Sehr geehrter Herr!
Ihr Gerichtssaalbericht vom 12. November 1926 ent
hält eine tatsächliche
Angabe, die unvollständig ist und einer
Ergänzung bedarf, die vorzunehmen
ich Sie ersuche, obwohl nach
der
geltenden pressrechtlichen Praxis, eine solche Ergänzung,
durch die der wahre Sachverhalt
erst hergestellt wird, nicht
verlangt werden könnte. Sie schreiben, dass ich den Strafantrag
auch darauf ausgedehnt habe, dass
der Beschuldigte erzählte,
dass Karl Kraus „sich als
Neunzehnjähriger bemüht habe, in die
Redaktion der ‚Neuen Freien Presse‘ hineinzukommen, aber dort
hinaus geworfen
wurde.“ Ferner teilen Sie mit, dass ich diesen
Strafentrag über die ausgedehnte
Anklage zurückgezogen habe,
worauf der Beschuldigte
in diesem Punkte formell freigesprochen
wurde. Ich ersuche
festzustellen, dass ich den Strafantrag mit
der ausdrücklichen Begründung
fallen liess, weil in diesem
Stadium evident war, dass der schon durch ein Jahr verzögerte
Urteilsspruch mit Ablehnung
sämtlicher Beweisanträge des Beschuldigten
diesmal gefällt würde und dass der hinzugekommene
Punkt, für den ein
Wahrheitsbeweis unbedingt zulässig ge
wesen wäre, eine
neuerliche Vertagung des gesamten Prozesses
auf einen unabsehbaren Termin
herbeigeführt hätte. Da ich
von
allem Anfang an der Ansicht war, dass ein Wahrheitsbeweis
auch in einem anderen Punkt
zulässig gewesen wäre und ange
ordnet werden würde, habe ich die Anklage aus dem neuen Punkt
gleich ausgedehnt, anstatt sie
mir bloss vorzubehalten. Aus
Ihrer Darstellung könnte der Leser schliessen, dass aus irgend
welchem anderen, meritorischen
Grund auf die Anklage verzichtet
wurde. Was dieses Meritum anlangt, ersuche ich von der spontan
abgegebenen Erklärung der „Neuen Freien Presse“ vom 12. November
1926 Notiz zu nehmen, welche,
entgegen dem Vorbringen des Be-schuldigten, lautet:
„Wir stehen
nicht an, loyalerweise zu er
klären, dass diese Behauptung absolut unstichhaltig ist, dass
Herr Kraus niemals eine Stellung in
unserem Blatte angestrebt
hat und dass daher auch von
einer Zurückweisung solcher Be
strebungen keine Rede sein konnte.“
Mit dem Ausdruck
vorzüglicher Hochachtung