Sehr geehrter Herr Kollege!


Wie ich vorausgesehen habe, ist der Verfasser der
Notiz, in welcher mitgeteilt wurde, dass die angeblich im Auf
trage des Herrn Karl Kraus beim Evidenzbureau der BudapesterStadthauptmannschaft durch Beamtenbestechung Akten beschaffen
wollten, nicht ermittelt worden und anstatt des Ehrenbeleidigungs
prozesses ist es nur zu einem Prozess gegen den verantwortlichen
Redakteur der „Stunde“, Dr. Fritz Kaufmann, gekommen, der jedoch
sonderbarerweise sich dahin verantwortete, dass er beweisen
wolle, dass Sie sich auf eine Vollmacht des Herrn Karl Kraus
berufen haben und Ihr Substitut beim Budapester Strafgerichte
in dem mitgeteilten Sinne interveniert habe. Am Tage der ersten Ver
öffentlichung seien Sie in der Redaktion der „Stunde“ erschienen
und hätten mit aufgehobenen Armen um eine Richtigstellung ersucht,
um Ihren Ruf in Budapest nicht volkommen zu zerstören, da Ihre
tatsächlich erfolgte Disziplinierung schon in Vergessenheit
geraten sei. Die Verhandlung wurde vertagt und Sie werden, ebenso
wie der Budapester Korrespondent der „StundeGeza Bekeffy, als
Zeugen darüber einvernommen werden, wer Ihnen den Auftrag zur
Akteneinsicht gegeben habe.


Der Grund weshalb ich Ihnen dies mitteile ist jedoch nicht
die Tatsache Ihrer zu erwartenden Zeugeneinvernahme, sondern das
Bestreben Ihren Ruf als Anwalt vor den unerhörten Behauptungen
des Herrn Dr. Fritz Kaufmann zu schützen. Obwohl die Verhandlung
bereits am 20. Jänner 1926 stattgefunden hat, kann ich Ihnen die
Mitteilung erst heute zukommen lassen, weil ich die Ergänzung des
Verhandlungsprotokolles beantragt habe. Herr Dr. Fritz Kaufmann
hat nämlich sogar behauptet, dass Sie wegen Veruntreuung diszipli
niert worden sind. Dieses Wort ist aber in das Verhandlungsprotokoll nicht aufgenommen worden und ich habe infolgedessen die
Ergänzung beantragt. Diesem Antrag ist leider nicht stattgegeben
worden, weil der Richter und der Schriftführer sich an dieses Wort
nicht erinnern konnten. Ich bin aber selbst in der Lage zu bezeugen,
dass Herr Dr. Fritz Kaufmann dieses Wort gebraucht hat. Ferner war
bei der Verhandlung ein bekannter Wiener Anwalt, Herr Dr. OswaldRichter, Wien I. Operngasse 2 gleichfalls im Zuhörerraum anwesend,
welcher die Sache mit Interesse verfolgte und daher auch bezeugen
kann, dass Dr. Fritz Kaufmann Ihre Disziplinierung wegen Veruntreu
ung behauptet hat. Wenn Sie daher, was ich annehme, die Ehrenbeleidi
gungsklage gegen Dr. Fritz Kaufmann machen wollen, so stehe ich Ihnen
zur Verfügung. Ich mache Sie aber darauf aufmerksam, dass schon eine
gewisse Zeit seit dieser Verhandlung verflossen ist und dass die
Übertretung der Ehrenbeleidigung nach österreichischem Recht in
drei Monaten verjährt, sodass Sie zur Einbringung der Klage unver
züglich den Auftrag an Ihren Wiener Substituten erteilen müssten.


Ich zeichne mit vorzüglicher
kollegialer Hochachtung


rekomm.


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