Shakespeare’s SonnetsSonnet 81Sonnet 116Sonnet 129Die Fackel


Sehr geehrter Herr!


Wiewohl die ständige Notiz auf dem Umschlag der Fackel
ein Eingehen auf Zusendungen grundsätzlich verwehrt, möchten wir
die Ihre, die doch ein wenig aus der Art schlägt, beantworten. Zu
nächst zu dem Zweck einer Richtigstellung Ihres Vorbringens, der
Tadel Ihrer Übersetzung von „Maß für Maß“ sei eine „Beschimpfung“ ge
wesen, deren Berechtigung Sie freilich sogar, obschon nur zum Teil
anerkennen. Wir müssen Ihnen aber vor allem die Aufklärung zukom
men lassen, daß nicht nur die Annahme, irgendeine Zusendung würde
Herrn Karl Kraus Freude machen, auf einem Irrtum beruht, der eben
durch jene Umschlagnotiz deutlich berichtigt wird; sondern daß ins
besondere die Vermutung, die von Shakespeare-Übersetzungen würde
ihm als „einem solchen Shakespeare-Verehrer“ zusagen, abwegig ist,
indem doch von vornherein eher die Annahme zulässig wäre, daß ge
rade dieser seiner Eigenschaft die Vorenthaltung von Shakespeare
Übersetzungen weit mehr entspräche. Auch ist es natürlich ein Irr
tum, zu glauben, daß es ihm, wenn überhaupt, nach einem öffentlich
ausgesprochenen Tadel möglich wäre, die weitere Beurteilung privat
fortzusetzen, auf diesem Wege die Revision oder Zurückziehung des
Urteils vorzunehmen oder dergleichen. Solches wäre selbst dann nur
öffentlich, aus eigenem Antrieb, fern der Anregung des Beteiligten
möglich, wenn dieser mit Recht die Hoffnung hegen könnte, den Tad
ler „aus einem Saulus in einen Paulus zu verwandeln“, eine Erwar
tung, deren Ausspruch wohl nicht einmal dem Herrn selbst, welchem
die Bekehrung gilt, geziemte. Gewiß dürften Sie eine Frage wie
„Saul, Saul, was verfolgest du mich?“ mitempfinden; die Zuversicht
jedoch, daß nach Lektüre Ihrer Shakespeare-Sonette den Tadler
Ihrer „Maß für Maß“-Übersetzung plötzlich ein Licht vom Himmel um
leuchten werde, daß seine Gefährten erstarret wären; daß nunmehr
der Weg nach Damaskus zu betreten sei, daß Herr Kraus drei Tage
nicht sehend sein, nicht essen und trinken und daß es ihm dann wie
Schuppen von den Augen fallen werde und er wieder sehend wäre und
mit dem heiligen Geist erfüllet, ist vielleicht doch etwas über-
trieben. Immerhin ist er bereit, einer Beurteilung Ihrer Über
setzungen näher zu treten, und zwar so, daß sie ihn im Vergleich
mit den anderen Übersetzungen, von denen Sie gleichfalls Proben
einsenden und über deren Unzulänglichkeit er mit Ihnen einer Mei
nung ist, zu einer Studie, vielleicht auch zu eigenem Versuche
anregen könnten, wobei er freilich, mit aller Anerkennung Ihrer
Bemühungen, von dem Standpunkt ausginge, daß die Übersetzung
eines Dichtwerks, der „treue Dienst“, dessen Schätzung Sie erhof
fen, niemals in einer Übernahme des Wortbestands, in einer eben
noch auf die Versfüße und in Reime gebrachten Wörtlichkeit be
stehen könnte. Da nun zwar die Beurteilung, wie alles im Umkreis
dieser Angelegenheit, öffentlicher Natur ist, jedoch die Arbeit
selbst, auf die sie sich bezöge, als Manuskript Ihrer autorrecht
lichen Verfügung untersteht, so fragen wir an, ob Sie mit dem Ab
druck einiger Sonette – es handelt sich vor allem um 81, 116,
129 –, in dem Zusammenhang einer sprachkritischen Untersuchung
und mit anderen Proben vergleichenden Betrachtung, einverstanden
wären.


Mit vorzüglicher Hochachtung
VERLAG „DIE FACKEL“