesse an dem Falle
bekundete und mir riet, über die
Angelegenheit dem Justizministerium offiziell schriftlich zu
berichten. Er könne zwar in das
Verfahren nicht eingreifen und
die Entscheidung des Obersten Gerichtes
selbst nicht beeinflus
sen, könne jedoch den Fall der Generalprokuratur mit der Em
pfehlung vorlegen, die
Voraussetzungen für die Erhebung einer
Nichtigkeitsbeschwerde zur
Wahrung des Gesetzes sorgfältig zu
prüfen. Dies werde er gerne veranlassen.
In dieser Angelegenheit rief
mich heute Herr Dr.Gallia an und machte mir
die interessante Mitteilung, dass sein
Konzipient
gestern anlässlich einer Unterredung mit einem Funk
tionär der Generalprokuratur in Erfahrung gebracht
hat, dass gerade
jetzt über eine
Nichtigkeitsbeschwerde in einem analogen Falle
beim Obersten Gerichte verhandelt werde. Die
Nichtigkeitsbeschwer
de wurde gegen eine gleiche Entscheidung von der Kanzlei
des ehe
maligen Justizministers
überreicht und es wird, wie Dr. Gallia
mitteilte, über den Fall sehr
eingehend beraten, die Generalprokuratur steht auf unserem
Standpunkte, der Gerichtshof selbst
scheint eher dem Standpunkte des
Erstgerichtes zuzustimmen.
Deswegen wäre es sehr
wichtig, wenn unsere Nichtigkeitsbeschwerde
noch vor der Entscheidung
über den eben erwähnten Fall beim OberstenGerichte einlangen
könnte. Ich habe daher beim Strafgericht
gleich
interveniert, um
dies zu veranlassen. Leider läuft die Frist zur
Ueberreichung der
Gegenausführungen durch Dr. Schwelb bis zum
15. d.M. Bisher sind diese
Gegenausführungen nicht überreicht
worden und da man annehmen
muss, dass Dr. Tisek die Schriftsätze
studieren wird, bevor er die
Akten dem Obersten Gerichte vorlegt,
muss man wohl mit einer
Verzögerung von einer Woche rechnen, trotz
dem mir von der Leiterin der Kanzleiabteilung zugesagt wurde, dass
sie, sobald sie das Referat
des Dr. Tisek hat, die Akten sofort nach
Brünn schicken wird.
Diese Beamtin hat mir auch verraten, dass
Dr. Tisek neuerlich eine gleiche Entscheidung herausgegeben
hat.
Ich habe mir den Kollegen, der den Fall vertreten hat, angerufen
und festgestellt, dass es
sich um einen politischen Advokaten
handelt, der
nationalsozialistische Gewerkschaften und Blätter
vertritt. Er ist über die
Entscheidung sehr empört, bezeichnet sie
als eine trottelhafte
Auslegung des § 18 und erklärte, grosses In
teresse daran zu haben, dass
unsere Angelegenheit günstig aus
fällt und die von Dr. Tisek gehandhabte Praxis nicht durch ein
oberstgerichtliches Judikat
petrifiziert wird. Er liess sich die
Geschäftszahl unseres Falles
nennen und machte sich erbötig, zu
Gunsten dieser Angelegenheit
von ausserordentlich einflussreicher
Seite beim Obersten Gericht intervenieren zu lassen.
Sie sehen also, sehr
geehrter Herr Doktor, dass wir einige Eisen
im Feuer haben und ich
hoffe, dass es gelingen wird, die Entschei
dung des Prager Gerichtes zu kassieren.
Für die Intervention bei der Generalprokuratur des Herrn Dr. Gallia wäre es mir sehr erwünscht, den WienerArtikel möglichst bald in Händen zu haben. Herr Dr. Heitler teilte
mir
heute mit, er habe den Artikel bereits zur Veröffentlichung
übergeben.
Zum Schlusse möchte ich noch
mitteilen, dass die
Berufungsverhandlung in Angelegenheit Melantrich für den 27. d.M.
angeordnet ist. Das Referat
hat der schwächere der beiden Rich
ter des Berufungsenates, mit
dem ich bisher keine sehr guten Er
fahrungen gemacht habe. Ich
werde mit ihm sprechen und verlasse
mich überdies auf seine mir
bekannte Bequemlichkeit, die es voraus
sichtlich nicht dazu kommen
lassen wird, das erstinstanzliche Ur
teil abzuändern oder
aufzuheben. Dazu wäre ein sehr eingehendes
Studium der Korrespondenz
und der Akten notwendig, dem sich der
Referent wohl kaum wird unterziehen wollen. Uebrigens glaube ich,
annehmen zu dürfen, dass er
der Gegenpartei politisch nicht sehr
gut gesinnt ist.
Ich sehe Ihren Mitteilungen
betreffend die Ein
sendung des Briefes samt Erklärung an das Prager Tagblatt, des
neuen Berichtigungsschreibens an den Sozialdemokrat und bezüglich
der Veröffentlichung des Artikels, sowie der im heutigen Telegramme
avisierten Nachricht gerne entgegen, bitte Sie, Herrn K. meine besten
Grüsse zu bestellen und bin
mit herzlichen Grüssen an Sie und
in vorzüglichster
Hochachtung Ihr ergebener:
Dr. Turnovsky
P.S.
Ich habe soeben mit dem Gesellschafter des ebenerwähnten ehemaligen
Justizministers gesprochen, der mir über seinen Fall
berichtete.
Er ist der
Ansicht, dass die Entscheidung des Dr. Tisek
weniger des
halb
unhaltbar ist, weil es sich nicht um gegenseitige Klagen und
Beleidigungen gehandelt hat,
sondern, wie auch in seinem Falle, aus
dem Grunde, weil der
Vorbehalt des § 18 für Fälle, die bereits ver
folgt werden,
nicht notwendig sein kann. Es ist wohl anzunehmen,
dass diese Kanzlei genügend
Ansehen und Einfluss hat, um dieser
Ansicht auch beim Obersten Gericht Geltung zu verschaffen,
was auch
unseren Fall günstig
beeinflussen müsste.