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An die
GeneralprokuraturWien.
Als Anwalt des Privatanklägers
Karl Kraus, Schriftsteller in
Wien III., Hintere Zollamtsstrasse 3.
1 fach
bittet um Einleitung einer
Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung
des Gesetzes.
Herr Karl Kraus, Schriftsteller,
hat durch mich als seinen Anwalt wegen Veröffentlichung zweier
ihn betreffenden Artikel in der
„Stunde“ beim Landesgerichtefür Strafsachen I in Wien den Antrag auf Einleitung der Vor
untersuchung wegen
Vergehens der Ehrenbeleidigung gegen
Emmerich Bekessy als Herausgeber, Dr. Fritz Kaufmann
als verantwortlichen Redakteur
der „Stunde“ und weitere unbe
kannte Täter gestellt.
Ein Täter wurde trotz vorgenommener
Hausdurchsuchung nicht ermittelt,
weshalb der Antrag auf Ab
tretung des Aktes an das Strafbezirksgericht I zur weiteren
Behandlung gemäss § 30 Pr.G. gestellt, und das Verfahren gegen
Dr. Fritz Kaufmann dort nach dieser Gesetzesstelle fort
geführt wurde, das
auch mit einer Verurteilung des verantwort
lichen Schriftleiters
Dr. Fritz Kaufmann nach § 30 Pr.G.
endete. Das
Untersuchungsverfahren beim Landesgerichte fürStrafsachen I wurde zur
G.Z. Vr XXVI 7288/25, das Verfahren vor
dem Strafbezirksgerichte I zu den G.Z. U I 14/26 und U I 224/26
geführt.
Nach rechtskräftiger
Verurteilung des
verantwortlichen
Schriftleiters Dr. Fritz Kaufmann, be
antragte ich beim Strafbezirksgerichte I die Kostenbestimmung,
in welcher jedoch die beim Landesgerichte für Strafsachen I
aufgelaufenen Kosten des
Antrages auf Einleitung der Vorunter
suchung und die
Intervention bei der Hausdurchsuchung nicht
zugesprochen wurden. Meine
dagegen gerichtete Kostenbeschwerde
war erfolglos und zwar hat das
Landesgericht für StrafsachenWien I mit Beschluss vom 13. April 1927 Bl XV 213371/27 die
Abweisung der Kostenbeschwerde
damit begründet, dass „die im
Verfahren wegen Vergehens der
Ehrenbeleidigung vor dem Untersuchungsrichter des Gerichtshofes erwachsenen
Kosten nicht
auch die Kosten des
Verfahrens nach § 30 Pr.G. vor dem Bezirksgerichte sind, umsoweniger, als ja das Vergehensverfahren
auf andere Weise als durch ein
verurteilendes Erkenntnis be
endet wurde.“ Da diese Entscheidung den gesamten
Fragekomplex
über die
Bezeichnung der Ehrenbeleidigung begangen durch die
Presse und der Uebertretung des
§ 30 Pr.G. in einer mit der
sonstigen Praxis dieser
Gesetzesstelle widersprechenden Weise
erledigt, glaube ich verpflichtet
zu sein, diese Angelegen
heit der Generalprokuratur zur
Einleitung einer Nichtigkeits
beschwerde zur Wahrung des Gesetzes gemäss § 292 St.P.O. zu
unterbreiten.
Die Einleitung der
Voruntersuchung
war wegen
Veröffentlichung eines Artikels, welcher
in der
„Stunde“ erschienen ist, gestellt worden. Ob sich die
Mit
wirkung des
verantwortlichen Redakteurs an der Veröffentli
chung als Vergehen der
Ehrenbeleidigung oder als Uebertretung
des § 30 Pr.G. darstellt, hatte bei erhobener Anklage wegen
Vergehens
der Ehrenbeleidigung, der Richter auf Grund der
im Zuge der Verhandlung erhobenen
Tatsachen zu beurteilen,
denn nur
die Tat des Angeklagten, nicht aber ihre vom An
kläger vorgenommene
Qualifizierung ist Gegenstand der An
klage. Es hätte also,
wenn das Verfahren wegen Vergehens
der Ehrenbeleidigung durchgeführt worden wäre und die Mitschuld
des Angeklagten nur in einer
Vernachlässigung der pflichtge
mässen Obsorge bestanden hätte, ohne weitere Anklageerhebung
eine Verurteilung nach § 30 Pr.G. vor dem Geschworenenge
richte erfolgen
müssen. Es kommt hierbei nur auf die Identität
der Tat, nicht aber auch auf die
Identität des Verschuldens
und
der rechtlichen Beurteilung an. Die Identität der Tat
liegt dann vor, wenn das Urteil
dasselbe historische Ereig
nis betrifft, wie das von der Anklage behauptete. Es ist dem
Ankläger unbenommen, in der
Aenderung des Sachverhaltes durch eine
Aenderung der Anklage Rechnung zu
tragen, beziehungsweise
unter
Festhaltung an der Identität der Tat und ihrer durch
die Anklageschrift vorgenommenen
Qualifikation überhaupt
oder in
eventum die Tat anders zu qualifizieren: aber er
forderlich ist dies
unter keinen Umständen und auch die be
dingungslose Aenderung
der Bezeichnung der rechtlichen Be
urteilung der Tat hindert das Gericht nicht, in seinem Urteile
den vom Ankläger verlassenen
Standpunkt der Anklageschrift
einzunehmen. Aber auch wenn das Gericht die Aenderung als
begründet anerkennt, hat das
Urteil nicht anders gefasst zu
sein, als wenn das Gericht unabhängig vom Ankläger die Tat
anders qualifiziert (vergleiche
Dr. Ernst Lohsing: österr.Strafprozessrecht II. Auflage, Seite 494f.).
Wenn also über eine Anklage auf
Ver
gehen der
Ehrenbeleidigung vor einem Geschworenengerichte
judiziert und infolge
Fragestellung eine Verurteilung nach
§ 30 Pr.G. erfolgt wäre, hätte nicht auch gleichzeitig ein
Freispruch vom Vergehen der
Ehrenbeleidigung erfolgen dürfen,
da nur dieselbe Tat unter Berücksichtigung des subjektiven Ver
schuldens eine andere
Qualifikation erfahren hätte. Daraus
ergibt sich, dass der
Beschuldigte die Kosten des gesamten
Strafverfahrens zu tragen gehabt
hätte, da ja eine Verurtei
lung erfolgte und die Qualifikationsänderung nur auf die
Anwendung der Tarifpost, nicht
aber auf die Verpflichtung zum
Ersatz der Kosten Einfluss gehabt hätte.
In folgerichtiger Konsequenz
dieser
Ausführung
bestimmt die Anmerkung 3 zur Tarifpost 4 des Rechts
anwalttarifes,
dass, wenn ein wegen Vergehens Angeklagter nur
einer Uebertretung schuldig
erkannt wird, die Kosten nach
Zahl 2 (anstatt Zahl 3) dieser Tarifpost zu bemessen sind.
Dass die Aenderung der
Qualifikation
vor Erhebung der
Anklage und Verhandlung vor dem
Geschworenen
gerichte vorgenommen wurde, kann nun an dieser durch die
Identität der Tat gegebenen
einheitlichen Kostenersatzpflicht
nichts ändern und es wäre daher folgerichtig gewesen, den
Beschuldigten zum Ersatz
sämtlicher auch durch Einleitung der
Voruntersuchung beim Gerichtshofe
entstandenen Kosten zu
verhalten.
Ich wiederhole daher meine
Bitte
um Einleitung einer
Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des
Gesetzes.
Dr. Oskar Samek
als Anwalt des Herrn Karl Kraus.