Abschrift des Briefes an
Professor Dr. Herrmann Svoboda [Professor für Mathematik an der Wiener Universität:]
Wien XIX. Hochschulstraße 36
Wien, den 13. Februar 1930.
Sehr geehrter Herr Professor!
Ich bitte Sie, dieses Schreiben
zur sofortigen Weiterbildung an den Bundeskanzler
unverzüglich der Rektor der Wiener
Universität vorzulegen und begründe
die Dringlichkeit mit dem in der
„Stunde“ vom 1. Februar 1930 auf der
ersten
Seite erschienenen
Ultimatum, durch das, wenn die Drohung sich erfüllt, der
österreichischen Volkswirthschaft
ein nie wieder gut zu machender Schaden gewiß ist.
Ich erschien gestern den 12.II.
½8 Uhr abend spontan bei der PolizeidirektionWien, legitimierte mich
mit einer beglaubigten Übersetzung aus dem Čechischen
eines urkundlichen Bescheides des
„Bezirksamtes im Neuhaus vom 14.II.1929 an
Herrn Hans Löwe
Herausgeber und Verleger der Wirtschaftlichen und Handelsblätter“
und gab das folgende zu
Protokoll:
„Ich beabsichtige, zur Hebung der
österreichischen Volkswirtschaft dem Herrn Bundeskanzler einen
mathematischen Plan vorzulegen und erkläre mich vorweg bereit,
die absolute Gewißheit des
Gelingens vor einer aus Professoren der Wiener
Universität
zusamenzusetzende Jury zu bewiesen. Als Referent für meine Person nenne ich den
Fregattenkapitän a.D.
Schwitzer-Sindbad Wien XIII
Fasholdgasse“
Zur Nennung dieser Referenz war
ich berechtigt, weil der genannte Herr das Vertrauen
nicht nur des Bundeskanzlers, sondern auch des Hauses Rothschild genießt, und
verpflichtet,
weil er selbst
mit dem Hinweis auf eine pythagoräische Weltanschauung nur die
Zusage gemacht hat, sich für die
Durchführung meines Planes bei čechischen Industriellen
verwenden zu wollen.
Nachdem der Journalbeamte
Rücksprache mit der Staatspolizei gepflogen hatte, gab er
mir bekannt, daß ich vom
Bundeskanzleramt hinsichtlich des Zeitpunktes der Audienz
benachrichtigt werden würde.
Erhebungen sind bereits gepfolgen
worden, nicht ohne eine gewiße Pikanterie, die der
Öffentlichkeit mitzuteilen ich
mir vorbehalte, wo ich es bei der Feststellung bewenden lasse,
daß schon der Subalterne das
Protokoll zuerst nicht aufnehmen wollte und dann doch
aufgenommen hat und zwar mit der
typischen Begründung, daß er mir entgegenkommen
will, obwohl ihn die Sache einen
Dr … angeht (wörtlich!)
Die gestrige Promotion des Polizeitpräsidenten zum Ehren Dr., die Rede des rector
magnificus und das Gelöbnis des
letzten Ehren Dr. verleiht diesem Schreiben den
Charakter unüberwindlicher
Konsequenz, weil und obwohl – nach Karl Kraus –
für Eingabe Eingebung steht –
steht es dafür? – in einem Freistatt, der freilich
nicht zuständig ist. Ich bin es
auch nicht.
Somit steht es mir nicht zu, dem
österreichischen Staate ein Geschenk anzubieten,
wohl: ein Geschäft. Ich biete
eine Leistung und verlange eine Gegenleistung.
Das Zustandekommen dieses
Geschäftes erscheint durch das obgenannte, in der
„Stunde“ erschienen, mit 48 Stunden befristete Ultimatum
bedroht.
Daß in einer Sache, deren
persönlicher Promotor meine Wenigkeit ist,
eine Adressierung dieses Briefes
an den Rektor der Universität nicht in Frage kommt,
leuchtet in einer Gesellschaft
der Verbindungen ein.
Sehr geehrter Herr Professor! Daß ich diesen Brief zur sofortigen
Weiterleitung
an den Rektor der Universität an Sie adressiere, dazu bin ich berechtigt, nicht
etwa „vielleicht“ berechtigt (im
Sinne einer überholten Wahrscheinlichkeitsrechnung),
auch nicht „teilweise“ (im Sinne
österreichischer Verfassungsreformen), sondern
„voll und ganz“ (im Sinne eines
phibellinischen Superlativs). Also Kürzung: berechtigt.
Ich bin dazu berechtigt: durch
die Sache wie durch die Person. durch die Sache: in Bezug
auf die Sache wie in Bezug auf
Sie, dem ich die Sache zumute.
Ich habe die Sache dem Bundeskanzler als ein Geschäft vorgestellt: als eine
Leistung,
verbunden mit einer
Gegenleistung. Der Bundeskanzler hat über meine
Person
bereits recherchieren
lassen, ist also a priori bereit, meine Leistung zu empfangen,
hat sich aber um die
Gegenleistung nicht gekümmert. Er weiß offenbar nicht, daß man
mich mit Geld nicht kaufen kann:
„Weil ich nicht Sklave bin.“
Zur Sache: Mein Werk ist die
Gewißheitsrechnung, gefunden aus den „Variationen
mit Wiederholung“, an welche die
bisherigen Methoden der Wahrscheinlichkeitsrechnung
nicht herankommen. Die von mir
angebotene Leistung: aufzubauen die neue
politische Arithmetik aus der
Gewißheitsberufung und niederzureißen die alte, die
mit der
Wahrscheinlichkeitsrechung ihr bescheidenes Dasein fristet. Der Hinweis kann
auch nicht erspart werden, daß
ein englisches Konsortium auf Grund der Arbeit eines
französischen Mathematikers, die
gegenüber meiner Leistung ein kindischer Versuch ist,
ein florierendes Unternehmen
geschaffen hat. Auf Wunsch stehe ich mit Nennung von
Namen zu Verfügung.
In Beziehung zur Sache:
a) zur Leistung: Sie haben in
Ihren Schriften über Periodizität und Siebenzahl
offensichtliche Zusammenhänge im
Ablauf von Erscheinungsformen aufgezeigt,
ohne daß das Warum, welches Sie
im spinozistischen Sinne nicht in der
Materie, deren Beispiele Sie
anführen, sondern in der Beziehung der reinen Zahlen
begriffe untereinander
suchen, in der nach Friedrich Gauss, disquisitiones
arithme
ticae,
bedeutsam angeschwollenen Literatur irgendwo zu finden wäre.
Mein Werk zeigt das Warum.
b) Zur Gegenleistung: Sie haben
in Ihrem Buch über die Siebenzahl nicht den derzeitigen
Bundeskanzler erwähnt, der wie und anders als Karl Kraus auf eine Arbeit
von 30 Jahren zurückblickt, wohl
aber den Autor von Untergang der Welt durch
schwarze Magie mit dem Motto:
„Den Überwinder will ich genießen lassen
von
dem Lebensfolge, das in
meines Gottes Paradiese steht“ lange bevor Sie
gelegentlich meines Besuches in
Ihrer Privatwohnung die ethische Bedeutung
des Autors der Unüberwindlichen hervorzuheben die Liebenswürdigkeit
hatten. Die Gegenleistung, die
ich für den Fall, daß meine Leistung
angenommen wird, verlange: ein
offizielles und verbindliches Angebot,
die Burgtheaterdirektion
betreffend, an Karl Kraus, gegen dessen
künstlerische Qualitäten die
Dramatik der Herrn Wildgans ebenso unbedeu
tend ist wie die
Regiekunst des Herrn Modes.
Daß ich aber selbst berechtigt
bin, mich an Sie zu wenden, begründe ich
damit, daß Sie, als ich Sie im
vergangenen Sommer auf der Freyung
zu begrüßen Gelegenheit hatte, mich einluden, Sie nach Ihrer Rückkehr vom
Urlaub zu besuchen, da die
weitere Entwicklung meiner mathematischen
Arbeiten für Sie von Interesse
sei, ich aber zu dem Besuche bisher nicht Zeit
gefunden habe, da ich 16 bis 18
Stunden im Tag meiner Arbeit widmen muß.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Hans Loewe
Wien II Vereinsgasse I