Uebersetzung.
T IV 1135/36
Im Namen der Republik!
Das Strafbezirksgericht in Brünn,
Abt. IV., hat am
9. Dezember
1936 zu Recht erkannt:
Der Angeklagte Hugo
Sonnenschein,
geboren am 28.5.1889,
Schriftsteller in Prag XII.,Šumavská 13,
ist schuldig,
in Brünn am 18.2.1936 in einem vorbereitenden, für das Strafkreisgericht in Brünn, bestimmten Schriftsatz
Karl Kraus
da
durch an
der Ehre verletzt zu haben, dass er von ihm behauptete,
es habe nach dessen Meinung
angeblich das čsl. Volk keinen An
spruch auf
Selbständigkeit gehabt, welche Ansicht angeblich in
der österreichischen Ausgabe
der Zeitschrift Die FackelNr. 912–915
veröffentlicht worden sein soll, wodurch zugleich
indirekt behauptet wird,
dass zweierlei Ausgaben der erwähnten
Zeitschrift bestehen, welche sich von einander
unterscheiden
und je nach
dem, in welchem Staate sie herausgegeben werden,
verschiedene Standpunkte
einnehmen, wodurch über den Privatkläger
Tatsachen angeführt worden sind, welche ihn der Ver
achtung aussetzen
oder in der öffentlichen Meinung herabsetzen
könnten, wodurch er die
Uebertretung der Verleumdung nach § 2des Ges. Nr. 108/33
Slg.d.Ges.u.Vdg. begangen hat. Dafür wird er
nach §
2 des zit. Ges. unter Anwendung des § 266 Str.G.
mit Rück
sicht auf
§ 261 Str.G. zu einer Geldstrafe von Kč 200, im Falle
der Nichteinbringlichkeit zu
einer Arreststrafe von 48 Stun
den verurteilt, und gemäss § 389 St.P.O. zum Ersatz der Kosten
des Verfahrens; der
Angeklagte Hugo
Sonnenschein ist ver
pflichtet, dem Privatkläger die
durch die rechtsfreundliche
Vertretung entstandenen Kosten, welche mit dem Betrage von
Kč 480.50 festgesetzt
werden, zu ersetzen. Dem Angeklagten wird
der bedingte Strafaufschub
bewilligt und die Bewährungsfrist
mit der Dauer eines Jahres
bestimmt.
Hingegen wird
Josef Schramek, geboren am
6.2.1899, Beamter in
Brünn, Zemědělská 39, nach § 259/2 St.P.O. von der Uebertretung
nach §
2 des Ges. über den Schutz der Ehre, welche er dadurch
begangen haben soll, dass er
in Brünn am 18.2.1936 in einem für
das Strafkreisgericht in Brünn
bestimmten vorbereitenden Schriftsatz
Karl
Kraus an der Ehre dadurch verletzt habe, dass er von
ihm behauptet, es habe nach
dessen Meinung das čsl. Volk angeb
lich keinen
Anspruch auf Selbständigkeit gehabt, welche Ansicht
angeblich in der
österreichischen Ausgabe der Zeitschrift DieFackel Nr. 912–915
veröffentlicht worden sei, wodurch zugleich
indirekt behauptet sei, dass
zwei Ausgaben der erwähnten Zeitschrift
existieren, welche sich von einander unterscheiden und
je nach dem, in welchem
Staate sie herausgegeben werden, verschie
dene Standpunkte
einnehmen, wodurch über den Privatkläger eine
Tatsache angeführt worden
ist, welche, ihn der Verachtung aus
setzen oder in
der öffentlichen Meinung herabsetzen könnte,
freigesprochen.
Gründe:
Auf Grund der Privatanklage,
der Zeugenaussage des
Dr. Karl Křepelka, zweier Ausgaben der
Zeitschrift DieFackel Nr. 912–915 und des Aktes Tl III 299/34 des Strafkreisgerichtes in Brünn,
sowie der Strafkarte des Hugo Sonnenschein, welche dort eingelegt war, hat das Gericht folgendes
als erwiesen angenommen: Der
Angeklagte Hugo
Sonnenschein
und Josef Schramek
überreichten am 18.2.1936 beim Strafkreisgericht in Brünn eine schriftliche Eingabe, in welcher
sie im Punkt IX/ vom Privatkläger behaupteten, er habe sich
über die čsl. Nation und
deren Befreiungskampf dahin geäussert,
dass „die Partei den Hausherrn hinausgeworfen habe“. Unter
dem Hausherrn verstehe er
die Habsburger und Partei sei nach
der vergeistigten Ansicht
des Klägers offenkundig die čsl.
Nation, welche nach seiner
Anschauung offenbar keinen Anspruch
auf Selbständigkeit gehabt
habe. Als Beweis führt der Angeklagte
die österreichische Ausgabe der Zeitschrift DieFackel Nr. 912–915
an, wodurch er, wenn auch nicht offen, sagen
will, dass die
österreichischen Ausgaben anderen Inhalts
sind als die čechischen und
es ist daher augenfällig, dass
dadurch behauptet wird, dass der Herausgeber
die gleiche Zeitschrift,
sei es aus welchen Gründen immer, mit einem anderen
Inhalt in diesem und mit
einem anderen in jenem Staate he
rausgebe.
Dem Angeklagten Hugo
Sonnenschein ist es nicht gelungen
zu beweisen, dass jener
Passus über die Partei, welche den Haus
herrn
hinausgeworfen habe, in irgend einer Ausgabe der Zeit
schrift Die
Fackel Nr. 912–915 enthalten sei.
Es ist also über den Privatkläger in dem vorberei
tenden Schriftsatz eine offenkundige Unwahrheit behauptet
worden und zwar eine
derartige Tatsache, welche den Privatkläger
sicherlich in der öffentlichen Meinung herabgesetzt
hätte.
Die Ausgabe der
Zeitschrift Die Fackel ist in
Oesterreich wie hier die
gleiche und in ihrem Inhalt voll
kommen identisch;
bloss auf dem Umschlag ist der Preis hier
in Kč, in Oesterreich in S.
angeführt. Der Angeklagte wollte
durch die Berufung auf die
österreichische Ausgabe, was im
vorbereitenden Schriftsatz durch grosse Buchstaben und
Unterstreichung kenntlich
gemacht wurde, deutlich zum Aus
druck bringen,
dass es sich um zwei inhaltlich verschiedene
Ausgaben handle, woraus
hervorgeht, dass der Privatkläger sich
aus nicht gerade allzu
ehrenhaften Gründen so einrichte, dass
die Abonnenten in jedem
Staate die gleiche Zeitschrift
aber
mit verschiedenem
Inhalt erhalten, was eine weitere Tatsache
zur Herabsetzung des Privatklägers darstellt.
Durch Vergleich der „beiden
Ausgaben“ wurde fest
gestellt, dass ihr Inhalt vollkommen identisch ist und jedwede
Ausführungen darüber, dass
sie sich durch die Preisangabe unter
scheiden, sind
überflüssig, da dieser Umstand keinerlei Rolle
spielte und spielt und weil
keineswegs aus diesem Grunde der
Angeklagte sich auf die österreichische Ausgabe berief.
Die Handlung des Angeklagten erfüllt den Tatbestand
des §
9 des Ges. Nr. 108/33, Slg.d.Ges.u.Vdg. und er wurde daher
nach diesem Paragraphen
schuldig erkannt.
Die Strafe wurde gemäss § 2 das zit.Ges. bemessen,
wobei mildernd die
Wohlverhaltenheit und die Aufregung in-
folge des beim Strafkreisgericht in Brünn geführten Pro
zesses wirkten,
erschwerend nichts.
Mit Rücksicht auf die
überwiegenden mildernden Umstände,
aus denen sich eine
Besserung des Angeklagten begründet
erwarten lässt, wurde der
§ 266 Str.G. angewendet und aus den
gleichen Gründen bedingter
Strafaufschub mit der Bewährungs
frist eines
Jahres bewilligt.
Mit Rücksicht auf besonders
berücksichtigenswerte
Umstände wurde die Strafumwandlung gemäss § 261 angewendet.
Der Angeklagte Josef Schramek
war freizusprechen,
da der
Zeuge Dr. Křepelka ausdrücklich bestätigte, dass
die
Informationen zu dem
inkriminierten Ausspruch ausschliess
lich Hugo
Sonnenschein erteilt hat.
Die übrigen Stellen sind
durch die zitierten Ge
setzesstellen begründet.
Brünn, am 9. Dezember 1936.
Wilhelm Prokop.
Für die Richtigkeit der
Ausfertigung:
Der Kanzleileiter:
Unterschrift.