Die StundeÖsterreichisches Strafprozeßrecht in systematischer DarstellungKarl Kraus, der Kämpfer [30.10.1925]


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An die
GeneralprokuraturWien.


Als Anwalt des Privatanklägers Karl Kraus, Schriftsteller in
Wien III., Hintere Zollamtsstrasse 3.


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bittet um Einleitung einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung
des Gesetzes.


Herr Karl Kraus, Schriftsteller,
hat durch mich als seinen Anwalt wegen Veröffentlichung zweier
ihn betreffenden Artikel in der „Stunde“ beim Landesgerichtefür Strafsachen I in Wien den Antrag auf Einleitung der Vor
untersuchung wegen Vergehens der Ehrenbeleidigung gegen
Emmerich Bekessy als Herausgeber, Dr. Fritz Kaufmann
als verantwortlichen Redakteur der „Stunde“ und weitere unbe
kannte Täter gestellt. Ein Täter wurde trotz vorgenommener
Hausdurchsuchung nicht ermittelt, weshalb der Antrag auf Ab
tretung des Aktes an das Strafbezirksgericht I zur weiteren
Behandlung gemäss § 30 Pr.G. gestellt, und das Verfahren gegen
Dr. Fritz Kaufmann dort nach dieser Gesetzesstelle fort
geführt wurde, das auch mit einer Verurteilung des verantwort
lichen Schriftleiters Dr. Fritz Kaufmann nach § 30 Pr.G.
endete. Das Untersuchungsverfahren beim Landesgerichte fürStrafsachen I wurde zur G.Z. Vr XXVI 7288/25, das Verfahren vor
dem Strafbezirksgerichte I zu den G.Z. U I 14/26 und U I 224/26
geführt.


Nach rechtskräftiger Verurteilung des
verantwortlichen Schriftleiters Dr. Fritz Kaufmann, be
antragte ich beim Strafbezirksgerichte I die Kostenbestimmung,
in welcher jedoch die beim Landesgerichte für Strafsachen I
aufgelaufenen Kosten des Antrages auf Einleitung der Vorunter
suchung und die Intervention bei der Hausdurchsuchung nicht
zugesprochen wurden. Meine dagegen gerichtete Kostenbeschwerde
war erfolglos und zwar hat das Landesgericht für StrafsachenWien I mit Beschluss vom 13. April 1927 Bl XV 213371/27 die
Abweisung der Kostenbeschwerde damit begründet, dass „die im
Verfahren wegen Vergehens der Ehrenbeleidigung vor dem Untersuchungsrichter des Gerichtshofes erwachsenen Kosten nicht
auch die Kosten des Verfahrens nach § 30 Pr.G. vor dem Bezirksgerichte sind, umsoweniger, als ja das Vergehensverfahren
auf andere Weise als durch ein verurteilendes Erkenntnis be
endet wurde.“ Da diese Entscheidung den gesamten Fragekomplex
über die Bezeichnung der Ehrenbeleidigung begangen durch die
Presse und der Uebertretung des § 30 Pr.G. in einer mit der
sonstigen Praxis dieser Gesetzesstelle widersprechenden Weise
erledigt, glaube ich verpflichtet zu sein, diese Angelegen
heit der Generalprokuratur zur Einleitung einer Nichtigkeits
beschwerde zur Wahrung des Gesetzes gemäss § 292 St.P.O. zu
unterbreiten.


Die Einleitung der Voruntersuchung
war wegen Veröffentlichung eines Artikels, welcher in der
Stunde“ erschienen ist, gestellt worden. Ob sich die Mit
wirkung des verantwortlichen Redakteurs an der Veröffentli
chung als Vergehen der Ehrenbeleidigung oder als Uebertretung
des § 30 Pr.G. darstellt, hatte bei erhobener Anklage wegen
Vergehens der Ehrenbeleidigung, der Richter auf Grund der
im Zuge der Verhandlung erhobenen Tatsachen zu beurteilen,
denn nur die Tat des Angeklagten, nicht aber ihre vom An
kläger vorgenommene Qualifizierung ist Gegenstand der An
klage. Es hätte also, wenn das Verfahren wegen Vergehens
der Ehrenbeleidigung durchgeführt worden wäre und die Mitschuld
des Angeklagten nur in einer Vernachlässigung der pflichtge
mässen Obsorge bestanden hätte, ohne weitere Anklageerhebung
eine Verurteilung nach § 30 Pr.G. vor dem Geschworenenge
richte erfolgen müssen. Es kommt hierbei nur auf die Identität
der Tat, nicht aber auch auf die Identität des Verschuldens
und der rechtlichen Beurteilung an. Die Identität der Tat
liegt dann vor, wenn das Urteil dasselbe historische Ereig
nis betrifft, wie das von der Anklage behauptete. Es ist dem
Ankläger unbenommen, in der Aenderung des Sachverhaltes durch eine
Aenderung der Anklage Rechnung zu tragen, beziehungsweise
unter Festhaltung an der Identität der Tat und ihrer durch
die Anklageschrift vorgenommenen Qualifikation überhaupt
oder in eventum die Tat anders zu qualifizieren: aber er
forderlich ist dies unter keinen Umständen und auch die be
dingungslose Aenderung der Bezeichnung der rechtlichen Be
urteilung der Tat hindert das Gericht nicht, in seinem Urteile
den vom Ankläger verlassenen Standpunkt der Anklageschrift
einzunehmen. Aber auch wenn das Gericht die Aenderung als
begründet anerkennt, hat das Urteil nicht anders gefasst zu
sein, als wenn das Gericht unabhängig vom Ankläger die Tat
anders qualifiziert (vergleiche Dr. Ernst Lohsing: österr.Strafprozessrecht II. Auflage, Seite 494f.).


Wenn also über eine Anklage auf Ver
gehen der Ehrenbeleidigung vor einem Geschworenengerichte
judiziert und infolge Fragestellung eine Verurteilung nach
§ 30 Pr.G. erfolgt wäre, hätte nicht auch gleichzeitig ein
Freispruch vom Vergehen der Ehrenbeleidigung erfolgen dürfen,
da nur dieselbe Tat unter Berücksichtigung des subjektiven Ver
schuldens eine andere Qualifikation erfahren hätte. Daraus
ergibt sich, dass der Beschuldigte die Kosten des gesamten
Strafverfahrens zu tragen gehabt hätte, da ja eine Verurtei
lung erfolgte und die Qualifikationsänderung nur auf die
Anwendung der Tarifpost, nicht aber auf die Verpflichtung zum
Ersatz der Kosten Einfluss gehabt hätte.


In folgerichtiger Konsequenz dieser
Ausführung bestimmt die Anmerkung 3 zur Tarifpost 4 des Rechts
anwalttarifes, dass, wenn ein wegen Vergehens Angeklagter nur
einer Uebertretung schuldig erkannt wird, die Kosten nach
Zahl 2 (anstatt Zahl 3) dieser Tarifpost zu bemessen sind.


Dass die Aenderung der Qualifikation
vor Erhebung der Anklage und Verhandlung vor dem Geschworenen
gerichte vorgenommen wurde, kann nun an dieser durch die
Identität der Tat gegebenen einheitlichen Kostenersatzpflicht
nichts ändern und es wäre daher folgerichtig gewesen, den
Beschuldigten zum Ersatz sämtlicher auch durch Einleitung der
Voruntersuchung beim Gerichtshofe entstandenen Kosten zu
verhalten.


Ich wiederhole daher meine Bitte
um Einleitung einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des
Gesetzes.


Dr. Oskar Samek
als Anwalt des Herrn Karl Kraus.


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