Die FackelKarl Kraus, der Kämpfer [30.10.1925]


Sehr geehrter Herr Kollege!


Verzeihen Sie, wenn ich mich mit einer Bitte an Sie wen
de und Sie ersuche, mir in folgender Angelegenheit Auskunft zu geben.
Vor 2 Tagen erschien in der Wiener Zeitung „Die Stunde“ ein Artikel über meinen Klienten Herrn Karl Kraus, den Herausgeber der „Fackel“,
in dem mitgeteilt wurde, dass ein vorbestrafter und von der Anwalts
kammer auf 3 Monate suspendierter Rechtsanwalt Dr. Miksa Rosenberg
unter Hinweis auf eine Vollmacht des Herrn Kraus die Ausfolgung von
Akten verlangte und bei dieser Gelegenheit den Versuch gemacht habe
Beamte zu bestechen. Am nächsten Tage erschien eine Notiz, dass der
in dem vorigen Artikel erwähnte Dr. Miksa Rosenberg nicht mit dem
bekannten, in Budapest Rakoczistrasse 70 wohnhaften gleichen Namens
identisch ist, der zurzeit Verhandlungen in Wien führe und mit der
Angelegenheit nichts zu tun habe.


Herr Kraus hat nun niemals einen Budapester Anwalt namens
Dr. Miksa Rosenberg Vollmacht erteilt und auch sonst niemanden mit
einem Auftrag auf Aktenbeschaffung. Nach dem ganzen bisherigen Ge-
haben der „Stunde“ liegt die Vermutung nahe, dass es sich um eine
ganz gewöhnliche Mystifikation handelt, zumal da in den Budapester
Zeitungen kein Bericht über eine Verhaftung eines Dr. Rosenberg
enthalten war, im Budapester Anwaltsverzeichnis kein anderer Dr.Rosenberg verzeichnet ist als Sie und auch beim Zentral Meldungsamt
in Wien über Ihren vorübergehenden Aufenthalt eine Meldung vorliegt.
Es wäre mir aber doch wichtig von Ihnen persönlich zu erfahren, ob in
Budapest je ein zweiter Dr. Miksa Rosenberg Anwalt war, dieser be
straft und von der Kammer suspendiert wurde und ferner, ob Sie am
29. oder 30. Oktober d.J. in Wien waren.


Verzeihen Sie nochmals, dass ich Sie mit dieser Bitte be
lästigt habe und nehmen Sie den Ausdruck meines besten Dankes und
der vorzüglichen kollegialen Hochachtung entgegen.


Ihr ergebener


rekommandiert


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