Die Stunde, 30.10.1925Die StundePester LloydDie Stunde, 14.11.1925Die Stunde, 31.10.1925Karl Kraus, der Kämpfer [30.10.1925]


GZ. Os 997/27.
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BL XV 2/3, 371/27
U I 224/26/50


Im Namen der Republik!


Der Oberste Gerichtshof hat heute am 5. September 1927,
unter dem Vorsitze des Senatspräsidenten Dr. Fischböck, in
Gegenwart der Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kôĉevar,
Brosig, Dr. Lelewer und Dr. Roitz, als Richter, dann des
Richters Dr. Kuch als Schriftführers, über die von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes erhobene Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Strafbezirksgerichtes I
in Wien vom 2. Dezember 1926, GZ. UI 224/26–33, den Beschlußdesselben Gerichtes vom 31. Jänner 1927, ONr. 40 und den Beschluss des Landesgerichtes für Strafs. Wien I vom 13. April1927, GZ. Bl XV 213/27, in der Strafsache gegen Dr. FritzKaufmann wegen Uebertretung nach § 30 PressG. nach durchge
führter öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortra
ges des Berichterstatters Rates des Obersten Gerichtshofes
Brosig und nach Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde durch
den Vertreter der Generalprokuratur Generalanwalt Dr. Pietsch
zu Recht erkannt:


1.) Das Urteil des Strafbezirksgerichtes I in Wien vom2. Dezember 1926, GZ. U I 224/26–33 verletzt, insoferne es
unterlassen hat, die im § 5 PressG. vorgesehene Haftung des
Herausgebers des Eigentümers der Zeitung „Die Stunde“ für
die Kosten des Strafverfahrens auszusprechen, das Gesetz in
der Bestimmung des § 5, Abs. 2 PressG.


2.) Der Beschluss des Strafbezirksgerichtes I in Wien vom 31. Jänner 1927, GZ. U 224/26–40, insofern er dem Privatankläger den Zuspruch jener Kosten verweigert, die ihm in dem
dem bezirksgerichtlichen Verfahren vorausgegangenen, beim
Landesgerichte Wien I für Strafsachen zur GZ. Vr XXVI 7288/25
durchgeführten Strafverfahren erwachsen sind, und der die
dagegen gerichtete Beschwerde des Privatanklägers abweisen
de Beschluss des Landes- als Berufungsgerichtes für Strafsachen Wien I vom 13. April 1927, GZ. Bl XV 213/27, verletzen
das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 381, Z. 3, 389, Abs. 2
und 393, Abs. 3 StPO., der letztgenannte Beschluss aber, in
soweit in teilweiser Stattgebung der gegen den Beschlussdes Strafbezirksgerichtes Wien I vom 28. März 1927, GZ.
U 224/26–46, gerichteten Beschwerde des Privatanklägers dem
Bezirksgerichte aufgetragen wird, über den Antrag des Privatanklägers auf Ausspruch, dass mit dem Beschuldigten für die
Kosten des Strafverfahrens Emmerich Bekessy und die Kronosverlags-A.G. zur ungeteilten Hand haften, nach durchgeführ
ter Hauptverhandlung durch Urteil zu entscheiden, überdies
in den Bestimmungen den §§ 470, Abs. 3, 477, Abs. 1 und 479StPO.


Gründe:


Der Schriftsteller Karl Kraus hat wegen Veröffentlichung
zweier ihn betreffender Artikel in der Tageszeitung „DieStunde“ am 14. November 1925 beim Landesgerichte für Strafsachen Wien I den Antrag auf Einleitung der Voruntersuchung
wegen Vergehens der Ehrenbeleidigung gegen Emmerich Bekessy
als Herausgeber, Dr. Fritz Kaufmann als verantwortlichen Re
dakteur der genannten Zeitung und gegen weitere, zur Zeit
unbekannte Täter gestellt.


Da in dem zur GZ. Vr XXVI 7288/25 beim Landesgerichte fürStrafsachen Wien I eingeleiteten Strafverfahren mit Rück
sicht auf die Verantwortung der beiden Beschuldigten und die
Ergebnislosigkeit einer im Redaktionslokale der „Stunde
durchgeführten Hausdurchsuchung der Täter nicht ermittelt
werden konnte, wurden über Antrag des Privatanklägers die
Akten nach erfolgter Einstellung des Verfahrens gegen Bekessy gemäss § 46 StPO. dem Strafbezirksgerichte Wien I zur
Strafamtshandlung gegen Dr. Fritz Kaufmann wegen Uebertretung
des § 30 PressG. abgetreten.


Mit Urteil des Strafbezirksgerichtes I in Wien vom 2. Dezember 1926, GZ. U I 224/26–33, wurde Dr. Fritz Kaufmann
schuldig erkannt, er habe als verantwortlicher Schriftlei
ter der in Wien erscheinenden Zeitung „Die Stunde“ bei der
Aufnahme der Aufsätze mit der Ueberschrift „Karl Kraus, derKämpfer“ in den Nummern 794 und 795 der genannten Zeitung
vom 30. und 31. Oktober 1925, deren Inhalt das Vergehen ge
gen die Sicherheit der Ehre nach § 488 StG. begründe, jene
Aufmerksamkeit vernachlässigt, bei deren pflichtgemässer
Anwendung die Aufnahme des strafbaren Inhaltes unterblieben
wäre und hiedurch die Uebertretung nach § 30 PressG. began
gen. Mit Rücksicht auf die Urteile desselben Gerichtes vom
27. April 1926, GZ. U I 286/25 und vom 28. Oktober 1926,
GZ. U I 244/26, wurde unter Bedachtnahme auf § 265 StPO.
von der Verhängung einer Strafe Umgang genommen. Das Urteil
enthält dann noch Aussprüche über die Pflicht des Beschuldigten zur Veröffentlichung des Urteiles im Sinne des § 43,Abs. 1 und 2 PressG., über den Verfall der Nummern 794 und
795 „Die Stunde“ im Sinne der Bestimmung des § 41 PressG.
und über die Kostenersatzpflicht des Beschuldigten nach
§ 389 StPO.


Dieses Urteil ist, da die lediglich vom Angeklagten und
zwar wegen des Ausspruches über die Verpflichtung zur Ver
öffentlichung des Urteiles im „Pester Lloyd“ erhobene Beru
fung mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien I als Berufungsgerichtes vom 5. Jänner 1927, GZ. Bl XV 1141/26
als unbegründet zurückgewiesen wurde, in Rechtskraft erwach
sen.


Am 17. Jänner 1927 (Bl.Z. 73) stellte der Privatankläger
beim Strafbezirksgerichte Wien I das Ansuchen um Bestimmungder Kosten und Erlassung des Auftrages an den Beschuldigten,
diese binnen drei Tagen zu bezahlen, ferner um den Ausspruch
dass für diese zur ungeteilten Hand mit dem Beschuldigten
Herr Emmerich Bekessy und die „Kronosverlags A.G.“ haften.


Gegen den daraufhin vom Strafbezirksgerichte Wien I ge
fassten Kostenbestimmungsbeschluss vom 31. Jänner 1927,
U 224/26–40 erhob der Privatankläger rechtzeitig die Be
schwerde, weil das Erstgericht die durch den Antrag aufEinleitung der Voruntersuchung und Vornahme einer Hausdurchsuchung verursachten, im Kostenbestimmungsgesuche an
gesprochenen Kosten nicht zugesprochen hatte. Ueberdies
wurde beantragt, den angefochtenen Beschluss durch den Aus
spruch betreffend die Haftung des Emmerich Bekessy und der
Kronosverlags A.G. für die Kosten zu ergänzen.


Das Berufungsgericht mittelte zunächst die Akten dem
Strafbezirksgerichte Wien I zur Entscheidung über den im
Gesuche vom 17. Jänner 1927 gestellten Antrag, die erwähnte
Haftung für die Kosten auszusprechen, zurück.


Mit dem Beschlusse des Strafbezirksgerichtes Wien I vom 28. März 1927, U 224/26–46, wurde dem Antrage des Ver- treters des Privatanklägers auf Ausspruch, dass mit dem Beschuldigten für die Kosten dieses Strafverfahrens EmmerichBekessy und die Kronosverlags-A.G. zur ungeteilten Hand
haften, keine Folge gegeben.


In der Begründung wurde ausgeführt:


„Das hg. Urteil U I 224/26–23 vom 2. Dezember 1926 ent
hält nicht den Ausspruch über die gemäss § 5 (2) PressG.
normierte Haftung des Herausgebers und Eigentümers der „Stunde“. Das Urteil ist in Rechtskraft erwachsen. Eine Berich
tigung dieses Urteiles wäre daher nur gemäss § 270, letzterAbsatz StPO. zulässig, wenn im Urteile etwas „ausgelassen“
worden wäre. Dies ist nicht der Fall. Die im § 5 (2) PressG.
normierte Haftung in das Urteil aufzunehmen, ist gesetzlich
nicht vorgeschrieben. Während §§ 41 und 43 PressG. bestim
men, dass auf Antrag des Anklägers in dem Urteile auf Ver
fall, beziehungsweise Veröffentlichung zu erkennen ist, hat
es der Gesetzgeber unterlassen, im § 5 (2) PressG. anzuord
nen, dass die dort normierte Mithaftung im Urteile auszu
sprechen ist. Die gemäss § 5 (2) PressG. normierte Mithaf
tung besteht kraft dieser gesetzlichen Bestimmung: die even
tuelle Aufnahme des Ausspruches über diese gesetzliche Be
stimmung in das Urteil ist nicht recht erzeugend, sondern le
diglich deklarativen Wesens“.


In der gegen diesen Beschluss rechtzeitig erhobenen Beschwerde vertritt der Privatankläger den Standpunkt, dass
der von ihm begehrte Ausspruch zwar nicht im Urteile, wohl
aber seinem Antrage entsprechend, im Kostenbestimmungsbeschlusse zu erfolgen habe. Denn der Privatankläger müsse
doch eine gerichtliche Bestätigung erhalten, die er im Falle
der Inanspruchnahme der im § 5 PressG. ausgesprochenen Haf-
tung des Herausgebers und des Eigentümers der Zeitung für
die Kosten als Grundlage für die allenfalls gegen die Ge
nannten zu führende Exekution benützen könne. Als eine sol
che Grundlage komme aber nur der Kostenbestimmungsbeschluss
in Betracht.


Ueber diese Beschwerde erging folgender Beschluss desLandesgerichtes Wien I in Strafsachen als Berufungsgerichtesvom 13. April 1927, Bl XV 213/27 (U I 224/26–49):


„1.) Der Beschwerde des Privatanklägers Karl Kraus gegen
den Beschluss des Strafbezirksgerichtes I in Wien vom 28.März 1927, GZ. U I 224/26–46, wird insofern stattgegeben,
als unter Aufhebung dieses in Beschwerde gezogenen Beschlusses den Strafbezirksgerichte Wien I in Wien aufgetragen wird,
über den Antrag auf Ausspruch, dass mit dem Beschuldigten
für die Kosten des Strafverfahrens Emmerich Bekessy und die
Kronosverlags-A.G. zur ungeteilten Hand haften, nach dies
bezüglich durchgeführter Hauptverhandlung durch Urteil zu
entscheiden.


Auf die Kosten dieser Beschwerde wird seinerzeit je nach
dem Ergebnisse Rücksicht zu nehmen sein.


2.) Die Beschwerde des Privatanklägers Karl Kraus gegen
den Beschluss des Strafbezirksgerichtes I in Wien vom 31.Jänner 1927, U I 224/26–40, betreffend die Kostenbestimmung,
wird abgewiesen“.


In der Begründung dieses Beschlusses wird ausgeführt:


„ad 1) Nach § 5 PressG. haften die Herausgeber und Eigen
tümer einer Zeitung zur ungeteilten Hand mit den Verurteil
ten für die Kosten des Strafverfahrens. Es ist nun die Fra
ge, in welcher Weise diese Haftung auszusprechen ist. Dies
bezüglich enthält das Pressgesetz keine Vorschrift. Nach
§ 26 Preistreibereigesetz ist in gleicher Lage der Ausspruch
mit dem Urteile zu fällen. Diese Bestimmung muss auch im
Verfahren wegen strafbarer Handlungen, die nach dem Presse
gesetze zu verfolgen sind, beobachtet werden.


ad 2.) Die im Verfahren wegen Vergehens der Ehrenbelei
digung vor dem Untersuchungsrichter des Gerichtshofes er
wachsenen Kosten sind nicht auch die Kosten des Verfahrens
nach § 30 PressG. vor dem Bezirksgerichte, umsoweniger als
ja das Vergehensverfahren auf andere Weise als durch ein
verurteilendes Erkenntnis beendigt wurde“.


Der Beschluss des Strafbezirksgerichtes Wien I vom 31.Jänner 1927, U 224/26–40, insoferne er dem Privatankläger
den Zuspruch jener Kosten verweigert, die ihm in dem dem
bezirksgerichtlichen Verfahren vorausgegangenen, beim Landesgerichte Wien I für Strafsachen zur GZ. Vr XXVI 7288/25,
durchgeführten Strafverfahren erwachsen sind, und der die
dagegen gerichtete Beschwerde des Privatanklägers abweisen
de Beschluss des Landes- als Berufungsgerichtes Wien Ifür Strafsachen vom 13. April 1927, U I 224/26–49,
(Bl XV 213/27) verletzen das Gesetz in der Bestimmung der
§§ 381, Z. 3, 389, Abs. 2 und 393, Abs. 3 StPO., der letztge
nannte Beschluss aber, insoweit in teilweiser Stattgebung
der gegen den Beschluss des Strafbezirksgerichtes Wien I vom 28. März 1927, U 224/26–46, gerichteten Beschwerde des
Privatanklägers dem Bezirksgerichte aufgetragen wird, über
den Antrag des Privatanklägers auf Ausspruch, dass mit dem
Beschuldigten für die Kosten des Strafverfahrens EmmerichBekessy und die Kronosverlags-A.G. zur ungeteilten Hand
haften, nach durchgeführter Hauptverhandlung durch Urteil
zu entscheiden, überdies in der Bestimmung der §§ 470, Abs. 3
477, Abs. 1 und 479 StPO.


In Ansehung der erstgenannten Gesetzesverletzung, began
gen durch die Abweisung des Antrages des Privatanklägers auf
Bestimmung und Anerkennung jener Kosten, die ihm durch das
beim Landesgerichte anhängig gemachte Verfahren erwachsen
sind, ist folgendes zu bemerken:


Die Einleitung der Voruntersuchung gegen Dr. Fritz Kaufmann als verantwortlichen Redakteur der „Stunde“ wegen Ver
gehens der Ehrenbeleidigung ist vom Privatankläger wegen
Veröffentlichung zweier, ihn betreffender Artikel in der
Stunde“ beantragt worden. Bei durch Zeitungsartikel began
genen Ehrenbeleidigungen kann der Beleidigte, wenn ihm nicht
das Gegenteil bekannt ist, von der Annahme ausgehen, dass
der verantwortliche Redakteur seine ihm durch das Gesetz auf
erlegte Pflicht erfüllt und somit den in Betracht kommenden
Artikel vor der Drucklegung gelesen habe. Erst im Zuge des
Strafverfahrens kann in der Regel der Fälle klargestellt
werden, ob die Mitwirkung des verantwortlichen Schriftleiters
an der Veröffentlichung des beleidigenden Artikels sich als
Vergehen der Ehrenbeleidigung oder als Uebertretung des § 3PressG. darstellt. Auch wenn die Anklage wegen Vergehens der
Ehrenbeleidigung erhoben würde, könnte ohne Ueberschreitung
der Anklage bei Stellung einer Eventualfrage auf Uebertre
tung des § 30 PressG. der Schuldspruch in letzterem Sinne
gefällt werden, da die Identität der Tat, die behauptete
strafbare Mitwirkung des verantwortlichen Schriftleiters an
der in Betracht kommenden Veröffentlichung, gewahrt bliebe.
Alle vom Privatankläger im vorliegenden Falle unternommenen
gerichtlichen Verfolgungsschritte galten der Durchsetzung
des gleichen Strafanspruches und das Strafverfahren war da-
her, trotzdem es vor dem Gerichtshofe eingeleitet und vor
dem Bezirksgerichte fortgesetzt und beendet worden ist, ein
einheitliches. Da der Angeklagte der Uebertretung des § 30PressG. schuldig erkannt wurde, hatte er zufolge der Bestim
mung des § 389, Abs. 1 StPO. die Kosten des Strafverfahrens
zu ersetzen. Da dieses Strafverfahren, wie erwähnt, ein ein
heitliches, eine und dieselbe Tat betreffendes war, somit
die Bestimmung des § 389, Abs. 2 StPO. nicht anzuwenden war,
wären dem Verurteilten die Kosten des ganzen Strafverfahrens
also nicht nur jene, die durch das Verfahren vor dem Bezirksgerichte, sondern auch jene, die im Gerichtshofverfahren dem
Privatankläger erwachsen sind (§§ 381, Z. 3, 393, Abs. 3 StPO.)
aufzuerlegen gewesen.


Was den der Beschwerde stattgebenden Teil des berufungsgerichtlichen Beschlusses betrifft, so ist allerdings dem
Berufungsgerichte beizupflichten, wenn es im Gegensatz zum
Erstrichter den Standpunkt vertritt, dass die im § 5 PressG.
vorgesehene Haftung des Eigentümers und Herausgebers der
Zeitung für Geldstrafen und Kosten im Urteil auszusprechen
sei. Diese Haftung hat sich geschichtlich aus der Kaution
entwickelt, die bei der Aufhebung der Zensur für politische
Tageszeitungen durch das Pressgesetz vom 31. März 1848 ein
geführt worden und von da mit gewissen inhaltlichen Erwei
terungen in das kaiserliche Patent vom 13. März 1849, die
Pressordnung vom 27. Mai 1862 und schliesslich in das Pressgesetz vom 17. Dezember 1862 übergegangen ist. Nach § 15 deszuletzt angeführten Gesetzes haftete die Kaution, die bei
bestimmten periodischen Druckschriften vom Herausgeber zu
erlegen war, „für alle aus Anlass der Herausgabe der perio
dischen Druckschrift infolge Strafurteiles zu bezahlenden
Geldstrafen und Kosten des Strafverfahrens und zwar auch
dann, wenn der Erleger der Kaution für seine Person nicht
strafbar befunden wurde“. Der Zweck dieser Einrichtung be
stand darin, den Erleger der Kaution an der Beachtung der
gesetzlichen Vorschriften materiell zu interessieren und
durch die Wirkung dieses Interesses einen Ersatz für die
entfallene Zensur zu schaffen. Als die Kautionspflicht durch
die Pressgesetznovelle vom Jahre 1894 aufgehoben wurde, trat
an die Stelle der Haftung mit der Kaution ein indirekter
Zwang gegen die an dem Forterscheinen der Zeitung interes
sierten Personen, also insbesondere gegen den Herausgeber
und den Zeitungsunternehmer, die irgendeiner Person aus
Anlass der Herausgabe der Zeitung auferlegten Geldstrafen und
Kosten zu bezahlen, nämlich die Androhung der Einstellung
der periodischen Druckschrift „für solange, bis die Zahlung
ausgewiesen wird“. Dieser mittelbare Zwang wurde durch das
neue Pressgesetz in einen unmittelbaren verwandelt, indem
dem Herausgeber und dem Zeitungsunternehmer die Haftung für
die wegen Uebertretung der Ordnungsvorschriften oder wegen
einer durch den Inhalt einer Zeitung begangenen strafbaren
Handlung ausgesprochenen Geldstrafen und Kosten auferlegt
wurde. Der Zusammenhang zwischen den erwähnten Bestimmungen
der Pressgesetznovelle vom Jahre 1894 und der Vorschrift
des § 5, PressG. tritt im § 48, Abs. 4 PressG. klar zu Tage.


Die Haftung für die Geldstrafen und die Kosten des Straf
verfahrens ist somit eine Einrichtung, die ähnliche Zwecke
erfüllen soll wie die Strafe, nämlich die Verhütung künfti
ger Gesetzesübertretungen, die aber diesen Zweck erreichen
soll nicht durch unmittelbare Einwirkung auf den Schuldigen,
sondern durch Einwirkung auf Personen, denen kraft ihrer
Stellung im Unternehmen die Möglichkeit gegeben ist, künfti
gen Gesetzesverletzungen vorzubeugen. Die Zahlung der Geld
strafe durch den Haftenden tilgt den Strafanspruch des Staa
tes und es bleibt allenfalls nur ein zivilrechtlicher Re
gressanspruch des schuldlosen Herausgebers oder Eigentümers
gegen den Verurteilten (§ 1295 ABGB.). Die Haftung für die
Geldstrafe nach § 5 PressG. – und das gleiche muss auch für
die Haftung nach § 4 dieses Gesetzes gelten – ist aber keine
Strafe, sondern eine gegen das Unternehmen als solches ge
richtete sichernde Massnahme, ihre Geltendmachung zwar kein
Akt der Strafverfolgung, aber wegen der öffentlichrechtli
chen Natur des Anspruches nur vor dem Strafgerichte möglich.
Da das Pressgesetz die Frage, in welchen Formen die Haf
tung auszusprechen ist, nicht ausdrücklich beantwortet, kann
sie nur mit Hilfe der Analogie gelöst werden. Am nächsten
liegt wohl die vom Berufungsgerichte herangezogene analoge
Anwendung der Vorschriften des § 26 PreistrG. Da jedoch
die Bestimmungen des Preistreibereigesetzes über die Art,
wie die Haftung für Geldstrafen prozessual geltend zu ma
chen und zu verwirklichen ist, nicht bloss für die Ent
scheidung über die Haftung für Geldstrafen, sondern auch
für die Entscheidung über den Verfall gelten und die pro
zessuale Stellung der Verfallsbeteiligten im Pressgesetz
(§ 41, Abs. 3) anders geregelt ist als im Preistreibereige
setze, sind bei der Entscheidung über die Haftung nach
§§ 4 und 5 PressG. die Vorschriften des 3. Abs. des § 41PressG. über den Verfall sinngemäss anzuwenden.


Diese Auslegung findet eine Stütze auch in der Entste
hungsgeschichte des Pressgesetzes.


Die Regierungsvorlage (Nr. 402 der Beil. konst. NatVers.)
enthielt im § 59 die ausdrückliche Vorschrift, dass über
die Haftung im Urteile zu entscheiden und dass zu der Verhand
lung dritte Personen, deren Haftung für Geldstrafen oder
für die Kosten des Verfahrens in Frage kommt (§§ 4, 5) zur
Hauptverhandlung zu laden seien, dass auf sie die Vor
schriften des § 53, Abs. 3 – die im Wesen denen des § 41, Abs. 3PressG. entsprechen – anzuwenden seien und dass gegen das
Urteil jedem Haftenden, soweit er dadurch betroffen ist,
dieselben Rechtsmittel zustehen, wie dem Verurteilten und
zwar auch gegen dessen Willen.


Der Antrag Austerlitz, Gröger, Witternigg und Genossen
(§ 112 der Beilg.-Nat.Rat) hat sich auf die Vorschrift be
schränkt, dass die im § 5 normierte Haftung für Geldstrafen
und Kosten im Urteil auszusprechen sei (§ 5, Abs. 2).


Dagegen wurde bei den Ausschussberatungen eingewendet,
dass diese Vorschrift, die übrigens auch in den § 4 aufge
nommen werden müsste, als prozessuale Vorschrift nicht in
diesen Zusammenhang gehöre und vorgeschlagen, sie in dem
Abschnitt über das Strafverfahren einzuschalten und gleich
zeitig die Bestimmungen, die gegenwärtig im 3. Absatz des§ 41 PressG. enthalten sind, sinngemäss für anwendbar zu er
klären, wenn in einem Strafverfahren die Haftung dritter
Personen für Geldstrafen oder für die Kosten des Strafver
fahrens in Frage kommt.


Der Ausschuss hat zwar die Bestimmung des § 5, Abs. 2 ge
strichen, die angeregte Ergänzung in den 5. Abschnitt desGesetzes aber nicht aufgenommen, offenbar weil sie ihm
selbstverstädlich und daher entbehrlich schien.


Daraus ergibt sich, dass das Urteil des Strafbezirksgerichtes I in Wien vom 2. Dezember 1926, U I 224/26–33, inso-
ferne es unterlassen hat, die im § 5 PressG. vorgesehene Haf
tung des Herausgebers und des Eigentümers der Zeitung „DieStunde“ für die Kosten des Strafverfahrens auszusprechen,
das Gesetz in der Bestimmung des § 5, Abs. 2 PressG. verletzt.


Der der Beschwerde stattgebende Teil des berufungsge
richtlichen Beschlusses verletzt jedoch dadurch das Gesetz
dass er eine Ergänzung des Verfahrens und eines rechtskräf
tig gewordenen Urteiles anordnet, für die jede gesetzliche
Grundlage fehlt. Eine neuerliche Verhandlung und Urteilsfäl
lung in einer durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlosse
nen Strafsache ist nach der Strafprozessordnung nur in den
Fällen einer Wiederaufnahme des Verfahrens oder zufolge der
Bestimmung des § 292, letzter Absatz StPO. möglich ( § 479StPO. ). Es wäre Sache des Privatanklägers gewesen, das Urteil wegen der Unterlassung des Ausspruches über die im § 5PressG. vorgesehene Haftung rechtzeitig anzufechten. Ein Er
gänzungsurteil, wie es der berufungsgerichtliche Beschluss
anordnet, kennt die Strafprozessordnung nicht. Jede über
eine blosse – hier nicht in Betracht kommende – Berichtigung
im Sinne des § 270, letzter Absatz StPO. hinausgehende Ergän
zung eines Urteiles ist eine Abänderung des Urteiles und
gemäss § 477, Abs. 1 StPO. darf das Berufungsgericht nur jene
Teile des erstrichterlichen Erkenntnisses abändern, gegen
welche die Berufung gerichtet ist. Auch die Anordnung der
Wiederholung der Hauptverhandlung in erster Instanz durch
das Berufungsgericht setzt gemäss § 470, Abs. 3 StPO. das Vor
liegen einer Berufung voraus.


Es war daher der von der Generalprokuratur zur Wahrung
des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde Folge zu geben
und gemäss § 292 StPO. wie oben zu erkennen.


Oberster Gerichtshof, Abt. IV,
Wien, am 5. September 1927.
[Unterschrift]


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