Z. 15,6/ 27 26.1.1927
An die
Generalprokuratur,Wien.
Dr. Samek
als Anwalt des Privatanklägers
Karl Kraus,
Schriftsteller in Wien, III. Hintere Zollamtsstrasse 3
1 fach
bittet um Einleitung
einer
Nichtigkeitsbeschwerde zur
Wahrung des Gesetzes gemäss
§ 292 St.G.
8. März
1927
[Unterschrift]
In der Strafsache über Anklage des
Privatanklägers Karl Kraus gegen den
verantwortlichen
Schriftleiter
der „Stunde“ Dr. Fritz
Kaufmann wegen
der
Übertretung nach § 30 Press-Ges. G.Z. U I 224/26
des Strafbezirksgerichtes Wien I
wurde der Beschuldigte mit Urteil vom 2. Dezember 1926
schuldig erkannt, dieses Delikt
begangen zu haben.
Mit Rücksicht
auf die Urteile des gleichen Gerichtes
U I 286/25 vom 27. April 1926 und
U I 244/26 vom 28.
Oktober 1926
wurde unter Bedachtnahme auf § 265 St.P.O.
von der Verhängung einer Strafe
Umgang genommen.
Circa 14 Tage später wurde der
Be
schuldigte Dr.
Fritz Kaufmann
in einer Strafsache über
Anklage
des Herrn Friedrich
Austerlitz gleichfalls nach
§ 30 Press-Ges. schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe
von S 50.– verurteilt.
Da die beiden strafbaren
Handlungen
ungefähr zu
gleicher Zeit und jedenfalls vor der Straf
gesetznovelle
1926 begangen worden sind, ist die ver
schiedene
Behandlung bezüglich der Verhängung der Strafe
gesetzwidrig gewesen. Ich
weiss nicht, ob das Gesetz
durch die Verhängung der Strafe im Falle Austerlitz
oder durch die
Nichtverhängung im Falle Karl Kraus ver
letzt wurde.
Jedenfalls fühle ich mich
verpflich
tet,
die Generalprokuratur auf diese Fälle
aufmerksam zu
machen und um
Einleitung der Nichtigkeitsbeschwerde zur
Wahrung des Gesetzes in dem
einen oder anderen Falle
zu
bitten.
Dr. Oskar Samek
als Anwalt des Herrn Karl Kraus.