GZ. Os 997/27.
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BL XV 2/3, 371/27
U I 224/26/50
Im Namen der Republik!
Der Oberste Gerichtshof hat heute am 5. September 1927,
unter dem Vorsitze des
Senatspräsidenten Dr. Fischböck, in
Gegenwart der Räte des Obersten Gerichtshofes
Dr. Kôĉevar,
Brosig, Dr. Lelewer und
Dr. Roitz, als Richter, dann des
Richters Dr. Kuch als Schriftführers, über die von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes erhobene Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Strafbezirksgerichtes I
in Wien vom 2. Dezember 1926, GZ. UI 224/26–33, den Beschlußdesselben
Gerichtes vom 31. Jänner 1927, ONr. 40 und den Beschluss des Landesgerichtes für Strafs.
Wien I vom 13. April1927, GZ. Bl XV
213/27, in der Strafsache gegen Dr. FritzKaufmann wegen
Uebertretung nach § 30 PressG. nach durchge
führter
öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortra
ges des
Berichterstatters Rates des Obersten
Gerichtshofes
Brosig und nach Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde durch
den Vertreter der Generalprokuratur Generalanwalt Dr. Pietsch
zu Recht erkannt:
1.) Das Urteil des Strafbezirksgerichtes I in
Wien vom2.
Dezember 1926, GZ. U I 224/26–33 verletzt, insoferne es
unterlassen hat, die im § 5 PressG. vorgesehene Haftung des
Herausgebers des Eigentümers der Zeitung „Die Stunde“ für
die Kosten des
Strafverfahrens auszusprechen, das Gesetz in
der Bestimmung des § 5, Abs. 2 PressG.
2.) Der Beschluss des Strafbezirksgerichtes I in
Wien vom
31. Jänner 1927,
GZ. U 224/26–40, insofern er dem Privatankläger
den Zuspruch jener Kosten verweigert, die ihm in dem
dem bezirksgerichtlichen
Verfahren vorausgegangenen, beim
Landesgerichte Wien I für Strafsachen zur GZ. Vr XXVI
7288/25
durchgeführten
Strafverfahren erwachsen sind, und der die
dagegen gerichtete
Beschwerde des Privatanklägers abweisen
de Beschluss des Landes-
als Berufungsgerichtes für Strafsachen Wien I
vom 13. April 1927, GZ. Bl XV 213/27, verletzen
das Gesetz in den
Bestimmungen der §§ 381, Z. 3, 389, Abs. 2
und 393, Abs. 3 StPO., der letztgenannte Beschluss aber, in
soweit in
teilweiser Stattgebung der gegen den Beschlussdes Strafbezirksgerichtes Wien I vom 28.
März 1927, GZ.
U
224/26–46, gerichteten Beschwerde des Privatanklägers dem
Bezirksgerichte aufgetragen wird, über den Antrag des Privatanklägers auf Ausspruch, dass mit dem Beschuldigten für die
Kosten des Strafverfahrens
Emmerich
Bekessy und die Kronosverlags-A.G. zur ungeteilten Hand haften, nach durchgeführ
ter
Hauptverhandlung durch Urteil zu entscheiden, überdies
in den Bestimmungen den §§ 470, Abs. 3, 477, Abs. 1 und 479StPO.
Gründe:
Der Schriftsteller Karl Kraus hat
wegen Veröffentlichung
zweier
ihn betreffender Artikel in der Tageszeitung „DieStunde“ am 14.
November 1925 beim Landesgerichte für
Strafsachen Wien I den Antrag auf Einleitung der Voruntersuchung
wegen Vergehens der
Ehrenbeleidigung gegen Emmerich Bekessy
als Herausgeber, Dr. Fritz Kaufmann
als verantwortlichen Re
dakteur der genannten
Zeitung und gegen weitere, zur Zeit
unbekannte Täter gestellt.
Da in dem zur GZ. Vr XXVI
7288/25 beim Landesgerichte fürStrafsachen Wien I
eingeleiteten Strafverfahren mit Rück
sicht auf die
Verantwortung der beiden Beschuldigten und die
Ergebnislosigkeit einer im
Redaktionslokale der „Stunde“
durchgeführten
Hausdurchsuchung der Täter nicht ermittelt
werden konnte, wurden über
Antrag des Privatanklägers die
Akten nach erfolgter
Einstellung des Verfahrens gegen Bekessy
gemäss § 46 StPO. dem Strafbezirksgerichte
Wien I zur
Strafamtshandlung gegen Dr. Fritz Kaufmann wegen
Uebertretung
des § 30 PressG. abgetreten.
Mit Urteil des Strafbezirksgerichtes I in
Wien vom 2. Dezember 1926, GZ. U I 224/26–33, wurde Dr. Fritz Kaufmann
schuldig erkannt, er habe
als verantwortlicher Schriftlei
ter der in Wien erscheinenden Zeitung „Die Stunde“
bei der
Aufnahme der Aufsätze
mit der Ueberschrift „Karl Kraus, derKämpfer“ in den Nummern 794 und 795 der genannten Zeitung
vom 30. und 31. Oktober
1925, deren Inhalt das Vergehen ge
gen die
Sicherheit der Ehre nach § 488 StG. begründe, jene
Aufmerksamkeit
vernachlässigt, bei deren pflichtgemässer
Anwendung die Aufnahme des
strafbaren Inhaltes unterblieben
wäre und hiedurch die
Uebertretung nach § 30 PressG. began
gen. Mit Rücksicht auf die Urteile desselben Gerichtes vom
27. April 1926, GZ. U I
286/25 und vom 28. Oktober 1926,
GZ. U I 244/26, wurde unter
Bedachtnahme auf § 265 StPO.
von der Verhängung einer
Strafe Umgang genommen. Das Urteil
enthält dann noch Aussprüche
über die Pflicht des Beschuldigten
zur Veröffentlichung des Urteiles im Sinne des § 43,Abs. 1 und
2 PressG., über den Verfall der Nummern 794 und
795 „Die
Stunde“ im Sinne der Bestimmung des § 41 PressG.
und über die
Kostenersatzpflicht des Beschuldigten nach
§ 389 StPO.
Dieses Urteil ist, da die lediglich vom Angeklagten und
zwar wegen des Ausspruches
über die Verpflichtung zur Ver
öffentlichung des Urteiles im „Pester Lloyd“ erhobene Beru
fung mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien I
als Berufungsgerichtes
vom 5. Jänner 1927, GZ. Bl XV 1141/26
als unbegründet
zurückgewiesen wurde, in Rechtskraft erwach
sen.
Am 17. Jänner 1927 (Bl.Z.
73) stellte der Privatankläger
beim Strafbezirksgerichte Wien I das Ansuchen um Bestimmungder Kosten und Erlassung des Auftrages an den Beschuldigten,
diese binnen drei Tagen zu
bezahlen, ferner um den Ausspruch
dass für diese zur
ungeteilten Hand mit dem Beschuldigten
Herr Emmerich Bekessy und die
„Kronosverlags A.G.“ haften.
Gegen den daraufhin vom Strafbezirksgerichte Wien I ge
fassten Kostenbestimmungsbeschluss vom 31. Jänner 1927,
U 224/26–40 erhob der Privatankläger rechtzeitig die Be
schwerde, weil
das Erstgericht die durch den Antrag aufEinleitung der
Voruntersuchung und Vornahme einer Hausdurchsuchung verursachten, im Kostenbestimmungsgesuche an
gesprochenen
Kosten nicht zugesprochen hatte. Ueberdies
wurde beantragt, den
angefochtenen Beschluss durch den Aus
spruch betreffend
die Haftung des Emmerich Bekessy und der
Kronosverlags A.G. für die Kosten zu ergänzen.
Das Berufungsgericht mittelte zunächst die Akten dem
Strafbezirksgerichte Wien I zur Entscheidung über den im
Gesuche vom 17. Jänner 1927 gestellten Antrag, die erwähnte
Haftung für die Kosten
auszusprechen, zurück.
Mit dem Beschlusse des Strafbezirksgerichtes Wien
I
vom 28. März 1927,
U 224/26–46, wurde dem Antrage des Ver-
treters des Privatanklägers auf Ausspruch, dass mit
dem Beschuldigten für die Kosten dieses Strafverfahrens EmmerichBekessy und die Kronosverlags-A.G. zur ungeteilten Hand
haften, keine Folge gegeben.
In der Begründung wurde
ausgeführt:
„Das hg. Urteil U I 224/26–23 vom 2. Dezember 1926 ent
hält nicht
den Ausspruch über die gemäss § 5 (2) PressG.
normierte Haftung des
Herausgebers und Eigentümers der
„Stunde“. Das Urteil ist in Rechtskraft erwachsen. Eine Berich
tigung dieses
Urteiles wäre daher nur gemäss § 270, letzterAbsatz StPO. zulässig, wenn im Urteile etwas „ausgelassen“
worden wäre. Dies ist
nicht der Fall. Die im § 5 (2) PressG.
normierte Haftung in das
Urteil aufzunehmen, ist gesetzlich
nicht vorgeschrieben.
Während §§ 41 und 43 PressG. bestim
men, dass auf
Antrag des Anklägers in dem Urteile auf Ver
fall,
beziehungsweise Veröffentlichung zu erkennen ist, hat
es der Gesetzgeber
unterlassen, im § 5 (2) PressG. anzuord
nen, dass die
dort normierte Mithaftung im Urteile auszu
sprechen ist.
Die gemäss § 5 (2) PressG. normierte Mithaf
tung besteht
kraft dieser gesetzlichen Bestimmung: die even
tuelle
Aufnahme des Ausspruches über diese gesetzliche Be
stimmung in
das Urteil ist nicht recht erzeugend, sondern le
diglich
deklarativen Wesens“.
In der gegen diesen Beschluss rechtzeitig erhobenen Beschwerde vertritt der Privatankläger
den Standpunkt, dass
der von
ihm begehrte Ausspruch zwar nicht im Urteile, wohl
aber
seinem Antrage entsprechend, im Kostenbestimmungsbeschlusse zu erfolgen habe. Denn der Privatankläger müsse
doch eine gerichtliche
Bestätigung erhalten, die er im Falle
der Inanspruchnahme der im
§ 5 PressG. ausgesprochenen Haf-
tung des Herausgebers und des Eigentümers der Zeitung für
die Kosten als Grundlage für
die allenfalls gegen die Ge
nannten zu führende Exekution benützen könne. Als eine sol
che Grundlage
komme aber nur der Kostenbestimmungsbeschluss
in Betracht.
Ueber diese Beschwerde
erging folgender Beschluss desLandesgerichtes Wien I in Strafsachen
als Berufungsgerichtesvom 13. April 1927, Bl XV 213/27 (U I 224/26–49):
„1.) Der Beschwerde des Privatanklägers
Karl Kraus
gegen
den Beschluss des Strafbezirksgerichtes I in Wien vom 28.März 1927, GZ.
U I 224/26–46, wird insofern stattgegeben,
als unter Aufhebung
dieses in Beschwerde gezogenen Beschlusses
den Strafbezirksgerichte Wien I in Wien aufgetragen wird,
über den Antrag auf
Ausspruch, dass mit dem Beschuldigten
für die Kosten des
Strafverfahrens Emmerich Bekessy und die
Kronosverlags-A.G. zur ungeteilten Hand haften, nach
dies
bezüglich durchgeführter Hauptverhandlung durch Urteil zu
entscheiden.
Auf die Kosten dieser
Beschwerde wird seinerzeit je nach
dem Ergebnisse Rücksicht
zu nehmen sein.
2.) Die Beschwerde des Privatanklägers
Karl Kraus
gegen
den Beschluss des Strafbezirksgerichtes I in Wien vom 31.Jänner 1927, U
I 224/26–40, betreffend die Kostenbestimmung,
wird abgewiesen“.
In der Begründung dieses Beschlusses wird ausgeführt:
„ad 1) Nach § 5 PressG. haften die Herausgeber und Eigen
tümer einer
Zeitung zur ungeteilten Hand mit den Verurteil
ten für die
Kosten des Strafverfahrens. Es ist nun die Fra
ge, in
welcher Weise diese Haftung auszusprechen ist. Dies
bezüglich
enthält das Pressgesetz keine Vorschrift. Nach
§ 26 Preistreibereigesetz ist in gleicher Lage der Ausspruch
mit dem Urteile zu
fällen. Diese Bestimmung muss auch im
Verfahren wegen
strafbarer Handlungen, die nach dem Presse
gesetze zu
verfolgen sind, beobachtet werden.
ad 2.) Die im
Verfahren wegen Vergehens der Ehrenbelei
digung vor
dem Untersuchungsrichter des Gerichtshofes er
wachsenen
Kosten sind nicht auch die Kosten des Verfahrens
nach § 30 PressG. vor dem Bezirksgerichte, umsoweniger als
ja das
Vergehensverfahren auf andere Weise als durch ein
verurteilendes
Erkenntnis beendigt wurde“.
Der Beschluss des Strafbezirksgerichtes Wien
I vom 31.Jänner
1927, U 224/26–40, insoferne er dem Privatankläger
den Zuspruch jener Kosten
verweigert, die ihm in dem dem
bezirksgerichtlichen Verfahren vorausgegangenen, beim Landesgerichte Wien I für Strafsachen zur GZ. Vr XXVI
7288/25,
durchgeführten
Strafverfahren erwachsen sind, und der die
dagegen gerichtete
Beschwerde des Privatanklägers abweisen
de Beschluss des Landes-
als Berufungsgerichtes Wien Ifür Strafsachen
vom 13. April 1927, U I 224/26–49,
(Bl XV 213/27) verletzen das
Gesetz in der Bestimmung der
§§ 381, Z. 3, 389, Abs. 2 und 393, Abs. 3 StPO., der letztge
nannte Beschluss aber, insoweit in teilweiser Stattgebung
der gegen den Beschluss des Strafbezirksgerichtes Wien I
vom 28. März 1927,
U 224/26–46, gerichteten Beschwerde des
Privatanklägers dem Bezirksgerichte aufgetragen wird, über
den Antrag des Privatanklägers auf Ausspruch, dass mit dem
Beschuldigten für die Kosten
des Strafverfahrens EmmerichBekessy und die Kronosverlags-A.G. zur ungeteilten Hand
haften, nach durchgeführter
Hauptverhandlung durch Urteil
zu entscheiden, überdies in der Bestimmung der §§ 470, Abs. 3
477, Abs. 1 und 479 StPO.
In Ansehung der
erstgenannten Gesetzesverletzung, began
gen durch die
Abweisung des Antrages des Privatanklägers
auf
Bestimmung und
Anerkennung jener Kosten, die ihm durch das
beim Landesgerichte anhängig gemachte Verfahren erwachsen
sind, ist folgendes zu
bemerken:
Die Einleitung der
Voruntersuchung gegen Dr. Fritz Kaufmann als
verantwortlichen Redakteur der „Stunde“
wegen Ver
gehens
der Ehrenbeleidigung ist vom Privatankläger
wegen
Veröffentlichung
zweier, ihn betreffender Artikel in der
„Stunde“ beantragt worden. Bei durch
Zeitungsartikel began
genen Ehrenbeleidigungen kann der Beleidigte, wenn ihm nicht
das Gegenteil bekannt ist,
von der Annahme ausgehen, dass
der verantwortliche Redakteur seine ihm durch das Gesetz auf
erlegte Pflicht
erfüllt und somit den in Betracht kommenden
Artikel vor der Drucklegung
gelesen habe. Erst im Zuge des
Strafverfahrens kann in der Regel der Fälle klargestellt
werden, ob die Mitwirkung
des verantwortlichen Schriftleiters
an der Veröffentlichung des
beleidigenden Artikels sich als
Vergehen der
Ehrenbeleidigung oder als Uebertretung des § 3PressG.
darstellt. Auch wenn die Anklage wegen Vergehens der
Ehrenbeleidigung erhoben
würde, könnte ohne Ueberschreitung
der Anklage bei Stellung
einer Eventualfrage auf Uebertre
tung des § 30 PressG. der Schuldspruch in letzterem Sinne
gefällt werden, da die
Identität der Tat, die behauptete
strafbare Mitwirkung des
verantwortlichen Schriftleiters an
der in Betracht kommenden
Veröffentlichung, gewahrt bliebe.
Alle vom Privatankläger im vorliegenden Falle unternommenen
gerichtlichen
Verfolgungsschritte galten der Durchsetzung
des gleichen Strafanspruches
und das Strafverfahren war da-
her, trotzdem es vor dem
Gerichtshofe eingeleitet und vor
dem Bezirksgerichte fortgesetzt und beendet worden ist, ein
einheitliches. Da der Angeklagte der
Uebertretung des § 30PressG.
schuldig erkannt wurde, hatte er zufolge der Bestim
mung des § 389, Abs. 1 StPO. die Kosten des Strafverfahrens
zu ersetzen. Da dieses
Strafverfahren, wie erwähnt, ein ein
heitliches, eine
und dieselbe Tat betreffendes war, somit
die Bestimmung des § 389, Abs. 2 StPO. nicht anzuwenden war,
wären dem Verurteilten die
Kosten des ganzen Strafverfahrens
also nicht nur jene, die
durch das Verfahren vor dem Bezirksgerichte, sondern auch jene, die im Gerichtshofverfahren dem
Privatankläger erwachsen sind (§§ 381, Z. 3, 393, Abs. 3 StPO.)
aufzuerlegen gewesen.
Was den der Beschwerde
stattgebenden Teil des berufungsgerichtlichen Beschlusses betrifft, so ist allerdings dem
Berufungsgerichte beizupflichten, wenn es im Gegensatz zum
Erstrichter den Standpunkt vertritt, dass die im § 5 PressG.
vorgesehene Haftung des
Eigentümers und Herausgebers der
Zeitung für Geldstrafen und
Kosten im Urteil auszusprechen
sei. Diese Haftung hat sich geschichtlich aus der Kaution
entwickelt, die bei der
Aufhebung der Zensur für politische
Tageszeitungen durch das Pressgesetz vom 31. März 1848 ein
geführt worden
und von da mit gewissen inhaltlichen Erwei
terungen in das
kaiserliche Patent vom 13. März 1849, die
Pressordnung vom 27. Mai 1862 und schliesslich in das Pressgesetz vom 17. Dezember 1862 übergegangen ist. Nach § 15 deszuletzt
angeführten Gesetzes haftete die Kaution, die bei
bestimmten periodischen
Druckschriften vom Herausgeber zu
erlegen war, „für alle aus Anlass der Herausgabe der perio
dischen
Druckschrift infolge Strafurteiles zu bezahlenden
Geldstrafen und Kosten
des Strafverfahrens und zwar auch
dann, wenn der Erleger
der Kaution für seine Person nicht
strafbar befunden wurde“. Der Zweck dieser Einrichtung be
stand darin, den
Erleger der Kaution an der Beachtung der
gesetzlichen Vorschriften
materiell zu interessieren und
durch die Wirkung dieses Interesses einen Ersatz für die
entfallene Zensur zu
schaffen. Als die Kautionspflicht durch
die Pressgesetznovelle vom Jahre 1894 aufgehoben wurde, trat
an die Stelle der Haftung
mit der Kaution ein indirekter
Zwang gegen die an dem Forterscheinen der Zeitung interes
sierten Personen,
also insbesondere gegen den Herausgeber
und den Zeitungsunternehmer,
die irgendeiner Person aus
Anlass der Herausgabe der Zeitung auferlegten Geldstrafen und
Kosten zu bezahlen, nämlich
die Androhung der Einstellung
der periodischen Druckschrift „für solange, bis die
Zahlung
ausgewiesen
wird“. Dieser mittelbare Zwang wurde durch das
neue Pressgesetz in einen
unmittelbaren verwandelt, indem
dem Herausgeber und dem
Zeitungsunternehmer die Haftung für
die wegen Uebertretung der
Ordnungsvorschriften oder wegen
einer durch den Inhalt einer
Zeitung begangenen strafbaren
Handlung ausgesprochenen Geldstrafen und Kosten auferlegt
wurde. Der Zusammenhang
zwischen den erwähnten Bestimmungen
der Pressgesetznovelle vom Jahre 1894 und der Vorschrift
des § 5, PressG. tritt im § 48, Abs. 4 PressG. klar zu Tage.
Die Haftung für die
Geldstrafen und die Kosten des Straf
verfahrens ist
somit eine Einrichtung, die ähnliche Zwecke
erfüllen soll wie die
Strafe, nämlich die Verhütung künfti
ger
Gesetzesübertretungen, die aber diesen Zweck erreichen
soll nicht durch
unmittelbare Einwirkung auf den Schuldigen,
sondern durch Einwirkung auf
Personen, denen kraft ihrer
Stellung im Unternehmen die
Möglichkeit gegeben ist, künfti
gen
Gesetzesverletzungen vorzubeugen. Die Zahlung der Geld
strafe durch den
Haftenden tilgt den Strafanspruch des Staa
tes und
es bleibt allenfalls nur ein zivilrechtlicher Re
gressanspruch des
schuldlosen Herausgebers oder Eigentümers
gegen den Verurteilten (§ 1295 ABGB.). Die Haftung für die
Geldstrafe nach § 5 PressG. – und das gleiche muss auch für
die Haftung nach § 4 dieses Gesetzes gelten – ist aber keine
Strafe, sondern eine gegen
das Unternehmen als solches ge
richtete sichernde Massnahme, ihre Geltendmachung zwar kein
Akt der Strafverfolgung,
aber wegen der öffentlichrechtli
chen Natur des
Anspruches nur vor dem Strafgerichte möglich.
Da das Pressgesetz die
Frage, in welchen Formen die Haf
tung
auszusprechen ist, nicht ausdrücklich beantwortet, kann
sie nur mit Hilfe der
Analogie gelöst werden. Am nächsten
liegt wohl die vom
Berufungsgerichte herangezogene analoge
Anwendung der Vorschriften
des § 26 PreistrG. Da jedoch
die Bestimmungen des
Preistreibereigesetzes über die Art,
wie die Haftung für
Geldstrafen prozessual geltend zu ma
chen und zu
verwirklichen ist, nicht bloss für die Ent
scheidung über
die Haftung für Geldstrafen, sondern auch
für die Entscheidung über
den Verfall gelten und die pro
zessuale Stellung der Verfallsbeteiligten im Pressgesetz
(§ 41, Abs. 3) anders geregelt ist als im Preistreibereige
setze, sind bei
der Entscheidung über die Haftung nach
§§ 4 und 5 PressG. die Vorschriften des 3. Abs. des § 41PressG. über den Verfall sinngemäss anzuwenden.
Diese Auslegung findet eine
Stütze auch in der Entste
hungsgeschichte des Pressgesetzes.
Die Regierungsvorlage (Nr.
402 der Beil. konst. NatVers.)
enthielt im § 59 die
ausdrückliche Vorschrift, dass über
die Haftung im Urteile zu
entscheiden und dass zu der Verhand
lung dritte
Personen, deren Haftung für Geldstrafen oder
für die Kosten des
Verfahrens in Frage kommt (§§ 4, 5) zur
Hauptverhandlung zu laden seien, dass auf sie die Vor
schriften des § 53, Abs. 3 – die im Wesen denen des § 41, Abs. 3PressG. entsprechen – anzuwenden seien und dass gegen das
Urteil jedem Haftenden,
soweit er dadurch betroffen ist,
dieselben Rechtsmittel
zustehen, wie dem Verurteilten und
zwar auch gegen dessen
Willen.
Der Antrag Austerlitz, Gröger, Witternigg und Genossen
(§ 112 der Beilg.-Nat.Rat)
hat sich auf die Vorschrift be
schränkt, dass die im § 5 normierte Haftung für Geldstrafen
und Kosten im Urteil
auszusprechen sei (§ 5, Abs. 2).
Dagegen wurde bei den
Ausschussberatungen eingewendet,
dass diese Vorschrift, die
übrigens auch in den § 4 aufge
nommen werden müsste, als prozessuale Vorschrift nicht in
diesen Zusammenhang gehöre
und vorgeschlagen, sie in dem
Abschnitt über das Strafverfahren einzuschalten und gleich
zeitig die
Bestimmungen, die gegenwärtig im 3. Absatz des§ 41
PressG. enthalten sind, sinngemäss für anwendbar zu er
klären, wenn in
einem Strafverfahren die Haftung dritter
Personen für Geldstrafen
oder für die Kosten des Strafver
fahrens in Frage
kommt.
Der Ausschuss hat zwar die
Bestimmung des § 5, Abs. 2 ge
strichen, die angeregte Ergänzung in den 5. Abschnitt desGesetzes aber nicht aufgenommen, offenbar weil sie ihm
selbstverstädlich und daher
entbehrlich schien.
Daraus ergibt sich, dass das
Urteil des Strafbezirksgerichtes I in Wien vom 2. Dezember 1926, U I
224/26–33, inso-
ferne es unterlassen hat,
die im § 5 PressG. vorgesehene Haf
tung des Herausgebers
und des Eigentümers der Zeitung „DieStunde“
für die Kosten des Strafverfahrens auszusprechen,
das Gesetz in der Bestimmung
des § 5, Abs. 2 PressG. verletzt.
Der der Beschwerde
stattgebende Teil des berufungsge
richtlichen
Beschlusses verletzt jedoch dadurch das Gesetz
dass er eine Ergänzung des
Verfahrens und eines rechtskräf
tig gewordenen
Urteiles anordnet, für die jede gesetzliche
Grundlage fehlt. Eine
neuerliche Verhandlung und Urteilsfäl
lung in einer
durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlosse
nen Strafsache
ist nach der Strafprozessordnung nur in den
Fällen einer Wiederaufnahme
des Verfahrens oder zufolge der
Bestimmung des § 292, letzter Absatz StPO. möglich ( § 479StPO. ). Es
wäre Sache des Privatanklägers gewesen, das Urteil wegen der Unterlassung des Ausspruches über die im § 5PressG.
vorgesehene Haftung rechtzeitig anzufechten. Ein Er
gänzungsurteil,
wie es der berufungsgerichtliche Beschluss
anordnet, kennt die
Strafprozessordnung nicht. Jede über
eine blosse – hier nicht in
Betracht kommende – Berichtigung
im Sinne des § 270, letzter Absatz StPO. hinausgehende Ergän
zung eines
Urteiles ist eine Abänderung des Urteiles und
gemäss § 477, Abs. 1 StPO. darf das Berufungsgericht nur jene
Teile des erstrichterlichen
Erkenntnisses abändern, gegen
welche die Berufung gerichtet ist. Auch die Anordnung der
Wiederholung der
Hauptverhandlung in erster Instanz durch
das Berufungsgericht setzt
gemäss § 470, Abs. 3 StPO. das Vor
liegen einer
Berufung voraus.
Es war daher der von der Generalprokuratur zur Wahrung
des Gesetzes erhobenen
Nichtigkeitsbeschwerde Folge zu geben
und gemäss § 292 StPO. wie oben zu erkennen.
Oberster Gerichtshof, Abt. IV,
Wien, am 5. September 1927.
[Unterschrift]